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Wir bekamen sie zum Spottpreis
Musik ist mein Leben. Zumindest war das viele Jahre lang so. Ende der Siebzigerjahre verdiente ich mir beim legendären Bill Graham meine Sporen als Bühnenmanager und Tontechniker im Fillmore East und arbeitete in Europa unter anderem für die Rolling Stones. Ich liebte Rock ’n’ Roll und das dazugehörige Leben: die Welt bereisen, unterschiedliche Kulturen erleben, sich niemals auf eine schnöde Existenz mit geregelten Arbeitszeiten einlassen.
Zugegeben, Rockstars sind nicht immer die einfachsten Leute, mit denen man zusammenarbeiten kann, doch im Großen und Ganzen überwogen die positiven Aspekte. Ich war jung, Single und angetan vom freigeistigen, vagabundenhaften Lebensstil. Er passte zu mir, und ich bewährte mich bei so ziemlich jeder Aufgabe, die sich mir stellte.
Doch nichts hätte mich auf den siebenjährigen Trip mit Van Halen vorbereiten können. Wenn ich von „Van Halen“ spreche, dann beziehe ich mich auf die originale Besetzung der Band, die 1985 mit dem Ausstieg von David Lee Roth ihr Ende fand. (Ich nahm ungefähr zur selben Zeit wie er meinen Hut, was, wie ihr sehen werdet, kein Zufall war.) Nichts gegen Sammy Hagar – ein guter Sänger und nach dem, was man so hört, ein angenehmer Zeitgenosse –, doch die echten Van Halen starben mit dem Abschied von David. Ich meine das sowohl als Kompliment als auch als Schmähung, da Davids Ausstieg zum Niedergang einer Band führte, die sich auf dem Höhepunkt ihrer Möglichkeiten und Popularität befand und die Musikszene locker noch ein Jahrzehnt hätte beherrschen können, wenn gesunder Menschenverstand und Vernunft obsiegt hätten.
Vielleicht ist das ja auch einer der Gründe, warum Van Halen so großartig waren: Fast von Anfang an wirkte diese Band, als ob ihr nur eine geringe Halbwertszeit beschieden wäre. Zu viel Talent, zu viel Ego, zu viele unvereinbare Charaktere, zu viel Drogen und Alkohol. Die Musiker mussten daher gleich richtig gut sein, weil sie auf keinen Fall lange zusammenbleiben würden.
Nicht, dass mir das im späten Januar 1978 bewusst gewesen wäre, als ich einen Anruf von Carl Scott erhielt, Senior Vice President von Warner Bros., der für den Aufbau der Künstler und Touren zuständig war. Damals lebte ich zwar eigentlich in New York, doch hatte ich im Hyatt House auf dem Sunset Boulevard so etwas wie ein zweites Zuhause gefunden. Das Hyatt House trug den Spitznamen „Riot House“, da es sich bei Bands, die gerade in Los Angeles weilten, um im Whisky a Go Go oder einem der anderen nahegelegenen Clubs zu spielen, besonderer Beliebtheit erfreute. Wie schon gesagt, der Rock ’n’ Roll war mein Lebensinhalt – egal, ob ich gerade auf Achse war oder nicht. Ich war 31 Jahre alt und passte gut in dieses Hotel, das regelmäßig von zugedröhnten Rockern mitsamt ihren Entouragen heimgesucht wurde. Da fühlte ich mich zu Hause. Nun, es gab dort weniger Kakerlaken, aber man kann schließlich nicht alles haben, oder?
Obwohl rein technisch unabhängiger Unternehmer mit bestimmtem Auftrag, war ich letzten Endes aber doch auch ein Angestellter von Warner – und Carl Scott mein Mentor. Carl – ein begnadeter Geschäftsmann und mit einem großen Herzen gesegnet – brachte mir viel über die Musikindustrie bei und sah zu, dass ich ständig mit Arbeit eingedeckt war. Obwohl ich in meinen jungen Jahren in erster Linie als Tontechniker und Bühnenmanager unterwegs gewesen war, hatte ich damals gerade eine kurze, aber dennoch überaus denkwürdige Zeit als Tourmanager der Sex Pistols hinter mir – jener berüchtigten Punkband um Sänger John Lydon alias Johnny Rotten und den Bassisten bzw. Junkie Sid Vicious. Die Pistols – 1975 vom Londoner Künstler, Boutiquenbesitzer und Bilderbuch-Narziss Malcolm McLaren als eine Art Gimmick zusammengestellt – schickten sich an, dem englischen Klassendenken den Mittelfinger entgegenzustrecken, und bewarben gleichzeitig kostenlos McLarens Laden. Nach einigen Besetzungsänderungen und der Veröffentlichung des bahnbrechenden Punk-Albums Never Mind the Bollocks avancierten sie kurzfristig wenn schon nicht zur angesagtesten, dann zumindest doch zur umstrittensten Band der Welt. Keiner polarisierte so wie sie.
