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I. Warenproduktion und Privatrechtssystem

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Die Funktionsweise des Privatrechtssystems kann immanent juristisch nicht zureichend erfaßt werden. Die an das Privatrechtssystem geknüpften Rechtsverhältnisse sind »weder aus sich selbst zu begreifen (…) noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes (… sie wurzeln) vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen (…), deren Gesamtheit Hegel (…) unter dem Titel der bürgerlichen Gesellschaft zusammenfaßt«.1 Dem immanent juristischen Selbstverständnis, das die Entwicklung des Rechts als geistesgeschichtliche Parthenogenesis begreift, erscheint das Privatrecht im allgemeinen Willen des Privateigentümers, im jus utendi et abutendi begründet. Dieser »juristischen Illusion«2 steht ein einfacher Tatbestand entgegen: »In der Praxis hat das abuti sehr bestimmte ökonomische Grenzen für den Eigentümer, wenn er nicht sein Eigentum und damit sein jus abutendi in andere Hände übergehen sehen will, da überhaupt die Sache, bloß in Beziehung auf seinen Willen betrachtet, gar keine Sache ist, sondern erst im Verkehr und unabhängig vom Recht zu einer Sache, zu wirklichem Eigentum wird.«3

Privatrecht reduziert sich in unserem Verstande nicht auf den Inbegriff der juristischen Dogmatik, die mit der Regelung der Beziehungen der Privatrechtssubjekte befaßt ist; Privatrecht erscheint vielmehr als die rechtliche Form der sozialen Struktur4 – in dem Sinn wie Marx die Begriffe Produktions- und Eigentumsverhältnisse synonym verwendet.5

Das moderne bürgerliche Privatrechtssystem ist bezogen auf die ökonomische Struktur einer warenproduzierenden Gesellschaft; »der Aufstieg der Bedeutung des privatrechtlichen Kontrakts im allgemeinen (stellt) die juristische Seite der Marktgemeinschaft dar.«6 Diesen Zusammenhang hat Marx im »Kapital« analysiert. »Die Waren können nicht selbst zu Markte gehen und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehen, den Warenbesitzern. Die Waren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in anderen Worten, sie nehmen. Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehen, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des anderen, also jeder nur vermittels eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigene veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben.«7

Die Grundpfeiler des Privatrechtssystems: Eigentumsfreiheit mit ihren konnexen Freiheitsrechten8 Vertragsfreiheit, Vererbungsfreiheit, Gewerbefreiheit etc. sind Garanten des kapitalistischen Warenverkehrs und Mittel zu seiner Regelung.

Das bürgerliche Privatrecht hatte die feudalen Privilegien und zunftmäßigen Beschränkungen zersetzt. »Das Gewerbe war, soweit es handwerksmäßig betrieben wurde, durch die Zunftschranken, durch die bis ins einzelne genauen Vorschriften über die Art der Produktion, über die Zahl der Gesellen, über die Betriebsgröße usw. eingeengt. Soweit das Gewerbe Großbetrieb war, waren die vielen staatlichen Schranken aufgerichtet, die das Wesen der sog. merkantilistischen Wirtschaftspolitik ausmachten. Der Staat hatte nicht nur eine große Anzahl von Unternehmungen in seiner Hand, sondern auch die sog. freien Gewerbe waren durch alle möglichen staatlichen Reglementierungen, Privilegierungen, Konzessionierungen in ihrer Wirtschaftsführung unfrei; bis zur staatlichen Kontrollierung und Fixierung der Preise ging diese (…) Wirtschaftspolitik. Durch viele Regalien, wie das Forst-, Jagd-, Bergwerksregal, waren wichtigste Produktionsmittel der Verfügungsgewalt des Staates überliefert (…). Das alles wurde durch die umwälzende rechtliche Neuerung, die in der folgenden Zeitepoche geschaffen wurde, geändert.«9

Alle Menschen werden zu juristisch gleichen »Personen«, die sich der Gestaltungsmöglichkeiten des Privatrechts bedienen können. Die formale juristische Gleichheit fungiert aber als Vehikel ökonomischer Ungleichheit; die Garantie des Privateigentums, das gerade dadurch existiert, daß es für die meisten nicht existiert,10 und der an es geknüpften konnexen Freiheitsrechte dienen der gesellschaftlichen Minderheit der Besitzer der Produktionsmittel, die allein von den juristischen Möglichkeiten auch Gebrauch machen können.

Dies zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt. Gleichberechtigt stehen sich auf ihm der Arbeiter, der nur über seine Arbeitskraft verfügt, und der Besitzer der Produktionsmittel gegenüber. Beide »Personen« schließen einen »freien« Arbeitsvertrag, der durch keine vom Staat oder den Zünften festgelegten Regelungen vorherbestimmt ist. Der Inhalt des Vertrages wird durch den Produktionsmittelbesitzer festgesetzt. Auf ihre Bedingungen muß der Arbeiter, »(gezwungen) durch die Hungerpeitsche«11, eingehen. Koalitionsverbote, die im Frühliberalismus erlassen werden12, verhindern, daß die Arbeiter ihren Interessen kollektiv Ausdruck verleihen können.

