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3 Herr Baudoin schickt einen Brief

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Es war am 31. Juli 1870, im lieblichen Städtchen Akureyri in Nord-Island. Wir spielten vor unserem Hause am Meeresufer.

Mein Elternhaus stand auf einer kleinen Erhöhung — etwa 25 Meter vom Meere entfernt. Hier wohnte meine Mutter mit uns Kindern. Mein Vater war ein Jahr vorher gestorben. Die Mutter erzog uns mit Güte und Milde. Zuweilen konnte sie auch streng werden, besonders wenn wir Streiche machten. Und was mich, den unverbesserlichen Wildfang, betraf, so liess ich es daran nicht fehlen. Ich war damals schon zwölf Jahre alt geworden.

Während ich nun am Spielen war, kam auf einmal aus dem Hause heraus meine grössere Schwester Bogga. Sie lief geradewegs auf mich zu und schaute mich ungewöhnlich feierlich an:

„Nonni“, sagte sie, als sie mich erreicht hatte, „du musst sofort zur Mutter hinauf. Sie wartet auf dich und hat — dir — etwas — Wichtiges — zu — sagen.“

Die letzten Worte betonte sie ganz eigentümlich und sprach sie unheimlich langsam aus. Man wird verstehen, dass mir bei diesem Bescheid nicht ganz geheuer zu Mut wurde.

Ich dachte natürlich, dass ich mir wohl wieder etwas zuschulden habe kommen lassen. Und nun sollte ich von meiner Mutter zur Rechenschaft gezogen werden. Das war nicht gerade angenehm.

Doch im Augenblick konnte ich nicht finden, was es sein mochte. Es schien mir sogar, dass mein Gewissen eben jetzt in ziemlich guter Verfassung sei. Ich wandte mich deshalb an meine Schwester mit der Frage:

„Weisst du, was es ist, Bogga?“

Sie antwortete — immer noch hochfeierlich und ernst —: „Ja, Nonni, ich weiss, was es ist. Ich darf es dir aber nicht mitteilen. Ich kann dir nur das eine sagen: es — ist — etwas ausserordentlich — Wichtiges — und — Ernstes ...“

Diese Antwort meiner Schwester war weit davon entfernt, die Sache besser zu machen. Jetzt wurde ich geradezu erschreckt. Doch da war nichts zu machen, ich musste zu meiner Mutter hinauf.

Ich ging langsam auf unser Haus zu, blieb ein wenig vor der Eingangstür stehen und trat dann endlich hinein. Ich näherte mich der Tür des Zimmers, in dem die Mutter sass, wartete auch dort noch ein wenig und klopfte schliesslich an.

„Herein!“ rief meine Mutter. Zögernd machte ich die Tür auf. Ich warf vorsichtig einen Blick ins Zimmer hinein und schaute zur Mutter hin. Sie sass auf einem Stuhl und war am Nähen. Ich tat einen forschenden Blick auf ihr Gesicht und entdeckte zu meiner Beruhigung, dass sie zwar feierlich-ernst, aber doch nicht unwillig aussah.

Als ich näher kam, schaute sie mich — wie mir schien — mit etwas Besorgnis an. Sonst konnte ich aus ihrem Blick und Benehmen nichts anderes als ihre gewöhnliche mütterliche Milde und Güte herauslesen. Das beruhigte mich sehr.

Durch ein Zeichen gab sie mir zu verstehen, dass ich mich nah zu ihr setzen sollte. Ich nahm auf einem Stuhl Platz und rückte zu ihr hin.

Dann fing sie an zu sprechen. Und was sie mir jetzt sagte, das war so seltsam-grossartig, es war so erstaunlich, und es kam mir so unerwartet, dass mir bald Hören und Sehen vergingen.

Meine Mutter fing an:

„Hättest du vielleicht Lust, Nonni, höhere Studien zu machen? In ein Gymnasium zu gehen, wo man Griechisch und Lateinisch lernt?“

„O ja, Mutter“, erwiderte ich rasch. Denn höhere Studien zu machen, danach sehnte ich mich schon lange und ganz gewaltig. Es war mir klar: ich sollte Gymnasiast werden. Ich konnte mir aber nichts anderes denken, als dass ich nach der Landeshauptstadt Reykjavik geschickt werden solle, dort war nämlich das einzige grosse Gymnasium der ganzen Insel.

