Читать книгу Van Halen - Joe Layden - Страница 9

Оглавление

3

Auf Achse

Wir waren Monster. Wir alle. Nicht nur Alex, Edward, David und Michael, sondern auch die Crew und auch sonst jeder, der uns auf Tour begleitete. Ich schließe mich da gerne mit ein. Denn wenn ich von „Monstern“ spreche, meine ich das nicht böse. Vielmehr meine ich damit, dass die Verhaltensregeln, an die man sich sonst in gepflegter Gesellschaft hält, außer Kraft gesetzt sind, wenn man mit einer jungen, hungrigen Rockband kurz vor dem Durchbruch durch die Lande tingelt. Verbringt mal sechs Monate auf Achse, schlaft in Bussen und Hotels, spult 100 Shows vor hingebungsvollen betrunkenen Fans ab und beobachtet, wie sich das auf euren moralischen Kompass auswirkt. Die Perspektive verschiebt sich ein wenig.

Klar, niemand steigt ins Musikbusiness ein, weil er sich einen soliden, geregelten und langweiligen Tagesablauf wünscht. Tatsächlich trifft wohl so ziemlich das Gegenteil zu – und hiermit meine ich nicht nur die Musiker selbst, sondern auch die Leute, die ihre Karrieren ermöglichen. Man lässt sich auf das Musikbusiness ein, weil man darauf steht, mit Stars zu arbeiten oder dabei zu helfen, aus einem unbekannten, aber vielversprechenden Musiker einen Star zu machen. Sicher, die Vorteile, die der Job bietet, sind auch nicht von der Hand zu weisen – die Drogen, die Frauen und die Gelegenheit, sich mit den Reichen und Berühmten auszutauschen. Aber glaubt ja nicht, dass das Ganze ein Spaziergang wäre. Die Arbeit ist hart und mitunter auch mal öde. Die Arbeitstage sind lang und die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwommen – zumindest, wenn du deinen Job gut erledigst. Ja, der Job ist letztlich dein Leben. Egal, ob man Musiker, Vertreter einer Plattenfirma, Veranstalter oder Manager ist – die Annehmlichkeiten und das Geld können schon fantastisch sein. Aber solange nicht alle ihre Arbeit korrekt machen und einem das Glück nicht hold ist, wird sich nie irgendwer zu einem Star entwickeln und anfangen, Kohle zu scheffeln. Das Ziel besteht darin, einen Musiker in eine Art Rock-Gottheit zu transformieren, größer als das Leben selbst. Gelingt dies, klemmen sich alle so lange wie möglich in dessen Windschatten. Ich wusste aus Erfahrung, dass dieser Ritt oft kurz und wenig glamourös verlief. Aber mit Van Halen sollte dies anders sein; mit ihnen verhielt sich von Anfang an alles anders.

Trotz der Probleme im Aragon gab es genug Anlass, optimistisch gestimmt zu sein – und nach der ersten Woche verwandelte sich der Optimismus in etwas, das um vieles greifbarer erschien. Man hätte schon taub, blind und blöde sein müssen, um nicht zu erkennen, dass diese Band sich zu etwas Außergewöhnlichem entwickeln würde. Auch wenn ihr Set extrem kurz war und David somit nur wenig Zeit für seine typischen Tiraden hatte, war doch offensichtlich, um was für einen begnadeten Frontmann – anmutig und agil wie ein Athlet – es sich bei ihm handelte. Was auch immer seine Stimme an Bandbreite zu wünschen übrig ließ, machte er mit seiner Bühnenpräsenz locker wett. (Ganz zu schweigen davon, dass Michael Davids Defizit mit seinem Hintergrundgesang kaschierte.)

Und Edward war schlichtweg eine Naturgewalt. Ich war zu beschäftigt, um viel von der ersten Show mitzubekommen, doch nachdem ich Van Halens nächste zwei Konzerte in Springfield, Illinois, und Indianapolis, Indiana, sah, war ich überzeugt, dass dies der Job meines Lebens sein würde. Die Begründung dafür lag in erster Linie in Edward Van Halens Gitarrenspiel.

„Ach, du heilige Scheiße!“, hörte ich Leute schreien. „Der Typ ist ja wie Hendrix.“

Nun, ich war zwar mit Jimi Hendrix nie auf Tour, aber ich hatte ihn oft genug gehört und gesehen, um zu wissen, dass einem so ein Vergleich nicht leicht über die Lippen kam. Hendrix war bekanntermaßen immerhin der König unter den Rock-Gitarristen, und seinen Namen im selben Atemzug mit dem irgendeines anderen Gitarristen zu nennen – vor allem, wenn dieser gerade erst der Highschool entwachsen war –, barg das Risiko, der Blasphemie bezichtigt zu werden.

Im Sommer 1969, als ich mich als Bühnenmanager im Fillmore East verdingte, arbeitete ich mit jedem, von Jefferson Airplane über B. B. King bis zu The Who. In jenem Jahr sah ich Jimi Hendrix gleich zweimal. Das erste Mal stand ich im Fillmore East hinterm Mischpult, das zweite Mal sah ich ihn am letzten Tag von Woodstock von der Beleuchterkabine aus. Dort erlebte ich auch mit, wie er seine legendäre Version von „The Star-Spangled Banner“ spielte. Ich kam zum Schluss, dass der Vergleich legitim war, genauso, wie ich der Meinung war, dass Van Halen keine Vergleiche mit irgendeiner der Bands, mit denen ich beruflich und privat zu tun hatte, scheuen mussten.

