Читать книгу Glaube & Ansichten – Beiträge zur zeitgenössischen deutschen Geschichte - Joachim Gerlach - Страница 5

Autowahn

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(August 2008)

Ein Vorfall, obgleich lächerlich in seiner Art, heute erst vor wenigen Stunde erlebt, veranlasst mich, erneut zur Feder zu greifen. Das Thema diesmal: des, wie man sagt, Deutschen liebstes Spielzeug. Auch wenn ich mutmaße, dass von diesem Bazillus längst andere Völker im weiten Erdkreis befallen sind. Es handelt sich um das Auto.

Meine Haltung zu diesem Gefährt ist zwiespältig. Ich vermute, auch dies ist, wie manch anderes Statusdenken meiner Geschlechtsgenossen, meinem gegenüber dem Zeigefinger zu kurz geradenen Ringfinger geschuldet. Denn wie ich unlängst in einem der den Zeitungsmarkt überschwemmenden bunten Blättchen las, deutet eine solche Relation auf schwächelnde Mannhaftigkeit hin. Die Erkenntnisse, wenn sie denn hinreichend genug wissenschaftlich ausbalanciert sind, erklären, dass zum Zeitpunkt der Ausbildung der Keimdrüsen im männlichen Fötus auch gleichzeitig dessen Proportionen an Händen und Füßen definiert würden. Ein langer Ringfinger zeugt demzufolge von maskuliner Robustheit, Überzeugung und Durchsetzungskraft. Von im Wortsinn potenziellen Vorteilen im Zusammensein mit dem schwächeren, aber auch attraktiveren Geschlecht ganz zu schweigen. Wie es aussieht mündet mein zu kurz geradener Ringfinger auch in den Umstand, dass ich mich im Gegensatz fast aller meiner Geschlechtsgenossen für männerspezifische Zeitvertreibe wie Fußball und Formel-I-Rennen nicht die Bohne interessiere und mir Boxkämpfe eine wahres Greuel sind. Aber genug der Abschweifungen. Ein Auto ist und bleibt für mich schlichtweg ein Gebrauchsgegenstand, der Leute, kleine und große, sowie Güter effizient zu transportieren hat. Hinreichend bequem sollte es sein, pflegeleicht und energiesparend. Verkehrssicher natürlich auch. Und vor allem preiswert in Anschaffung und Unterhalt. Mehr nicht.

Im Vorfeld unserer abenteuerlicher Erlebnisse mit vierrädrigen Kraftfahrzeugen standen die nicht weniger aufregenden mit einem zweirädrigen, um es genau zu sagen: mit einem Motorroller. Den hatte ich für wenig Geld, ich glaube es waren um die 200 Mark, und an die 20 Jahre schon alt, als Student im ersten Semester gekauft. Das war 1975 und unser Sohn schon drei Jahre alt. Für den wurden Kindersitz und Windschutz installiert. Mit dem Roller gondelten wir zu dritt in der näheren Umgebung herum bis Dagi, zu diesem Zeitpunkt im dritten Monat mit Tochter Anja schwanger, verkündete: Auf diese Abtreibungsmaschine setze ich mich nicht mehr! Das war 1976. Ich fuhr alsdann damit allein, hin und wieder auch mit Sohnematz Steffen vor mir. Zu basteln gab’s daran in Hülle und Fülle. Das war, ich wusste es zu dieser Zeit noch nicht, ein Vorgeschmack auf kommende Zeiten.. Auch bin ich mit dem Roller mehrfach ziemlich übel gestürzt, da der Schwerpunkt eines Roller ganz anders liegt als der eines richtigen Motorrades. Man sitzt darauf wie der Großvater auf dem Kackstuhl, pflegte mein Bruder zu sagen.