Nach Reykjavik zu reisen war aber etwas sehr Ungewöhnliches, denn Reykjavik lag weit von uns entfernt, auf der andern Seite des Landes. In gewaltiger Spannung fragte ich deshalb meine Mutter:

„Mutter, soll ich nach Reykjavik, um dort zu studieren?“

Statt gleich zu antworten, schaute meine Mutter mich eine Weile merkwürdig ernst an und sagte dann langsam und mit Nachdruck:

„Nein, Nonni, es handelt sich nicht um Reykjavik, auch nicht um das Gymnasium dort. Es handelt sich um etwas unendlich Grösseres und Wichtigeres!“

Jetzt verwandelte sich meine Spannung in eine ungeheuere Ergriffenheit. Sprachlos schaute ich meine Mutter mit weitaufgerissenen Augen an. Sie aber legte ihr Nähzeug auf den Tisch, wandte sich zu mir hin und fuhr fort:

„Ich will dir sagen, um was es sich handelt, Nonni. Du hast jetzt Gelegenheit, höhere Studien zu machen, nicht hier in Island, sondern draussen in der grossen weiten Welt, nach der du dich so lange hinsehnst, in einem der südlichen Länder Europas, in einer der schönsten Gegenden der Welt. In einem Lande, wo fast immer Frühling herrscht, wo die köstlichsten Früchte wachsen, die wir hier kaum dem Namen nach kennen: Apfelsinen, Feigen, Weintrauben, wo überall herum Palmbäume zu sehen sind. Dort hast du jetzt Gelegenheit hinzureisen, um in einem vornehmen Gymnasium zu studieren....“

Jetzt bekam ich Herzklopfen.... Es wurde mir schwindelig.... Ich war unfähig, auch nur ein Wort herauszubekommen....

Nach einer kleinen Pause fragte mich meine Mutter:

„Und nun, Nonni, was sagst du dazu? Hast du Lust, diese Gelegenheit zu benutzen?“

Mit grösster Anstrengung, meiner Ergriffenheit Herr zu werden, brachte ich schliesslich nur die Worte heraus:

„Mutter, wie ist das aber gekommen? Wie hängt das alles zusammen? Wie heisst das Land, wohin ich reisen soll?“

„Du hast ein Recht, danach zu fragen, mein lieber Nonni. Ich will dir nun auch alles sagen:

Du weisst ja, dass ein katholischer französischer Priester in Reykjavik wohnt. Er heisst Baudoin und ist der einzige Katholik auf ganz Island. Als junger Priester ist er von Frankreich hierher gekommen.

Er kennt unsere Familie ein wenig; denn vor nicht langer Zeit ist er hier im Nordlande gewesen. Bei der Gelegenheit kam er auch zu mir. Du warst damals nicht zu Hause. Er fragte mich nach meinen Kindern, und dann wurde auch von dir gesprochen. Er ist ein ausgezeichneter Mann und hat auf uns alle hier im Haus den besten Eindruck gemacht.

Jetzt aber kommt die grosse Sache, Nonni.

Heute habe ich von Herrn Baudoin ein Schreiben bekommen. Darin erzählt er mir sehr merkwürdige Dinge.

Er schreibt, dass er vor kurzem einen Brief erhalten hat von einem vornehmen und sehr angesehenen französischen Grafen aus der Stadt Avignon.

Dieser Graf, schreibt er, sei ein sehr gottesfürchtiger, guter Mann. Er kenne Island, die Geschichte und die Literatur des Landes und habe infolgedessen ein grosses Interesse und eine grosse Liebe zum isländischen Volk.

Um diese seine Zuneigung für Island zu beweisen, habe er den dringenden Wunsch, ein paar isländische Knaben zu sich nach Avignon kommen zu lassen. Er habe sich deshalb an ihn, den Herrn Baudoin nämlich, gewandt, um ihn zu bitten, ihm zwei solche Knaben ausfindig zu machen und sie in seinem Namen nach Avignon einzuladen.

Er verspricht von seiner Seite, für sie sorgen zu wollen, wie wenn sie seine eigenen Kinder wären. Er werde sie studieren und christlich erziehen lassen, und zwar in einem der besten Institute des Landes, wo die Söhne der vornehmen französischen Familien studieren und erzogen werden. Er werde über sie wachen und, wie gesagt, für sie in jeder Beziehung sorgen.

Dies alles schreibt mir der Herr Baudoin in seinem Briefe“, sagte meine Mutter.

Dann machte sie eine Pause und liess ihren Blick auf mir ruhen. Ich merkte wohl, dass jetzt etwas sehr Wichtiges komme. Und ich täuschte mich nicht, denn nach einer Weile fuhr sie fort:

„Am Schlusse seines Schreibens, Nonni, wendet der Herr Baudoin sich an mich mit dem Vorschlag, ob ich wohl Lust habe, meinen Sohn, den kleinen Nonni, von dem ich ihm damals bei seinem Besuch bei uns erzählt habe, nach Südfrankreich, zum vornehmen Grafen in Avignon reisen zu lassen.

