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Berufspolitiker handeln vor allem egoistisch
ОглавлениеWenn man das Verhalten und die Entscheidungen der Berufspolitiker betrachtet, drängt sich der Eindruck geradezu auf, dass diese vor allem egoistische Motive verfolgen und deshalb nicht das Wohl des deutschen Volkes zum Maßstab für ihre Entscheidungen machen, sondern den eigenen Vorteil. Das hat zur Folge, dass Entscheidungen, die zwar das Wohl der „einfachen“ Menschen mehren würden, aber zugleich Nachteile für die Berufspolitiker mit sich brächten, von den Berufspolitikern im Bundestag nicht beschlossen werden.
Natürlich kann man nicht in den Kopf der Berufspolitiker hineinsehen. Aber es gibt eine ganze Reihe von Indizien, die darauf hindeuten, dass Berufspolitiker überproportional egoistisch veranlagt sind und deshalb in den entscheidenden Momenten nicht gemeinwohlorientiert handeln, sondern egoistisch. So führt zum Beispiel das geltende Wahlrecht dazu, dass hauptsächlich solche Personen als Abgeordnete in den Bundestag einziehen, für die Politik nicht Dienst am Gemeinwohl ist, sondern die Chance, sich persönlich zu bereichern.
Nach dem Grundgesetz kann prinzipiell jeder volljährige Deutsche Abgeordneter im Bundestag werden. Er oder sie muss nur gewählt werden. Und die wichtigste Voraussetzung um gewählt zu werden, ist, dass man von einer der etablierten politischen Parteien unterstützt wird. Man kann zwar auch als unabhängiger Einzelbewerber oder für eine kleine oder neue Partei antreten, aber in den letzten 60 Jahren zogen ausschließlich solche Kandidaten in den Bundestag ein, die von CDU, CSU, FDP, SPD, Grünen oder der Linken unterstützt wurden.
Das liegt zum einen daran, dass viele Menschen in Deutschland „Parteien“ wählen und nicht „Personen“. Wer für eine der etablierten Parteien als Direktkandidat antritt, wird schon allein aufgrund dieses Umstands viele Stimmen erhalten, selbst wenn die Wähler sonst nichts weiter über ihn wissen. Dagegen muss sich ein unabhängiger Bewerber erst einmal bei den Menschen im Wahlkreis bekannt machen. Dazu benötigt er die Hilfe der Medien, also insbesondere Fernsehauftritte, Werbespots und Zeitungsanzeigen. Zudem bedarf es der klassischen Wahlkampfmittel wie Plakate, Infostände und öffentlicher Auftritte. Das alles erfordert einen erheblichen finanziellen, personellen und organisatorischen Aufwand, den sich normalerweise kein Kandidat alleine leisten kann. Wer in den Bundestag will, ist deshalb auf die Unterstützung durch eine schlagkräftige Organisation angewiesen.
Die etablierten Parteien sind dabei vor allem deshalb so erfolgreich, weil sie ständig in den Massenmedien präsent und bei den Menschen im Land dementsprechend bekannt sind. Die meisten Menschen erhalten ihre politischen Informationen ausschließlich aus dem Fernsehen oder den großen Zeitungen. Das, was die Wähler von einer Partei halten, wird somit maßgeblich von der Berichterstattung der großen Medien über diese Partei bestimmt.
Eine Partei, die von Zeitungen und Fernsehsendern regelmäßig als kompetent und erfolgreich dargestellt wird, kann mit einem guten Wahlergebnis rechnen. Dagegen wird eine Partei, die als unfähig oder zerstritten präsentiert wird, von den Wählern auch genauso negativ wahrgenommen. Eine Partei, über die gar nicht berichtet wird, existiert im Bewusstsein der meisten Wähler schlicht nicht.
In der Regel berichten die großen Medien aber nur über die Positionen der sechs etablierten Parteien CDU, CSU, FDP, SPD, Grüne und Linke. Alle anderen Parteien werden inhaltlich weitgehend ignoriert. Wie oft kommt es in einer Zeitung oder einer Fernsehsendung zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Positionen der ÖDP, der NPD oder der Tierschutzpartei? Um in den Bundestag gewählt zu werden, benötigt man also unbedingt die Unterstützung durch eine der sechs etablierten Parteien. Doch diese Unterstützung gibt es nicht umsonst.
