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Virtualität & Realität

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(Vor zwei Tagen ...)


Mila sitzt angespannt vor einem Glas Wein und knabbert hektisch Gebäck, als Flobert das Restaurant “Schönblick” betritt und sich suchend umschaut. Mila betrachtet nur kurz den etwas steif wirkenden bartlosen Mann mit Brille und leichten Wohlstandsbäuchlein und erkennt ihn nicht als Flobert. Er zieht die Jacke seines grauen Sommeranzugs gerade und schlendert langsam ins Lokal hinein. Sein Blick gleitet an Mila vorüber und mustert die anderen Gäste, aber das Restaurant ist spärlich besucht, und keine andere alleinstehende Frau ist zu sehen.

Plötzlich erkennen beide die Situation, und Flobert winkt zu Mila hinüber und steuert auf sie zu, während Mila den Kopf hebt und lächelt. Sie stopft das Stück Gebäck, an dem sich soeben geknabbert hat, zurück in den Brotkorb, würgt den Bissen in ihrem Mund rasch hinunter und spült eilig mit Wein nach.

Flobert tritt an den Tisch, und sie lächeln einander gekünstelt an. Beide sehen sofort Einzelheiten aneinander, die ihnen nicht zusagen, und ihre Gesichter spiegeln das Bemühen, sich das Missfallen nicht anmerken zu lassen. Mila steht halb auf, als Flobert ihr die Hand entgegenstreckt. Er winkt ihr, dass sie sitzen bleiben solle, aber sie steht trotzig ganz auf, rückt provokant heftig ihren Stuhl und reicht Flobert kurz und lasch die Hand.

Der schlaksige, glatzköpfige, missgelaunt wirkende Kellner nähert sich Milas Tisch, erkennt die angespannte Situation und schlendert davon, bleibt aber in der Nähe. Mila schaut sich etwas verlegen nach den anderen Gästen um, aber die sind ins Plaudern oder Schmausen versunken.

Flobert setzt sich an den Tisch und spricht eilig und verlegen. “Ich war mir nicht sicher, ob Sie ... ob du ... nicht doch im hinteren Teil des Lokales bist ...”

Er merkt, dass er vor einer “stehenden Dame” sitzt und steht eilig wieder auf; Mila schaut sich provokant um, denn das Lokal hat keinen “hinteren Teil”. Flobert hüstelt, peinlich berührt, geht um den Tisch herum und will Mila mit dem Stuhl helfen, aber sie setzt sich schnell wieder hin und rückt den Stuhl selber zurecht.

“Ist wohl ein anderes Lokal ...” Flobert zwinkert Mila zu und setzt sich wieder, während Mila ihn feindselig mustert. “Ach, benutzen Sie mehrere für solche Zwecke?”

Nach einen Moment der Verlegenheit beugt Flobert sich lächelnd und zwinkernd vor, um Humor bemüht. “Aber du bist doch ganz sicher Mila?”

Mila runzelt die Stirn, missmutig. “Wieso? Hab' ich vielleicht vollbusige-Blondine-Fotos von mir online?” Sie mustern einander. Floberts linkes Auge zuckt etwas nervös unter den tiefschwarzen Augenbrauen und einem seidigen, sorgfältig geschnittenen Haarschopf mit Seitenscheitel. Er ist glatt rasiert und sein weißes Hemd lässt die bläulichen Bartspuren auf der blassen Haut deutlich sichtbar werden. Kleine rote Stressflecken erscheinen auf Floberts Wangen. Mila fährt sich durch ihr Haar und bringt es mehr durcheinander, als es zu ordnen. Flobert bemerkt ihre dunkelrot lackierten kurzen Fingernägel mit einem auffälligen großen bunten Modering am linken Zeigefinger. Flobert mustert ihr völlig ungeschminktes heiß-rotes Gesicht, das durch die rosa Bluse noch heißer wirkt, und er zieht die Augenbrauen unwillkürlich hoch. Der Kellner eilt heran und bringt die Speisekarten, öffnet den Mund, um etwas zu fragen, neigt dann aber nur den Kopf, legt die Karten auf die Tisch und tritt dezent zur Seite.

