Читать книгу Putzfrau zur Neuprogrammierung - Jo Phantasie - Страница 4

Das Paket

Оглавление

Er schob das Paket einfach in meinen Flur.

„He, was soll das? Wer ist das?“

Es war eine Frau. Eine blonde Frau mit Kopftuch und dieses tief in ihr Gesicht gezogen. Ihre Hände waren auf den Rücken gebunden.

„Das ist Anna, deine neue Putzfrau.“

„Ich brauche keine Putzfrau und eine gefesselte schon gar nicht.“

„Tom, ich weiß nicht, wie sie reagiert, wenn ich sie ohne diese Dinger da transportiere. Auf alle Fälle mag sie kein helles Licht. Lass mal bitte die Rollläden halb herunter.“

„Bist du bescheuert! Nimm sie sofort weg, nimm sie wieder mit.“

„Tom, Tom, beruhige dich. Wieder mitnehmen, das wäre wirklich suboptimal. Hör mal kurz zu, ich habe jetzt nicht viel Zeit. Hier ist ihr Dossier, da steht einiges drin. Hier ist ihr neuer deutscher Pass und die Versicherungen werden von uns für ein ganzes Jahr bezahlt.“

„Raus mit ihr, ich will keine Putzfrau hier. Wieso sagst du, es wäre suboptimal, wenn du sie wieder mitnimmst?“

„Das sage nicht ich, das sagen die Ärzte. Sie hat praktisch riesige Aversionen gegen alles. Sie verträgt kein Licht, keine Menschen, keine Uniformen, keinen weißen Kittel, keine grünen Kittel, keinen Menschenansammlungen von mehr als drei Leuten, keine Kleidung, kein normales Essen. Sie kann nicht reden und nichts verstehen. Anna ist einfach etwas sonderbar.“

„Wieso? Wo kommt sie denn her?“

„Da gibt es nur Vermutungen. Ich muss aber jetzt schnell machen. Gefunden wurde sie an der Grenze zu Nordkorea auf der chinesischen Seite. Die haben schon nichts mit ihr anfangen können. Da sie wohl russischer Abstammung ist, haben sie Anna dem russischen Innenministerium übergeben. Von denen kommt die Aussage, dass sie mit ihr nicht weiter kommen. Die haben sie uns für eine geeignete medizinische Versorgung überlassen.“

„Wie soll ich sie denn hier medizinisch versorgen, außerdem, ich bin doch fast nie da.“

„Dieses „fast nie da“ war bislang die Rettung für sie. Wenn man sie ganz in Ruhe lässt, macht sie auch nichts und stellt nichts an und lebt einfach glücklich weiter.“

„Toll, und wieso ich?“

„Tom, verdammte Scheiße, sie haben sie mir gegeben. Ich hatte sie auf einmal an der Backe und sie haben gesagt, ich soll das Problem lösen. Ich kann mit ihr noch viel weniger anfangen als du. Ich bin total ungeeignet. Gar nichts kann ich für sie tun und ich bin doch nun wirklich fast nie zuhause.“

Damit lag Mark natürlich richtig. Mark ist ein Großneffe von mir, der eine steile Karriere in Innenministerium durchgezogen hat. Jetzt wartet er darauf, irgendwo in der Welt zum Attaché ernannt zu werden, und sei es in einem noch so kleinen Land. Er ist intelligent, ehrgeizig, aber nicht das, was man sich unter einem echten Freund vorstellt. Ich respektiere ihn und mag seine offene Art und seine Erzählungen über die erlebten Abenteuer in vielen Ländern. Mark ist wirklich immer unterwegs, keine zwei Tage am Stück war er in seiner Wohnung.

„Was ist denn mit ihr, mit dieser Anna?“

„Die Vermutung ist, dass sie aus einem nordkoreanischen Gefangenenlager stammt. Eventuell sogar dort geboren. Weil sie nicht redet, hat man ihr alle möglichen Bilder gezeigt, auch von Uniformen. Sie hat große Abneigungen gegen alle Uniformen, aber bei den nordkoreanischen Uniformen rastet sie völlig aus.“

„Wie reagiert sie denn?“

„Sie kniet sich hin und streckt ihre Hände nach vorne und sagt immer nur diesen einen Laut, stundenlang.“

„Warum das mit den Händen?“

„Zum Fesseln oder zum Schlagen, keiner weiß es. Wenn du mich fragst, ein Informatiker würde sagen, sie müsste einfach nur neu programmiert werden.“