Die Sex Pistols waren der Vorzeige-Act der aufstrebenden Punk-Bewegung; sie bedienten sich sowohl bei den Ramones aus New York als auch bei all den britischen Bands, die vor ihnen gekommen waren. Sie waren explosiv und giftig, angetrieben nicht etwa von dem Wunsch, die musikalische Landschaft umzukrempeln, sondern vielmehr von einer tödlichen Kombination aus Wut, Alkohol, Drogen und jugendlichem Überschwang. Sie schlugen hart und schnell zu und demolierten alles, was sich ihnen in den Weg stellte, nur um schließlich auszubrennen, noch bevor sie wirklich in die Gänge gekommen waren. Obwohl sie von Kritikern aufgrund ihres offenkundigen Nihilismus und ihrer Bühnen-Eskapaden – Vicious schnitt sich etwa mit zerbrochenen Bierflaschen und Lydon gab sich größte Mühe, das Publikum mit seinen Tiraden in Rage zu versetzen – mitunter abqualifiziert wurden, hatte die Band mehr zu bieten, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Tatsächlich handelte es sich bei den Pistols nämlich um eine sensationelle Band, deren einziges Album zu den einflussreichsten und umjubeltsten LPs aller Zeiten gehört. Sie waren ein unerbittlicher Live-Act, der ältere und gesetztere Vertreter der Musikindustrie verschreckte – ganz zu schweigen von den Eltern jener Jugendlichen, die sich Never Mind the Bollocks kauften und ihre Shows besuchten, obwohl diese nicht nur als rau und tumultös, sondern sogar als richtiggehend gefährlich galten. Ungeschliffen wie sie waren, machten sie ihren Mangel an musikalischer Kultiviertheit mittels eines irren Energie-Levels und einer Live-Show wett, die stets drohte, in pure Anarchie auszuarten. Dass sie oftmals betrunken oder zugedröhnt zu ihren Konzerten oder Interviews erschienen und nicht ungern auch mal Reporter und unbeteiligte Zuschauer beschimpften, war de facto noch ein Bonus und trug letztendlich nur zu ihrer Strahlkraft und Vermarktbarkeit bei.
Natürlich gab es auch Probleme. Als die Sex Pistols im Januar 1978 zu ihrer ersten und einzigen US-Tour anreisten, war die Führungsetage von Warner Bros. gleichzeitig sowohl aus dem Häuschen als auch verängstigt. Hier handelte es sich ja um eine wichtige Band mit einem enormen kommerziellen wie künstlerischen Potenzial. Aber die Pistols galten auch als Truppe, die in vielerlei Hinsicht so schwierig und herausfordernd war, dass sie jeden Moment implodieren konnte. Ihre Konzerte zu Hause in Großbritannien waren regelmäßig von Gewalt und obszönen Bühnenansagen geprägt. Verzögerungen und Absagen waren an der Tagesordnung, da Veranstalter und lokale Behörden sich einfach nicht mit einer Sex-Pistols-Show belasten wollten.
Und wer hätte ihnen das verdenken können?
Ihre US-Tour sollte weniger als zwei Wochen dauern und konzentrierte sich – ausgerechnet – auf den tiefen Süden des Landes, der, gelinde gesagt, nicht unbedingt als Brutstätte der Punk-Gegenkultur galt. Mir wurde die Aufgabe zuteil, diese angeblichen Halunken durch ein Milieu zu lotsen, dessen Stimmung irgendwo zwischen besoffener Bewunderung und ungeschminkter Feindseligkeit hin und her schwankte. Das Schöne an den Sex Pistols war, dass ihnen beides ziemlich am Arsch vorbeiging. Sie kämpften und vögelten sich querfeldein durchs Land, verwüsteten Hotels und verwickelten dabei Freund und Feind in muntere Handgemenge. Sid war inzwischen ein richtiger Heroin-Junkie, dessen Verstand mitunter am seidenen Faden zu hängen schien. So simulierte er etwa in Baton Rouge Oralsex auf der Bühne oder bespuckte bei einer Show in Dallas eine Frau mit Blut, während er unter Entzugserscheinungen litt. Lydon widerte Sids Verhalten an. Er war mittlerweile nicht nur der Tour, sondern, wie sich herausstellen sollte, der ganzen Band überdrüssig. Es wuchs sich alles zu einem Albtraum aus, der zu den berüchtigtsten und bedeutendsten Kapiteln der Rock ’n’ Roll-Historie zählt, was zum Teil auch daran liegt, dass sich die Band im Anschluss an die Tour auflöste.
Ich befand mich mittendrin und schrieb später auch ein Buch darüber. So wie bei allen großen Geschichten, bei denen es ums Überleben geht, hat auch hier der Faktor Zeit ein Übriges dazu beigetragen, ihren Reiz noch zu erhöhen.
Die Tour an sich war sicher kein Desaster. Allein, dass sie zustande kam, grenzte schon an ein kleines Wunder. Nein, streicht bitte kleines. Es handelte sich nämlich um ein verdammt großes Wunder – und nachdem alles vorüber war, hatte ich mir ordentlich Respekt vonseiten der Warner-Führungsriege verdient. Diese Tour, so kurz sie auch war, half dabei, die Sex Pistols in den USA zu einer berühmt-berüchtigten und erfolgreichen Band zu machen. Somit stellte sie für Carl Scott und mich den großen Durchbruch dar.
