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Lebenstraum 2: Frieden und Freiheit
ОглавлениеBei Befragungen kommt oft heraus, dass nach der eigenen Gesundheit das allgemeine Wohlergehen in Frieden und Freiheit, wie wir es aus demokratischen Rechtsstaaten kennen, als Lebenstraum im Fokus steht. Konsens sollte darüber herrschen, dass die Ideen der Menschrechte, des Rechtsstaats und der Demokratie nicht verhandelbar sind. Denn in einem diktatorischen System haben die Menschen das Gefühl, sie wären ohnmächtig und ihre Existenz sinnlos. Auch bei mir ist dieser Lebenstraum von Frieden und Freiheit ausgesprochen hoch angesiedelt, denn ich kann mich noch gut an zwei Erlebnisse kurz vor Kriegsende erinnern, die mich in meiner Einstellung nachhaltig geprägt haben, stets und unter allen Umständen einzustehen für Frieden und Freiheit! Zum Einen habe ich selbst gesehen, wie die Häuser rund um den Stettiner Hauptbahnhof nach einem Luftangriff lichterloh brannten, während der Kessel der Dampflok des überfüllten Lazarettzugs, in dem meine Familie verbotenerweise aus dem historisch bekannten See-, Sol- und Moorbad Kolberg an der Ostsee geflüchtet war, mit Wasser gefüllt wurde. Der Zug kam aus Ostpreußen und war wegen des strengen Winters 1945 total vereist, sodass sich die Türen nicht mehr öffnen ließen und man nur noch durch die Fenster einsteigen konnte. Zum Anderen war ich Zeuge eines Tieffliegerangriffs der Amerikaner in Kölleda, einer Kreisstadt in Thüringen, bei dem ein direkt neben mir stehender Mann von einem Geschoss getroffen wurde und blutend zu Boden sank. Er hatte sich einfach nicht rechtzeitig hingeworfen, als mein Vater zufällig aus dem Fenster geschaut, das sich nähernde Flugzeug entdeckt hatte, einen Warnruf ausstieß, sofort reagierte und mich unsanft mit in die Horizontale herunterriss. Der andere Mann im Raum, unser Vermieter, zögerte vielleicht nur den Bruchteil einer Sekunde und die entschied unwiderruflich über sein Schicksal. Wer jemals so ganz unmittelbar Kampfhandlungen mitbekommen hat, auch die Geräusche und den aufgewirbelten Staub durch die ins Mauerwerk einschlagenden Kugeln, bei dem hinterlässt dieses Geschehen bleibende Eindrücke. Nie wieder Krieg ist dann die ultimative Reaktion! Und kein so leichtfertiger Umgang mit der Forderung nach gewaltsamen Lösungen, wie er heute schon wieder bei Konflikten aller Art erhoben wird! Im Jahre 1949 ist meine Familie dann aus der sowjetisch besetzten Zone möglichst weit nach Westen geflüchtet, bis nach Nordhorn an der holländischen Grenze. Das heißt, mein Vater ist zunächst alleine und kurz entschlossen sofort aufgebrochen, nachdem er von einem Kollegen erfahren hatte, dass er auf einer Liste von vermeintlichen Regimegegnern stand. Wie er auf diese Todesliste kam, weiß ich nicht, denn er war während der Nazizeit kein Parteimitglied gewesen und unbelastet. Er selbst glaubte, weil ihn die Amerikaner nach Kriegsende als Polizeichef eingesetzt hatten und nachdem die Sowjets Thüringen übernommen hatten, er sich als öffentlich Bediensteter standhaft weigerte, in die Einheitspartei SED einzutreten, war er verdächtig und sollte ohne Gerichtsverfahren kaltgestellt werden. Am nächsten Tag standen jedenfalls drei Mann in schwarzen Ledermänteln vor unser Tür, um ihn zu verhaften. Der Vogel war aber schon, wie sie sich auszudrücken beliebten, ausgeflogen und sie mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Wie