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2. Der ultimative Chartbreaker: Von null auf eins und fünf nach zwölf!

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Baby love – Supremes

Ich öffne die Tür. Vor mir steht Ada. Und ein Stockwerk über uns ruckelt der Kosovare vor seiner Tür auf dem Treppenabsatz herum – auf Stelzen.

»Adä, you come to my show tonight?«, krächzt Milo von oben, während gegenüber die Wohnungstür aufgeht und Holgi zu uns auf den Flur schlurft. Mein Nachbar schaut zu Ada und mir, dann hoch und blökt: »Was geht ’n hier wieder für ein Punk ab?«

Welch ein Anblick: Obenherum trägt Holgi seine vollständige Elvis-Montur. Und zwar nicht Elvis, Memphis, Tennessee, 1956, rank, schlank, gut aussehend, sondern Elvis, Las Vegas, 1976/77, mit weißem, paillettenbesetztem Jackett plus chromglänzender Breitwandsonnenbrille in der gedunsenen Gesichtsmaske. Sein öliges Langhaar hat Holgi zusätzlich mit Pomade gebändigt und zu einem schulterlangen Pferdeschwanz verknüpft, sodass uns seine freigelegten Frühsiebzigerkoteletten regelrecht ins Auge springen.

»Kann i vielleichd mol naikomma, odr sollet dia Babbnohsa do älles midgriaga?«

Dass Ada schwäbisch spricht, werte ich als schlechtes Zeichen: »Äh, klar doch, ich mein, was gibt’s denn so Wichtiges, ich denke, du bist bei der Arbeit…«

»Schwätz koin Bäbb, Buala. Lass mi nai, sonsch gibd’s Ärgr, Toni, so isch des.«

Holgi spitzt die Ohren. Ärger in der engeren Nachbarschaft wittert er spürsicher wie ein Zollhund am Flughafen die Kokapaste im Handgepäck eines kolumbianischen Drogenkuriers.

»Ada, Toni, ich will euch ja nicht zu nahe treten, so ein Streit bringt nichts! Ihr müsst vernünftig reden miteinander«, sprudelt es aus ihm heraus.

Holgi als Fachmann in Sachen Beziehungsberatung? Meines Wissens hat er seit Jahren keine Frau mehr in die Nähe seiner Wohnung gelassen, zumindest seit seine Messie-Höhle fast ausschließlich aus Autoprospektestapeln besteht.

Entsprechend beachtet Ada Holgi nicht weiter. Und ich vergesse schlichtweg, den Türrahmen freizumachen und meine Geliebte hereinzubitten. Ada neigt den Kopf zu meinem Ohr.

»Ich war gerade bei Frau Gerstung.«

Ada sieht mich durchdringend an, und ich heuchle interessiertes Erstaunen an ihrer hochdeutschen Feststellung.

»Ach, Frau Gerstung. Wie geht es ihr?«

Schon ist Ada den Tränen nahe, und ich habe leider nicht die leiseste Ahnung, wer Frau Gerstung ist.

»Geht’s ihr nicht gut? Ich mein, Frau Gerstung.«

»Wie’s ihr geht? Frau Gerstung ist meine Frauenärztin, und ich bin in der zehnten Woche schwanger.«

Mir schwindelt.

»Moment mal?«, sagt Holgi. Und das denke auch ich.

Sofern mir mein Gehörsinn nicht gerade einen ganz üblen Streich gespielt hat, toppt in diesem Moment gerade ein neues Problem, mit Namen zehnte Woche, die Spitze meiner persönlichen Problem-Charts.

»Wie, zehnte Woche?«, stammle ich und sehe Ada flehend an.

»Ich, Ada Teßloff, bin in der zehnten Woche schwanger!«

Irgendwas stimmt hier nicht.

»Von wem?«, entfährt es mir.

»Von dir, du Schwachkopf!«

Schwangerer Altpunk-Schwachkopf will aber kein Kind, schießt es mir durch den Kopf. Und jetzt bin ich wirklich platt und bewege die Lippen wie ein Fisch.