Unser erstes Auto, angeschafft gleich nachdem ich das Studium absolviert hatte und der bislang genutzte Motorroller nicht mehr der inzwischen zahlenmäßig gewachsenen Familienstärke Rechnung trug, war ein Saporoshez 965. Von denen mit dem längeren Ringfinger auch ‚Chruschtschows letzte Rache genannt ‘. Klein und bucklig kam es daher und vor allem laut. Ich kaufte es für 2.500 DDR-Mark von einem, dem man es anmerkte, dass er es schnell loswerden wollte. Ein Jünger Jesu oder dergleichen, wie es sich nachträglich herausstellte, der schon auf gepackten Koffern saß und der Ausreise ins Gelobte Land in den kommenden Tagen oder gar Stunden ungeduldig entgegensah. Das Armaturenbrett vollständig beklebt mit Gottesermahnungen und Sinnsprüchen aus der Bibel. Doch boten mir die frommen Sprüche allesamt keinen Schutz davor, dass der ‚Sapo‘, wie wir ihn bald liebevoll nannten, schon nach der zweiten Fahrt, einer ausgesprochen kurzen zur nächsten Tankstelle, diese Fahrt abrupt unterbrach und mit defekter Kupplung liegenblieb. Dank eines mitgelieferten, sehr umfangreichen Ersatzteilfonds, denn auch der Keller des gottesfürchtigen Landflüchtigen harrte der Beräumung, gelang es mir, zunächst mit fremder Hilfe, später zunehmend eigenständig, ‚Chruschtschows Rache‘ wieder flott zumachen. Dieser Reparatur folgten in schöner Regelmäßigkeit weitere: das rechte Hinterrad löste sich nach dem Bruch der Achse, zum Glück fast im Stand, dafür aber im bitter kalten Winter, was die Instandsetzung bei Schnee, Eis und stürmischem Wind auf offener Straße zur Tortur werden ließ. Das Pleuellager eines Kolbens schlug aus, da fast schon zu Staub zerrieben, dies während eines Urlaubs im Osterzgebirge. Ein Traktor schleppte uns heim. Mit meines Bruders und dem hinterlassenen reichhaltigen Ersatzeifonds des flüchtigen Gottesgläubigen Hilfe gelang es in endlosen Reparaturstunden, den Motor und damit des Fahrzeug wieder flott zu machen. Allerdings mit einem kleinen Schönheitsfehler: Zur fachgerechten Reparatur fehlte uns das fachgerechte Werkzeug, der neu zusammengebaute Motor konnte nicht ausgewuchtet werden. Infolge dessen führte seine nicht behandelte Unwucht bei schnelleren Umdrehungen, in Geschwindigkeit ausgedrückt bei etwa 50 Stundenkilometer, zu ganz erheblichen, aus unrundem Lauf resultierenden Rüttelungen. Ich verschaffte dem Problem Abhilfe, indem ich ein Bleigewicht an der Randung der Kupplung befestigte, so dass die Unwucht merklich vermindert werden konnte und auch Geschwindigkeiten über 50 möglich waren. Hin und wieder riss dieses Ausgleichsgewicht durch die zunehmenden Fliehkräfte während der Fahrt ab. Da standen wir vier Insassen mit einem Ruck im Auto und mussten die Reststrecke nach Hause mit 30 und darunter liegen Stundenkilometern zurücklegen. Zuweilen auch wieder am Haken des Traktors.

Die Motorhaube riss einmal während der Fahrt aus ihrer Verankerung und stand plötzlich kerzengerade vor der Windschutzscheibe. Von den ewigen, geradezu zur Routine gewordenen Zündpunkteinstellungen und Entlüftungen der Bremsanlage will ich gar nicht reden. Ein anderthalb Jahr beschäftigte mich dieses Gefährt nahezu jedes Wochenende und meine Hände glichen wieder denen, als ich zwischenzeitlich als Reparaturschlosser Diesellokgetriebe instandsetzte: rissig, Schmutz und Öl in jede Hautfuge eingerieben, dass auch die sonst erfolgreichen Waschpaste nicht half. Dazu Brandmale von den heißen Motor- und Abgasanlageteilen. Ich verkaufte den Sapo 965 mit 1000 Mark Verlust, aber durchaus erlöst. Trotzdem hatte er uns vier mehr oder weniger treu gedient und dazu beigetragen, unseren Wochenendgarten außerhalb der Stadt wenigstens hin und wieder aufzusuchen. Zumeist aber saß uns schon vor Antritt der Fahrt die Angst im Genick, wir könnten nicht ohne Störfall zurück nach Hause kommen oder die Schwungkraft des Bergab könnte für den Anstieg des Begauf nicht reichen. Des öfteren waren wir in dieser Zeit auch wieder mit dem Bus unterwegs, da der Sapo mangels benötigtem Ersatzteil auseinander montiert auf seinem Parkplatz vor unserem Haus stand. Hin und wieder mussten wir den Bus auch nutzen, wenn der Sapo unterwegs schlappmachte. Er folgte uns dann in bewährter Weise am Haken des Traktors nach. Vor allem aber hatte der Sapo mit seinen vielfältigen Tücken meine fast verschütteten Facharbeiter-Kenntnisse hinsichtlich der Reparatur von Maschinen und Anlagen wieder vollständig auf Vordermann gebracht. Den Sapo kaufte eine junger Leutnant der NVA. Der war Kfz-Offizier und hatte gleich jede Menge Ideen, wie er die ihm unterstellten Soldaten am Wochenende dazu motivieren könnte, den Sapo in einen nachhaltigen technisch-verkehrssicheren Zustand zu versetzen. Nach dem Kauf habe ich nie mehr wieder etwas gehört, weder von unserem Sapo noch von dem Leutnant. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest der Leutnant das Abenteuer heil überstanden hat.

Das auswärtige Wochenendgrundstück war für uns das, was man heutzutage Sachzwang nennt. Folglich musste ein neues, natürlich nicht im Wortsinn, also eher anderes, möglicherweise aber besseres, Auto her. Für 4000 Mark erstand ich ein solches. Diesmal vom staatlichen Gebrauchtwagenhandel. Wieder ein Sapo, aber ein Nachfolger des bisherigen, ein 966er. Farbe blau, dunkelblau, um es genau zu sagen, denn auch der vorherige war anfänglich blau. Hellblau allerdings, bevor ich ihn mittels Farbrolle bei heftigem Wind auf der Straße in ein schlichtes Safarigrün umtaufte. Der böige Wind hatte zur Folge, dass sich feine Staubkörnchen auf der noch frischen Lackfläche meiner Farbgebung absetzten und später die Karosserie bei Berührung an feines Schmirgelpapier erinnern ließ.