Seit jenen Tagen hatte ich LDS mit den Grateful Dead eingeworfen, hatte Southern Comfort mit Janis Joplin gekippt und sogar Chuck Berrys Amp für ihn repariert (er war ja so verdammt dankbar – er bot an, auf meiner Hochzeit zu singen, was er dann aber nicht tat, darum geht’s hier allerdings nicht). Ich war auf Tour mit David Sanborn, James Taylor, Bonnie Raitt, Tom Waits, den Sex Pistols und zahllosen anderen, die euch vermutlich nichts sagen werden. Die einzige Band, mit der ich unterwegs war, die sich mit Van Halen in den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren vergleichen lässt, waren die Rolling Stones. Allerdings glaube ich, dass nicht einmal sie in puncto Dynamik mithalten konnten. Ich behaupte nicht, dass Van Halen eine „bessere“ Band waren als die Stones, nein, ich beziehe mich hier nur auf die Power der jeweiligen Liveshows sowie die Fähigkeit, das Publikum zu fesseln. Van Halen waren diesbezüglich das Beste, das ich je gesehen habe. Und ich sag euch noch was: So toll Keith auch in seinem ureigenen Genre sein mag, an Eddie kam er in puncto musikalischer Brillanz und Innovation nicht heran.

War ich also begeistert von der Möglichkeit, Van Halens Durchbruch miterleben zu dürfen? Da könnt ihr euren Arsch drauf verwetten! Hier ging es nicht darum, eine halbfertige Band, die zuvor in erster Linie Coverversionen in kleinen Clubs gespielt hatte, auf Tour zu begleiten. Van Halen waren eine Truppe, die wirkte, als ob sie praktisch von Null auf 100 durchstartete, was zum Teil daran lag, dass sie eigentlich schon seit Jahren komponierten und spielten, wodurch sie sowohl das Repertoire als auch das Charisma einer erfahrenen Band vorzuweisen hatten – einer Band, die sich verzweifelt danach sehnte, den Durchbruch zu schaffen. Und nun erhielt sie die Chance dazu. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. In diesen ersten paar Wochen neben der Bühne zu stehen, gehörte zu den aufregendsten Erfahrungen in meinem Berufsleben. Sie performten brandneues Material vom wahrscheinlich besten Debütalbum, das ich je gehört hatte, und spielten mit einer Haltung und Dynamik, die ihresgleichen suchte.

Apropos erstes Album. Den Großteil davon lernte ich durch die Konzerte kennen, von denen die Band in dieser ersten Woche drei absolvierte. Erst als wir mal einen freien Tag hatten, konnte ich mir die tatsächliche Aufnahme zu Gemüte führen. Und ab da wusste ich es: Diese Jungs sind unaufhaltbar.

Nach Indianapolis – unserer dritten Show an ebenso vielen Tagen – pausierte wir. Doch diese Unterbrechung war nur kurz, da schon am 7. März wieder ein Auftritt, dieses Mal in Madison, Wisconsin, auf dem Programm stand. Am Morgen dieses Tages weckte ich die Bandmitglieder telefonisch. Dies gehörte seit Jahren zu meinem Job, weshalb ich mich bereits an die ungehaltenen Reaktionen, die Anrufe zu dieser Tageszeit verursachten, gewöhnt hatte. Aus irgendeinem Grund sind Musiker keine Frühaufsteher.

„Gute Morgen“, sagte ich üblicherweise mit fröhlicher Stimme. „Gepäck wird in 30 Minuten verladen, Abfahrt ist in einer Stunde.“

Diese Routine zog sich durch jede Tour hindurch, bis zum Schluss. Fast immer erhielt ich eine Antwort wie diese: „Fick dich, Noel! Wir sind gerade erst ins Bett gekommen.“

Als ob das mein Problem gewesen wäre oder ich den Terminplan zu verantworten hatte. Na ja, Letzteres eigentlich schon. Aber sobald die Sache einmal in Stein gemeißelt war, gab es keine Alternative dazu. Das Leben eines Tourmanagers ist komplett der Uhr unterworfen. Wenn er hinter den Zeitplan zurückfällt, sind alle anderen ebenso betroffen. Also muss er nicht nur in Bezug auf Details pingelig sein, sondern auch ein dickes Fell haben. Während dieser ersten Nordamerika-Tour fingen die Jungs jedenfalls an, mich „Li’l Caesar“ zu nennen, womit sie auf mein angeblich diktatorisches Gebaren anspielten. (Tatsächlich besaß ich ja nur sehr wenig Macht.)

Noch vor dem vierten Gig in Madison kam es innerhalb von Van Halens Crew zu einer kleinen, aber nicht unbedeutenden Änderung, was die jeweiligen Aufgabenbereiche betraf. Während einer kurzen nachmittäglichen Probe brach David plötzlich ab und wandte sich an Marshall Berle.

„Hey, Marshall, ich muss dir sagen, dass die Art, wie du die Band ansagst, irgendwie lahm ist.“

Das war schon brutal – und eine erste Andeutung von Davids Direktheit. Allerdings lag er damit völlig richtig. Marshall machte es offenbar nervös, in ein Mikrofon sprechen zu müssen. So waren seine bisherigen Vorstellungen allesamt schrecklich gewesen. Dreimal hatte er sich durch schlimme Versionen von „Ladies and gentlemen … hier sind sie … die großartigen V-V-V-Van Halen!“ gestottert und gestammelt. Er hatte bereits angekündigt, schon bald nach Los Angeles zurückzukehren, weshalb sein Posten als Ansager ohnehin in näherer Zukunft neu besetzt werden musste, doch ich glaube, dass sich David verpflichtet sah, die Sache an Ort und Stelle zu regeln.