Also Nonni, von den beiden isländischen Knaben, welche zu dem Grafen in Avignon eingeladen sind, bist du der eine!

Selbstverständlich werde ich, wie immer, so auch besonders jetzt, in dieser überaus wichtigen Angelegenheit dir gänzliche Freiheit lassen. Du selbst sollst entscheiden, ob du dieses Angebot des französischen Edelmannes annehmen willst oder nicht. Aber, merke es dir wohl, du stehst hier vor einer sehr wichtigen Entscheidung.“

Hier machte meine Mutter wieder eine Pause und schaute mich fragend an. Ich war aber noch immer so ergriffen und so verwirrt, dass ich kaum imstande war, etwas Vernünftiges zu sagen.

Die Mutter merkte es wohl. Sie fuhr deshalb bald fort:

„Mein lieber Nonni, im Briefe des Herrn Baudoin steht noch etwas, was sich auch noch auf dich bezieht und was dich interessieren wird. Der französische Graf hat nämlich fünf Bedingungen in Bezug auf die Wahl der beiden isländischen Knaben gemacht. Ich will sie dir mitteilen:

Erstens sollen die beiden Knaben zwölf Jahre alt sein. Das trifft für dich zu, denn du bist jetzt zwischen zwölf und dreizehn.

Zweitens will er nur solche Knaben, die von blühender Gesundheit sind. Auch das passt auf dich; denn deine Gesundheit ist gut und lässt überhaupt nichts zu wünschen übrig.

Drittens verlangt er, dass man Jungen auswähle, die Lust und Fähigkeit zu höheren Studien haben.

Viertens will er nur solche Knaben, die noch unschuldig und unverdorben sind. Von verdorbenen Jungen will er nichts wissen.

Endlich, als fünfte Bedingung, verlangt er, dass die Knaben aus einer guten Familie sind.

„Und nun, Nonni“, fuhr meine Mutter fort, „jetzt möchte ich dir die Frage stellen: Was meinst du selber zu dieser Einladung des französischen Grafen? Hast du Lust, sie anzunehmen? Das ist wohl die wichtigste Frage, die dir bis jetzt in deinem ganzen Leben gestellt worden ist.

Bevor du mir aber deine Antwort gibst, bitte ich dich um eines: bleibe erst ruhig auf deinem Stuhle hier neben mir sitzen, warte ein wenig und denke erst eine Weile nach. Wenn du dir dann alles gut überlegt hast, dann erst sage mir deine Antwort: entweder ja oder nein.

Was du wählen wirst, das wirst du bekommen. Wenn du nein sagst — und das darfst du ja tun —, nun gut, dann wirst du weiter hier bei mir bleiben. Ein anderer Junge wird dann statt deiner eingeladen werden. Wenn du aber ja sagst, dann wirst du nach ungefähr drei Wochen von hier abreisen. So steht es im Briefe des Herrn Baudoin.

Nach kurzer Zeit wird hier im Hafen ein kleiner dänischer Segler eintreffen. Der wird bei uns eine Zeit lang liegen bleiben; dann fährt er nach Kopenhagen ab.

Auf diesem kleinen Schiffe wirst du Island verlassen. Es wird dich über das grosse Atlantische Meer bis zur ersten Haltestelle deiner langen Reise bringen, nämlich nach Kopenhagen, der Hauptstadt Dänemarks. Dort wirst du ans Land gehen und einige Tage dich ausruhen — bei dem Bischof der dortigen Katholiken.

Dieser Herr soll dann für deine Weiterreise von Kopenhagen nach Avignon sorgen. Das hat der französische Graf schon im voraus mit ihm abgemacht.

Und nun, Nonni, jetzt weisst du genug, um dich entscheiden zu können. Also überlege dir die Sache, und erst wenn du dich entschieden hast, gibst du mir deine Antwort.“

Ich lehnte mich zurück im Stuhle und fing an zu überlegen, so wie ein kleiner zwölfjähriger Wildfang zu überlegen imstande ist.

Es wäre nun gewiss zu erwarten gewesen, dass ich sofort frisch und freudig in ein jubelndes Ja hätte ausbrechen müssen. Denn jetzt sollte mein Gebet erhört und mein grosses Verlangen, in die weite Welt hinauszureisen, erfüllt werden.

Aber das durfte ich ja nicht. Ich sollte ja nach der Weisung der Mutter mich zuerst eine Weile ruhig verhalten und nachdenken....