Flobert hüstelt und setzt sich aufrecht hin und lächelt Mila freundlich zu, die derweil etwas hilflos nach ihrem Weinglas greift. “Es war nicht negativ gemeint jetzt, aber ...”

“Pah! Das wäre ja noch schöner ...” Mila zischt, ihn unterbrechend, aber Flobert spricht gefasst weiter, aber mit schmalen Augen, “,... nunja, da ist doch eine gewisse Diskrepanz.”

Mila starrt ihn verdattert an, und Flobert lächelt freundlich nachsichtig. “Aber ich meine, Fotos sind ja nie so akkurat.”

Mila legt den Kopf schief und macht sehr schmale Augen, während sie ihr Weinglas bedrohlich schwenkt. Flobert duckt sich unwillkürlich, lächelt verbindlich und schnappt sich die Speisekarte, blättert etwas nervös darin.

“Du hast es nötig.” Mila murmelt provokant-bitter, und Flobert zuckt etwas zusammen und schaut sich eilig nach dem Kellner um, der in der Nähe steht und heran eilt.

Flobert zwinkert derweil Mila zu und klopft auf seinen gerundeten Bauch. “Drei, vier Kilo schwindeln Fotos einem ja immer ab.” Er wirft Mila einen nachsichtigen Blick zu und wendet sich dem Kellner zu, der nun höflich grüßt: “Meine Herrschaften.”

Flobert lächelt Mila höflich an, da der Kellner nun neben dem Tisch steht, wartend. “Hast du schon (gewählt) -?”

Mila fällt ihm herausfordernd ins Wort. “Drei, vier Kilo pro Zentimeter fehlender Körpergröße?”

Flobert bemüht sich locker zu lachen und schaut den Kellner spielerisch seufzend an. “Warum müssen Frauen alles auf sich beziehen?”

Der Kellner lächelt kurz verbindlich, schaut dann aber beide Gäste abwechselnd auffordernd an.

“Also - hast du schon?” Flobert winkt freundlich mit der Speisekarte.

Mila zischt ihn zornig an. “Hab’ ich einen Röntgenblick?” Sie reißt ihm die Karte aus der Hand, und Flobert seufzt leicht gepeinigt und greift nach der Speisekarte, die neben Mila liegt. Der Kellner schaut irritiert zwischen den beiden hin und her. “Zu trinken - haben Sie schon gewählt?”

Mila hebt ihr Weinglas mit Bitterkeit. “Ich musste ja warten.”

Flobert schaut auf seine Uhr und lächelt Mila dann strahlend an. “Es ist neunzehn Uhr sieben. Wir waren für neunzehn Uhr verabredet.” Er wendet sich an den Kellner. “Damen sind normalerweise nicht so überpünktlich, oder? Besagt die Statistik.”

Der Kellner hüstelt eilig, während Milas Blicke Flobert durchbohren. “Auch ein Glas Wein, der Herr?”

“Nein, vielen Dank.” Flobert strahlt den Kellner freundschaftlich an. “Ein Glas Milch, bitte. Und ein Mineralwasser. Danke.”

Der Kellner nickt ihm zu und wendet sich an Mila. “Noch einen Wunsch, die Dame?” Mila nickt bedeutungsvoll mit einem kleinen Schnauben, hebt dann das Weinglas, deutet auf Flobert. “Hätte nicht er das fragen sollen?” Flobert vertieft sich weiter in die Speisekarte, und Mila lächelt den Kellner an. “Nein, ich überlege noch.”

Der Kellner verneigt sich und entfernt sich eilig.

Mila und Flobert widmen sich eifrig den Speisekarten und legen sie dann zugleich ab. Sie lächeln einander spontan künstlich an. Flobert lehnt sich mit beiden Armen auf den Tisch, und Mila tut es ihm gleich. “Danke, dass du gekommen bist, Mila.”