Bevor man von einer der etablierten Parteien aufgestellt wird, muss man erst die „Ochsentour“ durch den Parteiapparat machen. Das bedeutet, dass man ganz unten im Ortsverband anfängt und sich dann langsam hochdient. Viele Jahre lang muss man bei möglichst vielen Sitzungen präsent sein, sich im Wahlkampf aktiv einbringen, Plakate kleben, Info-Stände betreiben und Seilschaften knüpfen. Nach durchschnittlich 15 Jahren hat man es dann mit etwas Glück geschafft, und wird von seiner Partei als Kandidat für den Bundestag aufgestellt – aber nur, wenn man sich mit der Parteiführung gut stellt.
Die Parteiführung liegt fast immer in der Hand von Berufspolitikern, die genügend Zeit, Geld und Macht haben, um Seilschaften zu pflegen und Belohnungen zu verteilen („Zuckerbrot“). Die aussichtsreichen Listenplätze und Wahlkreise erhalten deshalb nur die Parteimitglieder, die loyal zur Parteiführung stehen. Wer nicht spurt, wird nicht aufgestellt („Peitsche“).
Um die Ochsentour erfolgreich zu bestehen und als Kandidat aufgestellt zu werden, muss man sich ein Netz von Unterstützern und Gefolgsleuten in der eigenen Partei schaffen. Man muss bereit sein, viele Stunden in sinnlosen Sitzungen zu verbringen, hohle Phrasen zu ertragen und sich mit Leuten gut zu stellen, die man eigentlich nicht leiden kann. Das erfordert viel Zeit und die Möglichkeit, viele Jahre am selben Ort zu leben. Menschen, die beruflich sehr engagiert sind und jeden Tag 10 bis 12 Stunden arbeiten oder öfters umziehen, haben deshalb kaum eine Chance, im Parteiapparat aufzusteigen. Der Preis für die Ochsentour ist somit der Verzicht auf eine Karriere in der freien Wirtschaft, der Wissenschaft oder der Kultur. Menschen, die eine echte Leidenschaft für etwas haben und auf diesem Gebiet Herausragendes leisten, werden deshalb eher nicht Berufspolitiker.
Die meisten Berufspolitiker sagen von sich, sie seien deshalb Berufspolitiker geworden, weil sie etwas bewegen wollten. Und das nehme ich ihnen durchaus ab, allerdings nur für den Zeitpunkt ihres Eintritts in eine der etablierten Parteien. Nach kurzer Zeit erfährt nämlich jeder, wie es praktisch läuft:
Die wirklich wichtigen Entscheidungen werden stets nur von einer Handvoll führender Politiker in irgendwelchen Kungelrunden im Hinterzimmer getroffen. Die einfachen Parteimitglieder haben nichts zu sagen. Und sogar die meisten Berufspolitiker, die als Abgeordnete im Bundestag sitzen, haben keinerlei Einfluss auf die relevanten politischen Entscheidungen. Oder hat die Bundeskanzlerin etwa die Vor- und Nachteile der hunderte Milliarden schweren „Euro-Rettungspakete“ ernsthaft mit den mehr als 200 Hinterbänklern der CDU/CSU-Fraktion diskutiert?
Der „normale“ Berufspolitiker kann praktisch gar nichts bewegen. Und trotzdem bleiben viele Berufspolitiker freiwillig im Bundestag und lassen sich sogar wiederwählen. Was treibt sie an? Vielleicht die Hoffnung, irgendwann in der Partei so weit aufzusteigen, dass sie selbst zum erlesenen Kreis der Mächtigen gehören, die wirklich entscheiden? Doch die Chancen dafür sind minimal. Und die wenigsten Berufspolitiker riskieren es, einen der Parteiführer herauszufordern und ihm seinen Platz streitig zu machen.
Die überwiegende Mehrheit der Berufspolitiker sitzt also im Bundestag, ohne Einfluss auf die wirklich wichtigen Entscheidungen zu haben und ohne Aussicht darauf, dass sich daran etwas ändern wird. Aber irgendetwas müssen sie sich doch davon versprechen?
Und in der Tat, es hat gewisse Vorteile, als Berufspolitiker im Bundestag zu sitzen. Ein Bundestags-Abgeordneter erhält nämlich Zahlungen und sonstige Leistungen im Wert von über 350.000 Euro jährlich. Dazu gehören: Diät (8.252 Euro monatlich), steuerfreie Kostenpauschale (4.029 Euro monatlich), Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 50 Prozent. Hinzu kommt eine „Altersentschädigung“ in Höhe von 2,5 Prozent der Diät pro Jahr der Abgeordnetentätigkeit. Für jedes Jahr im Bundestag erhält ein Abgeordneter also später eine Rente in Höhe von 199 Euro monatlich.
