Читать книгу Die Nadel des Todes - Joachim Bräunig - Страница 8

3

Оглавление

In der Gaststätte „Rondell“, welche sich direkt am Strand von Tossens befand, war zur späten Nachmittagsstunde wenig Betrieb und der Inhaber hatte sich an einen Tisch auf der Terrasse vor der Gaststätte gesetzt. Der stets gut gelaunte und immer freundliche Inhaber der Gaststätte liebte es, sich mit seinen Gästen zu unterhalten und damit eine positive Atmosphäre zu schaffen. Viele der Gäste waren direkt am Strand und damit in Gaststättennähe campierende Urlauber. Der Campingplatz war riesig und zu neunzig Prozent mit Wohnwagen belegt. Die Atmosphäre der Camper untereinander war sehr gut und es bildeten sich viele Freundschaften, was auch die stetige Hilfsbereitschaft bewies. Der Campingplatz besaß einen großzügigen Toilettenbereich inklusive Duschanlagen und wurde trotz der Möglichkeiten der Wohnwagenbesitzer zur Nutzung ihrer eigenen Toilette gut besucht und war stets in sehr sauberem Zustand. Für die Kinder war ein Spielplatz mit verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten erbaut worden und wurde von diesen auch gern angenommen. Für die erwachsenen Urlauber boten sich viele Möglichkeiten der individuellen Freizeitgestaltung, die sich im Wesentlichen auf den sportlichen Bereich bezogen. Viele der Urlauber nutzten sehr gern die im Ort befindliche, direkt an der Hauptstraße gelegene Minigolfanlage, die an den Gastronomiebereich angegliedert war und somit den kulinarischen Genuss und den sportlichen Ausgleich miteinander verbanden.

Am gegenüberliegenden Ende des Campingplatzes am Rande der Einzäunung auf dem höchsten Punkt der Düne war gleichfalls eine Gaststätte mit großem Außenbereich. Der Inhaber dieser Gaststätte kannte den Besitzer der Gaststätte „Rondell“ und beide standen nicht im Wettbewerb, sondern waren fast gut befreundet. Bei guter Auslastung des Campingplatzes, der prinzipiell immer gewährleistet war, verteilten sich die Gäste auf beide Lokale, sodass beide Einrichtungen ihr gutes Einkommen hatten. Die Gaststätte auf der Düne hatte im Vergleich zum „Rondell“ ein reichhaltigeres Speisenangebot und war für seine gute Küche bekannt, was besonders für die einheimischen Bewohner von Bedeutung war. Das „Rondell“ hatte im Innenbereich ein großes Fernsehgerät installieren lassen, was sich besonders bei der Übertragung von Fußballspielen rentierte.

Der Strand zog sich sehr lang, wobei der Sand nicht mit dem Ostseesand vergleichbar war, denn er war bedeutend grober und steinig. Der Uferbereich war sehr flach und durch die Gezeiten konnte man bei Ebbe Wattwanderungen durchführen, die zu bestimmten Zeiten auch von einheimischen Bewohnern angeboten wurden, wobei sich das Tragen von Wattschuhen anbot, denn in dem morastigen Wattuntergrund verbargen sich zum Teil sehr scharfe Muscheln, die bei Hautverletzungen zu heftigen Entzündungen führen konnten. Zur anderen Seite des Strandes, Richtung Ortschaft, befand sich die grasbewachsene circa vier Meter schräg auslaufende Düne, welche die Urlauber und Gäste des Ortes oft zum Ausruhen nutzten. Die Grasfläche wurde regelmäßig beschnitten, sodass die Gäste ihre mitgebrachten Decken und andere Ruhemöglichkeiten ausbreiten konnten. Abgelegen von dem eingezäunten Urlauberbereich weiteten die Schafe der Einwohner, für welche die Schafzucht ein nicht unerheblicher einträglicher Erwerbszweig war. Sie standen den gesamten Sommer über auf den Dünen und waren damit für die Sauberkeit und kurz gewachsenen Rasen zuständig.

Der Betreiber der Gaststätte „Rondell“ war Ulf Lohse, der Bruder des Sportlehrers der Schule Hans Lohse. Er hatte sich an einen runden Tisch gesetzt, an dem Dorfbewohner zum nachmittäglichen Plausch Platz genommen hatten.

