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Außer Rand und Band
Ich kann nicht fassen, dass sie sich verspäten! Dieser Gedanke ging mir durch den Kopf, als ich mit Carl Scott, Ted Cohen und einem Vertreter der Werbeabteilung von Warner Bros. in einem Restaurant in Burbank auf die Jungs wartete. Van Halen sollten um 1 Uhr mittags aufkreuzen. Nun, ich wusste so gut wie jeder andere auch, dass die meisten Musiker nur über ein sehr vages Zeitgefühl verfügen, weshalb in der Regel gar nicht erwartet wird, dass sie pünktlich erscheinen. Nur in diesem Fall hatte ich gehofft, es würde anders laufen. Hier handelte es sich um eine neue Band – jung, motiviert und an der Schwelle, Stars zu werden. Die Typen hatten gerade erst ihren ersten großen Coup gelandet. Sie waren eine Gruppe, deren erstes Album im nächsten Monat bei einem Major-Label erscheinen würde. Und sie würden auch bald auf Tour gehen, um besagtes Album vorzustellen. Da hätte ich gedacht (oder zumindest gehofft), dass eine Band in so einer Situation pünktlich zu einem Meeting mit ihren Bossen und ihrem neuen Tourmanager auftauchen würde – oder vielleicht sogar ein bisschen zu früh.
Doch da hatte ich mich geirrt.
Ich blickte auf meine Armbanduhr. 1 Uhr 10. Immer wieder sah ich nach. Um 1 Uhr 15, dann wieder um 1 Uhr 20.
Wo zum Geier stecken diese Vögel?
Dann, endlich, gegen 1 Uhr 35 betraten sie die Bildfläche. Sie sahen nicht nur ein wenig zerzaust aus, worauf ich mich bereits eingestellt hatte, nein, sie wirkten völlig erschöpft und am Ende. Und damit meine ich nicht, dass sie aussahen, als wären sie die ganze Nacht unterwegs gewesen, was ja ihrem Ruf entsprochen hätte. Stattdessen waren sie rot im Gesicht, schwitzten und keuchten, als ob sie an irgendeinem sportlichen Wettkampf teilgenommen – und verloren hätten. David stellte sich selbstverständlich als Wortführer heraus, wie das auch in den nächsten sieben Jahren der Fall sein sollte. Allerdings gab er sich bei diesem Treffen viel zurückhaltender als der Mann, den ich dann noch kennenlernen sollte. Er entschuldigte sich, auch im Namen seiner Freunde. Er erklärte, dass hinter ihrer Verspätung keineswegs Respektlosigkeit stecke.
„Unser Auto ist auf dem Weg hierher liegengeblieben“, sagte er ziemlich kleinlaut. „Und dann sind wir den Rest des Weges eben gerannt.“
Hinter ihm standen die Gebrüder Van Halen sowie Michael Anthony und nickten, bevor sie am Tisch Platz nahmen. Ich sah zu Carl und dann zu Ted. Beide zuckten nur mit den Schultern.
Ach was, zum Geier, so läuft es nun mal im Rock ’n’ Roll, richtig?
Na ja, im Verlauf des Meetings gelangte ich zum Schluss, dass diese Käuze vermutlich die Wahrheit sagten. Ihre Karre hatte tatsächlich den Geist aufgegeben, woraufhin sie wirklich quer durch die Stadt gespurtet waren. Das gehörte zu den Dingen, die einem zeigten, dass sie über die Art Hingabe verfügten, um in diesem Geschäft einen Eindruck zu hinterlassen: Was immer getan werden muss, wird getan. Sie strahlten keinerlei Arroganz oder Anmaßung aus. Vielmehr wirkten sie richtig schüchtern und bescheiden. Nicht gerade das, was ich mir mittlerweile von Musikern erwartete – und schon gar nicht von einer Band, die in den höchsten Tönen von Carl Scott gelobt worden war. Ich hatte erwartet, diese Typen würden wie Könige ins Restaurant hereinstolzieren, als ob sie glaubten, dass die Rockmusik ihnen zu Füßen läge. Aufgrund dessen, was ich bis dahin gehört hatte (und damit meine ich nicht ihre Musik – ich hatte noch immer keinen einzelnen Song gehört), war ich davon ausgegangen, sie seien ein selbstsicherer Haufen, wenn nicht sogar regelrecht eingebildet.
Nun, das waren sie nicht.
Stattdessen waren sie ein Quartett langhaariger Kids in zerschlissenen Jeans und ausgelatschten Stiefeln, kaum dem Teenageralter entwachsen. Wenn ich ihnen zufällig auf der Straße begegnet wäre, hätte ich wohl angenommen, sie wären jünger, vielleicht sogar noch in der Schule. Sie waren scheu und reserviert und wirkten angesichts des Treffens mit den Männern, die in den nächsten Monaten in maßgeblicher Position für den Erfolg ihrer Karriere verantwortlich sein würden, überaus nervös. Sie verspäteten sich zu einem bedeutsamen Meeting, was ihnen offensichtlich unangenehm war. Das fand ich wiederum sympathisch. Offenbar verstanden sie, was auf dem Spiel stand, weshalb sie sich angemessen und respektvoll verhielten. Ganz ehrlich – ich empfand das als ziemlich charmant.