Holgi gibt den Elvis und richtet seinen Zeigefinger auf Ada.

»Du bist schwanger?«

Dann zielt er auf mich.

»Von Toni?«

»Jungs, wenn ihr schon alle da seid. Mehr schwanger geht gar nicht«, sagt Ada.

»Dann schon mal alles Gute von meiner Seite.« Holgi Helvis, unser Paartherapeut, nimmt einen tiefen Schluck aus seiner Astraknolle.

»Horni Hornig wird Vater! Ich halt’s im Kopf nicht aus!«, schüttet Holgi sich aus, wobei sein Kopf wie bei einem Wackelhund auf der Hutablage im Auto hin und her pendelt.

»Was ist denn daran so ungewöhnlich?«, will ich jetzt wissen.

»Schon gut, Toni, versteh mich nicht falsch, hätt ich dir bloß überhaupt nicht zugetraut.«

Holgi trottet zu seiner Wohnungstür. Schlurf, schlurf. Und seine halb offenen Original-Siebzigerjahre-Galoschen verursachen das gleiche Geräusch wie seine runtergelatschten Hausschuh-Pantoletten, die ebenfalls aus der Erbmasse seines alten Herrn stammen.

»Alter, ich werd Taufpate, darauf geb ich einen aus.«

Ich lächle schwach und sage: »Verdammt, Ada, du kriegst ein Kind!«

»Wir kriegen ein Kind.«

»Ja klar, wir kriegen ein Kind!«

Ada fixiert mich wie einen bewegungsgestörten Autisten, dem gerade das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom diagnostiziert, das Ritalin von der Kasse gestrichen und die Pflegeversicherung gekündigt wurde. Auf jeden Fall verrät ihr Blick, dass sie sich den Vater ihres Kindes irgendwie anders vorgestellt hat.

Unser Mann von oben hat seine Stelzen abgeschnallt und gesellt sich zu uns. Ich versuche einen kühlen Kopf zu bewahren und zähle erst mal eins und eins zusammen.

»Ada, verrat mir bitte: Das geht doch rein rechnerisch gar nicht. Wir beide haben seit Ewigkeiten nicht mehr miteinander geschlafen!«

»Seit genau einem Monat!«

»Das ist aber lang!«, meint Paartherapeut Holgi, der vor seiner Wohnungstür stehen geblieben ist und mitfühlend nickt.

»That’s totally normal for pregnant women«, erklärt der Stelzenläufer. »I, myself, hab zwei children and two mothers in Kosovo.«

»Two mothers«, staune ich.

»Vier Wochen no sex, das ist no problem, only female hormones.«

»Aber wir haben doch aufgepasst!«, werfe ich in die Expertenrunde.

»Nicht verhütet?«, fragt Holgi ernst.

Ada schüttelt den Kopf und blickt hilfesuchend von mir zu unserem neuen Nachbarn – was geht den das überhaupt an? –, dann zu Holgi, den jetzt offenbar ein neuer Geistesblitz gestreift hat.

»Nur mal angenommen – also gesetzt den Fall – vielleicht ist Toni ja gar nicht der Vater?«

Ada, der Puppenspieler und ich setzen feindselige Mienen auf.

»Ich mein ja bloß«, sagt Holgi, er fühlt sich offenbar in die Enge getrieben. Ich fixiere die drei, beiße mir auf die Unterlippe, balle die Rechte zur Faust, schiebe den angewinkelten Arm rasch vor und zurück und rufe: »Leute, was zieht ihr so lange Gesichter? Ich werde Vater! Und das wird gefeiert.«

»Meinst du das ernst?«, fragt Ada und sieht mich ungläubig an.