sich nach der Wende herausstellte, hatten die Sowjets damals 120.000 Leute in Speziallagern interniert, von denen 5.000 zu Tode kamen. Seither weiß ich meine eigene Freiheit ganz besonders zu schätzen! Ganz banal ist Freiheit heute für mich, meinen drei Lebensträumen Schreiben, Malen und Tennisspielen nachzugehen. Außerdem gestatte ich mir, die Nummer meines Handys nicht bekannt zu geben und mein Motorrad nicht zu nutzen. Auch auf eine Seite bei Gesichtsbuch verzichte ich bisher. Es sind nämlich gerade auch die Dinge, die man nicht tut, obwohl man könnte, die Freiheit ausmachen. Beispielsweise sich einem Gruppenzwang zu unterwerfen, ist mir noch nie in den Sinn gekommen. Oder etwas zu tun oder zu sagen, wofür man sich hinterher entschuldigen muss. Es gibt Leute, die entschuldigen sich andauernd, auch wenn man gar nicht weiß, warum. Vielleicht sollte ich mir die Freiheit nehmen, sie im konkreten Fall darauf aufmerksam zu machen. Aber ob sie kapieren würden, was man meint, wenn sie schon nicht wissen, dass man sich nur für eine Tat entschuldigen kann, die stattgefunden hat? Frieden und Freiheit als Selbstverständlichkeit anzusehen, hat sich angesichts der zahlreichen bewaffneten Konflikte und diktatorischen Regime weitgehend als Illusion herausgestellt. Immer wieder bedrohen Terrorgruppen, Separatisten, Drogenbosse und Despoten, die sich an der Macht halten wollen, den Frieden fast überall auf der Welt. Sobald Menschen Macht haben über andere Menschen, kann Missbrauch stattfinden, unabhängig von jeder Ideologie. Auch der schon als vorübergehendes Phänomen abgehakte Kalte Krieg kann jederzeit wiederkehren. Und partiell ist genau dies ja auch schon der Fall. Was verstehen wir unter Frieden? Der römische Staatsmann Cicero, der 106 – 43 vor Christus lebte, hat formuliert: „Friede ist Freiheit in Ruhe“. Er hat also nach der Überlieferung als Erster den Frieden mit der Freiheit verbunden und gleichzeitig mit dem ebenfalls positiv besetzten Begriff der Ruhe. Sicherlich, wir in Westeuropa haben gegenwärtig unsere längste Friedensperiode und genießen auch ein hohes Maß an Freiheit, aber mit unserer Ruhe scheint es irgendwie nicht so recht zu klappen. Jedenfalls wenn ich es richtig deute, fühlen sich nicht nur mehr als zwei Drittel der Bürger von außen durch Lärm belästigt, sondern immer mehr Menschen sind auch innerlich beunruhigt. Ihr seelischer Friede scheint zumindest teilweise angegriffen und gestört. Burnout und Borderline sowie Depressionen wären auf dem Vormarsch, liest und hört man. Der amerikanische Geistliche, Philosoph und Essayist Ralph Waldo Emerson (1803 – 1882) hat gesagt: „Wahren Frieden findest du nur in dir selbst“. Das ist deshalb ein kluger Satz, weil er impliziert, dass wir die Verantwortung für uns haben, für unser Verhalten und die Verwirklichung unserer Lebensträume. Wir suchen und wollen alle Frieden, wir wollen mit unseren Nachbarn und Mitmenschen gut auskommen, aber damit wir das können, brauchen wir inneren Frieden. Und wir brauchen Vernunft! Bei dem Wort „Vernunft“ muss ich sofort immer an Immanuel Kant denken, den großen deutschen Philosophen aus Danzig, der nie aus seiner näheren Umgebung herauskam, aber wichtige Gedanken zur weiteren Erkenntnis beitrug. Beispielsweise: „Der Friede muss gestiftet werden, er kommt nicht von selber!