Читать книгу Lennox und die letzten Tage von Riverside: Das Zeitalter des Kometen #15 - Jo Zybell - Страница 6
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ОглавлениеEr schlief nicht.
Durst brannte in seiner Kehle, Hunger in seinen Eingeweiden.
Kein Wasser in dieser verdammten Wüste.
Nur die bittere Brühe aus den hohlen Kakteen.
Und seit zwei Tagen nichts zwischen den Zähnen.
Die mutierten Springmäuse waren einfach zu flink, und die daumengroßen Ameisen, die sie manchmal in den Flechten der westlich gelegenen Geröllhalden fanden, konnten elend zubeißen.
Im Osten sickerte schon das fahle Licht des neuen Tages in den Nachthimmel, und er schlief noch immer nicht.
Vielleicht lag es auch gar nicht an Hunger und Durst, sondern an der Bergkette, die sie in der Abenddämmerung im Westen gesehen hatten. Oder vielmehr an dem Land, das er dahinter wusste. Das Land, in dem einst sein Zuhause lag.
*
Neben sich hörte Timothy Lennox die gleichmäßigen Atemzüge seiner Gefährtin. Den Schlaf der Gerechten schlief sie, wie meistens. Der Himmel mochte wissen, wie Marrela diesen Gewaltmarsch wegsteckte – erst über die Gebirgsketten südlich von Vegas und dann durch die Mojave-Wüste. Die Kälte, der Hunger, der Durst, die vielen, vielen Meilen. Mit der Zähigkeit einer Wildkatze schien die Barbarin all dem zu trotzen. Oder biss sie einfach nur die Zähne zusammen, wie er selbst, und ließ sich nichts anmerken?
Es war kein Spaziergang von Las Vegas zur Küste, weiß Gott nicht. Wenn sie bloß den Schwebegleiter der Unsterblichen nicht verloren hätten. Mit ihm wäre die Strecke schnell bewältigt gewesen. Und auch Ersatz war nirgends aufzutreiben; keine Andronen, keine Frekkeuscher, nicht mal ein Wakuda zum Reiten.
Tim versuchte die Augen offen zu halten, um all die Gestalten nicht sehen zu müssen, die ihm aus den verborgensten Hirnwindungen auf die innere Bühne krochen. Entstellte und Verstümmelte, die Verlierer des »Großen Spiels«. Gefräßige Shargatoren, halb Hai, halb Alligator. Und Don Vegas, der Warlord jener Albtraumstadt. Gott, was für ein widerlicher Kerl, noch gefräßiger als die Haie in seiner Habgier und seiner Erbarmungslosigkeit.
Nun, seit ihrem Besuch dort hatte der Mistkerl wenigstens einen ernstzunehmenden Gegner. Tim fragte sich, wie Jethro sich schlagen würde gegen den Don. Und ob Las Vegas ein besserer Ort sein würde, wenn sie dereinst dorthin zurückkehrten…
Es hatte keinen Sinn, auf den Schlaf zu warten. Tim richtete sich auf.
Im verdorrten Gras auf einer Hügelkuppe inmitten von Kakteen und Gestrüpp hatten sie sich sechs oder sieben Stunden zuvor in ihre Decken und Felle gerollt. Die Konturen der Dornenbüsche auf dem nächtlichen Hang sahen aus wie schlafende Büffel, und die der Kakteen wie Totempfähle auf einem indianischen Kultplatz. Dreißig, vierzig Meter hoch waren sie. Zwischen den Konturen ihrer Stämme hindurch spähte Tim nach Westen.
Die Kette der San Gabriel und San Bernardino Mountains verschwamm noch mit der Nacht. Dennoch meinte Tim die Berge sehen zu können. Und hinter ihnen lag es, sein Zuhause.
Dort lag Riverside. Oder das, was der Komet von der Stätte glücklicherer Tage übrig gelassen hatte, von Timothy Lennox‘ Kindheit und Jugend und den wenigen guten Jahren mit Liz.
Hinter den Bergen liegt nichts, dachte Tim. Jedenfalls nichts Nennenswertes, und vor allem nichts, was an Riverside erinnert.
Wehmut schnürte seine Brust zusammen. Er sank auf seine Decke zurück und überließ sich dem Schmerz. Hinter den Bergen liegt nichts Nennenswertes. Je näher er der alten Heimat kam, desto häufiger sagte er sich das. Hinter den Bergen liegt nichts … So versuchte er sich auf den Schock vorzubereiten. Auf den Schock, der unweigerlich kommen musste – wenn er jenseits der Bergkette statt der vertrauten urbanen Landschaft auf Urwald und Ruinen blicken würde.
Das dürre Gras raschelte. Neben sich sah er die Umrisse eines menschlichen Körpers: Marrela saß auf ihrem Fell, aufrecht und reglos. Er hatte nicht mitbekommen, dass sie aufgewacht war.
»Was ist los?«, fragte er.
Sie hob die Rechte und bedeutete ihm zu schweigen. Er konnte ihre Gesichtszüge nicht erkennen, aber er sah, dass sie den Kopf in den Nacken gelegt hatte. Sie beobachtete den Nachthimmel über den turmhohen Saguaro-Kakteen. Der schien Tim heller zu sein als Minuten zuvor. Wie viele Stunden mochte es noch dauern, bis endlich die Sonne über der Wolkendecke aufging?
»Hast du was gehört?«, flüsterte Tim. Er richtete sich wieder auf.
»Da ist etwas. Etwas Fremdes.«
Merkwürdig – er, der wach lag, hörte nichts, und Marrela nahm im Tiefschlaf die Nähe fremder Kreaturen wahr.
»Wie – etwas Fremdes?«
»Hörst du es nicht?«
Jetzt blickte auch er in den dunklen Himmel und lauschte.
Nichts war da, nur die Umrisse der gigantischen Saguaros, unter deren Armen sie Deckung gesucht hatten. Kakteen und die Finsternis. Und in ihr die dunkelgrauen Schlieren des heraufdämmernden Morgens.
Oder halt – bewegte sich nicht ein Schatten hoch über ihnen in der Finsternis? Schwärzer noch als die vom neuen Tag berührte Nacht?
Tim streifte die Decken ab und stand auf. Er kniff die Augen zusammen, spähte hinauf.
»Was ist das?« Minutenlang verharrte er reglos und lauerte auf Bewegungen und Geräusche. Er hörte nichts, doch drei Schatten konnte er schließlich unterscheiden.
Silhouetten von Vögeln? Lautlos und in engen Kreisen schwebten sie über ihnen im dunklen Himmel.
»Vögel.« Marrela flüsterte. »Sie wollen uns.«
Das klang nicht wie eine Vermutung, das klang so gewiss, als hätte sie mit den Kreaturen dort oben verhandelt. Ein Schauer rieselte Tim über Rücken und Oberarme, seine Nackenhaare richteten sich auf. »Hast du sie belauscht!«
»Ich habe ihren Hunger gespürt, im Traum, und ich hab uns in ihren Klauen und Schnäbeln gesehen.«