„Wer wäre sonst noch verfügbar?“, fragte er und ließ seinen Blick über die Arena schweifen. Wenig überraschend meldete sich niemand freiwillig.

„Es muss jemand sein, der die ganze Tour über dabei ist.“

Wieder hielt David kurz inne, während er die kleine Menschenansammlung, die ausschließlich aus Crew-Mitgliedern und Leuten aus dem Management bestand, ins Visier nahm. Dann sah er mich an.

„Hey, Monk, wie sieht es mit dir aus?“

Verzweifelt versuchte ich, dieser Anfrage auszuweichen, und hob abwehrend die Hände. Auch wenn ich die Band bei jedem Auftritt ihrer Welttournee 1978 begleiten sollte, die insgesamt 174 Shows in weniger als zehn Monaten umfasste, so wollte ich mir doch nicht aufhalsen lassen, zu Beginn jedes einzelnen Konzerts vor Ort sein zu müssen. Außerdem verspürte ich so wie Marshall auch eine beinahe schon krankhafte Ablehnung gegenüber Mikrofonen.

„Danke für das Angebot“, sagte ich, „aber ich muss leider absagen.“

Zu meiner Erleichterung zuckte David mit den Schultern und ließ mich stehen. Puh, das war knapp.

„Okay, wen haben wir denn noch so?“

Aus irgendeinem Grund fiel nun Rudy Leirens Name. Abgesehen davon, dass er gerade da herumstand, konnte ich mir nie wirklich erklären, wieso es dazu kam. Rudy machte einen ausgezeichneten Job als Gitarrentechniker und war Eddie ein treuer Freund, doch soweit ich weiß, verfügte er über keinerlei Erfahrung als Ansager. Er befand sich eigentlich nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

„Komm schon, Rudy“, sagte David und überließ diesem das Mikrofon. Rudy, der aussah, als wäre ihm nicht ganz wohl zumute, räusperte sich und rief: „Die großartigen Van Halen!“

Seine Stimme hallte durch die leere Arena, robust und klar, ohne den Anflug eines Stotterns. Alle lächelten. Es erhob sich sogar ein sanfter Applaus.

„Du bist engagiert!“, lachte David.

Von diesem Augenblick an, bis zur Implosion der Band über sechs Jahre später, war Rudy, der Gitarrentechniker, nun auch Rudy, der Ansager – die körperlose Stimme, die Hunderte Van-Halen-Konzerte eröffnete.

Marshall, dessen offenkundiges Unbehagen verriet, wie fehl er hier am Platz war, tauschte das Leben auf Tour bereits am nächsten Tag gegen die Geborgenheit eines südkalifornischen Bürogebäudes und sollte eine Weile lang nicht mehr zurückkehren. Rudy übernahm seine Aufgabe am Mikrofon, was meiner Meinung nach in jeder Hinsicht ein guter Tausch war. Die Band hatte nun einen glaubwürdigen Ansager, Rudy durfte seine Kumpels ankündigen, und keiner von uns musste sich mehr mit Marshall herumärgern. Ich würde das als Gewinn bezeichnen.

Vom ersten Tag an – bzw. von der ersten Woche an – waren Van Halen eine Band, die gerne abfeierte, was das Zeug hielt, und niemand, der mit ihnen unterwegs war, entkam ihnen dabei. Nicht dass sich irgendjemand darüber beschwert hätte. Dies waren die späten Siebziger, eine Zeit, in der praktisch keiner illegalen Substanz ein Stigma anhaftete, solange sie in Maßen konsumiert wurde, was jedoch sehr relativ war. Die Latte hierfür lag im Musikbusiness und besonders auf Tour nämlich einigermaßen hoch. Die ersten ein, zwei Jahre stellte das nicht wirklich ein Problem dar. Die Jungs tranken gerne und rauchten Gras, weshalb ich unter dem Eindruck stand, dass dieser Lebensstil nicht gerade neu für sie war, als ich sie traf. Doch es hielt sich alles im Rahmen. Zumindest am Anfang. David besaß ein wenig Kohle, weshalb er gelegentlich auch als Ansprechpartner in Sachen Kokain fungierte. Aber es war sicher nicht so, als hätten sie sich vor den Auftritten in der Garderobe Unmengen Koks durch die Nase gezogen. Wir alle verstanden es, hart zu arbeiten, eine großartige Show abzuliefern und erst im Anschluss an den Gig ein wenig abzuschalten, bevor am nächsten Tag alles wieder von vorne losging.

Drogenkonsum ist eine heimtückische Sache. Ich habe unzählige Male miterlebt, wie er Bands zerstörte, und auch bei Van Halens Niedergang sollten Drogen eine Rolle spielen. Doch die ersten paar Jahre verbrachten wir größtenteils eine herrliche Zeit miteinander. Die Jungs passten sich rasch an die Rolle der Rockstars an – all die Jahre, in denen sie auf wilden Gartenpartys rockten, hatten sie ausgezeichnet darauf vorbereitet.