“ Friede ist nicht die Abwesenheit von Krieg, sondern beruht auf Vertrauen und Gerechtigkeit. Es ist eine Haltung und die Bereitschaft zur offenen Kommunikation. Alle andauernden Auseinandersetzungen, insbesondere die gewalttätigen, lassen sich auf kommunikative Mängel zurückführen. Ich habe dafür vor einigen Jahrzehnten den Begriff „Infogaps“ geprägt. Je größer die Informationslücken sind, desto eher können wir in Streit geraten. Doch Konflikte werden keineswegs rational ausgetragen, sondern sind vielfach durch Gefühle wie Neid, Habgier und Machtdurst bestimmt. Häufig bleiben uns die Motive des Gegners fremd, weil er sich uns nicht offenbart, um seine Schwächen zu verdecken, die ihn zu aggressivem Handeln bewegen. Gerade aus dem oft unerklärlichen Verhalten der Diktatoren in der Weltgeschichte können wir darauf schließen, dass sie den Imageverlust in Kauf nehmen, weil ein Machtverlust ihr physisches Ende bedeuten würde und sie deshalb grausam und skrupellos alle Mittel einsetzen, genau dies zu verhindern. Von solchen Machtmenschen ein friedliches Einlenken zu erwarten, ist eher unwahrscheinlich, denn sie sind in dieser psychologischen Falle gefangen, ihren Völkern Härte und Unbeugsamkeit demonstrieren zu müssen. Was ist Freiheit? „Freiheit ist das Recht, anderen Leuten zu sagen, was sie nicht hören wollen!“ Diesen Satz sollte sich jeder einprägen, er stammt von George Orwell, dem englischen Autor von „1984“, dem bekannten Zukunftsroman über die Tendenzen des Überwachungsstaats. Angesichts der Ermordung von fünf Karikaturisten der satirischen Zeitschrift „Charlie Hebdo“ durch Terroristen sowie der Unterdrückung von Regimekritikern in vielen Ländern, ist das Thema Presse- und Meinungsfreiheit von brennender Aktualität. Die Idee der Freiheit, so sehr sie auch berechtigt und verständlicherweise einer der größten Lebensträume sehr vieler Menschen ist, für die sie oft sogar bereit sind ihre Heimat aufzugeben und sich dabei unkalkulierbaren Gefahren auszusetzen, ist von mannigfaltigen Missverständnissen begleitet. Es gibt keine Freiheit ohne Risiko. Um mit Jean-Jaques Rousseau zu sprechen, einem bedeutendem Denker des 18. Jahrhunderts, der Zeit der Aufklärung: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will.“ Womit wir direkt bei der aktuellen Diskussion über die Willensfreiheit sind! Hat der Mensch einen freien Willen? Zunächst einmal besteht sicherlich Einigkeit darüber, dass wir etwas wollen oder nicht wollen können. Wir haben also aus unserer Perspektive mindestens diese zwei Handlungsoptionen. Diese Tatsache besagt aber noch nicht, dass wir das, was wir wollen oder nicht wollen, aufgrund eigener Erkenntnisse anstreben. Denn fast alles, was wir wissen, sind gelernte Inhalte, die wir mehr oder weniger verstanden haben und für unsere Entscheidungen nutzen. Unsere Motivation, eine Handlung zu vollziehen, oder zu unterlassen, basiert folglich bestenfalls zu einem ganz geringen Teil auf eigenen Ideen und zu einem durchaus großem Teil auf Gefühlen. In der Hirnforschung scheint man heute davon auszugehen, dass unser Gehirn bereits die Entscheidung getroffen hat, bevor wir uns bewusst zu entscheiden glauben. Worin ich allerdings kein allzu schwerwiegendes Problem sehe, wenn wir damit einverstanden sind, was wir denken. Sehr viel problematischer wäre es für unsere Willenskraft, wenn wir nur unkritisch täten, was uns andere sagen und als unsere eigenen Wünsche verkaufen wollen. Wenn wir uns mit Neurobiologie beschäftigen, können