»Ich hab nie was ernster gemeint.«

»Happy birthday, Adä, Toni«, kräht Milo, die hässliche Bauchpuppe, und schüttelt den Kopf. »We have to go upstairs: rehearsal. Hope you come all to my show tonight. I will put you on the guest list. Eintritt frei. You will see last time my old Kosovo-program.« Dann stakst er nach oben ab in seine Wohnung.

Auch Holgi wird unruhig. Er hat genug gesehen und gehört. Sein Interesse an Ada, mir und dem Embryo in ihrem Bauch scheint verflogen: »Noch mal die allerherzlichsten Glückwünsche«, singsangt jetzt Holgi Helvis, die alte Rampensau. Er zielt mit dem Zeigefinger auf Ada und mich: »See you later, old Holgi muss auf Sendung. And please do not forget to listen to Holger-Helvis-Räädiioo – hört mal rein nachher, Leute, wie jeden dritten Freitag im Monat, wenn es wieder heißt: Welcome to Helvis-Räädiioo mit dem einzigen one and only true Holgi Helvis, hail, hail, Punk ’n’ Roll!«

»Komm endlich rein«, sage ich zu Ada und nehme meine Geliebte fest in die Arme.

»Toni. Ich liebe dich, und ich will endlich einen Schlüssel für deine Wohnung«, flüstert sie.

»Kriegst du, und ehrlich – wir packen das mit dem Baby!«

Ada schaut immer noch etwas skeptisch, und dann rollen ihr wieder Tränen über die Wangen. Sie geht in meine Küche und setzt sich.

»Ich muss Schachting in der Redaktion Bescheid sagen, dass ich schwanger bin, Toni!« Ich reiche ihr ein Tempo.

»Das hat doch Zeit«, erwidere ich.

»Nein, ich finde es nur fair, dass die rechtzeitig planen können. Ich fahr gleich noch bei ELLA vorbei.«

Während sich Ada weiter die Tränen abwischt, suche ich im Küchenschrank vergeblich nach dem Zweitschlüssel.

»Ich finde das Teil nicht.«

»Toni, du musst dich ändern, bis das Kind da ist. Zumal, wenn wir dann zusammenwohnen!«

»Aber Ada, das Kind ist ja noch gar nicht auf der Welt!«

Ada lässt ihren Tränen wieder freien Lauf. Ich reiche ihr das nächste Papiertaschentuch.

»Woher kennst du eigentlich den Bauchredner?«, frage ich Volltrottel.

»Toni. Ich will einen Schlüssel zu deiner Wohnung, und wenn wir es nicht schaffen zusammenzuziehen, dann…«

Ada geht ohne Abschiedskuss und schlägt die Tür hinter sich zu.

Während ich meine Küche nach dem verdammten Schlüssel auf den Kopf stelle, höre ich vom Treppenhaus noch Adas Schluchzen. Dabei müsste ich sogar noch einen dritten haben. Verdammt. Ganz plötzlich wird mir flau im Magen. Und völlig unvermittelt tut sich der Boden unter meinen Füßen auf. Ich, Anton Hornig, blicke in die Abgründe meines bisherigen Lebens. »I’ve got Angst in my pants«, wie die Sparks diesen Zustand mal so treffend besungen haben. Wieder mal befällt mich diese diffuse Angst vor Bindung und Verantwortung. Zu wenig Geld, kein fester Job und seit Jahr und Tag an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Andere kriegen ihr Leben doch auch gebacken – und das viel früher. Und jetzt bekomme ausgerechnet ich ein Kind. Ich muss mich ablenken, haste in den Flur, sehe mich um. Der Anrufbeantworter blinkt. Scheißblechelse. Ich drücke auf Wiedergabe, Herrn Blümchens Telefonstimme quäkt: »Blümchen hier. Ich freu mich auf Hamburg und die Remo-Smash-Party. Und bring mal was zu lesen mit von deinem selbstgeschreibselten Kram. Ankomme Hauptbahnhof, zwanzig nach zwölf, und tschö.«

Noch mal verdammt. Es ist fünf nach zwölf.

HimbeerToni

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