“Wieso sollte ich unverlässlich sein?” Milas Lächeln wirkt gefährlich, aber Flobert winkt bemüht entspannt ab. “Natürlich nicht. Nein. Ich wollte mich einfach nur bedanken, weil ...” Er ringt nach Worten und schaut sich hilfesuchend nach dem Kellner um.

Mila äußert einen etwas verächtlichen Laut. “Eine Höflichkeitsfloskel! Wie originell.”

Flobert wendet sich ihr nun befremdet zu und schaut direkt in ihr provokant verzogenes Gesicht. Dann seufzt er, zuckt die Schultern und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, verschränkt die Arme, während er sich interessiert im Lokal umschaut.

Mila trinkt ihr Weinglas leer und schaut aus dem Fenster, ihre Finger trommeln auf die Tischplatte. Seufzend wendet Flobert sich Mila versöhnlich zu. “Also nochmal von vorne. Liebe Mila, ich bin froh, dass wir uns endlich persönlich kennenlernen, damit –“

Mila faucht, missmutig: “... alle Täuschungen endlich auffliegen?” Sie schaut ihn angriffslustig an, und Flobert hält inne, um nachzudenken, während er Mila wiederum mustert, aber sein Blick ist nun kalt, und er lächelt nicht mehr.

Der Kellner kommt mit Floberts Getränken, und Flobert greift mit einem behaglichen Seufzer nach seiner Milch. Mila schaut ihm erschüttert dabei zu, wie er mehrere lange Züge nimmt. Der Kellner hüstelt und wendet sich Mila freundlich zu. “Schon gewählt?”

Mila schüttelt den Kopf, öffnet eilig die Speisekarte, hält sie vor ihr Gesicht und zieht dahinter eine mörderisch angewiderte Grimasse als Flobert nach dem Milchgenuss wohlig stöhnt. Der Kellner tippt auf die zweite Speisekarte, die vor Flobert liegt und tritt zur Seite.

Mila greift nach ihrem Weinglas und leert es. Ein kleiner Rülpser entfährt ihr.

Flobert studiert derweil seine Speisekarte. Mila rülpst noch einmal, diesmal absichtlich.


Etwas später steht der Kellner angewurzelt direkt neben Mila, Block und Kugelschreiber gezückt. Bei seiner Körpergröße sind seine Genitalien nun genau in Milas Augenhöhe und sie rückt verlegen zur Seite. Flobert bemerkt Milas Verlegenheit und lächelt süffisant. “Nimm dir, was dein Herz begehrt, greif ordentlich zu.”

Mila lehnt sich von den kellnerischen Genitalien fort und spricht erstaunt: “Oh, danke! Aber ich bestelle natürlich auch gerne ...” grimmig, “was du mir vorschreibst. Wie sonst auch.” Sie wendet sich dem Kellner mit einem strahlenden Lächeln zu und wirft dabei den Kopf etwas verrenkt in den Nacken, wegen der Nähe seiner Genitalien. “Die Scholle, bitte. Wenige Kartoffeln. Und viel Zitrone. Und Petersilie. Danke.”

Der Kellner nickt bestätigend, schreibt. Mila schaut zu Flobert hin, der beim Lesen an seiner Unterlippe kaut, und er hat einen dünnen “Milchbart”. Mila schaut genau hin und glaubt ihren Augen nicht zu trauen, und sie bemüht sich, ihren Widerwillen zu unterdrücken, mustert intensiv ihr Weinglas und hält es dem Kellner hin, der geduldig nickt.

Flobert schmatzt nachdenklich. “Hm, ich denke ... für mich bitte das Kalbs-Schnitzel ... nein, das Gulasch ... nein, doch den panierten Karpfen ... und Gurkensalat. Nein, grünen Salat, bitte! Oder Kartoffeln? Nein, grünen. Nur, wenn er aus Österreich ist. Mit Pinienkernen. Oder - nein, lieber ohne. Aber mit Joghurtdressing. Aber ohne Knoblauch.”

