Читать книгу Mit Segenskreuz und Handy - Joachim Schroedel - Страница 4
ОглавлениеZUR ORIENTIERUNG
»Sie können in ganz Nordafrika Gemeinden gründen«! Ein Satz, mit dem mir augenzwinkernd der damalige Leiter des »Katholischen Auslandssekretariats«, Pfarrer Norbert Blome, den Weg nach Ägypten ebnete!
Seitdem sind mehr als 20 Jahre vergangen. Zwei Jahrzehnte Seelsorgetätigkeit in Ägypten und von hier aus fast »sternförmig« in Syrien, dem Libanon, Jordanien, zeitweise Israel, Libyen, Eritrea und Äthiopien.
Dieses Büchlein soll keine Biographie sein, sondern Einblick in die Arbeit und das Leben eines Menschen geben, der seit September 1995 fest in der Region lebt und bereits 1976/77 und 1979/80 in Palästina/Israel sein kleines »Zuhause« gefunden hatte. Dabei wird viel Persönliches gesagt werden, wichtiger aber ist mir, dass der Leser Einblick in eine Region erhält, die gerade heute als eine der problematischsten Regionen der Welt angesehen wird. Der »Nahe Osten« scheint seit Jahrzehnten ein Pulverfass zu sein, dem man sich eigentlich nicht nähern sollte. Die politische Situation überdeckt dabei den Blick auf die Menschen, die hier leben. Ägypter und Palästinenser, Syrer und Jordanier, Libanesen, Hunderttausende von Arbeitern aus dem fernen Osten … und natürlich auch Tausende von Deutschsprachigen. Und blickt man auf die Religionen und Konfessionen; neben den Muslimen, die zweifelllos den größten Bevölkerungsanteil des Nahen Ostens darstellen, gibt es Christen! Dies wird, nach meiner Erfahrung, allzu oft geflissentlich übersehen.
Aber es sind eben nicht nur Christen der, wie es bei uns in Deutschland zumeist heißt, »beiden großen Kirchen« (und damit sind Katholiken und Protestanten gemeint, unter geradezu sträflicher Missachtung der Orthodoxen oder Orientalen!).
Mit drei Geschichten, die eigentlich exemplarisch für die letzten 20 Jahre sind, möchte ich beginnen.
Warum wollen Sie dort sterben?
Seit Mitte der achtziger Jahre hatte ich die große Freude, an der St. Lioba – Schule in Bad Nauheim als Schulseelsorger und Religionslehrer tätig zu sein. Durch meine Freisemester, die ich in Jerusalem verbringen durfte (1976-77) und durch einen weiteren Aufenthalt nach Beendigung meines Studiums (1979-80), bei dem ich mich prüfen wollte, ob ich eine Berufung zum monastischen Leben hätte, war ich zum Liebhaber des Nahen Ostens und vielleicht auch etwas zu einem kleinen Experten geworden. In der Tat ist wohl bei diesen Aufenthalten die Grundlage geschaffen worden, auch heute noch im Nahen Osten zu leben – nach immerhin fast 40 Jahren.
Immer war es mir eine Freude, über Jerusalem, das Heilige Land zu beiden Seiten des Jordan und über die ganze Region zu berichten und so das »Fünfte Evangelium« (Pater Bargil Pixner, einer meiner Professoren an der Dormitio-Abtei hat wohl diesen Begriff geprägt) mit in die Verkündigung einzubeziehen. Einmal war ich von einer Gruppe Religionslehrern eingeladen, einen Studientag über das Heilige Land zu halten. Grundlage für meine Vorträge war der historische (oder historisierte) Weg des Volkes Israel und des Stammvaters Abraham.