Also verhielt ich mich ruhig — aber nur äusserlich; denn die wunderbare Mitteilung meiner Mutter hatte mich, wie schon gesagt, dermassen ergriffen, dass mein ganzes Innere erschüttert und aufgewühlt war.

Doch ich machte ernste Versuche, zu überlegen und nachzudenken: ich dachte an den vornehmen französischen Grafen in Avignon, an die herrliche Gegend dort, an die Palmbäume, die Feigen, die Apfelsinen, die brennende Sonne des Südens, das grosse, vornehme Gymnasium, die vielen frisch-fröhlichen französischen Knaben mit ihren schwarzen Augen und gebräunten Gesichtern.

Meine Gedanken schweiften herum in einer mir gänzlich neuen, wundervollen Welt, der Märchenwelt des sonnigen Südens.

Ich dachte an die höheren Studien, die dort betrieben wurden, an die griechische und lateinische Sprache, an die Meisterwerke Homers und Virgils und der vielen andern weltberühmten griechischen und römischen Schriftsteller, die ich jetzt lesen sollte.

Ich hatte ja, wie früher bemerkt, mehrere dieser unsterblichen Werke in der kleinen Bibliothek meines Vaters gesehen und auch einiges davon in isländischer Übersetzung gelesen.

Ich dachte an die höhere Bildung, die ich mir in Avignon unter der Leitung gelehrter Professoren erwerben sollte.... Eine glänzende Zukunft stand mir bevor.... Vielleicht würde ich selber einmal ein Gelehrter und ein Professor werden....

So schweifte ich denn auf den Schwingen der Phantasie in dieser neuen Märchenwelt umher.... Das war mein „Überlegen“ und mein „Nachdenken“.

Und ich war bald nah daran, mich im Stuhle aufzurichten und meiner Mutter ein bestimmtes, ein — wie mir schien — wohlüberlegtes Ja zu sagen.

Aber da, auf einmal, fühlte ich, wie wenn eine Hand sich auf meine Brust gelegt und mich wieder gegen die Stuhllehne zurückgeschoben hätte.

Und dann war es mir, wie wenn meine Seele, mein ganzes Wesen plötzlich durch eine geheimnisvolle Macht aus all diesen sonnigen Gedanken herausgerissen würde.

Gleichzeitig stiegen unheimliche Schatten vor meinem Bewusstsein empor, und wie dunkle Wolken zogen drohende, schreckenerregende Gedanken an meiner Seele vorüber.

Eine plötzliche Angst bemächtigte sich meiner: es waren die Schattenseiten dieser grossen, seltenen Angelegenheit, die sich nun auf einmal meiner Seele zeigten.

„Mein Gott!“ ertönte es in meinem Innern, „wenn ich ja sage und diese lockende Einladung annehme, dann folgt aber auch daraus etwas unendlich Trauriges für mich!

Es folgt daraus, dass ich den besten Freund, den ich in der ganzen Welt besitze, meine heissgeliebte Mutter, verlassen muss!

Und ich muss sie verlassen — nicht auf einige Wochen, Monate oder Jahre, sondern wahrscheinlich für das ganze Leben! Denn diese weite, ferne Welt, wohin ich reisen soll, wird mich wohl sicher für das ganze Leben festhalten.

Auch alles andere, was mir lieb und teuer ist, werde ich auf immer verlassen müssen: Manni und Bogga, meine lieben Geschwister ..., Island, mein teures Vaterland, und alle meine Freunde!“

Diese Gedanken senkten sich auf meine Seele nieder mit einer solchen zermalmenden Wucht, sie verursachten mir einen solchen Schmerz, dass mir sofort heisse Tränen in die Augen schossen und meine beiden Wangen herunterrollten.... Ja mein Schmerz war so gross, dass ich nahe daran war, vom Stuhl aufzuspringen, meiner lieben Mutter um den Hals zu fallen und ihr, als Ergebnis all meiner Überlegungen, ein festes, unwiderrufliches Nein zuzurufen.

Doch bevor ich dieses Nein herausbringen konnte, schoss mir auf einmal ein neuer Gedanke blitzschnell durch den Sinn.

Es war, wie wenn ein plötzlicher Donnerschlag die drohend dunklen Wolken zerteilt hätte, um dieser neuen Eingebung Platz zu machen. Alles andere verschwand, sie allein stand im hellsten Licht vor meiner Seele:

„O mein Gott!“ rief es in meinem Innern mit unwiderstehlicher Kraft aus, „diese ganze Mitteilung meiner Mutter, die Einladung des Grafen, die grosse Reise in die weite Welt hinaus ... das alles kommt ja ganz allein von dir! Es ist nichts anderes als die Erhörung meiner vielen Gebete!