Denkt mal darüber nach, was das hieß: Ich war der Tourmanager, womit ich für so ziemlich alles verantwortlich war, wenn es darum ging, die Band von Stadt zu Stadt und von Auftrittsort zu Auftrittsort zu schaffen. Ich war derjenige, der sich jeden Morgen hinter den Telefonhörer klemmte, um die Jungs aus ihrem trunkenen Schlummer zu wecken: „Raus aus den Federn! Packt eure Sachen, in einer Stunde brechen wir auf!“ Das machte mich nicht unbedingt zum beliebtesten Mitglied im Tour-Tross, aber irgendjemand musste sich ja darum kümmern, und ich erledigte meine Aufgabe mit großer Professionalität – selbst an Tagen, an denen ich sie einfach nur gerne mit einem Gartenschlauch abgespritzt hätte, um dann den Dienst zu quittieren.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass nicht ich für die Zusammenstellung der Konzerte zuständig war. Es war auf McLarens Mist gewachsen, diese unflätig daherredenden britischen Punks in eine Reihe von Redneck-Saloons zu schicken und dann mitanzusehen, wie die Fetzen flogen. Hört sich doch witzig an, nicht wahr? Ich kümmerte mich um sämtliche logistischen Aspekte der Tour, was im Grunde darauf hinauslief, dass ich rund um die Uhr den Babysitter für Sid und die Jungs spielen musste. Nachdem ich sie jeden Morgen aufgeweckt hatte, sorgte ich dafür, dass sie gefüttert, getränkt und gewaschen wurden, bevor ich sie in Taxis packte und zu den jeweiligen Locations verfrachtete. All dies lastete auf meinen Schultern – und als die Pistols in den USA aufschlugen, war das in der Tat ein stattliches Gewicht, das es da zu stemmen galt. Für meinen Aufwand erhielt ich wöchentlich die fürstliche Summe von 500 Dollar. Weder Kranken- noch Rentenversicherung war da inbegriffen. Nichts.
Doch ich zog es durch – und es gelang mir, die Sache nicht allzu krass in den Sand zu setzen, was schon ausreichte, um meinen Stellenwert bei Warner Bros. deutlich zu verbessern. Ein paar Tage nach Ende der Pistols-Tour wurde ich dann in die Warner-Büros nach Burbank zu einem Meeting mit Carl Scott bestellt – vorgeblich, um mir für meine Arbeit zu danken und mich für meine Dienste zu entlohnen.
„Schau vorbei und bring deine Buchführung mit“, sagte Carl. „Es ist an der Zeit, die Schulden zu begleichen.“
Einer der Ersten, die ich sah, als ich das Gebäude betrat, war Ted Cohen, der Leiter „besonderer Projekte“. Er kümmerte sich von Boston und Burbank aus um seine Agenden. Die Sex-Pistols-Tour gehörte offenkundig zu diesen „besonderen Projekten“, weshalb Ted und ich vor und während der Tour oft miteinander gesprochen hatten. Dies war aber nun das erste Mal, dass ich ihn nach Abschluss der Tournee zu Gesicht bekam.
„Bitte schön, Noel“, rief er und warf mir ein Shirt zu. „Probier es gleich an.“
Das Shirt war – typisch Rock ’n’ Roll – in Schwarz gehalten. Auf der Vorderseite stand „I survived the Sex Pistols tour“. Das stimmte. Ich hatte die Tour tatsächlich überlebt. Weshalb ich Ted ein Lächeln schenkte.
„Danke, Mann.“
Weiter ging es in Carls Büro, wo wir eine Weile über die Tour plauschten. Ich überreichte ihm meine Abrechnung, damit Carl mir einen Scheck ausstellen konnte. Tatsächlich glaubte ich, dass ich schon bald wieder aufbrechen würde. Doch bevor ich mich auf die Socken machen konnte, lenkte Carl die Unterhaltung in eine völlig andere Richtung.
„Wir haben da diese neue Band“, sagte er. „Ich glaube, sie werden einer der größten Acts, die wir seit langer Zeit unter Vertrag genommen haben.“
„Und wie lautet der Name?“, fragte ich.
„Van Halen. Die werden riesig.“
Ich würde ja gerne behaupten, dass mein Interesse in diesem Moment geweckt wurde oder ich den Hauch des Schicksals spürte, als ich den Namen hörte bzw. Carls Prophezeiung vernahm. Dem war aber nicht so. So sehr ich Carl auch bewunderte und respektierte, so sehr wusste ich doch auch, dass Führungskräfte von Plattenfirmen sich gerne mal vom Hype und Optimismus um eine Band anstecken lassen und glauben, es handle sich dabei um eine bahnbrechende Entdeckung.
„Ganz wie du meinst, Carl. Wie kann ich helfen?“
Er lehnte sich nach vorne und parkte seine Ellbogen auf seinem Schreibtisch. „Noel, du verstehst nicht. Kein Bullshit: Diese Band ist verdammt noch mal brillant. Ich habe Tonbänder von ihrem Studiokram gehört. So eine Band haben wir noch nie gehabt.“ Er hielt inne und deutete mit dem Zeigefinger auf mich. „Du und ich, wir werden uns gemeinsam um dieses Projekt kümmern. Wir verhelfen dieser Band zum Durchbruch. Das wird dein Leben verändern.“
Ich konnte ja nicht ahnen, wie richtig er damit lag. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich absolut nichts über Van Halen, und mir war nicht bewusst, dass dieses Quartett südkalifornischer Kids bereits erfolgreich die Gegend rund um ihre Heimatstadt Pasadena unsicher gemacht hatte. Keiner von ihnen stammte ursprünglich von dort, was, wenn man darüber nachdenkt, eigentlich die Wahrheit über Los Angeles gut zusammenfasst. Allerdings verkörperten sie perfekt die Westküstenkultur der Surfer, Stoner und Partytiger. Vielleicht waren sie ja nicht in Los Angeles geboren worden, doch sie waren mit dem hiesigen sonnigen Klima aufgewachsen, hatten die lokalen Highways erkundet und die von Smog erfüllte Luft geatmet – und letzten Endes waren sie hier heimisch geworden. All dies machte sich auch in ihrem Sound und ihrer Einstellung bemerkbar – diesem prinzipiellen Glauben daran, dass auf der Welt nicht viel zählte außer Bongs, Babes und Partys, wie man auch aus ihren Texten herauslesen konnte.