Ich muss wohl mit so viel Begeisterung erzählt haben, dass in einer Vortragspause einer der Kollegen zu mir kam und sagte: »Ihnen merkt man die Liebe zur ganzen nahöstlichen Region wirklich an«! Meine spontane Reaktion: »Ja, ja; wahrscheinlich werde ich dort auch mal sterben.«
»Warum wollen Sie dort sterben?«, fragte er mich. Er kenne einen Religionslehrer-Kollegen, der an einer deutschen Schule in Kairo unterrichten würde. Leider hätte man dort keinen katholischen, deutschsprachigen Priester … und seit Jahren würde man vom »Katholischen Auslandssekretariat« einen Seelsorger erbitten. Doch die Bischöfe stellten ja wohl niemanden frei …
Wenn ich wollte, würde er den Kontakt zu diesem Kollegen einmal herstellen. »Vielleicht wäre vor dem Sterben im Nahen Osten auch noch etwas Seelsorge für eine deutsche Gemeinde möglich« – sagte er schmunzelnd.
Leider habe ich den Kontakt zu diesem Kollegen verloren. Doch er war es, der den »Startschuss« gegeben hatte.
»Warum wollen sie dort sterben?« – Ein Satz, der mich dann in den letzten 20 Jahren manchmal auch fast handgreiflich begleitet hat. Ägypten, so musste ich eben auch erfahren, ist nicht nur das Land von Sonnenschein, Pyramiden und Meer; es ist auch ein Land größter sozialen Unterschiede und Verwerfungen. Ein Land, in dem Armut und mitunter echte Verzweiflung herrschen. Aber immer wohl auch ein Land, das durch die Religion und die Furcht vor der Strafe Gottes geprägt ist.
Eine zweite Geschichte, jetzt schon aus Ägypten, schließt sich an.
Geld her! Oh, ein Abuna!
Es war vor einigen Jahren nach dem Empfang der Deutschen Botschaft zum Tag der Deutschen Einheit. Seit 2005 lebe ich »auf dem Lande«, nicht zuletzt auch, um unseren Gemeindegruppen (Kinder, Jugendliche, Senioren, ausländische Besucher) eine Art »Pfarrhaus« zu geben – und ganz egoistisch auch für mich, der nach dem Stadtleben in einer 20-Millionen-Stadt genug von den Abgasen und dem ständigen und krankmachenden Lärm hatte. Wer in sog. »Mega-Citys« lebt weiß; lange Wege zurücklegen gehört zum Alltag.
Gegen 23:00 Uhr fuhr ich also durch die Nacht zu meiner »gated community«, einem Ensemble von 14 Häusern hinter einem mehr oder weniger effektiven Zaun und mit Wächtern, die sich in Schichten abwechseln und ihre Runden drehen.
Die Straßen außerhalb der Stadt sind meistens unbeleuchtet. Etwa einen Kilometer vor meinem Ziel wurde die Straße durch drei junge Männer blockiert. Eine Kalashnikov (ich kannte diese Waffe, denn kurz nach der Revolution vom 25. Januar 2011 hatten die Sicherheitskräfte unserer Häuser mehrere davon, und auch ich musste mich an der Waffe üben …) sprach Bände. Die beiden anderen Burschen sahen auch nicht unbedingt sehr friedlich aus. Noch bevor ich von ihnen aufgefordert wurde, mein Auto zu verlassen setzte ich, über das Handy, noch eine Facebook-Nachricht ab: »Werde gerade überfallen!«
Dann aber stieg ich aus. Der Blick der Jungen, zunächst eher martialisch und drohend, änderte sich schlagartig. Plötzlich sahen sie verdutzt und betroffen aus. Was war geschehen? Ich selbst hatte nicht daran gedacht: Ich war in meiner paspelierten Monsignore-Soutane mit purpurnem Zingulum unterwegs! Und bei meinen fast 1,90 m wurden sie eher ängstlich. Vor allem; sie hatten erkannt: Mein Gott, ein Abuna (abuna, arabisch: mein Vater, also die Bezeichnung für einen christlichen Geistlichen)! Das Segenskreuz in meiner Hand (Lateiner kennen dies eher nicht, aber für orientalischen Christen ein wichtiges Zeichen!) verriet ihnen noch mehr: Jetzt galt es für sie, auf der Hut zu sein, denn es begegnete ihnen »ein Mann Gottes«.