„Bei der Hitze werden heute nicht viele Gäste kommen“, orakelte einer der Gäste.

„Das kann man nie genau einschätzen, aber ich bin mit dem Zulauf zufrieden“, antwortete Ulf Lohse.

„Ist für deine Küche sicher nicht einfach, alles bereitzuhalten.“

„Bei den heutigen Kücheneinrichtungen kein Problem.“

„Aber du kannst nicht immer frische Ware anbieten.“

„Ich versuche immer, frische Ware angeliefert zu bekommen.“

„Wie lange bleibt heute deine Kneipe offen?“, wollte einer wissen.

„Du weißt doch, dass ich mich nach den Gästen richte und da heute ein Fußballspiel übertragen wird, schätze ich, dass es sehr spät wird.“

„Da kommt bestimmt auch dein Bruder zum Schauen?“, fragte einer.

„Weiß nicht, er hat noch nicht Bescheid gesagt, aber es ist anzunehmen. Ich würde mich freuen, denn ich habe ihn bereits einige Wochen nicht zu Gesicht bekommen“, antwortete Ulf Lohse.

„Wenn er nicht wieder eine Biene aufgerissen hat.“

„Du weißt, ich kann es nicht leiden, wenn ihr abfällig über Hans redet.“

„Du kannst doch nicht leugnen, dass er dem weiblichen Geschlecht sehr zugetan ist.“

„Das kann ich nicht leugnen.“

„Du hängst sehr an ihm und verzeihst ihm vieles.“

„Ja, er ist immerhin zwölf Jahre jünger als ich und ein sogenannter Nachzügler. Er ist das Nesthäkchen und wurde von unseren Eltern immer bevorzugt, aber er ist keinesfalls ein schlechter Mensch und hat auch seine guten Seiten, dass müsstest du eigentlich wissen, bist ja Hausmeister an seiner Schule“, erwiderte Ulf Lohse und sah seinen Freund Mike Lichte an.

„Gut, dass du nicht alles von deinem Bruder weißt“, erwiderte Mike.

„Was sollen diese Andeutungen?“

„Dein Bruder ist ständig mit irgendwelchen Gerüchten im Gespräch.“

„Kannst du bitte konkreter werden“, bat Ulf Lohse.

„Vorige Woche gab es auf den Schulhof eine Schlägerei zwischen drei Jungen, weil einer behauptet hatte, dass dessen Freundin eine Affäre mit deinem Bruder hat.“

„Hans hat doch keine Affäre mit einer Schülerin, so etwas würde er nie tun, schließlich liebt er seinen Beruf und ist sich bestimmt bewusst, was solch eine Affäre für seinen Schuldienst bedeuten würde.“

„Deinem Bruder werden ständig Affären mit irgendwelchen Frauen nachgesagt, aber ich glaube auch nicht, dass an dieser Aussage des Jungen etwas Wahres ist.“

„Hans ist sicher kein Kostverächter und ich weiß, dass er auch vor verheirateten Frauen nicht Halt macht und sich wenig um deren echte Gefühle kümmert. Seine Beziehungen halten meistens nur wenige Wochen und ich weiß nicht, was der Grund dafür ist und was ihn ständig in die Arme anderer Frauen treibt. Vielleicht liegt es daran, dass ihm bei seiner Erziehung zu viel Freiraum gegeben wurde. Unsere Eltern haben ihm jeden erdenklichen Wunsch erfüllt, sodass er sich der Ernsthaftigkeit des Lebens nicht bewusst ist. Zudem kommt aus meiner Sicht hinzu, dass ihm die Frauen ihre Eroberung nicht schwer machen. Finanziell hat er keine Sorgen, denn unsere Eltern unterstützen ihn mit einem monatlichen Beitrag, sodass es ihm leicht fällt, die Geliebten zusätzlich mit wertvollen Geschenken zu beeindrucken. Ich habe mich vor einiger Zeit sehr intensiv mit ihm unterhalten, besonders über sein Privatleben und seine ständigen Frauengeschichten und war über seine Auffassung sehr überrascht.“

„Du hast ihm ins Gewissen geredet?“

„Nein, er fing über die Frauengeschichten von allein an.“

„Da staune ich“, sprach Mike.