Außerdem erhält jeder Abgeordneter kostenfrei ein 54 m² großes Büro, 12.000 Euro jährlich für Büroausstattung und 15.053 Euro monatlich für Mitarbeiter. Reisekosten werden erstattet, es gibt eine Bahncard 100 für die erste Klasse und beim Ausscheiden aus dem Bundestag wird ein „Übergangsgeld“ von einem Monat pro Jahr der Abgeordnetentätigkeit gezahlt.
Das ist zwar erheblich weniger, als man durch eine Karriere in der freien Wirtschaft verdienen kann. Gutbezahlte Manager verdienen über eine Million Euro im Jahr. Andererseits sind die monatlichen Zahlungen an einen Abgeordneten in Höhe von 12.000 Euro erheblich mehr, als viele Berufspolitiker sonst im richtigen Leben je verdienen würden. Normalerweise kommt es beim Einstieg in die besten Positionen nämlich nach wie vor auf die fachliche Qualifikation und die Sozialkompetenz des Bewerbers an. Wer da nicht zum Zug kommt, hat die Wahl, ob er sich mit einem Job als kleiner Angestellter zufrieden gibt oder ob er versucht, in der großen Politik Fuß zu fassen.
Für Menschen, die keine echten „High Potentials“ sind, kann sich der Einstieg in die Politik deshalb durchaus lohnen. Gerade auch, weil es für die Wahl zum Abgeordneten kein offizielles Qualifikationsprofil gibt. Um Abgeordneter zu werden, benötigt man weder eine bestimmte Ausbildung, noch besondere fachliche Kompetenzen.
Trotzdem schafft es nicht jeder. Denn auch wenn fachliche Kompetenz und Gemeinwohlorientierung keine Auswahlkriterien sind, gibt es bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten, die für eine erfolgreiche Ochsentour erforderlich sind. Zu Zeit und Immobilität müssen sich noch ein gewisses rhetorisches Talent und schauspielerische Fähigkeiten gesellen. Zudem erleichtern bestimmte Charaktereigenschaften den Weg durch den Parteiapparat.
Dazu gehört die Fähigkeit, sich unterzuordnen und die eigene Meinung zurückzunehmen, wenn das dem eigenen Fortkommen dient. Man darf keine Scheu haben, sich gegen Konkurrenten durchzusetzen und eigene Skrupel und moralische Bedenken auch einmal Beiseite zu lassen. Vorteilhaft sind auch ein stark ausgeprägtes Karrierestreben und ein starker Egoismus. Man muss bereit sein, die Grenzen der „political correctness“ peinlich genau einzuhalten. Zudem sollte man sich in den Medien erfolgreich darstellen können.
Daraus ergibt sich folgendes faktische Anforderungsprofil: deutsche Staatsangehörigkeit, mindestens 18 Jahre alt, Mitglied in einer der etablierten Parteien, viel Zeit, die Bereitschaft, mindestens 15 Jahre am selben Ort zu bleiben, rhetorisches Talent, schauspielerische Fähigkeiten, die Bereitschaft, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten, Sitzfleisch, Durchsetzungsfähigkeit, Netzwerker, starkes Karrierestreben, starker Egoismus, mediengerechte Selbstdarstellung, politische Korrektheit.
Die tatsächliche Zusammensetzung des Bundestages und der anderen Parlamente (Landtage und Europäisches Parlament) entspricht weitgehend diesem Anforderungsprofil. Im 2009 gewählten Bundestag beträgt der Anteil der Juristen mehr als 20 Prozent, der der Lehrer fast 10 Prozent. Ungefähr ein Drittel der Abgeordneten kommt aus dem öffentlichen Dienst.
Viele Abgeordnete sind nach dem Studium über die Mitarbeit in einer Partei, einer Gewerkschaft oder sonstigen Lobbygruppe direkt in den Bundestag gekommen („Kreissaal – Hörsaal – Plenarsaal“). Sie haben weder praktische Lebenserfahrung außerhalb der Politik gesammelt, noch haben sie selbst und eigenverantwortlich etwas Erfolgreiches geschaffen.
Dagegen sind Menschen, die außerhalb des politischen Betriebes schon erfolgreich waren, deutlich unterrepräsentiert. Es gibt kaum Abgeordnete, die vor ihrem Einzug in den Bundestag in der freien Wirtschaft Spitzenpositionen innehatten oder gar erfolgreich ein Unternehmen gegründet oder geleitet haben. Es gibt kaum Künstler, Schriftsteller oder Sportler. Hausfrauen sind ebenso selten, wie Arbeitslose, Behinderte oder Schüchterne.
