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Vom Unternehmer-Mythos

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(Januar 2017)

Ein Mythos geistert seit Adam Smiths Zeiten nunmehr nahezu ein Vierteljahrtausend durch die Lehrbücher der Betriebs- und Volkswirtschaften: der Mythos vom Unternehmer. Es ist der Mythos vom risikobereiten, verantwortungsbewussten, reichtumschaffenden sowie vor allem erfindungs- und entdeckungsumtriebigen Individuum, welches stimuliert vom Gewinnstreben sein Unternehmen betreibt und erweitert und auf diese Weise Beschäftigung und Einkommen sichert, letzteres gar im nationalen und globalen Rahmen. Klassische Figuren wie Siemens, Bosch, Bell, Schuckert, aber auch modernerer Art wie Jobs, Zuckerberg und Gates stehen dafür gern als Protagonisten parat, der von ihnen im Rahmen ihrer ökonomischen Betriebsamkeit realisierte Profit – in welcher Größenordnung auch immer - wird im allgemeinen unter der Wucht vorgenannter Attributierungen bedenkenlos als rechtmäßig akzeptiert.

Bei genauerer Betrachtung dieser menschlichen Spezies indes fällt auf, dass darunter ganz sicher eine Reihe hochkreativer Erfinder und Entwickler zu finden sind, doch stellen sie bei weitem nicht die Mehrheit, im Gegenteil – ihr Anteil ist weit eher als gering zu benennen. Was wir dagegen mehrheitlich vorfinden – und das trifft auch oder gerade auf diejenigen zu, welche eigentlich selbst nicht direkt die Eigentümer von Unternehmen sondern sind, sondern die hochdotiert im Auftrag der Eigentümer die Geschäfte führen - sind Berufsfelder, die bekannterweise nicht unbedingt zu den kreativen gehören, als da wären Juristen, Kaufleute aller Coleur, Verleger, Inhaber von Galerien und dergleichen mehr. Unter “kreativ” verstehe ich hierbei eingeengt die Fähigkeit, vermittels wissenschaftlicher oder technischer Methoden qualitativ neue Produkte oder Verfahren zu schaffen. Die besondere Sorte Kreativität, welche den Unternehmern allerdings allesamt eigen ist, über welche sie bei Strafe ihres Untergangs unbedingt verfügen müssen, ist von einer anderen Art. Diese Kreativität ist nicht auf die Entwicklung von Produkten oder Verfahren gerichtet sondern darauf, zu erkennen, auf welche Weise man über die Zeit mit Produkten und Verfahren aus einem in diese Produkte oder Verfahren investierten Geldbetrag einen angemessen höheren herausziehen könnte. Ganz unbestritten eine Art von Kreativität, welche wahrlich nicht jedem Menschen gegeben ist. Doch rechtfertigt diese Art von Kreativität tatsächlich die teilweisen, in Relation zu den Einkünften der in ihren Unternehmen Beschäftigten enormen Gewinne? Zumal dann, wenn diese Unternehmer, wie vornehmlich unter den modernen Produktionsbedingungen gegeben, selbst rein fachlich gesehen nicht einmal der Branche entstammen? Die funktionell lediglich Leitungs- und Steuerungsfunktionen ausüben, ohne von der betrieblichen Materie an sich wirklich etwas zu verstehen? Verleger, welche selbst nicht in der Lage sind, Bücher oder Kolumnen zu verfassen, Galeristen, welche nicht einmal eine simple Kohlestift-Skizze zuwege bringen, geschweige denn ein erkennbares Gemälde? Banker, welche den tatsächlichen Inhalt der von ihnen verkauften Finanzprodukte selber nicht kennen oder gar verstehen? Top-Manager in Super-Unternehmen, die bitgesteuerte, juristisch festgezurrte In-und-Out-Put-Algorithmen erstellen, ohne zu wissen, wie das Unternehmen eigentlich praktisch bewegt wird? Also all derer, deren Kreativität am Ende allein auf die Motivation ihrer unmittelbaren, mit den Geschehnissen im Unternehmen schon besser vertrauten Unterstellten sowie der Erhaltung und des Ausbaus der für das Unternehmen notwendigen Netzwerke ausgerichtet ist?

Werfen wir eine Blick zurück in die Geschichte. Umtriebig-geschäftstüchtige Menschen sind bekannt seitdem es Handel und Wandel gibt, seitdem also im gegebenen Moment nicht selbst benötigte Güter zum Tausch bereit gestellt wurden. Ein besonderer Gewinn indes konnte aus diesen frühen Tauschgeschäften örtlicher Märkte nicht erzielt werden, solange jedenfalls nicht, solange die am Tausch beteiligten Personen selbst den Arbeitsaufwand der Tauschobjekte einigermaßen reell einzuschätzen vermochten. Ergo tauschten sich die Produkte nach dem Äquivalenzprinzip gleicher darin verausgabter Aufwendungen. Kein Mensch wird ohne wirklich zwingenden Grund einen Handwagen gegen einen Kamm im Verhältnis 1:1 tauschen. Gewinne aus den Tauschgeschäften wurden erst dann möglich, als der am Tauschobjekt interessierte Partner abgesehen von seinen Begierden den Arbeitsaufwand des Gutes nicht mehr selbst einschätzen konnte, die Basis dafür schuf der Fernhandel. Dass Waren über unendliche See- und Landwege herangekarrt auch ihren entsprechenden Preis haben müssen, galt wohl als gerechtfertigt. Dass der eigentliche in fernem Land gezahlte Warenpreis aber um ein Vielfaches den nun geforderten Kaufpreis abzüglich der Transportaufwendungen unterlag, blieb den Käufern verborgen. Die Differenz manifestierte sich im Profit des Fernhändlers. Allein, so ganz ohne Risiko und Kosten war der Fernhandel nicht zu realisieren, ausgesprochen hohe Vorleistungen waren erforderlich, um Transportgerät wie Schiffe oder Wagenkolonnen nebst ihren Besatzungen bereitzustellen, nicht zu reden von den zu transportierenden Gütern. Ein Fernhändler allein war dazu nicht in der Lage, auch nicht im genossenschaftlichen Verbund seinesgleichen. Die Finanzlücke füllte der frühe Banker. Der stellte zeitweilig freies, eine ihm zur sicheren Verwahrung und möglichen Mehrung übergebene Geldmenge, das Kapital, gegen eine entsprechende Teilhabe am geschätzten Ertrag der Handelsunternehmung zur Verfügung. Diese Teilhabe, der “Zins”, fand in den Lehrfibeln der bürgerlichen Betriebswirtschaft als “Preis für Geldverleihung” ihren Eingang, was zwar ihrer oberflächlichen Erscheinung Genüge tut, nicht aber ihren wahren Inhalt kennzeichnet. Woraus wir zweifelsfrei ersehen, dass die wahre Blüte des Unternehmertums, der Kapitalismus, im Bunde des Fernhandels mit dem Bankensystem ihre wahren Wuzerln hatte.