Als wir nach Madison kamen, hatte sich die Band mit der altehrwürdigen Tradition des Hotelzimmer-Demolierens vertraut gemacht. Vielleicht war es noch ein wenig früh dafür, doch andererseits … nun, es war schließlich nicht so, als hätten sie sich aus dem Nichts heraus als Band materialisiert. So wirkte es nur auf die Uneingeweihten. (Der Legende nach zogen die Jungs auch schon die Häuser ihrer Freunde in arge Mitleidenschaft, als sie noch bei Gartenpartys auftraten …) Ihrer Manieren entledigten sie sich offenbar rasch durchs Fenster – was auch auf Tische, Stühle, Lampen und alles, was nicht niet- und nagelfest war, zutraf. Ich war schon mit anderen Bands unterwegs gewesen, die ihre Umgebung gern kurz und klein hauten, doch mit Van Halen konnte es keine von ihnen aufnehmen. Wir verbrachten gleich zwei Nächte in Madison, und als sich nun der Schaden auftürmte, begriff ich, dass wir uns nicht einfach würden aus der Stadt schleichen können, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ehrlich gesagt wollte ich das auch gar nicht. Mir war klar, dass ich irgendwann würde mit dem Hotelmanager sprechen müssen, um die Sache so positiv wie möglich wirken zu lassen und zu erklären, dass sämtliche Schäden erstattet würden. Es ging mir darum, jegliches Eingreifen der Polizei oder schlechte Publicity zu vermeiden. Zum Glück war das alles noch Jahrzehnte vor dem Auftreten von Social Media. Heutzutage wird ja jeder Fehltritt von Berühmtheiten gleich mitgefilmt und landet im Internet. Van Halen waren jedoch noch nicht groß genug, um seitens der Mainstream-Medien wirklich wahrgenommen zu werden, weshalb die Band Hotelzimmer in ihre Einzelteile zerlegen konnte, ohne dass dies jemanden sonderlich juckte. Solange wir für die Unkosten aufkamen.

Jenes Hotelzimmer, um das es sich hier handelt, ging schon fast als Totalschaden durch. Nicht nur war die Einrichtung kaputt oder durch das Fenster geflogen, sondern der Raum selbst war mit Ketchup vollgeschmiert. Und das ist keine Übertreibung. Hier lernte ich auch die beiden „Ketchup-Queens“ kennen, ein überschwängliches Groupie-Duo, das sich durch einen dezenten Fetisch für Würzmittel auszeichnete. Als ich das Zimmer betrat, erspähte ich zwei hübsche Girls, vollkommen entkleidet, die nebeneinander auf einem der Betten lagen. Die Bandmitglieder standen über ihnen und waren mit mehreren Plastikflaschen Ketchup bewaffnet. Zunächst war ich entsetzt ob des Anblicks, wie die Jungs jede nur erdenkliche Körperöffnung ihrer Gäste mit Ketchup füllten, doch als ich in die Gesichter der Mädchen sah, merkte ich, dass dies alles nicht unter Zwang geschah. Stattdessen lachten sie ausgelassen und saugten das Ketchup auf wie Lilien, die einen Frühlingsschauer genossen. Gut, jedem das seine, dachte ich mir.

Das gehörte alles zum Prozess, sich als probate Rockstars zu etablieren. Es ging darum zu verstehen, dass man sich fast alles leisten konnte und die Mechanismen ignorieren durfte, die einen ansonsten davon abhielten.

David schien dies von Anfang an zu verstehen und ging bereitwillig darauf ein, was zum Teil auch daran lag, dass er so verzweifelt ein Star sein wollte. Alex und Edward waren auch ziemlich bald auf Linie. Als nettester Typ in der Band blieb Michael jenes sanftmütige und lebenslustige Gemüt, auch wenn um ihn herum das Chaos regierte. Er war ein untypischer Rockstar, weshalb er sich gut dafür eignete, dass unauffälligste Instrument in der Band zu spielen. Michael verkörperte den Anti-Star bei Van Halen, und die Fans identifizierten sich mit ihm. Es war unmöglich, ihn nicht zu mögen.

„Michael, gute Sache, dass ein Bass nur vier Saiten hat“, zog ich ihn auf. „So kommst du wenigstens nicht durcheinander.“

Das war nur ein Scherz, den ich vor fast jedem Konzert brachte, weil ich wusste, dass ich dafür ein Lachen und ein wissendes Nicken von Michael ernten würde. Als wollte er sagen: „Yeah, ich bin wohl der glücklichste Typ auf dem Planeten.“

Auch wenn wir Kleinholz aus Hotelzimmern und Garderoben machten, war Michael nur wenig involviert. Seine größten Ausschweifungen bestanden zumeist schon darin, dass er das Essen vom Catering dazu zweckentfremdete, um damit ein Wandgemälde zu malen. Er tat das ziemlich oft, und mitunter führte es zu beeindruckenden Resultaten. Red Roadie und ich machten ihn mit unserem Lieblingsdrink bekannt, dem sogenannten „Boilermaker“, der zu einem großen Teil aus Jack Daniel’s bestand, den Michael ohnehin favorisierte und der sich letztendlich als seine große Schwäche erweisen sollte.

Ich hielt mich dann jedenfalls nicht lange im Zimmer mit den Ketchup-Queens auf – nur gerade so lange, um mir einen Eindruck von der Lage zu verschaffen. Doch als ich kurze Zeit später noch einmal zurückkehrte, glich der Raum einem Schlachtfeld. Die Einrichtung fehlte oder war zerdeppert, und überall – auf jeder Oberfläche, dem Boden und der Decke – waren Unmengen von Ketchup verteilt. Als ich nun den Schaden unter die Lupe nahm und dabei gerade noch vermied, dass mich ein besonders ekelhaft zugerichteter Deckenventilator mit Beweismitteln volltropfte, konnte ich wirklich nicht genauer bestimmen, ob hier nun eine Orgie oder ein Massaker stattgefunden hatte. Es war die Art Anblick, die einen Caligula wohl stolz gemacht hätte.

