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Just You, Just Me. Ein Intro.

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Mit 1919 ließe sich anfangen. Am 17. März 1919 wird ein Junge geboren, ein schwarzer Junge, in Montgomery, Alabama. Er wird getauft auf den Namen Nathaniel Adams Coles.

Die Welt hat gerade den ersten modernen, weltumspannenden Krieg erlebt und mit viel Leid und horrenden Verlusten überstanden. In vielen Ländern waren gleichzeitig alte, feudale Fesseln gesprengt und die verhassten Herren zum Teufel gejagt worden, mit der Hoffnung, daß nun endlich eine friedliche Ära der weltweiten Völkerverständigung begänne. Leuchtende Fanale dafür sind die Republiken, die in Europa, aber auch anderswo, ausgerufen werden. Die Revolution scheint friedlich erreichbar. Es scheint so.

In den Vereinigten Staaten stirbt Anfang des Jahres Theodor Roosevelt, seit 1913 amtiert Woodrow Wilson als Präsident, der einerseits an der Pariser Friedenskonferenz teilnimmt, aber in seiner Amtszeit auch die Rassentrennung wieder neu belebt und verschärft. Er ist ein Südstaatler, wie es sich gehört. Schwarze haben unter ihm nichts zu lachen, dafür macht er gerne Witze über sie.

Ein zweiter möglicher Start – mehr persönlich – wäre in etwa so: Eine Platte von ihm hatte ich nie. Meine Eltern auch nicht. In früher Jugend hörte ich Schlager: Heintje, Udo Jürgens und Alexandra. Es waren Lieder, die im Radio liefen, die ich irgendwann mitträllern konnte. Heißer Sand, Zwei kleine Italiener, Der lachende Vagabund, erste angloamerikanische wie No Milk Today, Yummy, Yummy, Yummy oder Moon River.

Bei steigendem Radiokonsum und der Nutzung des vatereigenen Telefunken-Tonbandgeräts kam er mir sicher unter, aber bewusst wahrgenommen, nein, kann ich mich nicht erinnern. Seinen Namen und sein Porträt sah ich zum ersten Mal in einem Sternzeichenbuch, das ich zum Geburtstag geschenkt bekam, dem Buch der Fische. Dem Zeichen, in dem ich geboren bin, Mitte März, noch Winter, aber kurz vor Frühlingsanfang. Für jeden Geburtstag waren da chronologisch wichtige Persönlichkeiten aus der Weltgeschichte gelistet.

Und bei meinem, dem 17. März, schaute ich genauer hin, wer da mit mir seinen Geburtstag feierte. Gottlieb Daimler, auch noch ein Mannheimer, nicht schlecht. Die Automobile damals fand ich großartig. Einfach schön. Dann Rudolf Nurejew, ein Balletttänzer, ein russischer.

Gut, auch Ballett gefiel mir. Aber ich war doch ein Junge!

Und dann lachte mich da dieser schwarze Mann an, mit einem schicken Anzug, vor dem uns unsere Mama, wenn wir, meine Schwester und ich, nicht schlafen wollten, warnte, Angst machte, daß er uns holen würde, der Buschobau. Dieser hier aber lächelte freundlich. Und war berühmt. Ein Jazzmusiker, ein Pianist, ein Sänger. Ja, das war ich auch! Zwar nur ein kleiner Sänger, aber immerhin. Wir sind beide an einem Montag geboren. Und jedes Jahr ist es der St. Patricksday, der irische Nationalfeiertag. Leider überschnitten sich die gemeinsamen Geburtstage nur für sechs Jahre. Als ich sieben wurde, war er bereits tot. Mit 45 Jahren, gestorben an Lungenkrebs. Zu viele Glimmstengel, so wie mein Vater, der sie lange selbst gedreht oder in Packungen wie Ernte 23 Kette rauchte.

Nach Mitternacht fliessen die Zeilen besser. Über die Hälfte der Menschheit schläft da bereits und macht keine Hektik mehr. Ich hör‘ meiner Spülmaschine zu. Trink‘ ein Glas Wein. Bin in meinem Gehäuse.

Ich geh‘ rüber ins Wohnzimmer und nehme das Cover in die Hand. Meine erste LP von Nat, letztes Jahr erworben. Eine besonders schwere Nachpressung von After Midnight, ‘56 eingespielt und ‘57 erstmals veröffentlicht. Mit Bonustracks. 180 Gramm.