Carl stellte alle vor, und ich versuchte rasch die Gesichter den Beschreibungen, die ich vorab gehört hatte, zuzuordnen. David war großgewachsen, hatte lange Haare und gab, wenn er den Mund öffnete oder lächelte, den Blick frei auf recht große Zähne, die, so nebenbei gesagt, ein Bleaching vertragen hätten. Er hatte eine Zeitlang das Thema Zahnhygiene eher vernachlässigt – eine Sache, um die wir uns schon recht bald kümmern mussten, die aber relativ einfach zu beheben war. Dies war also der Leadsänger, der Carl so ins Schwärmen gebracht hatte. Er sprach mehr als die anderen, aber nicht so viel, als dass ich Einblick in seinen wahren Charakter oder sein Charisma, das er auf der Bühne entfaltete, hätte erhalten können.
Edward wirkte engelsgleich. Ständig lächelte er, und seine Augen wirkten stets halb geschlossen, als ob er stoned gewesen wäre. Er war freundlich, höflich und überraschend schüchtern. Ich mochte ihn sofort. War er nun ein ausgezeichneter Gitarrist? Wer hätte das schon sagen können? Ich jedenfalls nicht, nachdem ich ihn ja bisher nur angesehen und nicht spielen gehört hatte.
Alex und Michael waren die Nebendarsteller, sogar in diesem Ambiente. Alex wirkte hager, hatte langes, gelocktes Haar und einen Vorbiss. Viel gab er nicht von sich preis, ebenso wenig wie Michael, der kleiner war und viel massiver gebaut als die anderen. Sein Oberkörper strotzte nur so vor Kraft, und seine Arme waren muskulös, womit er gerne prahlte. Er gab sich zurückhaltend, aber freundlich.
Keiner der Jungs verlor viele Worte bei diesem Treffen, aber David und Edward sagten zumindest, was gesagt werden musste, womit sie klarstellten, dass sie die Anführer waren – und zwar nicht nur auf der Bühne oder auf Vinyl, sondern auch, wenn es ums Geschäft ging. Noch etwas: Mir fiel sofort auf, wie naiv und unschuldig – oder vielleicht auch nur eingeschüchtert – sie waren. Aus welchem Grund auch immer stellten sie nur sehr wenige Fragen während dieses Meetings oder der daran anschließenden Zusammenkunft in der Geschäftszentrale von Warner Bros. Man hatte mich zu ihrem Tourmanager auserkoren, weshalb man hätte erwarten können, dass sie neugierig auf die ganze Logistik der anstehenden Tournee wären. Aber dem war nicht so. In erster Linie stellten sie mir Fragen über die Sex Pistols und erkundigten sich, was ich von Johnny Rotten und Sid Vicious hielte.
Im Unterschied zu so vielen anderen Bands, mit denen ich arbeitete, waren Van Halen immer noch richtig … normal. Sie waren aufgeregt und enthusiastisch, klar, aber ebenso geplättet und eingeschüchtert von der Musikindustrie, wie man sich das von ein paar südkalifornischen Kids erwarten durfte. Das war schon irgendwie erfrischend. Ich erzählte ihnen also die Wahrheit – dass Sid und Johnny auch nicht anders gewesen seien als sie. Jünger zwar und definitiv dreckiger. Mit schlechteren Tischmanieren. Und hoffentlich viel komplizierter, auf Tour zu betreuen, als es Van Halen sein würden. Ich steckte große Hoffnungen in sie. Was soll ich sagen?
So wie in der Musikbranche üblich, war ihre Unschuld und Naivität auch schon ausgenutzt worden, lange bevor ich die Bildfläche betrat. Als wir uns zum Mittagessen trafen, waren sie bereits an die Maschinerie des Musikbusiness verfüttert und wieder ausgespuckt worden. Eine uralte Geschichte: Man sucht sich eine neue, unerfahrene Band ohne Management, verzweifelt um Erfolg ringend, und bietet ihr an, sie nach oben zu bringen. Dann lässt man ein paar ausgebuffte Hollywood-Entertainment-Anwälte ihnen einen extrem unfairen Vertrag vorlegen. So wie schon viele vor ihnen – und ganz sicher auch noch viele nach ihnen – waren die Jungs nicht für die Skrupellosigkeit der Industrie gerüstet, was dazu führte, dass sie besagten Vertrag unterzeichneten, während ihnen versichert wurde, er entspreche den üblichen Standards der Branche. Was wäre, wenn sie nie wieder ein solches Angebot erhielten? Oder gar kein Angebot mehr bekämen? Ihre Zukunft als Band hing davon ab. Kein Wunder also, dass Van Halen einen Vertrag unterzeichneten, der Warner Bros. klare Vorteile verschaffte. Auf ähnliche Weise war ihnen ihr persönlicher Manager von Mo Ostin – scharfsinnig in der Einschätzung von Talent und kommerziellem Potenzial sowie ein echt gerissener Motherfucker – aufs Auge gedrückt worden. Ich hege keinerlei Zweifel, dass Mo einen Manager bevorzugte, der seiner Firma gewogen war.
Der betreffende Mann hieß Marshall Berle.