„Er wünscht sich eine Familie und Kinder.“

„Das glaube ich nicht.“

„Er hat es mir gesagt. Es ist sein Wunsch eine Familie aufzubauen und er hat, was ich selbst nicht wusste, eine feste Beziehung. Die Frau arbeitet und wohnt in Berlin. Die beiden lieben sich, geben sich jedoch alle Freiheiten. Er fährt häufig an den Wochenenden zu ihr.“

„Jetzt wird mir auch klar, weshalb er nie an Feierlichkeiten des Lehrkörpers teilnimmt, die an Wochenenden stattfinden. Die Lehrer wundern sich seit Langem, warum er stets versucht die Feierlichkeiten auf einen Wochentag, meistens freitags, zu verlegen.“

„Er liebt diese Frau seiner Aussage nach sehr, aber das Beklemmende an der Beziehung ist, dass diese Frau keine Kinder möchte, sie ist sehr strebsam und stellt ihre Karriere in den Vordergrund.“

„Vielleicht wird doch noch ein ordentlicher Mensch aus Hans“, erwiderte lächelnd der Hausmeister.

„Er hat meine volle Unterstützung und ich werde ihm immer beistehen“, sagte Ulf mit fester Stimme und Nachdruck.

„Gibt es sonst Neuigkeiten an der Schule?“, erkundigte sich ein anderer Mann am Tisch.

„Ich möchte nicht schon wieder von Hans sprechen“, sagte der Hausmeister.

„Sprich, ich kann die Wahrheit vertragen“, entgegnete Ulf.

„Es wird über ein Verhältnis von Hans mit unserer Deutschlehrerin und stellvertretenden Direktorin gemunkelt und ich habe beide in letzter Zeit oft miteinander gesehen.“

„Mit Frau Kunze. Sie ist eine sehr freundliche und zuvorkommende Frau.“

„Ja, aber auch verheiratet“, antwortete Mike.

Mike Lichte war von großer, stattlicher Figur. Im Rahmen seiner Tätigkeit war er für die Aufrechterhaltung der Lehreinrichtung betreffs ihrer Ausstattung und der baulichen Gegebenheiten, was die Elektrik und die Sanitäreinrichtungen betrifft, verantwortlich, hatte jedoch keinen Abschluss als Elektromeister. Er hatte eine gute fachliche Ausbildung was die Elektronik betrifft und die Erledigung der anderen anfallenden Arbeiten hatte er sich im Laufe der Zeit angeeignet. Er war in der Schule sehr beliebt, sowohl bei dem Lehrpersonal als auch bei den Schülern, was im Wesentlichen auf seine ruhige und besonnene Art zurückzuführen war. Er wirkte niemals aufdringlich und war dennoch immer freundlich und den Problemen gegenüber offen, was dazu führte, dass viele Lehrer beziehungsweise Schüler ihn oft nach seiner Meinung fragten. Bei solchen Gesprächen hielt er sich mit festen Meinungen stets zurück und äußerte nur seine persönliche Meinung, ohne dem Gesprächspartner direkte, sogenannte gute Ratschläge zu erteilen. Er vertrat immer die Auffassung, dass jeder seine eigenen Erfahrungen sammeln muss und danach die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen sollte. Mike Lichte wollte niemals als guter Ratgeber für persönliche Probleme verstanden werden, da er seiner Meinung nach selbst einige Fehler in seinem privaten wie beruflichen Leben gemacht hatte. Er hatte eine gute Ehe geführt und war seiner Frau stets treu geblieben, obwohl er beim weiblichen Geschlecht immer gern gesehen war und es von einigen Frauen mehr oder weniger deutliche Hinweise für ein näheres Kennenlernen gegeben hat. Seine Ehefrau war vor zwei Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalles, an dem sie selbst keine Schuld hatte, verstorben, obwohl die Ärzte mehrere Tage um ihr Leben gekämpft hatten. Die folgende Zeit war für ihn sehr schwer gewesen, da er ziemlich allein blieb. Ihre Kinder waren bereits vor einigen Jahren aus dem Elternhaus ausgezogen und hatten sich mit ihren Männern in der Nähe von Hamburg eine eigene Existenz aufgebaut. Das Verhältnis zu seinen Kindern war gut, aber die Entfernung und das beruflichen Leben, indem seine Kinder eingebunden waren, ermöglichte leider zum Bedauern beider Seiten nur ein seltenes Treffen, sodass er viel Zeit allein zu Hause auf dem Grundstück verbrachte. Das Grundstück war circa 350 Quadratmeter groß und mit Bäumen und zahlreiche Sträuchern bepflanzt. Seine Frau hatte sich mit viel Liebe und großem Aufwand um den Garten und dessen Bepflanzung gekümmert, während er sich um die bauliche Substanz des Hauses kümmerte. In den zurückliegenden Monaten hatten einige Frauen versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber er hatte sie bisher immer freundlich aber bestimmt abgewiesen, da er sich nicht wieder binden wollte, obwohl er erst Mitte Fünfzig war. Die Abende allein zu Haus fielen ihm nicht immer leicht, weshalb er sich in letzter Zeit immer öfter Freunden am Stammtisch im „Rondell“ anschloss und die gemeinsamen Stunden genoss. Auf dem Grundstück waren die meisten Arbeiten, außer Rasen mähen und ähnliches, erledigt, sodass er Zeit für schöne Stunden hatte, wenn nicht dringende Arbeiten in der Schule zu erledigen waren.