Der dunkelblaue 966er nun war moderner, er sah nicht nur wie ein Auto aus, sondern hatte auch bequeme Sitze und einen etwas größeren Kofferraum. Das Problem dabei: so leicht in eigener Hand zu reparieren wie der alte Sapo war er nicht, er bedurfte der Werkstatt, da Motor und Getriebe nur mit Hebezeugen entnommen und der Instandsetzung zugeführt werden konnten. Das bedeutete zusätzlichen Geldabfluss, der an anderer Stelle dringend notwendiger gewesen wäre, aber wir wissen schon: der Sachzwang! Von eigenständigen Reparaturen war ich nunmehr weitgehend befreit, sieht man von kleinen Dingen wie der mittlerweile beliebten Bremsentlüftung und dem Abkleben der von fortschreitender Durchrostung befallenen vorderen Kotflügel mit Hobby-Plast ab. Einmal riss im harschen Winter die Bremsleitung, da mussten wir zu Fuß weiter. Das aber war trainiert und angesichts der Erfahrungen mit ‚Chruschtschows letzter Rache‘ nicht weiter von Belang, Meine Hände erholten sich und nahmen allmählich das Aussehen an, wie es sich für einen ordentlichen Bankangestellten, als der ich inzwischen mein Brot verdiente, gehört. Die Arbeit bei der Bank fand ich im übrigen stinklangweilig und in keiner Weise befriedigend: endlose Zahlenfriedhöfe, mit deren Hilfe ich Effizienz oder Nichteffizienz mir zugeordneter Wirtschaftseinheiten zu ermitteln hatte und quantifizierte Verpflichtungsvorgaben im sozialistischen Wettbewerb zu Prozessen in diesen Wirtschaftseinheiten, die ich nicht im geringsten zu beeinflussen vermochte, waren in keiner Weise dazu angetan, mir nach getaner Arbeit deren Sinnfälligkeit zu vermitteln. Auch sah ich keine messbaren Ergebnisse. Ganz anders dagegen während unseres Waldeinsatzes nach dem galaktischen Schneebruch des Winters 79/80. Da sah man an jedem Abend, wieviele Festmeter Bruchholz aufgearbeitet wurden. Exakt abrechenbar und bewertend, ohne jeglichen Schmu oder Koeffezienten-hoch-oder-runter-Rechnung. Ich hatte wohl doch das falsche Studium gewählt, aber zurück zum Thema.

Der blaue Sapo 966 hätte uns wohlmöglich bis über die Wende ins bundesrepublikanische Autoparadies getragen, doch drei Jahre vorher brach der hintere Achsaufhänger infolge völliger Durchrostung, und da half auch kein Hobby-Plast mehr. Da die Werkstätten schon bei Anfrage abwehrend die Hände hoben, auch kein neuwertiges Ersatzteil mehr zu beschaffen war (nicht einmal über meine guten Beziehungen zu einer, die weiterhin einen soliden Draht zum dafür verantwortlichen Großhandel pflegte), legte ich nach altem Brauch wieder selbst Hand an: das benötigte Teil montierte ich bei strömendem Regen auf einem Schrottplatz für Altwagen ab, bezahlte dafür nass bis auf die Haut und lehmbeschmiert von oben bis unten obendrein 40 Mark und baute es dann mit ein paar Tricks und Kniffen anstelle des defekten ein. Wie gehabt auf der Straße, versteht sich. Dann verkaufte ich das gute Stück schleunigst für immerhin noch 2000 Mark. Der Nachfolgebesitzer fuhr damit zu seiner Datsche ins Erzgebirge, wo der gerade erst ersetzte Achsträger erneut brach. Über das weitere Schicksal des Fahrzeugs liegen mir keine zuverlässigen Informationen vor.

Der Sachzwang erzwang den erneuten Ersatz.. Wir befanden uns mittlerweile im Jahre 3 vor der Wende. Ein Sapo selbstredend wieder (meine Wartburg-Anmeldung hatte ich schon zu Studienzeiten gegen einen Taschenrechner eingetauscht, die dafür ins Spiel gebrachte Trabi-Anmeldung würde nach damaliger Hochrechnung erst im Jahr 1992 zu einem neuwertigen Fahrzeug führen). Den Sapo diesmal für nunmehr schon 6000 Mark. Farbe hellgrau, aber recht gut erhalten und die Mütter aller Sapo-Rostteile, die vorderen Kotflügel, gerade neu eingesetzt, sie mussten nur noch lackiert werden. Das besorgte ich nach gutem altem Brauch mit der Farbrolle. Mit diesem Auto hatten wir keine Sorgen, es fuhr uns laut, aber zuverlässig, wohin wir wollten, sogar noch im Jahr nach der Wende ins bis dahin unerreichbare Nürnberg, wo es in der Siedlung unserer dort lebenden Verwandten teils unverhohlen, teils klammheimlich über die Gartenzäune beglubscht wurde. Einen Ärger mit dem Grauen gab es dazwischen dennoch: Im Sommer 89 auf einer Fahrt nach Rostock brach ein Kolbendichtungsring, der luftgekühlte Motor erhitzte sich ungemein, wir mussten an jeder der karg gesäten Raststätten zwecks Abkühlung halt machen, und selbst die 500er Trabis zuckelte mit höhnischem Grinsen an uns vorbei. Die Sapo-Werkstatt in Rostock winkte ab, überhaupt keine Zeit, die in Wittstock nahm sich seiner an und schnaubte sich aus: 2500 Mark Reparaturkosten, für eine Instandsetzung, die allerhöchsten 500 Mark wert war. Dafür ein fast völlig neuer Motor. Der Werkstattbesitzer muss intuitiv den kommenden gesellschaftlichen Veränderungen vorgegriffen haben, denn er befreite sein Ersatzteillager vom geschmähten Sowjetschrott und schaffte Platz für die gewissermaßen schon vor der Tür lauernden Opel, VW, Citroen, Ford, Fiat und wie sie alle heißen mögen. Ich hingegen, ahnungslos und blind gegenüber den bald folgenden Staats-Umwälzungen, schluckte die deftige Kröte der aufwendigen und kostenintensiven Reparatur im Glauben, dadurch, wenn der fabrikneue Trabi nach 16-jähriger Wartezeit endlich fällig wäre, für den Sapo noch wenigsten 4000, wenn nicht gar 5- oder noch besser 6000 Mark zu erstreiten. Ein halbes Jahr später schon erwies sich die Investition als eine Fehlinvestition und der mit einem quais neuen Motor bestückte Sapo als absolut unverkäuflich..