Marshall war tief in Hollywood verankert, was auch an dessen familiären Verbindungen im Showgeschäft lag. Bevor er als Manager anfing, hatte er bereits über ein Jahrzehnt als Künstleragent bei William Morris gearbeitet, wo er etwa die Beach Boys, Little Richard, Creedence Clearwater Revival und Marvin Gaye betreute. Ich fand nie heraus, wie er zu Van Halen kam, aber ich weiß, dass er am selben Abend im Starwood war, an dem Mo Ostin und Ted Templeman dort waren, um die Band auszuchecken. Er stellte die Jungs Mo und Ted vor, und kurze Zeit später wurde er (auf Ostins Drängen hin) zu ihrem Manager.
Sogar bei diesem ersten Mittagessen mit der Band blieb unklar, in welcher Beziehung zur Band Marshall tatsächlich stand, was daran lag, dass er nicht dabei war. Mir erschien es seltsam, dass er dem ersten Meeting in Burbank fernblieb. Meiner Meinung nach sollte ein Manager immer dabei sein, wenn sich seine Band mit Vertretern einer Plattenfirma trifft. Auch sollte er bei Tourplanungen intensiv eingebunden sein – vor allem, wenn es dabei um einen brandneuen Vertrag geht. Ich versuchte, meinen ersten Eindruck zu ignorieren. Vielleicht befand er sich ja gerade nicht in der Stadt, oder er hatte sich bereits mit Carl über die wichtigsten Punkte ausgetauscht. Ich hatte keine Ahnung, und damals interessierte es mich auch gar nicht wirklich. Später, als ich Marshall kennenlernte und sein Verhalten aus der Nähe mitbekam, ergab es absolut Sinn für mich, dass er das erste Meeting verpasst hatte, und diente mir als Vorgeschmack auf das, was noch folgen sollte.
Nach dem Mittagessen begaben wir uns alle gemeinsam in die Büros und stellten die Band schnell ein paar der anderen zentralen Akteure vor. Dann trennten sich unsere Wege wieder. Schon 48 Stunden später befand ich mich mit einer anderen Band auf Achse, deren Tour mich ein paar Wochen lang beschäftigen würde. Ich sollte keines der Bandmitglieder von Van Halen bis Ende Februar, also fast zwei Monate später, wiedersehen, als ich sie in Chicago traf, bereit, ihre Tour in Angriff zu nehmen.
Dann wurden Van Halen zum Mittelpunkt meiner Welt – mit sämtlichen Vor- und Nachteilen.
Während ich unterwegs war, nahm der Hype rund um Van Halen zunehmend Gestalt an. Sie hatten eines der besten Debütalben in der Geschichte des Rock ’n’ Roll veröffentlicht und waren nun – praktisch über Nacht – in aller Munde. Es gab kein Autoradio im ganzen Land, aus dem nicht routinemäßig ihre fröhliche Version des Kinks-Klassikers „You Really Got Me“ dröhnte. Van Halen schienen dem Hype, den Carl prophezeit hatte, nun tatsächlich gerecht zu werden. Jeder liebte Davids Energie und Edwards dynamisches Gitarrenspiel. Sie waren ein Hit.
Damit ging große Erleichterung einher. Zwar hatten Carl und ich uns mit den Sex Pistols profilieren können, doch nach fast vier Monaten in den Charts hatte Never Mind the Bollocks immer noch keine Golden Schallplatte eingeheimst, was vermutlich auch an ihrem sehr spezifischen Publikum lag. Dennoch wurde den Pistols viel Medienpräsenz zuteil, wodurch sich das Album seinen Platz in der Geschichte als Kult-Hit sichern konnte, weshalb wir die Sache als Erfolg verbuchen konnten – zumindest tat ich das, und außerdem hatte ich ja noch das Shirt von Ted Cohen. Doch Erfolge erzeugen auch Druck. Van Halen fiel eine bedeutsame Rolle zu, unsere Karrieren voranzubringen und unsere Glaubwürdigkeit zu festigen. Der Einsatz war dabei höher als je zuvor. Natürlich lastete dabei mehr Druck auf Carl. Schließlich war er der Vizepräsident, weshalb er mehr im Schussfeld stand als ich. Aber natürlich litt ich mit und hatte dabei meine eigene Rolle zu erfüllen.
Mein Job bestand darin, Van Halen durch einen rauen, rigorosen und unerbittlichen Prozess zu navigieren, der die großen Bands von all den Möchtegerns und One-Hit-Wonders abhebt. Es lag nun an mir, Van Halen dabei zu helfen, den Übergang von den Clubs, mit all ihren beschränkten Ressourcen, zu den großen Bühnen zu bewerkstelligen. Am Ende dieser Tour würden sie entweder eine Band sein, die sich vor mehreren Tausend Fans wie zu Hause fühlte, oder ihre Karriere wäre vorbei. Ich wusste, wie ich ihnen den Weg weisen könnte. Mithilfe von Carls Unterstützung – seinem emotionalen Beistand sowie Warners finanzieller Schubkraft – konnte ich es ermöglichen.
Aber dazu war eben auch eine tolle Platte vonnöten.