„Scheiße, ich kann das nicht, ich kann sie auch nicht hierbehalten.“

„Ich habe jetzt keine Zeit. Ruf mich um neun Uhr heute Abend noch mal an. Wenn ich sie abholen muss, dann kommt sie in die Klapse. Selbst die russischen Ärzte haben gesagt, dass dieses dann sehr negativ für Anna wäre, gar nicht gut, sagen sie.“

„Scheiße, Scheiße, was hast du mir da nur eingebrockt?“

„Ruf mich an.“

Die Tür fällt zu und ich bin alleine mit Anna. Sie kniet vor mir, das Kopftuch noch über die Augen gezogen. Ihr Kopf ist nach vorne gefallen, die Hände immer noch mit einem Kabelbinder auf dem Rücken fixiert. So soll sie nicht bleiben.

Die ungebundenen Hände steckt sie sofort gerade aus, die Handflächen nach oben, so als warte sie auf irgendetwas. Als ich ihr das Kopftuch abnehme, fängt sie an zu schreien. Es ist kein Kreischen oder Weinen, es ist ein ständiges „ah, ah, ah, ah“, das auch erst aufhört, als ich die Rollläden herunter lasse.

Scheiße, verdammte Scheiße, das soll Mark mir büßen.

Anna kniet immer noch in der gleichen Haltung auf dem Boden, ich weiß auch nicht weiter. Das Dossier liegt auf dem Tisch und ich brauche jetzt erst einmal ein Bier.

Name: Anna Müller

Anm.: Anna ist das einzige Wort, das sie sprach, als wir sie untersuchten.

Staatsangehörigkeit: deutsch

Anm.: auf den besonderen Wunsch des russischen Innenministeriums

Alter: 26; Anm.: Röntgenbefund, Knochenalter, geschätzt, plus minus drei Monate

Geburtsort: Annahme: Gefangenenlager in Nordkorea

Größe, Gewicht: 173, 58

Sonst. Med. Befund:

Sterilisiert durch Unterbindung, HIV, Hep. neg. keine bekannten Krankheiten, leichte Unterernährung, Vitaminmangel, überstandenes Schädeltrauma durch Gewalteinwirkung, leichte Schlagspuren an Fußsohlen, Gesäß und Rücken; keine Spuren von vaginaler und analer Gewalteinwirkung.

Zähne gesund o.B., Knochenbau gesund o.B.

Besonderheiten: fehlendes Sprechvermögen, keine Spracherkennung soweit getestet.

Gehör und Stimmband o.B.

Blutwerte: Restwerte von Amphetaminen wie Methamphetamin aufgefunden sowie Spuren von weiteren unbekannten Substanzen.

Neurologischer Befund: IQ ermittelt zwischen 110 und 120 nach SPM Methode. Hirntätigkeit des Sprachzentrums, Sensorik, em. Ze. teilw. blockiert, med. Ausschluss von Autismus.

Verdacht: Gehirnwäsche verbunden mit Experimenten von Psychopharmaka durchgeführt in Nordkorea durch nordkoreanischen Geheimdienst. Absicht: unbekannt, Verdacht: experimentell.

Arme Anna Müller. Nicht annähernd möchte ich erleben, was sie erlebt hat. Nach der halben Flasche Bier traue ich mich, sie das erste Mal anzusehen, Anna, das Häuflein Elend in meiner Küche.

Lange blonde ungepflegte Haare fallen über ihre Schultern nach vorne in ihr Gesicht. Blaue Augen, starke Wangenknochen, die auf einen slawischen Einschlag bei ihr hindeuten könnten. Den Rest ihres Körpers kann ich nicht sehen, weil er in einem zu großen dunkelblauen Jogginganzug verborgen ist. Definitiv ist sie keine Koreanerin.

Wenn man sie etwas waschen und etwas pflegen würde, könnte sie bestimmt hübsch aussehen. Ihr Gesicht hatte einen besonderen Charme, schmutzig, verschwitzt, aber Charme. Besonders die großen blauen Augen, die mich jetzt mit einer tiefen Traurigkeit anschauen und jede meiner Bewegungen verfolgen.

Das mit dem Pflegen hat aber im Moment keine Priorität.

Was jetzt? Was, wenn sie für immer so da hocken bleibt? Was sollte ich denn jetzt mit ihr machen?

***

Putzfrau zur Neuprogrammierung

Подняться наверх