Am nächsten Morgen traf ich mich mit dem Manager.

„Es tut mir wirklich leid“, legte ich los. „Es gibt absolut keine Entschuldigung dafür, in was für einem Zustand sich unsere Zimmer befinden.“

„Wie schlimm ist es denn, Mr. Monk?“, fragte er.

Vor meinem inneren Auge zuckte kurz ein Abbild der Ausschweifungen der vergangenen Nacht auf. Mir schauderte. Dann musste ich das Verlangen, laut loszulachen, unterdrücken.

„Es sieht nicht gut aus“, sagte ich, bevor ich ihm die entsetzlichen Details schilderte. Als ich fertig war, hatte das Gesicht des Managers einen purpurnen Teint angenommen.

„Es ist wirklich ungewöhnlich, dass sie sich so benehmen“, fügte ich noch hinzu, womit ich dem armen Mann direkt ins Gesicht log. „Sie sind ein paar nette junge Männer. Vielleicht liegt es ja am Wasser, dass sich ihre Persönlichkeit so radikal verändert hat.“

Der Manager lachte.

„Mr. Monk, ihr seid nicht die erste Band, die in diesem Hotel abgestiegen ist. Und ihr seid auch nicht die Ersten, die eines unserer Zimmer zerstört haben.“

Ich seufzte erleichtert.

„Okay, wie verfahren wir?“

„Ganz einfach“, sagte er. „Stellen Sie bitte einen Scheck aus.“

Ich begab mich die Treppen hoch und versammelte die Jungs in meinem Zimmer. Ich erklärte ihnen, dass der Hotelmanager keine Anzeige erstatten werde und eingewilligt habe, uns einfach für die Schäden bezahlen zu lassen. Er werde bald hochkommen, um das Massaker zu besichtigen, und uns eine Rechnung stellen.

„Haben wir denn Geld für so etwas?“, fragte David.

„Mach dir keine Sorgen“, beruhigte ich ihn. „Warner Bros. wird sich darum kümmern.“

Sie alle lächelten und tauschten High Fives aus.

„Das ist spitze, Noel“, sagte Edward. „Klasse Leistung.“

„Danke. Natürlich wird alles letztendlich auf euch zurückfallen.“

„Was meinst du damit?“

„Das nennt sich Schadloshaltung, Jungs. Ich erkläre euch das später.“

Es sollte eine Weile dauern, bevor sie dieses Konzept begriffen: Letzten Endes kam das Geld aus ihren eigenen Taschen. Für Erste schienen sie jedoch happy mit meiner Erklärung und darüber, dass es keine weiteren Konsequenzen geben würde. Nachdem der Manager den Schaden inspiziert und vermutlich einen Termin mit seinem Seelenklempner vereinbart hatte, stellte er uns eine in Einzelposten aufgegliederte Rechnung zusammen. Ich beglich sie mit Plastik.

„Wir wissen Ihr Verständnis und Ihre Professionalität zu schätzen“, sagte ich. „Ihre Diskretion ebenso.“

Der Manager nickte. „Und wir schätzen es, Geschäfte mit Ihnen zu machen. Kommen Sie gerne wieder.“ Er hielt inne und lächelte. „Wir werden das Stockwerk, das nun renoviert wird, für sie bereithalten.“

Manchmal war das Demolieren von Hotelzimmern bloß eine Nebenwirkung von Langeweile und Anspruchsdenken. Dies war kein normaler Lebensstil, den wir hier führten. Man werfe noch ein paar Groupies sowie bewusstseinsverändernde Substanzen in rauen Mengen dazu, und man erhält einen ganz schön zerstörerischen Cocktail. Dahinter steckte zumeist keinerlei Feindseligkeit. Es war einfach nur kindisch und verantwortungslos. Und ziemlich oft verdammt lustig. Aber es kam auch vor, dass zwischenmenschliche Dynamiken und fragile Beziehungen innerhalb der Band in die Gleichung einflossen. Ich meine damit speziell die tiefgründige und außergewöhnliche Verbindung zwischen den Gebrüdern Van Halen.

Es war noch relativ früh auf der Tour, als ich sie zum ersten Mal so richtig loslegen sah, aber das sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Ich verstehe, dass Familien wie komplexe Organismen funktionieren, da ich selbst in einem dysfunktionalen Haushalt mitsamt betrunkenem Vater und übergriffiger Mutter aufwuchs. Sowohl meine Schwester als auch ich litten unter diesem Ambiente, weshalb mir innerfamiliäre Dynamiken nicht fremd sind. Dennoch wirkte es auf mich, als würden die Van-Halen-Brüder die Belastbarkeit ihrer Familienbande bis ins Extrem ausreizen, was bei ihrer Beziehung zu ihrem Vater Jan Van Halen anfing.