Bis dahin hatte ich mir Sorgen gemacht, dass mir vielleicht die unmögliche Aufgabe aufgehalst worden war, Hühnerscheiße in Geflügelsalat zu verwandeln. Das war nichts gänzlich Neues für mich, allerdings war bisher nie so viel auf dem Spiel gestanden. Alles kam dabei auf das Album an. Die Karrieren von Musikern hingen davon ab, ob diese schwarzen Vinyl-Scheiben – zwölf Zoll im Durchmesser – Substanz besaßen oder nicht. Ohne gutes Album im Rücken war man nämlich von Anfang an erledigt.
Wenn die Musik beschissen war, würden die Leute keine Platten kaufen – und wenn sie keine Platten kauften, würden sie schon gar nicht ihre hart verdiente Kohle in Konzertkarten investieren. So funktionieren Synergien eben. Eine Single weckte die Aufmerksamkeit, das Album vergrößerte das Publikum, und ebendieses Publikum finanzierte die Tour. Ich wusste, wie in meiner Branche der Hase lief: Egal, wie viel Geld man in ein Projekt pumpte oder wie talentiert und fleißig dein Act und die Marketing-Crews waren, letzten Endes kam alles auf das Album an. Das ließ sich nicht irgendwie faken.
Aber das mussten Van Halen auch nicht. Sie boten das Komplettpaket. Im Musikbusiness gilt eine alte Faustregel: Wir wollen, dass die Mädchen im Publikum mit den Jungs in der Band zusammen sein wollen, und wir wollen, dass die Jungs im Publikum wie die Jungs auf der Bühne sein wollen. Van Halen trafen in dieser Hinsicht den Nagel auf den Kopf. Außerdem, um im Bild zu bleiben, nagelten sie die Girls im Publikum, aber dies tut hier nichts zur Sache.
Nachdem es am 10. Februar 1978 erschienen war, verkaufte sich das Album von Anfang an gut, obwohl es nicht von heute auf morgen für Furore sorgte. Einen Monat nach seiner Veröffentlichung erreichte es mit Platz 19 in den US-Charts seine höchste Position. Van Halen erfüllte das Versprechen der vorangegangenen EP, und die Zeit, die seit damals vergangen ist, hat dazu beigetragen, die Reputation des Albums zu zementieren. Einfach ausgedrückt: Es macht sich immer noch gut. Vor ein paar Jahren listete der Rolling Stone Van Halen auf Platz 27 seiner 100 herausragendsten Debütalben der Rock-Geschichte.
Der herumstolzierende Frontmann, eine in Spandex gewandete Liebesmaschine, dazu noch der fingerfertige Gitarrenheld und die bierselige Rhythmussektion: Van Halen waren die ultimative Partyband, und ihr Debüt vermittelte ein Feeling, als ob die Achtziger zwei Jahre vor ihrem planmäßigen Eintreffen bereits eingetrudelt wären. Songs wie das pulsierende „Runnin’ with the Devil“, das kraftstrotzende „Atomic Punk“ sowie die röhrenden Coverversionen „You Really Got Me“ und „Ain’t Talkin’ ’bout Love“ fügten dem Hard Rock die großtuerische Showbiz-Pose hinzu, und Eddie Van Halens atemberaubende Technik setzte neue Maßstäbe für energetische Gitarrenakrobatik, vor allem bei „Eruption“, dessen Solo unzählige Dudes motivierte, sich auf den Weg in einen Gitarrenladen zu begeben.
Yeah, so kommt das alles ungefähr hin. Van Halen war ein fulminantes Debüt, das bereits alles enthielt, was Fans an der Band lieben lernen sollten. Die Band kreuzte mit zwei Dutzend Songs im Studio auf, die schließlich auf straffe elf Nummern – neun Eigenkompositionen und zwei Coverversionen – reduziert wurden. Obwohl es sich nicht sofort zum Verkaufsschlager entwickelte, stellte es im Verlauf der Zeit vor allem seinen langen Atem unter Beweis. Das lag zum Teil an den unfassbaren Liveshows und der jugendlichen Hingabe und Ausdauer in puncto nie enden wollende Touren. So wurde Van Halen zu einem jener Alben, die einfach nicht mehr von der Bildfläche verschwinden wollen. Insgesamt hielt es sich unglaubliche 169 Wochen – über drei Jahre! – in den Charts. Am 24. Mai 1978 durchbrach es die Schallmauer zur Goldenen Schallplatte und erreichte im Oktober darauf sogar Platin-Status. 1996 hatte es sich dann bereits zehn Millionen Mal verkauft, und es läuft bis heute im Programm der Classic-Rock-Radiosender.
Das, meine Freunde, nennt man Vermächtnis.
All dem zum Trotz hatte ich, als ich mich nun anschickte, die Band vor ihrem ersten Konzert der Tour zu treffen, immer noch keinen einzigen ihrer Songs gehört – ein Kunststück, das sich rückblickend nur schwer erklären lässt. Als ich nun nach Chicago reiste, erschütterten Van Halen gerade die Branche in ihren Grundfesten und waren mehr als gerüstet für ihre erste Show im Vorprogramm von Ronnie Montrose und den (bald schon) Rock-Legenden von Journey. So begann eine höllische Tour, die sich – ganz egal, was alles noch folgen sollte – als absolut erinnerungswürdig erweisen würde.