Sie liebten Kalifornien, und Kalifornien wiederum liebte sie. Noch Jahre nach meinem Abschied traf ich Leute – auf der Straße, bei Ralph’s oder an der Tanke –, die Stein und Bein schworen, sie hätten Van Halen bei einer Hausparty spielen gesehen. Das waren Hunderte. Vielleicht handelte es sich dabei ja bloß um Wunschdenken ihrerseits, vielleicht aber hatten die Jungs tatsächlich schon in ihren Anfangstagen so viele Leute erreicht.
Van Halen starteten wie so viele Bands in der Highschool – oder zumindest fast. Alex und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Edward waren durch ihren Vater Jan, einen niederländischen Jazzmusiker, praktisch im Musikbusiness aufgewachsen. Ihre Mutter Eugenia war indonesisch-niederländischer Abstammung. Die beiden Brüder waren in den Niederlanden zur Welt gekommen, doch in den frühen Sechzigerjahren zogen sie im Schlepptau ihrer Eltern in die USA. Jan war ein interessanter Mann – ein Hansdampf in allen Gassen, der Saxofon, Klarinette und Klavier spielte und sich gerne mit Feuerwaffen beschäftigte, womit er und ich etwas gemeinsam hatten. Er nahm seine Musik sehr ernst und wünschte sich von seinen Söhnen den gleichen seriösen Zugang. Zweifellos beabsichtigten er und Eugenia, Edward zu Höchstleistungen anzuspornen, als sie ihm den zweiten Vornamen Lodewijk gaben: Dies war das niederländische Pendant zu Ludwig, so wie Ludwig van Beethoven. (Zum Glück konnte er sich des Namens würdig erweisen!) Beide Jungs erhielten nach ihrer Einschulung Klavierunterricht, und beide ließen das Tasteninstrument irgendwann hinter sich. Alex wandte sich der Gitarre zu, und Eddie legte sich ein Schlagzeug zu. Schon bald aber begann Alex, heimlich Drumsessions einzuschieben, während Eddie unterwegs war, um Zeitungen auszuliefern. Irgendwann meisterte er sogar das Schlagzeug-Solo des Surfaris-Klassikers „Wipe Out“. Nachdem er es seinem Bruder vorgespielt hatte, entschlossen sie sich zu einem Rollentausch. Eddie schnappte sich die Gitarre, und dabei blieb es dann auch. Für ihn wurde sie gleichsam zu einer Erweiterung seiner selbst. Mit ihrer Hilfe interagierte er mit der Welt, die ihn umgab. Wenn man ihn so sah, wie er das Ding mit sich herumschleppte, war es schwer, sich auszumalen, dass es mal eine Zeit gegeben hatte, in der er keine Gitarre besaß.
Die beiden gründeten ihre erste Band, The Broken Combs, als sie kaum Teenager waren. Nun, eines führte zum anderen, und die Combs änderten ihren Namen in The Trojan Rubber Co. – ob dies eine augenzwinkernde Hommage an die Kondom-Firma Trojan war, eine ihrer Lieblingsfirmen, sei dahingestellt. Damals spielte Eddie jedenfalls nicht nur Gitarre, sondern betätigte sich gleichzeitig auch noch als Sänger, doch es mangelte seiner Stimme an Umfang und Geschmeidigkeit. Ein paar Jahre später taten sie sich dann erneut zusammen und gaben sich den Namen Genesis, wobei sie ihr Freund Mark Stone am Bass unterstützte. Leider gab es da aber schon eine andere Band desselben Namens, die von Peter Gabriel (und später Phil Collins) angeführt wurde, weshalb sich Genesis aus Pasadena schließlich in Mammoth umbenannten. Mammoth erarbeiteten sich schnell einen Ruf, und zwar auf die altmodische Art und Weise, indem sie nicht nur in kleinen Clubs auftraten, sondern auch bei vorwiegend privaten (und von Minderjährigen frequentierten) Partys in Vorstadtvierteln spielten.
Währenddessen verdingte sich David Lee Roth als Leadsänger bei einer Band namens Red Ball Jets. Die war nicht weiter erwähnenswert, doch sie verfügte über ein ausgezeichnetes Soundsystem, das Davids Vater Nathan, ein Augenarzt, spendiert hatte. Manchmal borgten sich Mammoth diese PA von David aus, den sie in einem Theaterkurs am Community College kennengelernt hatten, woraus sich schließlich eine Partnerschaft entwickelte. Ich glaube, es war in erster Linie ein praktisches Motiv, das die Van-Halen-Brüder veranlasste, David zu fragen, ob er sich ihnen anschließen wolle. David besaß Ressourcen, die ihnen dabei halfen, ihre Karrieren quasi für lau voranzutreiben. Nun, ganz ohne Gegenleistung lief es natürlich nicht ab. David würde Edward als Leadsänger ablösen, was diesen aber nicht weiter störte. Er wusste, dass er kein sonderlich guter Sänger war. Außerdem hatte Eddie keinen Bock auf die Verantwortung, ganz vorne zu stehen und mit dem Publikum plaudern zu müssen. Die Sache hatte nur einen kleinen Haken. David verfügte über keinerlei gesangliche Ausbildung und war ein limitierter Sänger. Kurzum: beschissen. Die ersten paar Male, die er für die Band vorsang, erschien er sogar als absolut inakzeptabel. Doch David kennt man nicht umsonst für seine Hartnäckigkeit, und irgendwann gelang es ihm, mit seiner Kombination aus Ehrgeiz, Charisma und offensichtlicher Bühnenpräsenz – sowie dank seiner finanziellen Unterstützung – die Jungs von sich zu überzeugen. Obwohl er nie wirklich ein toller Sänger werden sollte, wurde er mit der Zeit zumindest besser – und für Van Halen stellte er sicher die richtige Wahl dar.