Während in der Phase der Kleinwarenproduktion die Arbeitsmittel den Produzenten gehörten, Hersteller und Aneigner der Produkte identisch waren, nimmt das Privateigentum auf der Basis ökonomischer Ungleichheit, welche sich in der Periode der »ursprünglichen Akkumulation«13 durch die Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln ausgebildet hatte, Enteignungsfunktion für die unmittelbaren Produzenten an:14 da die gegenständlichen Arbeitsbedingungen unter der Verfügungsgewalt der kleinen Schicht der Kapitaleigentümer stehen, gehen die Produkte der Arbeit der unmittelbaren Produzenten ins Eigentum der Produktionsmittelbesitzer über.

Das durch die Trennung der Arbeiter von den Mitteln der Produktion konstituierte Kapitalverhältnis ist kein statisches Faktum, sondern reproduziert sich stets aufs neue. »Einerseits verwandelt der Produktionsprozeß fortwährend den stofflichen Reichtum in Kapital, in Verwertungs- und Genußmittel für den Kapitalisten. Andererseits kommt der Arbeiter ständig aus dem Prozeß heraus, wie er in ihn eintrat – persönliche Quelle des Reichtums, aber entblößt von allen Mitteln, diesen Reichtum für sich zu verwirklichen. Da er vor dem Eintritt in den Prozeß seine eigene Arbeit, ihm selbst entfremdet, dem Kapitalisten aneignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständlicht sie sich während des Prozesses beständig im fremden Produkt. Da der Produktionsprozeß zugleich Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten, verwandelt sich das Produkt des Arbeiters nicht nur fortwährend in Ware, sondern in Kapital, Wert, der die wertschöpfende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen, Produktionsmittel, die Produzenten anwenden. Die Arbeit produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eigenen Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsbedingungen getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter.«15 Die Aneignung des von den Arbeitern gemeinschaftlich hergestellten Produkts durch die ihnen als fremde Macht gegenüberstehenden Produktionsmittelbesitzer bezeichnet den Kern des aus dem bürgerlichen Privateigentum hervorgehenden Rechts. Mit dem privaten Aneignungsrecht des gesellschaftlich produzierten Reichtums steht und fällt das bürgerliche Privatrechtssystem; es gründet im Kapitalverhältnis, dem Gewaltzentrum des bürgerlichen Rechts. Den rechtstechnischen Anformungen des Privatrechts, insbesondere im Schuld-, Sachen-, Handelsund Aktienrecht, und der tagtäglichen Vertragspraxis liegt das private Aneignungsrecht als »Naturbasis« zugrunde.

1 K. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, Berlin 1971, S. 8.

2 K. Marx, F. Engels, Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, Berlin 1969, S. 63.

3 Ebenda, Hervorhebung von mir.

4 Vgl. G. Radbruch, Klassenrecht und Rechtsidee, in: Der Mensch im Recht, Göttingen 1961, S. 23 ff.

5 »Auf einer gewissen Stufe der Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen.« K. Marx, a. a. O. (Anm. 1), S. 9. Zur These des kurzen Vermittlungsschritts zwischen Rechtsformen und ökonomischen Verhältnissen vgl. E. Paschukanis, Allgemeine Rechtslehre und Marxismus, Frankfurt 19693, S. 53 ff., E. Bloch, Das Materialismusproblem, seine Geschichte und Substanz, Frankfurt 1972, S. 392 f.

6 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Halbband, Köln/Berlin 1964, S. 513. »Das Maß der Vertragsfreiheit, d. h. der von der Zwangsgewalt ›gültig‹ garantierten Inhalte von Rechtsgeschäften, die relative Bedeutung also der zu solchen rechtsgeschäftlichen Verfügungen ›ermächtigenden‹ Rechtssätze innerhalb der Gesamtheit einer Rechtsordnung ist natürlich Funktion in erster Linie der Marktverbreiterung.« Ebenda, S. 509.

7 K. Marx, Das Kapital I, MEW Bd. 23, Berlin 1967, S. 99. Vgl. auch ausführlicher K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 155.

8 Vgl. K. Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion, Stuttgart 19652, S. 87 ff.

9 K. Diehl, Die rechtlichen Grundlagen des Kapitalismus, Jena 1929, S. 7 f.

10 K. Marx, F. Engels, Das kommunistische Manifest, MEW Bd. 4, Berlin 1971, S. 477.

11 M. Weber, Wirtschaftsgeschichte, Berlin 19583, S. 240.

12 F. Neumann, Koalitionsfreiheit und Reichsverfassung, Berlin 1932, S. 5 f.

13 K. Marx, Das Kapital, a. a. O. (Anm. 7), S. 741 ff.

14 Vgl. hierzu im Anschluß an Marx K. Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts, a. a. O. (Anm. 7).

15 K. Marx, Das Kapital I, a. a. O. (Anm. 7), S. 595 f.

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