Als die Musiker am 28. Februar 1978 in Chicago aus dem Flugzeug stiegen, waren sie genau gleich gekleidet wie das letzte Mal, als ich sie getroffen hatte. Das war, wenn ich daran zurückdenke, schon ziemlich süß und erfrischend. David stammte aus wohlhabendem Elternhaus, weshalb er sich die Klamotten eines reichen Jungen hätte leisten können, doch er trug beide Male dasselbe Outfit wie jeder andere südkalifornische Junge, der in einer Band spielte: Jeans, T-Shirt und Stiefel. Die anderen Jungs hatten keinen Pfennig in der Tasche und wollten sicher nicht viel für Klamotten ausgeben. Auch wenn ich vielleicht sentimental klinge: Alle vier hatten sie Sterne in den Augen und trugen ein Lächeln im Gesicht. In diesem Augenblick fühlte ich mich enorm angezogen von ihnen. Sie waren prädestiniert dafür, Stars zu werden, aber ich glaube nicht, dass sie das bereits realisiert hatten. (Falls David das tat, dann war das höchstens auf einer abstrakten Ebene.) Ihr Album war gerade erst drei Wochen zuvor erschienen, und sie hatten seitdem noch keinen Gig absolviert. Sie wussten nicht, was sie erwartete. Andrerseits tat ich das selbst ja auch nicht.
Der erste Tag stand ganz im Zeichen von Anreise und Akklimatisierung, was mir eine willkommene Atempause verschaffte. Es standen zwei Tage lang Proben im „SIR Studio and Instrumental Rentals“ auf dem Programm, bevor die Band schließlich am 3. März ihren ersten Gig im Aragon Ballroom spielen sollte, einer Location mit 5.000 Sitzplätzen in der West Lawrence Avenue, rund acht Kilometer außerhalb des Chicagoer Stadtzentrums gelegen. Ich bekam diese Sessions häppchenweise mit, aber über weite Strecken musste ich mich logistischen Fragen widmen. Die Band begleitete auf diesem Trip eine handverlesene sieben- oder achtköpfige Crew, darunter auch ein Schlagzeugtechniker namens Gregg Emerson, ein Highschool-Kumpel von Alex, und Rudy Leiren, ein Gitarrentechniker, dessen Qualifikation für den Job in erster Linie darin bestand, dass er eng mit Edward befreundet war. (Ich hingegen brachte meinen alten Freund Gary Geller alias Red Roadie mit, damit er die Doppelfunktion als Bühnenmanager sowie als Basstechniker für Michael Anthony ausfüllen konnte.) Hier traf ich zum ersten Mal auf unsere Road-Crew; alle wirkten wie anständige Typen, nicht weniger geplättet und albern als die Band selbst. Ich hoffte, dass sie einen guten Job machen würden, weil ich wusste, dass ich sie nicht würde feuern können, da sie eben mit Eddie und Alex befreundet waren. Jedoch muss man ihnen zugutehalten, dass Rudy und Gregg ihre Arbeit sehr ernst nahmen … Aber hey, wofür gibt es schließlich Vetternwirtschaft?
Bevor sich Van Halen der Tour-Karawane anschlossen, hatten Journey und Montrose bereits in Davenport, Iowa, und Racine, Wisconsin, gespielt. Wie ihr euch vorstellen könnt, umfasste das Publikum im Aragon Ballroom locker doppelt so viele Leute. Ich will hier niemanden beleidigen, aber im Vergleich dazu waren Davenport und Racine tiefste Provinz – Regionalliga, wenn man so will. Chicago stellte dagegen die oberste Spielklasse dar, und Van Halen traten nicht nur an, um mitzuspielen, nein, sie wollten triumphieren.
Das hier war eine großartige Gelegenheit, und wir wollten sie nutzen. Zwar stellten wir die Vorband und standen ganz unten auf dem Plakat, doch würden wir in Locations auftreten, die immerhin zwischen 2.500 und 8.000 kreischenden, betrunkenen Fans Platz boten. Auf dem Papier schien es der perfekte Auftakt zu Van Halens erster Tour mit einem Major-Label im Rücken zu sein. Für eine Band, die gerade erst Fuß fasste, war dies eine ziemlich coole Ausgangslage. Wir waren auf die Tour eingeladen worden, da Journey – sie hatten, nachdem ihnen jahrelang der Durchbruch verwehrt geblieben war, mit Steve Perry einen neuen Sänger engagiert, ihren Sound überarbeitet und nun das bald schon alles verändernde Album Infinity veröffentlicht – noch nicht groß genug waren, um als Kassenmagnet zu funktionieren. Ronnie Montrose, eigentlich der Frontmann der Band Montrose, einer Formation, die vor dem Ausstieg ihres Leadsängers Sammy Hagar zwei Jahre zuvor, äußerst populär gewesen war, begann außerdem, langsam aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verschwinden.