Nun habe ich dich mehr als zwei Jahre hindurch jeden Abend gebeten, mir in die weite Welt hinauszuhelfen. Ich meinte, du würdest mich auf einem fremden Fahrzeug als Schiffsjungen hinaussenden ... und nun hast du etwas viel Herrlicheres für mich getan: Du bietest mir an, nach einem der schönsten Länder der Welt zu reisen. Du lässt mich von einem vornehmen, reichen, gottesfürchtigen Grafen einladen. Er will für mich sorgen, wie wenn ich sein Kind wäre. Er will mich studieren lassen mit den Kindern der besten Familien des Landes!

O mein Gott, das alles hast du getan. Du bist es, der sich meiner angenommen hat und mich einer glänzenden Zukunft entgegenführen will.

Da darf ich aber nicht nein sagen. Das hiesse eine göttliche Wohltat zurückweisen. Das hiesse gegen deinen Willen handeln.“

Diese Erleuchtung, die — wie es mir immer klarer wurde — von oben kam, war so stark und so überzeugend, dass ich nun, wie von einer höheren Macht getrieben, mich rasch vom Stuhl aufrichtete, meiner Mutter um den Hals fiel und ihr ein entschiedenes, ein festes Ja zurief.

„Mutter!“ sagte ich, immer noch weinend, „ich nehme die Einladung des Grafen an. Ich will nach Avignon reisen!“

Meine Mutter schaute mich mütterlich mild und freundlich an. Sie sah die Tränen, die meine Wangen hinunterrollten, und sie verstand gut, warum ich weinte. Sie drückte mich liebevoll gegen ihr Herz und sagte:

„Mein lieber Nonni, du hast klug gewählt. Auch ich bin jetzt dafür. Und wenn dein Vater noch lebte, würde auch er dafür gewesen sein.“

Ich setzte mich wieder auf den Stuhl ganz nahe bei ihr. Sie aber fuhr fort: „Du weinst, Nonni“, sagte sie. „Ich weiss wohl warum. Es ist schwer für ein Kind in deinem Alter, sich von seiner Mutter trennen zu müssen, und das vielleicht für das ganze Leben. Aber glaube es mir, es ist auch für eine Mutter schwer, ein geliebtes Kind, vielleicht auf immer, von sich fortziehen zu lassen. Also, Nonni, wir beide haben jetzt ein schmerzliches Opfer zu bringen, und ich glaube, dass wir in diesem Falle es bringen müssen. Es kommt mir nämlich vor, dass kein geringerer als Gott selber es von uns verlangt. Wenn das aber der Fall ist, dann dürfen wir nicht nein sagen. Denn Gottes Wille muss ja immer und überall geschehen.

Gott scheint etwas ganz Besonderes mit dir vorzuhaben, Nonni. Er hat deine Gebete erhört — und auf welch wundervolle Weise! Er ist es, der dem französischen Edelmanne eingegeben hat, dich nach Avignon einzuladen. Diese Einladung kommt noch viel mehr von ihm als von dem Grafen.

Also, mein liebes Kind, ich wiederhole es, du hast klug getan, diese Einladung Gottes anzunehmen. Und wenn auch die Trennung von deiner Mutter dir schwer und hart erscheint, so tröste dich und habe keine Furcht. Alles, was jetzt mit dir geschehen wird, wird dir zum Besten gereichen.“

Wie erfrischender, lindernder Balsam ergossen sich diese Worte meiner guten Mutter über mein wundes Herz. Ich war aber auch nicht wenig erstaunt, dass sie genau dieselben Gedanken aussprach, die gerade vor her vom lieben Gott, wie ich meinte, auch mir selber eingegeben worden waren.

Und nun fuhr sie fort und sagte:

„Dein Schicksal, Nonni, ist jetzt entschieden. Du kannst nur noch drei Wochen mit deiner Mutter zusammensein. Während dieser Zeit werde ich alles Nötige tun, um deine Reise vorzubereiten. Ich werde auf dem kleinen dänischen Schiff einen Platz für dich bestellen. Ich werde auch alles zusammenbringen, was du mitnehmen sollst.

Du aber wirst nun in dieser Zeit jeden Tag hinausreiten müssen, um bei den Freunden der Familie in der Umgebung Abschied zu nehmen.“

Nach diesen Worten stand die Mutter auf und entliess mich mit der Ermahnung, ich solle jetzt meine Traurigkeit zu beherrschen suchen und wieder frisch und fröhlich sein wie vorher. Ich befolgte diesen Rat, und es vergingen nun die folgenden Tage mit vielen Ritten und Besuchen.

Wie Nonni das Glück fand

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