Doch bevor es zu diesem jähen Werteverfall kam, musste im Sommer 89 mit dem reparierten Fahrzeug erst noch die Heimfahrt vom Urlaubsort gemeistert werden. Die ersetzten Teile aber waren ganz offensichtlich schlecht entkonserviert, denn etwa 30 Kilometer nur noch vom heimischen Herd entfernt versagte der mit Konservierungsstoffen völlig verkleisterte Vergaser seinen Dienst: Alles Anschieben nach bewährtem Muster half bald gar nichts mehr, und so hingen wir wieder einmal am Haken, aber nicht an dem eines Traktors. Diesmal, war’s ein freundlicher Skoda-Fahrer, gleichfalls auf Urlaubsrückreise in den Süden. Er nahm sich unserer an, beschwerte sich nur einmal, dass wir angesichts des häufigen Bergauf in der Rochlitzer Berglandschaft so unsäglich schwer wären, vielleicht wäre auch eine unserer Bremsen blockiert oder gar die Handbremse noch angezogen. Waren sie nicht, der Sapo hatte eben ein sattes Eigengewicht. Etwas, was er allen anderen Autos der Ex-DDR voraus hatte..

Unseren letzten Sapo, den grauen, habe ich nach dem Sommerurlaub im Jahr 1990 verschenkt und eine Zeitlang dann als Übergang für ein paar wenige Monate den uns kostenlos überlassenen Trabi meines Bruders gefahren. Den vermachte ich nach wenigen Monaten unserem studierenden Sohn. An die Fahrenszeit mit dem Trabi kann ich mich nicht mehr recht erinnern. Ich entsinne mich nur noch dessen, dass er weitaus unbequemer, wenn auch etwas leiser als all unsere Sapos war. Und dass ich irgendwann, kurz bevor ich ihn im Frühherbst 1990 für 40 Mark an einen Polen verkaufte, im Rahmen einer geringfügigen Reparatur mit einem noch vorrätigen Sapo-Teil versah. Ich glaube es war ein Befestigungswinkel am Auspuff. Und dass mir irgendwann vorher einer, stürmisch aus einer Hofausfahrt kommend, die rechte Kunststofftür eindrückte.

Unfälle hatten wir mit unseren Sapos keine, sieht man von zwei Auffahrschäden ab, an welchen ich selbst mangels hinreichender Aufmerksamkeit die Schuld trug. Und die auch bei den in die Unfälle verwickelten Fahrzeugen infolge dort angebrachter Anhängerkupplungen keinerlei Spuren hinterließen. Um so mehr aber an den unsrigen. Die Schäden wurden von der Staatlichen Versicherung der DDR ohne großes Hingucken oder vorgelegte Nachweise großzügig reguliert. Ich habe das Geld kassiert und die eingedrückten Bleche mit dem Wagenheber notdürftig selber ausgebeult, was bei jedoch dem grauen Sapo zu einer dauerhaften Scheinwerferverstellung führte. Er schielte gewissermaßen.

Unser erstes Nachwende-Auto war ein Opel-Corsa mit 1500 ccm. Es war eine Tageszulassung, und wir blätterten 15.000 Westmark dafür hin. Cash. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir plötzlich zu soviel Geld gekommen sind, denn unsere Ersparnisse beliefen sich zur Wende auf gerade etwas über 10.000 Ost-Mark, die ja, wie man weiß, für einen neuen Trabi akkumuliert wurden. Aber egal.

Eigentlich wollte ich einen neuen Lada kaufen, denn ich war ob der Erfahrungen des letzten Jahrzehnts hinreichend bedient von gebrauchten Autos. Alle Hinweise, statt dessen lieber einen der allerorten zuhauf angebotenen gebrauchten Westwagen anzuschaffen, schlug ich in den Wind. Zum einen hörte man schon reihum, dass es mit diesen schön aufpolierten Fahrzeugen auch nicht immer zum besten stand, die Wessis nach dem Motto ‚wenn sie rosten – in den Osten‘ gutes Geld mit ihrem Schrott verdienten. Zum anderen konnte ich mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorstellen, dass ein fünf Jahre alter Westwagen – einigermaßen gepflegt – allemal besser sei als ein neuwertiger Lada. Sicher spielte dabei auch ein nicht unerheblicher Rest alter Ideologie eine gewichtige Rolle bei meiner aus späterer Sicht nicht mehr nachvollziehbaren Entscheidung.