Das geltende Wahlrecht schafft somit gerade für solche Menschen einen hohen Anreiz, sich für ein Bundestagsmandat zu bewerben, die dadurch ihre finanzielle und soziale Lage erheblich verbessern können. Wer wirklich etwas leisten oder bewegen will, wird nicht 15 Jahre lang die intellektuell wenig fordernde Ochsentour auf sich nehmen, sondern sein Glück in der freien Wirtschaft, der Wissenschaft oder der Kultur suchen. Das gilt insbesondere für Leute, die zu den Besten ihres jeweiligen Fachs gehören. Die „Ochsentour“ nehmen deshalb in der Regel nur solche Leute auf sich, deren intellektuelle und charakterliche Fähigkeiten nicht für eine Karriere außerhalb der Politik reichen.
Dadurch kommt es zu einer Negativ-Auslese. Gewählt werden nicht die Bewerber, die für ein Amt fachlich und charakterlich am besten geeignet sind, sondern diejenigen, die mit der Parteiführung gut auskommen und sich in den Medien geschickt inszenieren.
Deshalb ist in der Realität kaum ein Abgeordneter fachlich besonders qualifiziert, zumindest nicht für den Bereich, in dem er sich hauptsächlich betätigt. Bei der Besetzung von wichtigen (Regierungs-)Posten kommt es in erster Linie auf die Parteizugehörigkeit und den Proporz an. Wie anders lässt sich sonst erklären, dass ein Arzt (Philip Rösler) erst Gesundheitsminister wird (was ja noch nachvollziehbar ist), um dann Knall auf Fall Wirtschaftsminister zu werden? Was befähigt ihn dazu? Und die Liste dieser Beispiele ist lang.
Der einstige Hoffnungsträger der CSU, Karl Theodor zu Guttenberg, hat das Erste Juristische Staatsexamen mit 6,8 von 18 möglichen Punkten absolviert. Mit diesem Ergebnis wäre er weder in einer erfolgreichen Anwaltskanzlei eingestellt worden, noch im öffentlichen Dienst oder als Richter. Trotzdem wurde er 2009 erst Wirtschafts- und dann Verteidigungsminister. Irgendwelche erkennbaren objektiven Qualifikationen hatte er dafür nicht. Sogar sein Doktortitel wurde ihm aberkannt, weil er seine Dissertation im Wesentlichen bei anderen abgeschrieben hatte.
Oder Guido Westerwelle. Er benötigte für seine juristische Ausbildung insgesamt 11 Jahre und damit doppelt so lang, wie üblich. Nachdem er drei Jahre in der Anwaltskanzlei seines Vaters mitgearbeitet hatte, war er nur noch für die FDP tätig. Was qualifizierte ausgerechnet ihn für das Amt des Vizekanzlers und Außenministers?
Erfrischend ehrlich ist insoweit die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Müller von den Grünen. Mittlerweile räumte sie in diversen Fernsehsendungen freimütig ein, dass sie vor ihrer Ernennung zur Ministerin mit Gesundheitspolitik nichts am Hut hatte und deshalb auch nicht wusste, worum es dort inhaltlich eigentlich geht.
Das vorrangige Ziel der meisten Berufspolitiker ist es somit nicht, das Wohl des deutschen Volkes zu mehren, sondern die eigene Wiederwahl zu sichern und aus der Position als Abgeordneter möglichst viele eigene Vorteile herauszuschlagen. Oder kurz gesagt: Die meisten Abgeordneten im Bundestag sind mehr oder weniger unfähige Egoisten, die alles tun, um wiedergewählt zu werden. Das ist aber nicht abwertend gemeint.
„Unfähig“ heißt ja nur, dass die Berufspolitiker in der Regel für die Ämter, die sie übernehmen nicht ausgebildet sind und ihnen die Fähigkeiten und Charaktermerkmale fehlen, die man bräuchte, um diese Positionen zum Nutzen der Allgemeinheit effektiv auszuüben.
„Egoistisch“ bedeutet, dass die Berufspolitiker in erster Linie auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und nicht auf das Wohl der Allgemeinheit. Das ist eine evolutionär bedingte, genetisch verankerte Verhaltenstendenz. Beides kann man den Berufspolitikern deshalb nicht vorwerfen. Denn jeder Mensch versucht, aus seinem Leben das Beste zu machen. Und für eine bestimmte Sorte von Menschen ist es eben am einfachsten, Berufspolitiker zu werden, um ein angenehmes Leben zu führen. Das ist ihre ökologische Nische.