Zur Welt kam David Lee Roth in Bloomington, Indiana, als Kind einer jüdischen Familie, die dann irgendwann nach Massachusetts umzog. Als Teenager ging es dann weiter nach Los Angeles. Obwohl David umgeben von Luxus aufwuchs – genauer gesagt auf dem später als „Rothwood“ bekannten 1.300 Quadratmeter großen Anwesen seines Vaters, der sein Vermögen, wie gesehen, auf traditionelle Weise angehäuft hatte –, stellte das Showbusiness nichts Unbekanntes für ihn dar. Immerhin hatte einer seiner Onkel, Manny Roth, das Café Wha? im New Yorker Greenwich Village betrieben, weshalb David in jungen Jahren Zeuge von Auftritten unglaublicher Koryphäen wie Hendrix, Dylan und Springsteen wurde. Vielleicht gründete darin ja auch seine Besessenheit vom Starruhm. Mehrmals erzählte er mir – und ich zitiere –, dass er „groß rauskommen“ werde. Das war nicht bloß eine Aussage, nein, es war eine Ankündigung: „Ich bin dazu bestimmt, berühmt zu sein!“
Es war ihm auch nicht zu dumm, dazu zu stehen. Eigentlich, so glaube ich, sah er darin ein nobles, wenn auch nicht sonderlich praktisches Ziel. Ich kann mir gut vorstellen, dass er als pickliger Teenager vor dem Badezimmerspiegel mitsamt Haarbürste in der Hand – als Mikrofon – posierte und einem imaginären Publikum seine Pläne verkündete.
„Ich werde berühmt sein!“
Und das ist ihm dann ja auch definitiv gelungen. Entweder lag er mit seiner Einschätzung also einfach richtig, oder er ließ seine Träume dank purer Willenskraft real werden. Egal, das war schon ziemlich beeindruckend.
Davids offensichtliche Vorzüge in gewissen Bereichen wogen sein übertriebenes Verhalten in anderen auf – sowohl auf als auch abseits der Bühne. Edward war das talentierteste und künstlerisch begabteste Bandmitglied, doch David war das klügste und gemeinhin kreativste, mitsamt einer Vision, die weit darüber hinausging, bloß Musik zu machen und Sex zu haben. Ja, seine Intelligenz wurde mitunter von seinem bombastischen, fordernden und gelegentlich grausamen Benehmen in den Schatten gestellt. Diamond Dave war von Anfang an ein hyperaktiver Entertainer und entwickelte sich später zu einer Diva ersten Ranges – und seine gewaltigen Ausbrüche vermittelten denjenigen, die ihn umgaben, regelmäßig das Gefühl, dass eine Katastrophe unmittelbar bevorstünde. Aber ihm schwebte eine Vision für Van Halen und sich selbst vor Augen – und diese Vision setzte er in die Wirklichkeit um. Natürlich wurde ihm dabei geholfen, aber es steht außer Frage, dass unter den vier Bandmitgliedern er als Anführer hervorstach.
Auch war er ein Opportunist durch und durch.
Ich fand es interessant, dass David, obwohl er nie seinen Namen änderte, kaum je einmal über seine jüdische Herkunft sprach, geschweige denn sie offen „feierte“. Den Grund dafür erklärte er mir bei unzähligen Gelegenheiten: Rockstars müssten vor Sex-Appeal nur so strotzen, und jüdische Stereotypen entsprächen diesem Image nicht. Juden wurden als Steuerberater oder Buchhalter gesehen, das waren Geldverwalter und Anwälte – oder auch Ärzte wie sein eigener Vater.
Da ich selbst stolzer Jude bin, verwirrten und irritierten mich Davids offenkundige Scham und grobe Verallgemeinerung. Juden sollten nicht sexy sein? Sag das mal Bob Dylan, Billy Joel, Leonard Cohen, Lou Reed, Simon and Garfunkel, Lenny Kravitz oder irgendeinem anderen jüdischen Künstler. Juden können also keine Rockstars sein? Das sollte damals schnell jemand Gene Simmons mitteilen, bevor KISS eine weitere Rock-Hymne herausbringen würden. Zum Teufel, besagter sexy Jude war sogar an ihrer Entdeckung beteiligt! Scherz beiseite, es war eine bescheuerte und engstirnige Sichtweise, aber ich verstehe, dass eine gewisse Unsicherheit dahintersteckte. Und ja, man kann unsicher sein und ein großes Ego besitzen. Die Unterhaltungsbranche quillt nur so über vor Künstlern, auf die diese Beschreibung zutrifft. Also ließ ich ihn zumeist in Ruhe damit.