Der Kellner nickt und schreibt, streicht durch, schreibt weiter, mit steinerner Miene. Mila beugt sich zu Flobert. “Wow. Hast du das lange geübt?”

Flobert schaut erstaunt auf, und Mila ist so genervt von seiner Gegenwart, dass sie den Kellner eilig anspricht, um sich abzulenken, aber sie schaut ihn nur mit dem Auge an, das seinen Genitalien abgewandt ist. “Gibt es eine Soße zur Scholle?”

“Jawohl, die Dame. Remoulade.” Er mustert Mila irritiert, weil sie ein Auge geschlossen hält.

“Gut! Nehme ich. Danke.”

Flobert hakt eifrig ein. “Zum Karpfen auch?”

Der Kellner verneigt sich. “Jawohl. Oder Kapernsoße, wahlweise.”

“Oh, gut!” Flobert reibt sich die Hände, und Mila schnaubt und schaut böse, “Beide Soßen für mich. Ohne Zitrone.”

Der Kellner nickt ergeben und schaut Mila fragend an. Sie hält ihr leeres Weinglas hoch, und der Kellner deutet sanft darauf und wirft Flobert einen strengen Blick zu. “Es scheint, die Dame hat einen Wunsch.”

Mila knurrt: “Kann man wohl sagen.”

Flobert macht eine Geste, dass der Kellner noch ein Glas Wein bringen solle, und der Kellner nimmt das Glas fort und verlässt den Tisch, mit einem leichten Stolpern vor Eile. Flobert lächelt Mila geduldig an. “Wie war das genau, mit der Emanzipation?”

Mila ignoriert seine Anspielung und schaut ihn besonders betrübt an. “Bekomme ich kein Dessert?”

Flobert holt tief Luft und beugt sich zu ihr. “Möchtest du eines?”

Mila lächelt ihn giftig-süß an: “Weiß ich jetzt noch nicht. Aber man fragt doch zumindest.”

“Nach dem Hauptgang wollte ich fragen.” Flobert nimmt sein Glas Milch, prostet Mila zu und setzt das Glas an.

“Ah.”

Sie schauen einander kühl an, und einige Momente lang herrscht Schweigen, dann trinkt Flobert seine Milch in laut glucksenden Schlucken. Mila starrt auf einen hüpfenden Adamsapfel, reißt dann ihr Handtasche an sich und tut so, als ob sie etwas darin suchen würde.

Flobert setzt das Glas ab, tupft sich den Mund mit der Serviette und verschränkt die Arme, während er zuschaut, wie Mila etwas verlegen ein Taschentuch hervorzieht. Flobert runzelt die Stirn. “Es gibt noch Stofftaschentücher?”

Einen Moment lang ist Mila verblüfft über die Frage, dann lächelt sie mitleidig, “Oh, noch eine Bildungslücke.”

Flobert stößt nun ein amüsiert-hämisches Schnauben aus und schüttelt den Kopf, wortlos “Das sagt genau die Richtige” ausdrückend. Mila schaut sich nach den anderen Gästen um, die sich friedlich verhalten, atmet tief durch und stopft das Taschentuch zurück in ihre Tasche, ohne es verwendet zu haben. Dann setzt sie sich auch in ihrem Sessel zurück und schaut Flobert an, um Entspannung bemüht.

Beide zugleich setzen plötzlich ein gekünsteltes Lächeln auf, rücken sich auf ihren Stühlen zurecht und lächeln, als wären sie mit einemmal gut gelaunt. Sie sprechen gleichzeitig: “Ein nettes Lokal! Ein schönes Lokal.”

Sie lachen verlegen, nippen an den Getränken und sprechen wieder zugleich.

Mila: “Was hast du heute so gemacht?”

Flobert: “Wie geht es dir heute?”