Mit dabei sein Trio mit John Collins an der Gitarre, Charlie Harris am Bass, Jack Constanzo an den Bongos, aber auch Gastmusiker wie Harry »Sweets« Edison, Trompete, Willie Smith, Altsaxophon, Juan Tizol, Posaune, Stuff Smith an der Violine und Lee Young an den Drums. Hier, 1956, besinnt sich Nat noch einmal explizit auf seine Wurzeln, den Jazz und Swing der 30er Jahre.

Vorsichtig lege ich die schwarze Scheibe mit spitzen Fingern auf den Teller. Dieser beginnt sich zu drehen, das stahlblaue Label beginnt zu verschwimmen, die Saphirnadel wandert langsam in die Startposition und senkt sich in Zeitlupe in die Rille. Nach kurzem Knistern legt die Combo los. Nat perlt locker die erste Phrase – wie einen Klingelton – in die ersten Takte hinein und fängt an zu singen, parallel begleitet von einer genialen, straffen Saxophonlinie. Ein schneller Bop, so wie es gerade in ist. Just You, Just Me.

Ich setze mich in meinen Korbsessel und betrachte das Cover. Das Titelfoto durcharrangiert, komponiert, kein Schnappschuß. Nat im Zentrum, in weit geschnittenem, marinegestreiften Blouson, luftig, am dunkelbraunen Arm eine feine Muschelkette. Er sitzt – natürlich – am Piano und schaut nach links in ein imaginäres Publikum, nicht zum Betrachter selbst. Er lächelt. Allein auf ihm liegt die Tiefenschärfe. Im Bild links neben ihm auf den damals avantgardistischen Eames Chairs aufgereiht die Instrumente der Gäste: die Trompete, das Saxophon, die Geige, die Posaune, darunter liegen die Bongos von Jack Constanzo.

Hinter Nat, in der Unschärfe Charlie Harris am Bass, Lee Young an den Drums und John Collins an der fetten Jazzgitarre. Und – klar – sitzen und spielen sie in einem coolen, satinblauen Raum. Auf dem Piano ein weisses Blatt und daneben, ja was? Eine Klangschale, ein erleuchteter Riesenaschenbecher, eine Schale für Räucherwerk ... ? Ich sinniere. Könnte auch ein ... Nein, das kommt später.

Ein typisches Cover der Endfünfziger. Locker, cool, aber klar arrangiert. Designikonen neben musikalischen Ikonen. Die Rückseite faksimiliert, ebenfalls ganz typisch. Es gab noch keinen Fotosatz, geschweige denn digitale Fonts in Überfülle und Programme, die eine völlig freie Gestaltung ermöglichten. Saubere Spalten in Blocksatz, mit Trennlinien, wie in einer Tageszeitung, die Schrift, die die Setzerei hatte. Fertig. Hier auch wieder in schwarzweiß Nat und seine Gäste in Bullaugen. Nat selbstverständlich mit einer Kippe mit Spitze.

Nach Just You, Just Me jetzt Sweet Lorraine. Fragen gehen mir durch den Kopf: Was machte die Magie dieses Künstlers aus? Wie wenn er im richtigen Moment für viele den richtigen Ton getroffen hätte. Neu, aber auch vertraut. Wie könnte ich mich ihm und seiner Zeit angemessen nähern? Charakteristische Momente, aber auch ungewöhnliche Aspekte und Facetten zum Leuchten bringen?

Nat war der erste afroamerikanische Star mit einer eigenen TV-Show. Er war mit seiner charmanten Art und seiner Begabung ein Hoffnungsträger, einer, der mit seiner Musik, seinen Worten Rassenschranken durchbrach. Rassenschranken, die er zeitlebens selbst oft genug erleben musste. Er war ein Künstler, der mit seinem virtuosen Spiel und seiner Stimme sein Publikum zutiefst ansprach.

Und der – so kurz sein Leben auch war – zu Lebzeiten für viele, aber auch heute noch, fünfzig Jahre später, Balsam für die Seele bedeutet. Man braucht sich nur seine Aufnahmen anhören. Oder sieht sich seine Shows, seine Auftritte an. Er war und bleibt etwas besonderes.

Happy Birthday, Nat!

Nature Boy oder Wie man das Herz einer gepanzerten Lady gewinnt

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