Van Halen brachten eine Menge Schwung in die Sache, und sobald sie angekündigt wurden, begann der Vorverkauf in die Gänge zu kommen. Wir waren neu, frisch und aufregend. Doch Journey waren zu diesem Zeitpunkt der bekannteste der drei Acts, weshalb ihnen die Rolle des Headliners zufiel. Damit hatten wir kein Problem. Das eröffnete den Jungs die Möglichkeit, vor einem größeren Publikum als je zuvor aufzutreten und an ihrer Live-Präsentation zu feilen, ohne sich dabei jener Erwartungshaltung stellen zu müssen, mit der sich der Headliner konfrontiert sah. Wenn sie gut genug wären, würden sie diesen ohnehin von der Bühne fegen.
Eine Tour gehorcht den Regeln der Leistungsgesellschaft. Es kann schon eine große Herausforderung darstellen, wenn man vor einem Publikum auftreten muss, das fast ausschließlich aus Fans des Headliners besteht. (Später nannten wir die Vorband „T-Shirt-Acts“, da sie auf die Bühne mussten, wenn die Fans noch draußen standen, um sich mit Merchandise-Artikeln einzudecken.) Doch manchmal, wenn es eine Band echt draufhat, gelingt es ihr, das Publikum für sich zu begeistern. Genau so eine Band waren Van Halen, daran bestand kein Zweifel. Wir waren uns sicher, dass es nicht lange dauern würde, bis alle Augen auf uns gerichtet sein würden.
Aber nichts ist jemals wirklich einfach, wenn man auf Tour ist.
Wir trafen im Aragon am frühen Nachmittag ein und richteten uns in einer winzigen Garderobe ein. Wir hatten kaum Platz, und der Raum war schlecht beleuchtet, das war jedoch ganz sicher nicht außergewöhnlich. Aber es reichte selbstverständlich, um sich seine Straßenkleidung auszuziehen und in die Bühnenklamotten zu schlüpfen. Zum Teufel noch mal, diese Jungs hatten sich jahrelang in ihren Autos oder der Umkleidekabine ihrer alten Highschool umgezogen – falls sie das überhaupt taten.
Eine neue Band auf Tour zu begleiten, ist deshalb so schön – und witzig –, weil keiner hohe Ansprüche stellt und alle sich pflegeleicht geben. Obwohl alle ein wenig nervös waren, zeigten sich Van Halen in erster Linie begeistert darüber, mal aus Südkalifornien herauszukommen. Abgesehen von David waren sie noch nicht unbedingt weit gereist. Und nun standen sie hier in Chicago. Sie waren total aus dem Häuschen und scherten sich einen Dreck um ihre Garderobe.
Leider war nicht nur die Garderobe ein wenig zu klein. Ihr müsst verstehen, dass nicht immer genug Platz für die Ausrüstung einer jeden Band vorhanden ist, wenn man drei Acts am selben Abend in ein und derselben Location bucht. Als Headliner genossen Journey gewisse Vorrechte. Montrose stand in der Hierarchie an zweiter Stelle. Da zwischen den Auftritten der einzelnen Acts nicht genügend Zeit ist, um das Equipment ab- und wieder aufzubauen, müssen sich die Crews untereinander arrangieren. Die Verstärker und Instrumente des Headliners werden ganz hinten auf der Bühne platziert. Der mittlere Act wird auch räumlich in der Mitte positioniert. Und die Vorband muss damit Vorlieb nehmen, was vorne am Bühnenrand noch übrig ist. Nachdem eine Band ihr Set beendet hat, wird ihr Kram dann abgebaut oder zur Seite geräumt.
Als wir anfingen, unser Equipment vor Journeys und Montroses Wand aus Verstärkern und Drums aufzustellen, blieb uns fast kein Platz mehr. Die anderen beiden Bands hatten so lange mit ihrer Ausrüstung gebraucht, dass unsere Crew nun unser Equipment durch den Vordereingang auf die Bühne bringen musste. Auf der Bühne selbst blieb David, Edward und Michael gerade mal eine Fläche von vier bis fünf Meter Breite. Für David (und bis zu einem gewissen Grad auch Edward) stellte dies eine ernsthafte Einschränkung dar. Schließlich war er daran gewöhnt, frei über die Bühne und sogar hinaus ins Publikum zu sprinten. Er nutzte einfach jeden Quadratzentimeter für seine Darbietung aus.
Während die Jungs immer noch in der Garderobe abhingen, ging ich in die Arena hinaus, um die Lage zu checken. Die Bühne war hoffnungslos überfüllt. Überall standen Ausrüstungsgegenstände. Verworrene, miteinander verknotete Stromkabel bildeten regelrechte Nester auf dem Hartholzfußboden und stellten ein weiteres potenzielles Hindernis dar. Mein erster Zwischenstopp führte mich zum Mischpult, wo Tom Broderick, unser Tontechniker, gerade schwer beschäftigt war.
„Wie läuft’s denn so?“, fragte ich ihn.
Er hob den Daumen und schenkte mir ein zuversichtliches Lächeln.
Als Nächstes stattete ich Peter Angelus, unserem jungen und unerfahrenen (aber hochtalentierten) Beleuchter, einen Besuch ab. Peter sollte eines Tages ein erfolgreicher Kameramann, Musikvideo-Regisseur und Manager werden, doch damals war er mehr oder weniger ein Neuling im Geschäft. Bevor ich noch den Mund aufmachen konnte, fiel mir auf, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Petes Gesicht war aschfahl und seine Züge grimmig. Schnell hüpfte ich auf die Plattform neben ihm.