Mila lacht, gekünstelt amüsiert. “Also, das ist ja wie beim Lift, wenn alle Leute anderen den Vortritt lassen!”

“Wirklich? Normalerweise drängen immer alle gleichzeitig rücksichtslos!”

“Ich finde es nervtötend, wenn alle so scheinheilig tun!” Mila macht eine wegwerfende Geste, die “Aber was soll’s” besagen soll.

Flobert gestikuliert, lehrmeisterlich: “Na, das Drängen ist erst nervtötend!”

Mit einem verbissenen Lächeln flüstert Mila: “Darf ich mir selber aussuchen, was für mich nervtötend ist?”

Sie schauen einander tief in die Augen und Mila ergreift hastig ihr leeres Weinglas. Der Kellner kommt heran und stellt ein volles Glas neben Mila auf den Tisch, verneigt sich leicht und stellt ein volles Milchglas neben Flobert, der ihn erstaunt und dankbar anschaut.

“Ich habe mir erlaubt, mein Herr.” Der Kellner verneigt sich, und Flobert faltet die Hände in einer Geste des Dankes, was Mila sofort zu einem verächtlichen Schnauben veranlasst. “Oh, Hellseher unter sich!” Der Kellner verzieht sich rasch, und Mila ergreift hastig ihr Weinglas und schließt beim Trinken die Augen, während Flobert schlürfend einen Schluck Mineralwasser nimmt, während er Mila heimlich böse mustert. Sein Schlürfen veranlasst sie zu nervösem Blinzeln, aber sie hält die Augen geschlossen und nimmt noch einen Schluck Wein.

Sie setzen die Getränke ab und schauen im Lokal umher. Dann treffen sich ihre Blicke wieder, und Mila spricht Flobert spontan scharf an. “Warum hast du keinen Bart?”

Flobert antwortet rasch, ohne zu überlegen. “Rasiert.”

“Ach - nicht ausgerissen?” Mila lächelt ihn giftig an, aber Flobert legt freundlich den Kopf schief. “Du hättest mich lieber mit Bart?”

Mila schnaubt, empört und angewidert: “Ich hätte dich gar nicht lieber. Aber die Bilder von dir waren mit Bart.”

“Wirklich?”

Mila schaut in sein unschuldig staunendes Gesicht, und sie runzelt ernstlich zornig werdend die Stirn. “Nein, ich erfinde das gerade. Ist doch Märchenstunde.”

Sie winkt ab, wortlos ausdrückend “Hat doch keinen Sinn!”, greift hastig in den Brotkorb und nimmt ein Salzstangerl heraus, bricht ein großes Stück ab und steckt es sich heftig in den Mund, beginnt wild zu kauen. Sie deutet auf den Brotkorb, dass Flobert auch essen solle, aber er lehnt mit einer vagen Geste ab. “Nein, nein. Ich warte auf meinen Fisch.”

Mila kaut, angestrengt, “Ah. Du wartest.” Sie bemüht sich, schneller zu schlucken und zischt Flobert an. “Weißt du - ich warte ja auch. Ich habe auch Fisch, wenn du dich erinnerst.” Sie lächelt ihn herausfordernd an.

Flobert runzelt irritiert die Stirn. “Ich weiß. Wieso erwähnst du das jetzt?”

Mila kaut wütend am Salzstangerl herum und zuckt die Schultern, nervös fuchtelnd. “Nur so. Es hat so Ich-bezogen geklungen, wie du das mit dem Fisch gesagt hast.“

Flobert umklammert sein Mineralwasserglas. “Das war Ich-bezogen. Es ging ja um meinen Fisch. Auf den ich warte.”

Mila legt sauer-provokant den Kopf schief. “Ach! Und wenn deiner kommt und meiner noch nicht da ist, fängst du dann einfach zum Schlingen an?”

Flobert starrt sie sprachlos an. Mila prustet los. “Und jetzt schaust du selber aus wie einer!” Sie macht die Grimasse eines “nach Luft schnappenden Fisches” und schaut dabei sehr unattraktiv aus. Flobert runzelt die Stirn, und einige Gäste werden auf sie aufmerksam und beobachten sie fortan heimlich.

