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Der neue Hochdamm

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Da durch den Bau des ersten Staudammes keine Vergrößerung der Anbaufläche im Niltal (von dem etwa 1 Mio. qkm großen Staatsgebiet waren nur rund 35.000 qkm landwirtschaftlich nutzbar) erzielt worden war und sich die Einwohnerzahl des Landes, die 1927 noch 14 Mio. betragen hatte, bis 1964 fast verdoppelt hatte, begann man in den 1950er Jahren unter Gamal Abdel Nasser mit der Planung eines weiteren Nilsperrwerks. So entstand zwischen 1964 und 1970 rund 7 km weiter im Süden der etwa 3,6 km lange und 111 m hohe Hochdamm, der Sadd el-Ali. Im Mai 1964 begann man damit, das Flussbett des Nils in seiner vollen Breite von 550 m und über eine Strecke von 980 m zuzuschütten und die gesamten Wassermassen unmittelbar östlich des alten Laufes in einen Umleitungskanal zu zwingen, für dessen Ausschachtung Millionen von Kubikmetern Granit herausgesprengt und abtransportiert werden mussten. In dieser Rinne passiert das Nilwasser seither die Durchlassrohre des seinerzeit größten Wasserkraftwerks der Welt, dessen zwölf Generatoren jährlich rund 9 Mrd. kWh Strom erzeugen sollten. Während das kleine Kraftwerk am alten Staudamm lediglich die Stadt Assuan mit elektrischer Energie versorgt, ermöglichte das neue leistungsfähige E-Werk die Einrichtung stromintensiver Industriezweige im ganzen Land wie der Aluminiumhütten von Nag Hammadi oder der Stickstoffdüngerfabrik KIMA am Rand von Assuan. Die offizielle Fertigstellung des Hochdammes wurde am 21. Juli 1970 mit der Inbetriebnahme der zwölften und letzten Turbine seines Kraftwerks gefeiert. Hinter ihm staute sich der rund 5000 qkm große Nassersee stromaufwärts auf eine Länge von fast 600 km bis über Wadi Halfa im heutigen Sudan hinaus. Die Breite des „Nubischen Meeres“, wie man den Stausee mittlerweile oft bezeichnet, schwankt dabei zwischen 5 und 35 km. Anders als sein kleinerer Vorgänger verfügte der neue Hochdamm in der schließlich von einem russischen Konsortium (daran erinnert das als stilisierte Lotosblüte gestaltete Denkmal der ägyptisch-russischen Freundschaft am westlichen Ende des Sperrwerks) realisierten Version über keinerlei Schleusen mehr, so dass der fruchtbare Schlamm sowie die meisten Fische im Stausee zurückgehalten werden und auch keine Schiffe mehr das Kataraktengebiet durchfahren können. Die ursprünglichen, von einer deutschen Firma ausgearbeiteten Pläne hatte noch eine solche Passage vorgesehen, die dann aus politischen und finanziellen Gründen gestrichen wurde. Seit der Fertigstellung des Dammes gibt es in Oberägypten auch keine Überschwemmungen der Felder mehr, denn solange nur dessen alter Vorläufer den Nil regulierte, stieg der Flusspegel zwischen Juli und Oktober noch um etwa 5–7 m an.