„Hey, Pete. Gibt es ein Problem?“
Er nickte.
„Mein Headset funktioniert nicht richtig. Ich kann mich nicht mit den Jungs austauschen, die die Spotlights bedienen.“ Er hielt kurz inne. „Wir sind im Arsch.“
Streng genommen lag er richtig. Pete verbrachte in der Regel den ganzen Abend damit, via Headset Anweisungen zu erteilen, wann die Spots zum Einsatz kämen. Es war eine komplizierte Choreografie und verlangte von allen Beteiligten völlige Konzentration. Pete hatte bereits einige Van-Halen-Konzerte gesehen, weshalb er ihre Bühnenshow sehr genau kannte. Doch ohne funktionierende Headsets schien er praktisch hilflos zu sein – wie ein Fluglotse ohne Radar.
Aber die Show muss weitergehen, nicht wahr?
Als ehemaliger Tontechniker und Bühnenmanager hatte ich bereits so ziemlich alles erlebt, was bei einer Liveshow schiefgehen kann. Und irgendwie ließ sich doch stets eine Lösung finden.
„Keine Panik, Peter“, sagte ich. „Ich hab da eine Idee.“
„Wie sieht die aus?“
„Ich dirigiere die Spots, während du dich um die Beleuchtung kümmerst.“
Peter sah mich, als ob ich nicht mehr alle Latten am Zaun gehabt hätte.
„Nichts für ungut, Noel, aber du hast ihre Show noch kein einziges Mal gesehen.“
Ich lachte. Das ließ sich natürlich nicht von der Hand weisen. Es war mir aber auch egal. Schwere Zeiten verlangten nach drastischen Maßnahmen.
„Dann werde ich eben improvisieren müssen“, antwortete ich.
Ich sprang von der Plattform herunter und begab mich zu jener Leiter, die mich wiederum zu den vier Jungs führte, die die Spotlights bedienten. Sie alle hielten ihre nun nutzlosen Headsets in Händen.
„Okay“, sagte ich, „ich werde die Spots von hier aus dirigieren.“
Sie sahen mich mit fragenden Mienen an. Dann zuckten sie mit den Schultern. Ich verstand das weder als Gleichgültigkeit noch als Mangel an Respekt. Diese Typen waren schlicht unerschütterlich – genau das, was man in einem Krisenfall braucht. Wie sich herausstellte, waren sie vom Fach, was meine improvisierte Herangehensweise an diesen Abend letzten Endes viel erfolgreicher erscheinen ließ, als das ansonsten der Fall gewesen wäre.
Ich blickte auch meine Armbanduhr und realisierte, dass Van Halen in weniger als einer halben Stunde auf die Bühne müssten. Also kletterte ich die Leiter hinab und eilte zu ihrer Garderobe. Die Jungs waren sichtlich nervös. Das war angesichts dessen, was auf dem Spiel stand, auch verständlich, doch die Unruhe wurde sicherlich auch durch das allgemein beengte Gefühl und das Chaos rund um die Show verstärkt. Und nun lag es an mir, noch ein wenig mehr zur Anspannung beizutragen.
„Hört mal, Jungs, es gibt da ein Problem mit Peters Headset. Ich werde die Spots vor Ort dirigieren.“
Zuerst sagte keiner ein Wort. Ich glaube, sie waren noch abgelenkt. Es war auch nicht meine Absicht, sie noch nervöser zu machen, aber sie sollten wissen, was Sache wäre, da wir alle ein wenig improvisieren müssten. Schließlich erhob David die Stimme.
„Wie zum Geier willst du die Spots dirigieren?“, fuhr er mich an. (Seine Stimme war bereits ein wenig rau von seinem Aufwärmprogramm, was keine schlechte Sache war, schließlich klang Dave am besten, wenn seine Stimme an ein tiefes Knurren erinnerte.) „Du kennst doch die Show noch nicht mal!“
So wie schon Peter gab auch David hier nur die Fakten wieder. Darüber ließ sich gar nicht debattieren. Ich hatte ihre Show noch nicht gesehen, doch zuvor schon bei Tausenden von anderen Shows gearbeitet, weshalb ich mir dachte, dass wir das schon gebacken kriegen würden.
„Mach dir keine Sorgen“, sagte ich. „Alles wird gut.“
Dave lachte sarkastisch.
„Das hoffe ich sehr, Mann.“
„Schau mal“, meinte ich zu Dave, „ich stelle euch auf der linken Bühnenseite auf, wo euch keiner sieht. Wenn Marshall ‚VAN HALEN!‘ ruft, übernehmt ihr und liefert eure bestmögliche Show ab. Lasst die Spots mal meine Sorge sein.“
Marshall Berle war an diesem Tag in der Stadt eingetroffen und sollte dem Publikum die Band ankündigen. Ich verheimlichte der Truppe jedoch, dass Carl Scott und noch über ein Dutzend weiterer Warner-Manager aus den Bereichen Promotion und Künstlerentwicklung im Publikum saßen. Noch mehr Druck musste schließlich echt nicht sein.