Die ersten paar Male, als ich Jan traf, empfand ich ihn als sympathischen Mann, der auf ein interessantes Leben zurückblicken konnte. Offensichtlich liebte er die Musik und wünschte sich Erfolg für seine Söhne. Das meiste von dem, was ich über Jans Leben wusste, erfuhr ich bei unseren gemeinsamen Sessions an einem lokalen Schießstand in Los Angeles. Jan hatte Spaß daran, seine eigene Munition zu fabrizieren bzw. Waffen zu sammeln und zu tauschen. Aber am meisten genoss er die Schießerei. Hört sich das jetzt für euch nach einem beängstigenden Typen an? Nicht für mich. Ich habe den Großteil meines Lebens Zugang zu Waffen gehabt und weiß, dass sie nur so gefährlich sind wie die Menschen, die sie in Händen halten. Damit möchte ich selbstverständlich nicht sagen, dass jeder eine Feuerwaffe besitzen sollte. Aber Jan wirkte wie ein vernünftiger Kerl, obwohl er auf seltsame Weise gleichzeitig einen entspannten, aber auch intensiven Eindruck machte, was für Niederländer gar nicht so außergewöhnlich ist. Trotzdem hatten wir gemeinsam eine Menge Spaß.

Der Schießstand, den wir am häufigsten frequentierten, befand sich nahe bei Jans Haus. Wir tauschten Anekdoten aus, und seine waren dabei immer bedrückender als meine. Als ich Jan ein wenig besser kennenlernte, fielen mir auch Verhaltenszüge auf, die eigenartig und eigentlich unsympathisch waren. Zum einen war er Alkoholiker. Lassen wir mal für einen Augenblick beiseite, dass Säufer und Drogensüchtige nicht mit Feuerwaffen herumhantieren sollten: Jan schien in dieser Hinsicht immer sehr verantwortungsbewusst zu sein. Es war vielmehr die Art, wie er über das Trinken sprach und wie es sich auf seine Kinder auswirkte, was mich nachdenklich machte.

Ich zweifle nicht daran, dass Jan seine Kinder liebte, doch wie er das zum Ausdruck brachte, war merkwürdig. So glaubte er, dass mit ihnen zu trinken, eine der besten Methoden wäre, eine Bindung zu ihnen aufzubauen. Ich spreche hier nicht von einem Bierchen, das ein Vater mal mit seinen volljährigen Kindern zischt. Nein, ich spreche von einem Typen, der sich mit seinen jugendlichen Söhnen in der Hoffnung volllaufen lässt, dass diese Art der Kameradschaft sie ermuntern würde, in ihrer Beziehung zueinander Ehrlichkeit und Transparenz walten zu lassen, sodass keine Geheimnisse zwischen ihnen bestünden. Jan wollte der coole Dad sein, dessen Kids ihm davon berichteten, was sich so in ihrem Leben abspielte: Freud und Leid und sogar die hässlichen Details. Nun, mir kam es so vor, als ob Jan diesen Ansatz stets bis zum Äußersten verfolgte, um es milde auszudrücken.

Wenn diese Typen dann mal so weit waren, an ihrer Bindung zu arbeiten und zu kommunizieren, waren sie zu betrunken, um sich über irgendetwas Gehaltvolles auszutauschen. Mir erschien das vollkommen sinnlos und, soweit es Jan betraf, auch egoistisch. Damit rechtfertigte er seine eigene Trinkerei und vermied die zweifellos schwierige Aufgabe, Kinder zu verantwortlichem Handeln zu erziehen. Stattdessen war er ein besoffener Vater, der die Flasche an seine Söhne weiterreichte, die sich später ebenfalls zu Alkoholikern entwickeln würden. Ich denke, ich reagierte darauf so sensibel, da ich selbst mit einem Trinker als Vater aufgewachsen war, auch wenn meiner sicher ausfälliger war als Jan. Dennoch verstand ich das Krankheitsbild und hatte selbst darunter zu leiden gehabt. Auch wenn ich Jan mochte, stellte ich seine Erziehungsmethoden doch stark infrage.

Auch Alex erzählte mir Geschichten, die Jans Ausführungen bestätigten. Er erklärte mir gerne, dass er sich dann am besten mit seinen Eltern verstehe, wenn er sternhagelvoll sei. Nicht nach ein paar Drinks, sondern sturzbesoffen. Und aus seinem Mund hatten solche Begriffe ein anderes Gewicht, da Alex mehr trinken musste, um betrunken zu werden, als fast jeder andere, den ich je getroffen habe. Als ich ihn kennenlernte, steckte er schon einigermaßen tief im Suff und trank jeden Abend beachtliche Mengen Starkbier von Schlitz.

Ich mochte Eugenia, die Mutter der Brüder Van Halen. Allerdings war sie eine komplizierte und unglückliche Frau, und meine Sympathie beruhte in erster Linie auf Mitgefühl. Sie litt nämlich unter etwas, von dem ich vermute, dass es sich um eine psychische Krankheit handelte, die sich in ihrer irrationalen und mitunter lähmenden Angst vor den Zeugen Jehovas manifestierte. Ich verstehe zwar, dass die Zeugen Jehovas fast alle von uns verwirren, die wir nicht ihrer spezifischen christlichen Überzeugung und Glaubensauslegung angehören, doch Eugenias Gefühle gingen weit darüber hinaus. Immerhin verängstigten sie Eugenia regelrecht. Ich habe keine Ahnung, was dieser Phobie zugrunde lag, doch ich weiß, dass sie übertrieben und irrational war. Während des Zweiten Weltkriegs waren die niederländischen Juden und Zeugen Jehovas (und andere Bevölkerungsgruppen) zusammengetrieben und in Konzentrationslager verfrachtet worden. Eugenia glaubte fest daran, dass ihr die Zeugen Jehovas von Amsterdam gefolgt waren und sie vernichten wollten. Sie nahm einen mitunter beiseite, als ob sie einem ein Geheimnis verraten wollte. Dann offenbarte sie ihre Ängste und ihren Argwohn. Irgendwann fragte sie, ob man „einer von ihnen“ sei und vorhabe, ihr Leid anzutun.