Mit dem zurückgehaltenen Wasser und neuen Kanälen wurde die landwirtschaftlich nutzbare Fläche rasch um ein Drittel gesteigert, dennoch waren die Bewohner Unternubiens Leidtragende des technischen Fortschritts. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten sie nach dem Bau des alten Dammes ihre angestammten Dörfer und Felder auf beiden Nilufern räumen und auf die landwirtschaftlich nicht nutzbaren Felshänge am Stauseeufer ausweichen müssen. Lediglich wenn im Sommer in Assuan die Schleusen geöffnet wurden, sank der Wasserspiegel so weit ab, dass für wenige Wochen die einstigen Felder und Weiden wieder für Ackerbau und Viehzucht zugänglich wurden. So präsentierte sich Unternubien schon vor der Errichtung des Hochdammes als breiter Wasserstreifen zwischen den gelben Sandhängen der Libyschen Wüste im Westen und den schwarzbraunen Felsen der Arabischen Wüste im Osten, die jeweils nur in großen Abständen von – dann allerdings sehr malerischen – nubischen Gehöften und kleinen Grünflächen unterbrochen wurden. Doch auch diese Areale mussten die Nubier mit der Erstellung des Hochdamms aufgeben. Ab Herbst 1963 wurden sie in ein neu geschaffenes Siedlungsgebiet zwischen Kom Ombo und Edfu, rund 60 km nördlich von Assuan, zwangsumgesiedelt. Dort hatte die Regierung in Neu-Kalabscha, Neu-Debod usw. Siedlungen in einheitlichem Stil errichten lassen, die gegenüber den gewohnten weitläufigen Gehöften eine immense Einengung der Wohnverhältnisse darstellten. Da die neuen Dörfer inmitten der Wüste lagen, wurde die Umgebung durch die Anlage von Bewässerungskanälen für die landwirtschaftliche Nutzung erschlossen.

Durch den Bau des neuen Hochdammes drohten aber auch so bedeutende Monumente wie die beiden Felstempel von Abu Simbel unwiederbringlich verloren zu gehen. Deswegen ersuchten Ägypten und der Sudan die internationale Staatengemeinschaft um Unterstützung bei der Rettung der nubischen Denkmäler. Als Reaktion darauf rief am 8. März 1960 Vittorino Veronese, der damalige Generalsekretär der UNESCO, in Paris zu einem weltweiten Hilfsprojekt auf, an dem sich zahlreiche Nationen beteiligten. Die Ausführung dieser internationalen Bemühungen fiel dann in die Amtszeit (1961–1974) des nachfolgenden UNESCO-Generalsekretärs René Maheu.

Als Folge der Rettungskampagne zählt das heute überflutete unternubische Gebiet zu den archäologisch am besten erforschten Regionen der Welt. Vor allem trug eine Reihe von Entdeckungen dazu bei, das Bild gründlich zu revidieren, das die Wissenschaftler bis dahin von Nubien hatten. Denn dieses war bislang im Wesentlichen durch die Schilderungen geprägt, die bereits die alten Ägypter und nach ihnen die antiken Historiker der griechisch-römischen Welt über diese Region hinterlassen hatten. Für die Archäologen der Gegenwart schien deren eher geringschätzige Beurteilung ihrer südlichen Nachbarn allein schon durch die Tatsache bestätigt zu sein, dass Nubien über Jahrtausende nur schriftlose Kulturen hervorgebracht hatte. Im Verlauf der Geschichte musste sich die dortige Bevölkerung für ihre schriftlichen Aufzeichnungen zunächst erst einmal der ägyptischen Hieroglyphen bedienen, bevor sie im 2. Jh. v. Chr. eine eigene, die meroitische Schrift entwickelte; und selbst diese war aus dem Ägyptischen abgeleitet. Umso größer war die Überraschung, als man erkennen musste, dass vor allem während der prähistorischen Periode und der Frühzeit Nubien dem Gebiet des später um 3000 v. Chr. gegründeten pharaonischen Staates kulturell zumindest ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen war, was vor allem die elaborierte Keramik, für die es außerhalb Nubiens keine Parallelen gibt, überaus anschaulich demonstrierte. Auch die nachfolgenden (ober)nubischen Reiche von Kerma, Napata und Meroe verkörperten trotz des unterschiedlich starken ägyptischen Einflusses eigenständige innerafrikanische Kulturen, denen nicht nur umgekehrt Ägypten kulturelle Elemente verdankte, sondern die auch weiter ins Innere des afrikanischen Kontinents ausstrahlten und beispielsweise, wie aktuelle Forschungen anzudeuten scheinen, auch die zentralnigerianische Nok-Kultur inspiriert haben könnten.

Abu Simbel und die Tempel des Nassersees

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