Für Edward wiederum stand immer die Musik an erster Stelle. Der Starruhm war schlicht ein Nebenprodukt. Nicht, dass er die Vorteile des Rockstar-Lebens verschmäht hätte, aber mir kam es stets so vor, also ob Edwards Motive rein musikalischer Natur waren. Er wollte eigentlich nur die Spielweise des gitarrenbasierten Rock ’n’ Roll neu erfinden. Vielleicht handelte es sich bei ihm nicht um die allerhellste Kerze auf der Torte, aber musikalisch hatte man es bei ihm mit einem Genie zu tun. Edward kreierte Sounds auf seiner Gitarre, wie sie noch nie zu hören gewesen waren. Er war ein Innovator, ein Erneuerer, und das war es, was ihm seine Bedeutung verlieh. Er verschrieb sich – gelinde gesagt – mit Leib und Seele seinem Handwerk.
Egal, ob es nun Vorsehung oder doch vielleicht Beharrlichkeit und ein wenig Glück war, aber die Van-Halen-Brüder entwickelten sich zum Rückgrat ihrer Band und verbrachten unzählige Stunden damit, an ihren Fähigkeiten zu feilen. So verwunderte es auch nicht, dass David beschloss, nachdem Mammoth als Name sein Verfallsdatum überschritten hatte, die Band nach den Brüdern zu benennen. Tatsächlich stellte sich immer wieder die Frage, wessen Idee es eigentlich gewesen war, der Band 1974 den Namen Van Halen zu geben. David schmückt sich seit langem mit den Lorbeeren. Jedem, der mit ihm und seinem überproportionierten Ego vertraut ist, erscheint dies als eine untypisch großmütige Geste seinerseits. Ich sehe das anders. Wenn es um die Karriere ging, war David ein absoluter Pragmatiker. Er wollte schließlich eine Berühmtheit sein und wusste genau, wer ihn an sein Ziel bringen würde – Edward Van Halen. Als sie sich kennenlernten, vermochte David sofort Edwards Potenzial als virtuoser Gitarrist zu erkennen, das sich hinter seinen langen Haaren, dem rauen Gesang und seiner Schüchternheit verbarg. Er sah, dass hier Großes im Entstehen war.
Dieser Typ ist ein Genie. Überlass ihm den Namen der Band.
David erzählte mir später, dass er den Klang des Namens geliebt habe und es weniger darum gegangen sei, den beiden Brüdern Anerkennung zu zollen, als darum, dass es eben ein „verdammt cooler Name“ sei. Er war einfach, ausdrucksstark und mächtig.
Van Halen!
David war smart. Er verstand, dass er, um seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen, jemanden mit außergewöhnlichem Talent in seinem Team bräuchte, und er wusste, dass sich Edward – eine Naturbegabung mit immensem Willen, noch besser zu werden – bereits auf einer Flugbahn Richtung Ruhm befand. David reagierte dementsprechend, indem er alles in seiner Macht Stehende unternahm, um ein Teil von Edwards musikalischer Vision zu werden und seine eigenen Stärken zu forcieren: Charisma, seinen ausgeprägten Sinn für Humor und eine ganz persönliche Form von Kreativität. Außerdem konnte er ziemlich hoch springen. Verdammt hoch sogar. Er hatte viele Träume und verbrachte viel Zeit in seiner eigenen kleinen Welt, während er gleichzeitig versuchte, alle zu beeindrucken. Es liegt mir fern, Davids frühe Beiträge zur Band zu schmälern. Auch will ich ihm nicht unterstellen, dass er bloß in Edwards Windschatten dahinglitt. Nachdem ich mit beiden Männern eine ganz außergewöhnliche Zeit verbracht habe, denke ich, dass ich über einen besonderen Einblick in ihre komplizierte Beziehung verfüge. Sie waren Freunde, Partner und Rivalen. Sie inspirierten sich gegenseitig und trieben einander zur Weißglut.
Als sie den Namen änderten und die Gartenparty-Konzerte so groß wurden und so aus dem Ruder liefen, dass oftmals die Polizei verständigt wurde, war bereits ein neuer Bassist zur Gruppe gestoßen. Sein Name lautete Michael Anthony Sobolewski, obwohl er Van-Halen-Fans besser unter seinem Bühnennamen Michael Anthony bekannt sein dürfte. Warum Michael seinen Namen offiziell änderte, um seine ethnische Herkunft zu verstecken – er kam aus Chicago und war polnischer Abstimmung –, weiß ich leider nicht. Der junge Michael war kein Mann, der seine Ängste und tiefergehenden Gefühle mit anderen teilte. Er war freundlich und sympathisch – und ein bisschen ein Einzelgänger.
Michael hatte früher Baseball gespielt und war schon Mitglied in etlichen Bands gewesen, als er und Eddie sich am Pasadena City College kennenlernten. Als Mark Stone der Band den Rücken kehrte, forderte Edward Michael auf, als dessen Ersatzmann vorzuspielen. Er bestand den Test und nahm die Einladung an, als letztes Bandmitglied zu Van Halen zu stoßen. Wenn auch nicht der beste Bassist aller Zeiten, so war er doch ein solider Begleitmusiker, dessen meistunterschätzte Fähigkeit möglicherweise darin bestand, bei Live-Auftritten die Backing Vocals beizusteuern. Er besaß tatsächlich eine sehr hübsche Stimme. Rein gesanglich ließ er womöglich sogar David hinter sich, doch es gehört mehr als das dazu, um als Leadsänger zu glänzen. Michael verfügte definitiv nicht über Davids Charisma oder seine einzigartige Bühnenpräsenz. Er füllte zufrieden seine Rolle aus und tat dies genau so, wie es von ihm erwartet wurde.