Verlegen greift auch Flobert nach einem Stück Gebäck, nimmt es aber nicht aus dem Korb, sondern lässt die Hand darauf, während er sorgfältig seine Worte wählt. “Ich schlinge nicht. Und ich warte gerne, bis beide Essen da sind, wenn dir das wichtig ist ...” lächelt verbindlich, “auch, wenn meines dann kalt wird.”

Mila schaut erbost auf seine Hand im Brotkorb und nimmt einen großen Schluck von ihrem Wein, ihr Salzstangerl hinunterspülen. Sie winkt großzügig. “Aber nein! Iss nur deinen Fisch, gleich wenn er kommt, damit er nicht zu Eis erstarrt. Sonst müsstest du ihn lutschen.”

Sie schaut kopfschüttelnd aus dem Fenster.

Flobert nimmt einen großen Schluck Milch, zieht das Gebäck wild aus dem Korb, sodass gleich noch eine Semmel herausfällt und reißt ein Stück so heftig vom Brötchen ab, dass seine Hand gegen sein Glas stößt und es beinahe umwirft, während er verkrampft lächelnd und schnaufend ins Gebäck beißt.

Mila schaut hartnäckig weg, während Flobert geräuschvoll kaut und schluckt. Sein Milchglas ist leer, und er winkt dem Kellner, dass er noch eines bringen solle, und der Kellner nickt.

Flobert stopft sich noch ein Stück Gebäck in den Mund und spricht vollbackig kauend und Krümel spuckend. “Also, Mila, was machst du beruflich?”

Mila bewegt sich gespielt angstvoll zur Seite, als müsse sie den gespuckten Krümeln wie Geschoßen ausweichen und spricht angriffslustig. “Lustig. Gerade wollte ich dich dasselbe fragen.”

“Ich hab' schon gefragt. Also?” Er schaut Mila gelassen an und will einige speichelnasse Krümel mit der Hand vom Tischtuch wischen, verschmiert sie aber nur. Mila schweigt und schaut fasziniert zu.

“Wir können auch über etwas Anderes reden.” Flobert zwinkert Mila bemüht humorig zu. “Übers Wetter, zum Beispiel.”

Mila schaut aus dem Fenster. “Mhm. Ist mir Recht.”

“Ist dir Recht? Hm, na dann ist ja alles gut, wenn das Thema dir genehm ist.”

Mit einer heftigen Kopfbewegung zischt Mila Flobert an. “Wieso? Passt dir das nicht?”

Flobert schaut sich im Restaurant um, während er mit der Zunge saugend seine Zähne von Krümeln reinigt. Mila starrt ihn ungläubig an. Der Kellner schaut ihnen von der Speisenausgabe her zu und merkt, dass es eine gute Zeit wäre, die Speisen zu bringen.

“Ich mag die Ausstattung hier.” Flobert nickt, eifrig. “Sehr geschmackvoll.”

Der Kellner eilt mit einem Tablett von der Speisenausgabe heran, Mila und Flobert etwas besorgt musternd.


Etwas später sitzen Mila und Flobert vor den vollkommen leer gegessenen Tellern und leer getrunkenen Gläsern ... während sie aneinander vorbei ins Nichts starren. Der Kellner steht mit gezücktem Block vor ihnen, in den Knien wippend. “Also, das waren ...”

“Scholle!” Mila lächelt den Kellner ungeduldig an und vermeidet es, Flobert anzusehen.

Der Kellner nickt und wendet sich Flobert zu. “Und der Herr den Karpfen.”

“Und Apfelstrudel!” Mila fällt ihm ins Wort, und Flobert deutet zustimmend auf sie. “Schoko-Mousse, Wein und noch mehr Wein. Vier.”

Mila ignoriert ihn und schaut den Kellner an. “Sechs. Keine Milch.”