Gewinnerwirtschaftung ist nur möglich vermittels Tauschgeschäften, welche, abgesehen von Extremsituationen, den inneren Warenwert der zu tauschenden Produkte, die in ihnen steckenden Arbeitsaufwendungen also, nicht sofort offenbaren, unerheblich dabei, ob es sich um Güter der materiellen Art oder Dienst- also Arbeitsleistungen handelt. Seit sich neben dem frühen Handels- und Bankenkapitalismus der Kapitalismus herauskristallisierte, ist dieses Prinzip der Unkenntnis der wahren Tauschwerte das Kernelement der Privatwirtschaft, seine praktische Umsetzung findet es im System der Geschäfts- oder “Ladenkasse”. Einblicke in diese Kasse hat nur der Eigentümer, der Unternehmer, beziehungsweise sein Prokurist, ein von ihm vergatterter und wohldotierter Beauftragter. Die inneren Prozesse der Ladenkasse, ihre Aus- und Eingänge und daraus resultierenden Salden bleiben den Unternehmensbeschäftigten ein ehernes Geheimnis, sie sie ist die praktikable Grundlage der Aneignung fremder, unbezahlter Arbeitsleistung und damit des Unternehmergewinns. Ein Geheimnis, welches wir seit Marx “Ausbeutung” nennen.

Der Unternehmer von heute ist das, was er vor Jahrhunderten schon war – ein Mensch mit einem besonderen Instinkt für Tauschgeschäfte, aus denen er mittels verdeckter Kosten einen finanziellen Gewinn für sich ganz persönlich erzielen kann, ein Kaufmann eben. Und dies gänzlich unbedacht seiner auch möglichen technischen und wissenschaftlichen Begabungen, am Ende schaut aus allen Fugen und Ritzen seiner Persönlichkeit nichts als der auf Profit orientierte Kaufmann heraus. Nur dass er unter den nunmehrigen globalen Vernetzungen und den damit einhergehenden transparenten Aufwandskenngrößen der jeweiligen Waren und Dienstleistungen diesen seinen Profit nicht mehr dadurch erzielen kann, dass er Produkte von Weither mit einem für den Kunden nicht durchschaubaren Preisaufschlag versieht. Heutzutage bezieht er seinen Profit aus nichts anderem als aus dem unbezahlten Einbehalt von Wertschöpfungsanteilen, welche die in seinem Unternehmen Beschäftigten erwirtschaften. Alles Gerede von zu vergeltender Risikobereitschaft, Verantwortungsbereitschaft, Erfindergabe, Entdeckerdrang und dergleichen ist Schall und Rauch, denn eingestellt werden die Beschäftigten vom Unternehmer nur, wenn durch ihre Beschäftigung im Unternehmen ein signifikanter Mehrgewinn erwirtschaftet wird. Legen die Beschäftigten die Arbeit nieder, nutzen all die oben genannten edlen Charaktereigenschaften eines Unternehmers nichts, dann gehen im Unternehmen alle Lichter aus, dann gibt es weder Umsatz noch Gewinn.

Kein Wunder, dass die Apologeten des Kapitalismus in Marx ihren Todfeind sehen, legt er doch als einziger der klassischen bürgerlichen Ökonomen das Geheimnis der Ladenkasse offen und prophezeit daraus den Niedergang des privaten Unternehmertums als prinzipielles System. Was ich unbedacht des derzeitig vollständig desolaten Zustandes nahezu jedweder aktuellen linken Theorien und Praxis nicht nur aus der Logik der marxschen Ökonomie und meinen eigenen Erkenntnissen aus kapitalistischer Arbeitspraxis heraus so korrekt finde. Auch aus dem schlichten, aber geradezu axiometrischen Grunde, dass seit Menschengedenken in den Religionen, Sagen, Märchen und Legenden der Erdenvölker ein Element als ganz besonders übel, schlimm und zutiefst verachtenswert herausragt: die menschliche Gier. Genau die aber ist es, die unter der moderaten Umschreibung des „unternehmerischen Gewinnstrebens“ in den dominanten Lehren der bürgerlichen Betriebs- und Volkswirtschaft als der eherne und in die Unendlichkeit reichende Dreh- und Angelpunkt von Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung ausgemacht wird.

Welch ein gigantischer, geradezu fataler Irrglaube!

Glaube & Ansichten – Beiträge zur zeitgenössischen deutschen Geschichte

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