„Ist in der Schule noch alles in Ordnung?“, fragte der Elektromeister des Ortes. Er hatte im letzten Jahr die gesamte Elektroanlage der Schule, die zum damaligen Zeitpunkt noch auf DDR-Niveau war, neuninstalliert.

„Ja, alles bestens“, antwortet Mike.

„Der Umbau war dringend erforderlich“, sagte der Elektromeister.

„Vor der Zeugnisausgabe ist bestimmt Hektik in der Schule“, wollte ein anderer wissen.

„Ja, das ist jedes Jahr das gleiche. Die Aufregung ist groß und zugleich die Vorfreude auf die bevorstehenden Ferien“, erwiderte Mike.

„Erzähl von der Schlägerei, die du erwähnt hast“, wurde er aufgefordert.

„Ich halte mich grundsätzlich aus wilden Spekulationen raus.“

„Die Schlägerei ist aber Tatsache.“

„Gewisse Rangeleien kommen zwischen den Schülern schon vor, das war in eurer Schulzeit sicherlich nicht anders oder seid ihr alle Musterschüler gewesen?“, schmunzelte Mike Lichte.

„Mit Sicherheit nicht“, gestanden die Stammtischbrüder.

„Für die Schlägerei muss es einen Anlass gegeben haben“, bohrte der Elektromeister weiter.

„Wie ich schon sagte, es ging um ein angebliches Verhältnis von Hans mit einer Schülerin, die eigentlich mit einem Mitschüler enger befreundet war.“

„Ist an dem Gerücht etwas Wahres dran?“

„Woher soll ich das wissen.“

„Mit dir reden die Schüler wie mit einem Beichtvater.“

„In privaten Angelegenheiten versuche ich mich zurückzuhalten.“

„Musst du heute nochmals in die Schule?“, fragte ein anderer?“

„Ich hoffe nicht, wenn im Hort nicht noch Unvorhergesehenes geschieht.“

„Mit dem Hort hast du sicherlich viel Arbeit.“

„Ja, aber das ist normal, bei den kleinen Rackern geht immer etwas kaputt, aber sie zerstören nicht mit Absicht, sondern es geschieht beim Spielen.“

„Deine Arbeit macht dir Freude, wenn man dich reden hört.“

„Ja, ich liebe meine Arbeit, sie bringt zudem ständig Abwechslung.“ Mike Lichte lächelte seine Stammtischbrüder an und hob das Glas.

„Ich gebe eine Runde aus“, sagte der Elektromeister.

„Spitze, das kann ein sehr gemütlicher Abend werden“, lachten die Freunde.

Einer der Kellner trat an den Tisch: „Herr Lohse, die neuen Gäste am Tisch drei hätten sie gern gesprochen.“

„Ich komme sofort. Wenn ihr länger bleibt, gebe ich noch eine Runde aus“, sagte Ulf Lohse und erhob sich, um sich zu den Gästen zu begeben. Die Stammtischbrüder stießen mit einem Glas Bier an und der Abend verlief noch sehr feuchtfröhlich.

Die Nadel des Todes

Подняться наверх