Meinen Mut zusammen nehmend fuhr ich sie an, was das solle, jemanden auszurauben. Und ich sagte kurz: »Rabbina zaalaan giddan!« – Gott wird sehr traurig/wütend sein. Sicher verstörte sie Einiges. Ein offensichtlich doch ausländischer Abuna, der mit ihnen einige Worte Arabisch spricht und sie zudem auf ihre Sünde aufmerksam macht. Mit »ahna asfin« – wir entschuldigen uns – machten sie mir den Weg frei, nicht ohne zu bemerken: wa-lakin ahna muslimin quayyesin – wir sind gute Muslime. Und beim Einsteigen sagten sie noch deutlich: »Sorry«.
Die dritte Geschichte macht frohen Mut.
Hilfe in der Nacht
Wieder einmal wurde es ein langer Tag, und ich fuhr spät über meine mir eigentlich bekannte Straße nach Hause. Urplötzlich tauchte aus dem Dunkel der Nacht vor mir ein großer Müllberg auf! Häufig kommt es leider vor, dass, wegen fehlender Müllabfuhr, besonders auf dem Land, der Müll einfach an den Straßenrand gekippt wird. Diesmal hatte ich die besondere Freude, über einen Berg Bauschutt zu rattern. Ich konnte zwar etwas ausweichen, aber das Geröll des Bauschutts beschädigte wohl einige wichtige Motorteile – und ich blieb, mitten auf der Straße gegen Mitternacht mit einem Motorschaden liegen. Ich war etwa 5 Kilometer von meinem Ziel entfernt. Der Mond schien nicht, Straßenbeleuchtung, wie fast immer, funktionierte nicht.
Man sagt zwar, in Kairo wäre 24 Stunden pro Tag »etwas los«, es sei eine der Städte der Welt, die niemals schlafen – aber dies trifft eben nicht für Kairos ländliche Gebiete zu. Ich stelle mich auf eine etwas längere Wartezeit ein und hatte zudem ein »mulmiges Gefühl«. Einmal war ja ein versuchter Überfall gut ausgegangen, aber würde das die Regel sein?
Nach 10 Minuten kam ein Motorrad, darauf drei (!) junge Männer. Sie fuhren zunächst einige Meter an mir vorbei, dann kehrten sie um und fragten, ob ich Hilfe bräuchte. Doch eigentlich hatten sie es schon gesehen: »al arrabiya atlana« – der Wagen ist defekt! Sie fragten mich, wo ich wohnte. Und nach meinen Erklärungen sagte sie: »Wir helfen Dir!« Zwei hatten schwarze Plastiktüten in Händen. Sie baten, ob sie die in mein Auto legen könnten. Ich stimmte zu, und so landeten 3 Flaschen »Stella local« (die traditionelle Biermarke Ägyptens) auf meinem Rücksitz. Sie seien wohl Christen, fragte ich vorschnell. »Natürlich nicht«, sagten sie eilfertig. Und mit dem Blick auf die Tüten meinten sie: »Wir haben heute viel gearbeitet, sind Bauarbeiter. Das macht Durst!«
Dann banden sie ein Seil von ihrem Motorrad ab und befestigen es an meinem Auto. Die Drei setzten sich auf ihr Motorrad und zogen so mein armes Gefährt bis vor meine Haustür. Niemals hatte ich gehört, dass ein kleines Motorrad ein Auto abschleppen kann. In Ägypten zumindest gelang es.
Ich war glücklich und wollte meinen Helfern ein Bakshish (Trinkgeld) geben. Und ich war sicher, dass sie es dankbar annehmen wollten. Aber: Weit gefehlt! Mehrfach lehnten sie energisch ab! Sie können kein Geld nehmen, denn sie hätten doch eine gute Tat getan, und kein Geschäft gemacht. Und außerdem: Von einem Priester wollen sie ebenso wenig Geld nehmen, wie von einem Scheich! Bete für uns – sagten sie beim Abschied. Ich habe sie niemals wieder gesehen, meine treuen Helfer ….
Was sagen mir diese drei Geschichten?