“Milch war für den Herrn.” Der Kellner nickt, schreibt und streicht. Mila kichert provokant. “ Oh ja.” Sie erzittert, angeekelt, und Flobert betrachtet sie kurz, genervt und widmet sich ebenfalls dem Kellner, der eifrig nickt und schreibt, alles auf eine Rechnung. Mila und Flobert merken es und schauen dem Kellner verlegen auf die Finger

Milas Beine zucken nervös unter dem Tisch, und einer ihrer Füße berührt irrtümlich Floberts Fuß, und beide ziehen ihre Beine jeweils so heftig an, dass ihre Knie an den Tisch stoßen und das Geschirr zum Klirren bringen. Der Kellner zuckt zusammen, ignoriert aber alles beflissen, rechnet. Die anderen Gäste schauen heimlich, neugierig, herüber.

Flobert klopft sich mit der Brieftasche rhythmisch auf seinen Oberschenkel.

Der Kellner lächelt ihn an: “Vierundachtzig Euro und 40 Cents.” In Milas Gesicht zuckt es zufrieden. Flobert hüstelt. “Ja. Hm. Und das ... Gebäck?”

Der Kellner schreibt weiter. “Plus extra Gebäck.”

Flobert lacht: “Oh, Frauen knabbern ja so gern.”

“Wenn sonst nichts Interessantes passiert.” Mila zuckt die Schultern und widmet sich gelangweilt ihrer Tasche. Flobert schaut den Kellner hilfesuchend an, deutet auf die Rechnung, murmelt, verlegen. “Könnten Sie das ... eventuell aufteilen?”

Mila spricht so laut, dass die anderen Gäste sie hören, mit trauriger Stimme: “Oh! Also ladest du mich doch nicht ein?”

Flobert starrt Mila nach Worten ringend an, während der Kellner innehält. Mila zuckt resigniert die Schultern und schaut den Kellner groß an. “Ihre Frau sollte Gott Danken, dass Sie kein Spieler sind.”

Der Kellner beißt sich auf die Lippen, und Flobert holt tief Luft und legt seine Hand auf Milas Hand. “Liebling, vergiss nicht, wer immer die vielen Sachen online bestellt.” Er schüttelt verzweifelt den Kopf und seufzt, zum Kellner gewandt, spricht aber laut genug, dass die anderen Gäste ihn hören können. “Diese Bestellsucht ist eine Neurose.”

Mila starrt ihn mit offenem Mund an und tastet dann fahrig in der Handtasche herum. Mit zitternden Fingern zieht sie ihre Brieftasche und dann Banknoten heraus und hält sie dem Kellner hin. “Stopp! Genug! Wieviel? Hier! Passt das?” Der Kellner nimmt die Geldscheine, während Mila polternd vom Tisch aufsteht. “Zusammen, die Dame?”

Mila stammelt und reißt ihre Jacke vom Sessel, sodass dieser beinahe umkippt, während Flobert sie betreten anschaut. “Egal, ist mir egal! Schnell! Nehmen Sie!” Sie hält dem Kellner mehr Banknoten hin und deutet dann auf Flobert. “Und geben Sie ihm bitte noch eine Salzstange, ...” Sie flüstert dem Kellner ins Ohr, aber Flobert kann es dennoch hören, “und sagen Sie ihm, dass er sie sich sonstwohin schieben soll. Bezahlt ist sie ja.”

Der Kellner verneigt sich leicht und flüstert. “Sehr wohl.”

Mila zieht sich hektisch die Jacke halb über, findet das Armloch nicht, gibt es auf, danach zu tasten, würdigt Flobert keines Blickes mehr, schnappt ihre Tasche und eilt aus dem Restaurant, zuweilen stolpernd und sich an Tischen, dem Tresen und anderen Leuten festhaltend.

Der Kellner schaut Flobert höflich an und hüstelt. “Ich soll Ihnen von der Dame etwas ausrichten.”

Flobert grinst bitter und blinzelt nervös.


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