wir lernen, dass Wünsche zunächst im Unbewussten entstehen, aufgrund unseres Wissens und unserer Erfahrungen abgewogen werden und dann die endgültige Entscheidung, beispielsweise einen Lebenstraum zu verwirklichen, wiederum im Unbewussten geschieht. Aus diesem Forschungsergebnis könnte natürlich geschlossen werden, dass der Mensch gar nicht anders handeln kann als er es tut. Im Prinzip ist einerseits diese Annahme mit großer Wahrscheinlichkeit richtig, doch wir haben andererseits die Chance, durch Bildung unsere Interessen und unser Verhalten zu beeinflussen. Durch die Sammlung persönlicher Daten und in Zukunft auch von Neuro-Daten kann die Meinungsfreiheit des Einzelnen möglicherweise stärker beeinflusst werden als uns das lieb sein kann. Schon heute ist eine gewisse Fremdbestimmung im Internet festzustellen, denn wir haben keinen Einblick in die Entscheidungsprozesse der Algorithmen. Insofern ist die bewusste Verwirklichung von Lebensträumen auch in dieser Hinsicht ein sehr gutes und absolut notwendiges Kontrastprogramm. Gibt es Freiheit in der Konsumgesellschaft? Wir hören immer wieder die politische Forderung nach mehr Wachstum, mit dem Ziel, dass es der Wirtschaft gut geht und auch den Arbeitnehmern, die dann mehr verdienen würden und gesicherte Arbeitsplätze hätten. Sicherlich, es gibt heute eine große Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen, aus denen man seine Wahl treffen kann. Aber handelt es sich dabei wirklich um eine freie Wahl? Oder wird sie nicht doch sehr stark eingeschränkt dadurch, dass die Budgets erstens sehr unterschiedlich sind und zweitens oft eine Manipulation im Bereich der Wünsche stattfindet? Und was die Arbeitsplätze angeht, die ja zu Recht als einer der besonders wichtigen Gradmesser für eine erfolgreiche Politik angesehen werden, steht es bei genauer Betrachtung in Sachen Transparenz nicht gerade zum Besten. Wer weiß schon, dass hier mit der Statistik gerne Nebelkerzen geworfen werden? Die Arbeitslosenzahlen, die in regelmäßig monatlich verkündet werden, enthalten nämlich längst nicht alle Erwachsenen, die ohne Arbeit sind. Wer sich nicht zur Arbeitssuche meldet, taucht in der Statistik nicht auf. Schüler, Studenten und Rentner sowieso nicht, obwohl manche sich gerne etwas dazuverdienen würden und es auch tun. Aber auch wer älter als 58 Jahre ist und Arbeitslosengeld bezieht, gilt nicht als arbeitslos. Ebenso diejenigen, die weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten und auch alle, die an irgendwelchen Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit teilnehmen. Und auch die Ein-Euro-Jobber sind nicht in der Statistik, genauso wenig diejenigen, die einen Gründungszuschuss erhalten. Dazu kommen die „Aufstocker“, die zwar mehr als 15 Stunden in der Woche arbeiten, aber deren Einkommen nicht zum Leben reicht. Auch Menschen, die vorübergehend krank geschrieben sind und solche, die kein Arbeitslosengeld bekommen, aber keine Arbeit haben, sind nicht erfasst. Auch die nicht ihre Pflichten bei der Jobsuche erfüllen, werden gestrichen. Dann gibt es noch die sogenannte Stille Reserve, so heißt das offiziell, die ihre Hoffnung aufgegeben haben, eine Arbeitsstelle zu finden und auch diejenigen, die gerne mehr arbeiten würden. Das sind einige Millionen Menschen im reichen Deutschland. Also zum Jubeln, was die angeblich so niedrige Zahl der Arbeitslosen angeht, besteht überhaupt kein Anlass.