Der Lada hätte dann auch so um die 15.000 gekostet. Jedoch, der Gott aller Autos (oder der aller Ossis?) war uns gnädig gestimmt, denn, dem Himmel und dem darin wohnenden Autogott sei Dank, infolge des Krieges in Serbien und Kroatien und Slowenien und was weiß ich noch wo im gerade eben parzellierten Jugoslawien, konnten diverse, in diesen jetzt von Kämpfen durchzogenen Teilen der arbeitsteilig organisierten Weltwirtschaft produzierten Bauteile zu Komplettierung des Ladas bei der Deutschen Lada AG in Hamburg nicht geliefert werden. So verzögerte sich der Kauf von Monat zu Monat, bis Dagi, und dies mit allem Nachdruck, verkündete, dass sie des langen Wartens nunmehr überdrüssig sei und nie und nimmer mit dem abgelegten Trabi meines Bruders zum im November anstehenden Geburtstag ihrer Mutter ins Brandenburgische fahren würde. Und schon gar nicht deshalb, da um uns herum schon Gott und alle Welt und so wahrscheinlich auch all ihre Geschwister schicke Westwagen fuhren.

Der kleine Opel, viertürig und flink, übertraf dann auch all unsere Erwartungen und setzte uns zur Geburtstagsfeier in Potsdam in ein den neuen gesellschaftlichen Umständen entsprechendes gebührendes Licht. Wir fuhren ihn bei bester Zufriedenheit ohne jegliche Störungen drei Jahre, bis ein wildgewordener Skoda-105-Fahrer, von dem man mir später sagte, dass sogar allerhöchste Vorsicht geboten sei, wenn man seiner in der Kaufhalle mit einem Einkaufswagen ansichtig würde, ihn an einem schönen Samstagmorgen im geparkten Zustand in rasanter Fahrt bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 kmh und der völligen Ignoranz einer knapp davor gelegenen gleichberechtigten Kreuzung aufs Horn nahm und in die Luft schleuderte. Kopfüber landete der Corsa auf dem Dach. Personenschaden keiner, das Auto Totalschaden. Im gleichen Zug demolierte der Ritter der Landstraße zwei weitere an gleicher Stelle geparkte Fahrzeuge, davon eines gleichermaßen totalgeschädigt. Sein Skoda hatte auch arg gelitten. Nur er, der flotte Fahrer, blieb nahezu unverletzt und eilte nach vollbrachter Tat ohne den Schrottplatz auch nur noch eines Blickes zu würdigen von hinnen. Nein, er hätte, von Nacheilenden festgehalten und zur Rede gestellt, überhaupt keine Zeit, sich dem Fortgang seiner Zertrümmerungen zu widmen. In wenigen Stunden führe sein Bus in den Urlaub nach Bayern, da wäre zu Hause bei Gott noch einiges vorzubereiten. Seine Versicherung vergütete uns den Schaden mit 17.000 D-Mark, 2000 mehr als wir für den Corsa selbst gezahlt hatten. Das war ein guter Deal, und wir wurden noch Monate danach von Leuten mit Autos, die sie gern alt gegen neu getauscht hätten, befragt, ob wir wüssten, wo denn der rasante Automobilist wohne und in aller Regel entlang führe.

Mit den 17.000 Mark erstanden wir eine gebrauchten Toyota, der hatte gerade einmal 30.000 Kilometer auf den Reifen. Mit dem befuhren wir die Tschechei und die Slowakei, und er leistete uns störungsfrei die besten Dienste, bis er nach wiederum drei Jahren auf der A9 kurz vor Leipzig zwischen die Mahlsteine geriet. Diesmal allerdings mit Dagi und mir an Bord. Nacht war es schon und wir auf dem Weg von Potsdam nach Hause, wenn ich mich recht erinnere, wieder einmal von einer der alljährlichen Geburtstagsfeiern meiner Schwiegermutter. Die Autobahn in alle Richtungen zugestopft infolge der unendlichen Baustellen im Rahmen des Aufbaus-Ost. Nur hin und wieder die Chance, mit ein bisschen mehr Gas zügig voranzukommen. In einer solchen Beschleunigungsphase passierte es: Nach kurzzeitiger flotter Fahrt plötzlich wieder nur noch rote Bremslichter, und ich hatte alle Mühe, dem vor mir Fahrenden nicht aufzusitzen. Dann plötzlich ein hartes Geräusch, und ich bekam bei aller Bremskraft den Wagen nicht zum Stehen und dachte, ein technisches Problem sei die Ursache. Die Zeit lief wie tausendfach verlangsamt. Ich sah den Toyota auf den vor mir fahrenden Audi auffahren, die Motorhaube sich hochfalten und fand mich wieder rücklings auf dem nach hinten geklappten Sitz. Dagi gleichermaßen. Was war nur geschehen? Ich rappelte mich auf, half auch Dagi in die Senkrechte, beide scheinbar ohne sichtbaren Schaden. Dann, allmählich zu mir kommend, beschloss ich, auszusteigen, dem Aufgefahrenen meine Entschuldigung darzubieten und den Crash zu besichtigen. Wie ich gerade die Tür öffnete und noch nach einer einigermaßen vernünftigen Entschuldigungsformel suchte, wurde die Tür von außen gänzlich aufgerissen und vor mir stand ein hektischer junger Mann, der stammelnd von sich gab: Es tut mir wirklich leid, ich bin Ihnen wohl soeben hinten aufgefahren! So stellte sich heraus, dass das harte Geräusch daraus resultierte, und wir auf den Vorderwagen aufgeschoben wurden, weswegen ich ich auf die Bremse drücken konnte wie ein Wahnsinniger, ohne dass es Effekte zeigte.