Die ersten drei Jahre nach ihrer Gründung rackerten sich Van Halen ab und spielten so oft es möglich war in kleinen Clubs und Highschool-Turnsälen, auf vorstädtischen Gartenpartys und Bar-Mizwas. Sie druckten ihre Flyer aus und verteilten sie an örtlichen Schulen und Burgerständen, bis sie sich eine kleine Armee loyaler Fans vor Ort erarbeitet hatten. Sie taten es somit jedem anderen gleich, der ebenfalls einen Traum verfolgt: Sie rissen sich den Arsch auf, waren umtriebig und brachten die Leute dazu, über sie zu sprechen. Van Halens Ruf in Südkalifornien bestand darin, eine trinkfeste, hart arbeitende und hart feiernde Truppe zu sein, die man im Auge behalten sollte. Kurzum, Van Halen standen mehr als irgendwer sonst für Party. Diese Reputation war hundertprozentig verdient, und es dauerte nicht lange, bis sie in Schuppen wie dem Whisky a Go Go oder Gazzarri’s auftraten, die praktischerweise beide auf dem Sunset Strip lagen. An letzterem Ort, wo sie einst, da zu laut, abgewiesen worden waren, sprach sie übrigens später niemand Geringeres als Gene Simmons von KISS an. Er half den Jungs, ein Demo zusammenzustellen, das er dann seinem eigenen Management vorspielte – woraufhin sich das gute Stück prompt in der Mülltonne wiederfand.
Sogar, als Van Halen sich langsam zu einer angesagten Aktie in der Partystadt Los Angeles entwickelten, blieben sie aber nur einer von vielen Möchtegern-Acts. Dies war das Zeitalter der Vinyl-LP: Plattenfirmen machten Mörder-Umsätze und gaben gegenüber ihren Bands, Veranstaltern und der gesamten Industrie im Allgemeinen unmissverständlich den Ton an. Die Anwälte, die die Bands und ihre oftmals unerfahrenen Manager berieten, standen bis zu einem gewissen Grad ebenfalls auf den Gehaltslisten der Labels. Einfach ausgedrückt: Die jungen und willigen Van Halen, obwohl talentiert und vor Potenzial nur so strotzend sowie mit einem einzigartigen Sound ausgestattet, mussten sich Kräften unterwerfen, auf die sie keinen Einfluss besaßen.
Dennoch war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand Van Halen richtig einschätzte und ihre kommerzielle Zugkraft erkannte. In diesem Fall handelte es sich um Mo Ostin, Vorstandsvorsitzender bei Warner Bros. Records, sowie Ted Templeman, seines Zeichens Produzent der Extraklasse. Abgesehen von etlichen Hitsingles in den Sechzigern und Siebzigern arbeitete Ted auch mit Van Morrison, den Doobie Brothers, Eric Clapton (Eddies großem Idol), Aerosmith, Carly Simon und Fleetwood Mac sowie vielen anderen, für die er einige bahnbrechende Alben jener Ära produzierte. Um 1977 herum galt er jedenfalls bereits als Legende. Er und Mo gehörten schlichtweg zu den mächtigsten und einflussreichsten Männern der Plattenbranche. Ihre Anwesenheit im Starwood, einem Club in Hollywood, lieferte den Funken für eine explosive Show, die Van Halens schicksalsverändernden Aufstieg zum Starruhm einläutete: Verabschiedet euch von Gartenpartys und Bar-Mizwas. Vergesst südkalifornische Clubs mit einer Kapazität von gerade mal 300 Leuten. Praktisch über Nacht wurden Van Halen zum letzten Schrei.
Ein paar Monate später unterschrieben sie bei Warner Bros. und bereiteten sich auf ihre erste landesweite Tour vor. Und nachdem ich bereits die Sex Pistols erfolgreich betreut hatte, verspürte Carl Scott ein gutes Gefühl dabei, mir Van Halen anzuvertrauen. Er wollte mir klarmachen, welch fantastische Möglichkeit dies sei, weshalb er an jenem Tag in seinem Büro auch nicht mit Superlativen geizte.
„Diese Band wird alles für uns verändern“, erklärte Carl. „Und auch für dich.“
Ich unterschätzte, wie richtig er damit lag.
Im Januar 1978, als ich mich mit den Sex Pistols auf Achse befand, vertrieb Warner Bros. gerade eine Van-Halen-EP mit fünf Songs, gepresst auf rotes Vinyl. Die Platte gelangte nicht in den offiziellen Verkauf, sondern wurde nur Radiosendern zugänglich gemacht, um Vorab-Airplay zu generieren. Die Plattenhülle zierte einerseits die Tracklist mit den Songs „Runnin’ with the Devil“, „Eruption“, „Ice Cream Man“, „You Really Got Me“ und „Jamie’s Cryin’“ sowie andererseits ein Bild von Elmer Fudd, der aus dem Looney Tunes-Logo hervorlugt – immerhin handelte es sich um ein Warner-Produkt. Diese EP erzielte präzise den vorgesehenen Effekt: Sie lief oft genug im Radio, um den Appetit der Öffentlichkeit auf eine Band anzuheizen, die versprach, dem Genre des Gitarrenrocks neues Leben einzuhauchen. (Van Halen sollten gelegentlich auch als Heavy Metal charakterisiert werden, obwohl die Musik der Band viel zu melodisch und zugänglich war, um dieser Kategorie gerecht zu werden.)