Als mir dies zum ersten Mal widerfuhr, nahm ich an, sie würde scherzen. Das tat sie nicht. Sobald ich ihr versicherte, ich sei kein Zeuge Jehovas auf Mission, ihr zu schaden, fragte sie, ob ich einen von „ihnen“ auf dem Weg zu ihrem Haus gesehen hätte. Lauerten sie etwa irgendwo in der Nähe? Vielleicht sogar in den Bäumen? Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Sie tat mir einfach nur leid. Ihr verschreckter Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass dieses albtraumhafte Szenario nichts als die Wahrheit für sie darstellte – und dies hatte eine lähmende Wirkung auf sie.

So unbegründet und vernunftwidrig dies auch alles war: Ihre Angst führte dazu, dass Eugenia über weite Strecken zu einer Gefangenen in ihrem eigenen Haus wurde. Zwar traten die Jungs oft vor Jan im Publikum auf, doch ihre Mutter ließ sich nur selten bei Konzerten blicken. Als ihr Reichtum immer größer wurde, fragte ich mich, ob sie auch alles taten, um ihrer Mutter zu helfen. Vielleicht machten sie das ja. Eventuell gab es private Therapien, medizinische Behandlungen und Interventionen. Ich kann nur annehmen, dass sie diesbezügliche Versuche unternahmen und ihre Mühen leider erfolglos blieben.

Alex schien mitunter wegen seiner Abstammung zu hadern. Zumindest teilweise. So erwähnte er etwa, er habe „Schlitzaugen“. Ich konnte nicht sagen, ob er nun scherzte oder nicht, aber ich hasste es, wenn er so daherlaberte, was in der Regel der Fall war, wenn er getrunken hatte. Keine Ahnung, was er sah, aber mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass die Form seiner Augen, die er von seiner Mutter geerbt hatte, etwas Negatives wäre. Auch die Frauen, die ihn anschmachteten, schienen sich nichts dabei zu denken. Er war ein attraktiver Kerl – so wie Eddie auch –, und gemeinsam minderten sie trotz Alex’ Unsicherheit auf keinen Fall den Wert der Marke Van Halen.

Alex trank, da er genetisch dazu veranlagt war – und er war unter der Obhut eines Vollprofis dazu erzogen worden. Aber ich vermute, dass es auch damit zu tun hatte, dass er immer im Schatten seines weitaus innovativeren jüngeren Bruders stand. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass die Beziehung der beiden Brüder zueinander durch die exakt selbe Sache erschwert wurde, die sie auch so eng zusammenschweißte, nämlich die Musik – und eben besonders dadurch, dass Edward ganz klar der begnadetere Künstler von ihnen war. Das ist keine Schande. Aber es muss schon schwierig für Alex gewesen sein, wie sein kleiner Bruder sich zu einem Superstar entwickelte. Versteht mich bitte nicht falsch, Alex war schon auch gut – verdammt gut sogar – und sollte später mal Platz 51 in der Liste der 100 besten Drummer aller Zeiten des Rolling Stone belegen. Er konnte sein Schlagzeug teuflisch gut bearbeiten, und seine Beiträge versahen Edwards Riffs, Michaels rhythmischen Vortrieb und Davids leidenschaftlichen Gesang mit einem Rückgrat. Doch Edward war so etwas wie eine Inselbegabung. Mir fällt kein besserer Begriff ein. Er lebte und brannte für sein Handwerk – auf eine Art, die sich die meisten Menschen nicht einmal ansatzweise vorstellen können. Das zeigte sich daran, wie er mit der restlichen Welt kommunizierte – alles wurde bei ihm durch die Linse der Musik gebrochen. Sie flog ihm ganz natürlich zu, intuitiv, aber sogar noch mehr als das. Es schien so, als fungierte er als eine Art Medium des Universums, durch das arschgeile Akkorde und atemberaubende Solos übertragen würden.

Alex wusste das, und ich glaube, er verstand und schätzte dies mehr als die meisten Leute dies getan hätten. Vielleicht ist es auch eine Frage der Nähe. Wenn sie nicht dazu gezwungen worden wären, sich stets die unmittelbare Umgebung miteinander zu teilen – nicht nur als Kinder, sondern auch als Erwachsene, die gemeinsam der Musikbranche standhalten mussten, gemeinsam aßen, tranken, arbeiteten, tourten und Musik machten –, vielleicht hätte das Ganze dann anders ausgesehen. Alex war immer der größte Unterstützer und Fürsprecher seines Bruders, aber ich müsste lügen, wenn ich behauptete, dass ich nie mitbekam, wie es ihn einholte.

Ich sage nicht, dass er Eddie nicht liebte, denn ich bin mir sicher, dass er das tat. Allerdings war es faszinierend und irgendwann auch deprimierend, wie sich ihre Beziehung veränderte und zu sehen, dass das Kräfteverhältnis völlig aus den Fugen geriet. Und doch befreite sich Edward nie zur Gänze von Alex’ Einfluss.

Im schlimmsten Fall konnte Alex extrem eifersüchtig sein – und viel mehr als Eddie war er in der Lage, sich unerklärlicherweise richtiggehend gemein zu verhalten, was vor allem auf die späteren Jahre der Band zutraf – damit meine ich die Spätphase meiner eigenen „Amtszeit“ –, als er endgültig abstürzte.