Dieser Unfall war ein Glück im Unglück, denn er kaschierte in wunderbarer Weise den argen Blechschaden an der Beifahrertür, den mir beim Rechtsüberholen ein Fahrer im BMW mit Regensburger Kennzeichen zufügte, und den wir mangels Finanzkraft für 600 Mark an der Steuer vorbei nur oberflächlich verkitten und lackieren ließen. Bemerkenswert an diesem Unfall war, dass der Regensburger nach dem Crash keine Anstalten machte, sein Fahrzeug zu verlassen. Ausgelassen ruhig verblieb er darinnen, drehte bei meinem Nähern nur etwas die Scheibe herab und fragte im besten Fränkisch, wie ich mir das denn nun weiter vorstelle. Das schaffte Schuldgefühle, allerdings nur bei mir, und ich gestand ihm 50 West-Mark zu, zahlbar auf der Stelle, um für die kaum sichtbare Schramme an seinem Plastik-Stoßfänger zu büßen. Dass der Regensburger ganz höchstwahrscheinlich selbst erheblich Schuld an der Karambolage trug, kam mir erst später in den Sinn. Sein, wie man heutzutage sagt, ausgesprochen cooles Verhalten nötigt mir noch heute Respekt ab, aber ich habe es selbst nie zu dieser Meisterschaft gebracht.

Wir erhielten nach dem Auffahrunfall auf der A9 umgehend einen Leihwagen, ich glaube es war ein Fiat, den wir nach kurzer Fahrt mit einer von der Gegnerversicherung bezahlten Taxe am nahe gelegenen Leipziger Hauptbahnhof abholten, und mit dem wir die Heimreise ohne weitere Störungen fortsetzten. Der Toyota indes erwies sich als Schrott, und die Versicherung des Verursachers löhnte 11.000 Märker. Davon kauften wir, (der Sachzwang, der Sachzwang!, nunmehr auch berufsbedingt, denn ich musste als Geschäftsführer unserer kleinen GmbH, welche mit den Tschechen zu handeln versuchte, zuweilen bis an die Grenze zur Ukraine vorstoßen) nach diversen Probefahrten mit allerlei Fahrgerät - ein Renault Lagune war darunter und wohl auch ein Opel Astra - einen Mazda 303, den mit den Schlupfaugen. Farbe weiß, Tachostand 70.000 Kilometer. Und hatten Glück. Denn wir schlossen mit dem Kauf eine Gebrauchtwagenversicherung ab, die wir schon nach kurzer Betriebszeit der Neuerwerbung in Anspruch nehmen mussten: der rechte Vorderradantrieb lief aus dem Ruder, kurz darauf auch der linke, was uns keinen Penny kostete, den Auto-Händler allerdings seine Versicherung.

Den Mazda überließen wir nach dreijähriger Fahrt, ich fuhr nunmehr einen Passat mit allen Raffinessen als Dienstwagen, unserm Sohn, der seinen Opal Kadett wiederum seiner studierenden Schwester überließ. Über deren Fahrabenteuer mit dem Opel-Kadett wären ganze Bände zu beschreiben, was allerdings den Rahmen dieser Geschichte erheblich sprengen würde. Den Mazda veräußerte unser Sohn Jahre später bei einem Händler in Frankfurt, am Main versteht sich. Zum Nulltarif, als er sich einen fahrbaren Untersatz zulegte, für den man zu früheren Zeiten wohl einen Waffenschein benötigt hätte.

Mit dem Passat, stolze 120 PS unter der Motorhaube, inklusive Klimaanlage, ABS, Servolenkung und jede Menge Airbags (die ich nie benötigte) kurvte ich als EDV-Beauftragter eines deutschlandweit agierenden Baumaschinenunternehmens vier Jahre lang durch die Gegend und lernte so Land und Leute kennen, was mich unter anderem lehrte, dass die Mehrzahl der Wessis durchaus ganz vernünftige Kerle sind, auch wenn sie hin und wieder infolge Nichtwissens zur Arroganz neigen. Dies bis zur Entlassung kurz vor meinem 55. Lebensjahr. Dagi hatte sich, da der Passat und ich an den Wochentagen nicht zur Verfügung standen, inzwischen einen roten VW Polo zugelegt, und der tat seine Dienst zu ihrer vollsten Zufriedenheit. Anzumerken wäre eine kleine Karambolage, die sich mit dem Polo im Stadtzentrum ereignete und eigentlich nicht der Rede gewesen wert wäre. Ich erwähne sie nur, weil hier zum wiederholten Male (und auch noch später in ähnlichen Fällen) deutlich wurde, dass die von uns bis dahin für dringend unentbehrlich gehaltene Kfz-Rechtsschutzversicherung eigentlich zum Fenster hinausgeworfenes Geld war. Diese Versicherung brachte mir allerdings Jahre später satte 10.000 Mark ein, allerdings nicht aus einem Vorfall mit dem Auto sondern mit dem Fahrrad, von welchem ich durch einen Hund übel zu Fall gebracht wurde