Der Großteil der Songs wurde im Herbst 1977 im Studio Sunset Sound Recorders in Hollywood aufgenommen, wo zuvor schon Hochkaräter wie Exile on Main Street der Rolling Stones und Pet Sounds der Beach Boys entstanden waren. Egal, ob sie nun vom Geiste vergangener musikalischer Epochen oder vom eigenen jugendlichen Spirit angetrieben wurden: Van Halen benötigten gerade einmal drei Wochen, um ihre Debüt-LP einzuspielen, was in erster Linie „live“ geschah. Das hieß im konkreten Fall, dass die Band in einer Kabine spielte, während David in einer anderen dazu sang. Es wurden nur wenige Overdubs und kaum andere akustische Kunstgriffe ergänzt, wie sie in der Regel zum Einsatz kamen, um den Sound einer Band zu glätten; dabei handelte es sich um Techniken, auf die viele Arena-Rockbands zurückgriffen, vor allem Boston. Hier aber lautete die Devise vielmehr, die Intensität und die Spontaneität – die schiere Rohheit – einer Liveshow von Van Halen einzufangen. Insofern wurde über kleinere Fehler nicht nur hinweggesehen, nein, sie waren sogar durchaus willkommen. Nachdem das Album fertiggestellt war, wurde es etliche Monate zurückgehalten, während Warner eine Marketing-Kampagne anleierte und eine Veröffentlichungsstrategie ausknobelte. Van Halen begaben sich zwischenzeitlich auf Tour, um eine Fanbase aufzubauen, obwohl sie bis dahin noch nicht einmal ein Album am Start hatten.
Bis ich mich an jenem Tag mit Carl Scott traf, war mir dies alles unbekannt gewesen. Schließlich war ich ja mit den Pistols unterwegs. Es ist erstaunlich, wie sehr die Welt zusammenschnurrt, wenn man mit einer Band auf Tour ist. Deine ganze Existenz dreht sich um die Bedürfnisse, Wünsche und Verpflichtungen einer kleinen Handvoll Musiker und Konzertveranstalter. Nichts sonst zählt. Was Musik betrifft, so kennst du die Setlist deiner Band und vielleicht noch die der Vorgruppe. Ansonsten? Funkstille. Das beschränkte sich ja nicht nur auf Van Halen. Ich wusste schließlich nicht einmal, wer Fleetwood Mac waren, und zu jener Zeit handelte es sich dabei um die angesagteste Gruppe der Welt. Ganz egal, denn mein Fokus lag auf der Band, für die ich arbeitete, und sonst auf niemandem.
Carl und ich hatten im Lauf der Jahre bereits eine Reihe von Projekten gemeinsam betreut. Während manche erfolgreicher als andere verliefen, hatte keines davon jedoch einen Superstar hervorgebracht. Dennoch liebte ich meine Arbeit. Ich genoss es, Touren zu organisieren, Bands voranzubringen und mit Veranstaltern zu arbeiten. In diesen Jahren lernte ich unglaublich viel über sämtliche Facetten der Musikbranche. Das meiste davon erfuhr ich entweder direkt von Carl Scott oder durch die Gelegenheiten, die er mir eröffnete. Obwohl ich inzwischen eine skeptische Fassade um mich herum hochgezogen hatte, was angesichts der zerplatzten Träume so vieler Bands wohl keine große Überraschung war, fühlte ich mich bereit, auf jedem Schiff anzuheuern, auf dem Carl als Kapitän das Sagen hatte. An jenem Tag in Carls Büro – und das hört sich eventuell schockierend an – bat ich nicht darum, das Demo hören zu dürfen. Mir war scheißegal, wie die Band klang. Carl zufolge waren diese Typen großartig, und mehr musste ich nicht wissen. Vor allem, wenn er mich als ihren Tourmanager engagieren wollte. Ich vertraute seiner Meinung.
Außerdem war dies eine Beförderung, die ich so nicht erwartet hatte, als ich da in Carls Büro saß. Ich wusste nur, dass er auf Gewinnertypen abfuhr und er überdurchschnittlich viel Vertrauen in diese vier jungen Herren aus Pasadena setzte. Eigentlich, so kam es mir vor, als Carl gar nicht mehr aufhörte, von ihnen zu schwärmen, schienen Van Halen schon fast zu gut, um wahr zu sein.
Warte nur, bis du den Gitarristen siehst. Der ist der Hammer!
Der Frontmann haut dich glatt von den Socken!
Und übrigens: Wir haben sie zu einem Spottpreis bekommen.
Die letzte Aussage entsprach nur allzu sehr der Wahrheit, wie ich später herausfinden sollte. Aber für den Augenblick war das unwichtig. Was für mich zählte, war das Produkt. Die Van-Halen-Boys waren jung, attraktiv und talentiert. Sie würden Warner eine Menge Kohle einbringen. Der Enthusiasmus rund um sie war regelrecht ansteckend.
„Carl, das hört sich fantastisch an“, sagte ich. „Ich kann es kaum erwarten, sie kennenzulernen.“
„Das freut mich zu hören, Noel“, erwiderte er, „weil du dich nächste Woche mit ihnen zum Mittagessen triffst.“