Als ich zum ersten Mal sah, wie ein Streit zwischen Alex und Edward eskalierte, kam dies irgendwie überraschend. Es ereignete sich bei dieser ersten Tour, und ich versuchte ihr Hotelzimmer zu verlassen, als es sich zutrug. Sie hatten natürlich getrunken. Als Manager war es mir immer lieber, wenn meine Bandmitglieder kifften, anstatt sich mit Whiskey volllaufen zu lassen. Auch wenn Gras illegal war, führte es im schlimmsten Fall höchstens zu einer langweiligen Unterhaltung. Doch sobald Alex und Edward soffen, war es nur eine Frage der Zeit, bis wieder alte Wunden der Geschwisterrivalität aufgerissen wurden.

Wir waren damals alle im Hotelzimmer herumgesessen, hatten getrunken und gequatscht. Plötzlich starteten Edward und Alex ihre eigene kleine Diskussion, mit deren Thema ich absolut nicht vertraut war. Ich meine damit eigentlich, dass ich kein Wort verstand, da sie anfingen, sich auf – wie ich später erfuhr – Niederländisch anzuschreien, der Sprache ihres Mutterlandes. Das war einer der seltsamsten Vorfälle, die ich jemals sah. Diese beiden üblicherweise gelassenen südkalifornischen Rocker, die sonst in einer Art bekifftem Surfer-Kauderwelsch sprachen, standen schlagartig Nase an Nase, spuckten und fauchten und knurrten sich in einer anderen Sprache an, als ob sie plötzlich besessen wären. Ich trat den Rückzug an, als sie immer lauter wurden. Es war einfach ein bisschen zu verrückt und erbärmlich, sogar im Kontext des Rock ’n’ Roll. Doch noch bevor ich es zur Türe geschafft hatte, gingen sie sich schon gegenseitig an die Gurgel, schlugen sich ins Gesicht, zogen sich an den Haaren und rollten über den Fußboden wie besoffene Idioten.

Als wir sie trennten, dachte ich mir nur: Ach du heilige Scheiße … da habe ich es ja mit ein paar völlig Irren zu tun.

Die Wahrheit ist eigentlich sowohl einfacher als auch komplizierter. Wenn man die Geschichte der Brüder Van Halen gerne romantisieren möchte, kann man auf die angeblich so kosmopolitische und künstlerische Erziehung der Jungs durch ethnisch unterschiedliche Eltern mit kreativer Ader verweisen. Auf dem Papier trifft dies zu. Doch die andere Seite der Medaille offenbarte, dass sie aus einer völlig gestörten Familie stammten, die ihnen weder emotionale noch finanzielle Stabilität bot.

In mancherlei Hinsicht wurden sie sehr schnell erwachsen. Sie benahmen sich aber auch noch weit ins Erwachsenenalter hinein wie Kinder. Immerhin klärten Kinder ihre Auseinandersetzung ebenfalls durch körperliche Aggression. Und auch wenn die beiden sanft und hager wirkten, so verströmten Edward und Alex dennoch die Aura von Leuten, die viel Zeit auf der Straße verbracht hatten. Ich hatte schon viele solcher Leute getroffen und war dieser Art von Verhalten schon selbst zum Opfer gefallen, doch ich war dann doch überrascht, es bei den Van Halens zu sehen.

Ich wurde nur ein paar Mal Zeuge, wie die beiden handgreiflich wurden, und es endete stets mit einer Umarmung, als wäre es das Normalste auf der Welt. Vielleicht war es das ja. Möglicherweise muss Zorn in manchen Familien in halbregelmäßigen Abständen durch diese Art Exorzismus überwunden werden – auch wenn man dafür seinem Bruder ins Gesicht schlagen muss. Ich nehme an, dass dies bis zu einem gewissen Grad besser ist, als die Emotionen jahrelang mithilfe lustiger Medikamente aufzustauen. Aber was weiß ich schon.

Trotz gelegentlich aufflackernder Konflikte herrschte in diesem ersten Jahr oder auch in den ersten beiden trotzdem eine echte Kameraderie, nicht nur unter den Bandmitgliedern, sondern mit Blick auf den ganzen Wanderzirkus. Das war ein weiterer Grund dafür, warum ich mich in Van Halen verliebte: Der Job machte Spaß. In all den Jahren, die ich mich mit meinem Leben und meiner geistigen Gesundheit diesem Geschäft verschrieben hatte, war mir noch nie eine Gruppe von Typen untergekommen, die mit so viel Talent, Persönlichkeit und unübertroffen brüderlicher Einstellung zueinander zu Werke gegangen wäre. Van Halen waren nicht nur eine Band, sondern ein hundertprozentig aufeinander eingeschworenes Team – eine Truppe, bei der alle vier Partner gleichermaßen harte Arbeit beitrugen und übermenschliche Anstrengungen auf sich nahmen. (Das sollte sich allerdings in späteren Jahren ändern.) Da war es ganz egal, wer die Musik oder die Lyrics schrieb: Alle Einnahmen wurden durch vier geteilt. Dieser egalitäre Ansatz sollte alle glücklich machen und bei der Stange halten. Und er sollte sie auch an ihre Wurzeln erinnern: Zuerst waren sie Freunde, dann erst Bandkollegen und Geschäftspartner.

Kurios, nicht wahr?

Doch sie glaubten an diese Philosophie, zumindest eine Zeitlang, und es trug dazu bei, die ersten paar Jahre zum absoluten Hammer zu machen. Van Halen stellten eine Familie dar, und diese Familie umfasste alle, die mit uns auf Achse waren.

Van Halen

Подняться наверх