Das Damoklesschwert einer langjährigen, bis zur vorzeitigen Verrentung andauernden, wahrscheinlich in Hartz- IV mündenden Arbeitslosigkeit senkte sich jedoch, einem Wunder gleich, nicht weiter, Ein gleichermaßen deutschlandweit vernetztes Unternehmen fing mich auf, in dessem Auftrag ich die folgenden fünf Jahre noch mehr an Land und Leuten kennenlernte sollte als bisher. Das beförderte auch meinen persönlichen Einigungsprozess der beiden deutschen Staaten, des wie gehabt beibehaltenen und des umgestülpten beigetretenen, weiterhin nachhaltig positiv. Fortan waren die Straßen und Autobahnen von Flensburg bis Augsburg, vom Breisgau bis zum Oderbruch mein Arbeitsplatz, jedenfalls zur guten Hälfte, und der Dienstwagen mein Büro. Zuerst fuhr ich einen Ford Mondeo. Den übernahm ich als Interimslösung vom einem starken Kettenraucher, was einen impertinenten Gestank im Wageninneren zur Folge hatte, der sich auch behelfs steter Belüftung währen der Fahrt, welche zuweilen arge Halsschmerzen verursachte, und des Einsatzes extremer Duftsprays nicht verflüchtigte. Diese Tortour dauerte ein viertel Jahr, danach erhielt ich einen fabrikneuen Mazda 303, dieselgetrieben. In ihm fühlte ich mich zeitweilig in den letzten unserer Sapos zurückversetzt: rappelig, lautstark, aber wenigstens schneller. Und auch zuverlässiger. Den Mazda ramponierte ich während der nun folgenden drei Jahre mehrfach ganz erheblich: den rechten Rückspiegel riss ich beim Rückwärtseinparken an einer Parkschranke ab, einmal kollidierte ich unglücklich mit einem anderen Fahrzeug an einer Einmündung, was meine Beifahrertür zertrümmerte, und einmal rangierte ich auf dem Parkplatz am eigenen Haus zu heftig und beschädigte dabei nicht nur den Unternehmens-Mazda enorm sondern zu allem Übel auch noch das funkelnagelneue Auto meines Schwagers. Für die letzten beiden Jahre bei diesem Unternehmen, welches auch meine letzten Arbeitsjahre sein sollten, stellte man mir einen Mitsubishi Carsima zur Verfügung. Nicht ganz so toll wie der Passat, aber annähernd.

Über all diese Jahre meiner Beschäftigung in den beiden letztgenannten Unternehmen legte ich auf Deutschlands Straßen rund eine halbe Million Fahrkilometer zurück, war auf Autobahnen linksspurig Jäger und Gejagter, entging zuweilen wie durch ein Wunder nur knapp den durch ein Übermaß an Testosteron bedingten, in Blut und Trümmern mündenden Zweikampfresultaten, erlebte Staus ohne absehbares zeitliches Ende und sah Unfälle der grausigsten Art. Ich selbst war nicht betroffen. Dafür bin ich der Vorsehung, dem lieben Heiland, meinem Fatma, oder wer auch immer dafür verantwortlich zeichnen sollte, unendlich dankbar.

Mit dem Austritt aus dem aktiven Berufsleben und der damit verbundenen Zurückgabe des Dienstwagens, legten wir uns, bescheiden und vernünftig wie wir nun einmal sind, eine Tageszulassung des Kia Rio für nicht einmal 10.000 Euro zu, der hat es nach nunmehr vier Jahren Verweilzeit unter unserem Carport zu nicht einmal 35.000 Kilometer auf dem Tacho gebracht. Solch enthaltsame und sparsame Automobilisten sind wir. Der zwischendurch gegen Dagis roten VW Polo eingetauschte Renault Megane wanderte zu meiner Tochter, welche sich längst von ihrem völlig demolierten Opel Kadett trennen musste und sich nunmehr mit all ihren Fahrkünsten anschickt, auch dem Megane ein ähnliches Schicksal zuteil werden zu lassen.

Nein ich bin fürwahr kein Freund des Autos. Ich betrachte den Autowahn als eine Sucht und einen Größenwahn, und die Menschheit wird sich wohl alsbald daran verschlucken.

Komme ich also, auf dass der Kreis sich schließe, auf mein heutiges Erlebnis zurück: Ich muss an einer gleichberechtigten Kreuzung gleich hier auf unserer Straße den von rechts Kommenden nicht bemerkt haben. Zwar hatte ich mich kurz in diese Richtung orientiert, aber möglicherweise ist mein Gesichtsfeld im siebten Lebensjahrzehnt auch nicht mehr das, was es einmal war. Den von rechts Daherkommenden sah ich erst, als ich die Kreuzung schon fast wieder verließ. Da war der noch Meter entfernt, es drohte und keinerlei Gefahr. Der von rechts Kommende sah das wohl anders, denn er passte mich an der nächsten Einmündung ab. Dort rangierte seinen BMW-5er kurzerhand quer vor mir über die Straße und versperrte mir so den Weg. Das ist Nötigung und zählt als Straftatsbestand (ich weiß das von meiner rechtsgelehrten Tochter). Dann kam er auf mich zu, und ich wusste eigentlich nicht, was er von mir wollte, denn ich hatte meine Unaufmerksamkeit an der letzten Kreuzung gedanklich längst zu den Akten gelegt. Im ersten Moment glaubte ich, er hätte einen Defekt am Fahrzeug und benötigte Hilfe. So kurbelte ich die Scheibe herunter und schaute ihn fragend an, als plötzlich das Ungewitter aus ihm herausbrach. Völlig enthemmt und voller Wut. Mir blieb im Augenblick der Überraschung der Mund halb offen und ich vernahm die Aufregung: Wie ein Wahnsinniger sei ich auf der ohnehin geschwindigkeitsreduzierten Straße dahergedonnert gekommen und hätte ihm die Vorfahrt genommen. Nur dank seiner Beherztheit und seinem rechtzeitigen Bremsen mit aller Kraft sei ein Unfall vermieden worden. Das sollte ich mir ein für alle mal merken und ins Gebetbuch schreiben. Sprach’s und stieg in seinen Markenwagen, mich im Unklaren darüber zurücklassend, was ich mir nun ins Gebetbuch schreiben solle. Nun, ich denke, es war ein rechter Wüterich, den aber zwei Merkmale besonders auszeichneten: Zum einen war er ganz offensichtlich, jedenfalls seiner Anzugsordnung nach, die auf körperliche Arbeit schließen ließ, einer der seit Urzeiten im Ort ansässigen Gärtner, Bauern oder sonstwie landwirtschaftlich Tätigen. Als solcher ordnete er mich unbekannterweise den Fremden zu, welche seiner Meinung nach glaubten, in seiner angestammten schönen Heimat tun und lassen zu können, was und wie es ihnen beliebt. Zum anderen war er natürlich ein BMW-Fahrer, einer Fahrzeugklasse, der man nachsagt, dass darin die Vorfahrt auf allen Wegen und Straßen bereits standardmäßig eingebaut sei. Als solcher brachte es ihn selbstredend erst recht auf die Palme, wenn ihm einer, der mit einem Kia-Rio, seiner Meinung nach nichts anderes als eine umgebaute Hutschachtel auf Rädern, daherkommt, die in diesem Moment rechtmäßig zustehende Vorfahrt nimmt. Ein faux pas für ihn also in gleich in doppelter Hinsicht:: Ihm, dem von Geburt an Einheimischen und damit sowieso a priori Rechthabenden wird von einem scheinbar Fremden in einem nicht wirklich als Auto zu bezeichnenden Vehikel die ohnehin seinem Prestigewagen innewohnende Dauervorfahrt an einer Stelle genommen, welche ihm die Vorfahrt nach Recht und Gesetz sowieso einräumt! Und sollten das denn keine triftigen Gründe dafür sein, erbost und wutentbrannt auf die Barrikaden zu gehen, auch wenn man dabei selbst ohne jegliche Skrupel auf law and order spuckt?

Womit ich meinen Exkurs in die schöne Autowelt beschließe, nicht ohne jedoch auf den Kia Sportage zu verweisen, welchen ich im Dezember 2009 in Bergen auf Rügen kaufte – die lange Anfahrtsstrecke zum Objekt der Begierde lohnte sich: das Fahrzeug war dort rund 4000 Euro preiswerter als ein vergleichbares im Raum Dresden bis Berlin und zudem erst 3 Jahre und 25.000 km alt. Der Umtausch gegen den Rio machte sich erforderlich, da wir im Zuge unseres Umzugs nach MeckPomm einen robusten und vielseitig verwendbaren Transporter benötigten, der aber auch als Limousine gut einsetzbar ist. Ob es unser letztes Auto in diesem Leben sein wird, werden wir in etwa 3 Jahren entscheiden.

Nachtrag

Vorherigen Text verfasste ich im Juni des Jahres 2010. Seitdem sind fünf Jahre ins Land gezogen, und wir fahren noch immer den Kia von Rügen. Jedoch mit bemerkenswert geringen jährlichen Fahrkilometern. Wären da nicht die Muss-Fahrten zu den anstehenden Geburtstagen ins Sächsische, kämen wir wohl mit Ach und Krach auf 200 Kilometer im Monat. Der Sportage hat uns bislang ganz hervorragende Dienste geleistet, hat uns nie im Stich gelassen und ausgesprochen wenige Reparaturen gekostet. Die betreuende Werkstatt meint, bis 2020 könnte er durchaus noch relativ problemlos fahren. Das wären noch weitere fünf Jahre und zwei Durchsichten und er wäre dann 14 Jahre alt.. Vielleicht erleben wir bis dahin aber auch wieder eine der größeren Wirtschaftsflauten, welche die Lobbyisten der Automobilbranche erneut dazu missbrauchen, mittels großzügiger staatlicher Förderung eine landesweite PKW-Erneuerungsphase zu inszenieren. Man weiß ja nie, wir werden seh’n.

Glaube & Ansichten – Beiträge zur zeitgenössischen deutschen Geschichte

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