Ich lief hinaus und begab mich auf meine Position bei den Spots.
„Macht euch bereit, alle vier Jungs anzuleuchten, wenn sie auf die Bühne kommen“, sagte ich zu den Typen hinter den Spotlights. „Folgt einfach eurem jeweiligen Mann.“
Wie kann ich diese erste Show bloß in Worte fassen? Nun, dieser Abend ist sicher nicht als einer der grandiosesten in die Annalen von Van Halen eingegangen. Technische Schwierigkeiten, eine übervolle Bühne und eine unglaublich schlechte Entscheidung seitens der Jungs in Bezug auf ihre Schuhe machten diesen Abend zu einer großen Herausforderung.
Während der Proben war mir aufgefallen, dass alle vier Bandmitglieder sich aus irgendeinem Grund für Plateaustiefel mit dicken, hohen Absätzen entschieden hatten. Ich hatte vorgeschlagen, für den ersten Abend auf Nummer sicher zu gehen und etwas Vernünftigeres zu tragen. Allerdings wurde ich zurückgewiesen, vor allem von Alex.
„Das sind unsere KISS-Stiefel“, sagte er und grinste stolz. „Wir haben 300 Mäuse dafür gelöhnt. Wir lieben sie!“
Das erschien mir eine unfassbar schlechte Investition zu sein, vor allem, da drei der Bandmitglieder nicht aus reichem Hause stammten. Aber ich fing deswegen keinen Streit an. Es gab zu viele andere Dinge, um die ich mich kümmern musste, und es lag nicht in meinem Aufgabenbereich, der Band vorzuschreiben, was sie tragen sollte.
Rückblickend hätte ich vielleicht ein Machtwort sprechen sollen. Bereits ab den ersten Klängen der Eröffnungsnummer „On Fire“ wurde klar, dass die Plateaustiefel keine gute Idee waren. Vielleicht funktionierten die Dinger ja für KISS, vor allem, da sie sie damals in Kombination mit abgefahrenen schwarzen Kostümen und Make-up trugen und dabei reichlich Platz für ihre Show hatten. Aber hier im Aragon Ballroom, auf einer Bühne, die aufgrund der ganzen Ausrüstung auf die Hälfte ihrer normalen Größe reduziert worden war, wo überall Kabel herumlagen, waren KISS-Stiefel keine gute Entscheidung.
Doch die Band ließ sich nicht unterkriegen – so wie auch wir nicht, die wir für die technischen Aspekte zuständig waren –, und gemeinsam brachten wir die Show über die Runden. Van Halen spielten zehn Nummern, ein Bass-Solo sowie ein Schlagzeug-Solo. Insgesamt dauerte das dynamische Set knapp 35 Minuten. Die 5.450 Konzertbesucher – die Location war ausverkauft – schienen beeindruckt von Eddies virtuosem Gitarrenspiel. Sollten die Jungs irgendwie weniger lebhaft als sonst rübergekommen sein, dann lag das daran, dass sie versuchten, nicht zu stolpern und nicht von der Bühne zu purzeln. Manchmal ist Vorsicht eben besser als Nachsicht.
Sobald die Show vorüber war, bedankte ich mich bei den Beleuchtern und tauschte mit Peter einen herzlichen Handschlag aus. Dann ging ich in die Garderobe, wo Alex, Eddie, Michael und David sich bereits über das Konzert unterhielten. Sie waren zwar nicht zornig, aber auch nicht zufrieden. Ich sah das als gutes Zeichen. Diese Band zeigte einen gesunden Ehrgeiz. Sie wussten, dass sie zu mehr imstande waren, und der nächste Schritt nach vorne bestand in einer Überarbeitung ihres Outfits.
„Jungs, ihr müsst die hochhackigen Stiefel sein lassen“, sagte ich. Zunächst herrschte Schweigen. Ein paar Augenblicke später betrat Peter die Garderobe.
„David“, sagte er besonnen, „um Himmels willen, versuch es mal mit Capezios oder so.“
David verzog angeekelt sein Gesicht.
„Scheiße, Mann, dann bin ich ja zehn Zentimeter kleiner.“
David war mit knapp 1 Meter 85 nicht gerade zu kurz geraten. Außerdem war er schlank und muskulös und scheute nicht davor zurück, seine behaarte Brust zu präsentieren. Keine Frage, auf der Bühne machte er durchaus was her. Doch das reichte ihm nicht. Er wollte über allen stehen – seinen Bandkollegen, dem Publikum … einfach jedem.
Fürs Erste gab er sich jedoch einsichtig. Als ambitionierter Musiker zeigte er sich gewillt, sein überdimensioniertes Ego einer besseren Darbietung unterzuordnen.
„David, du siehst unbeholfen aus da draußen“, sagte ich. „Das willst du doch nicht. Das lenkt nur von der Show ab. Ihr Jungs seid doch eine athletische Band. Das ist es, was die Leute sehen wollen.“
Widerwillig stimmte David zu, woraufhin auch die anderen einlenkten. Dieser Abend im Aragon Ballroom markierte somit das erste und letzte Mal, dass Van Halen mit hohen Absätzen auftraten. David stieg tatsächlich auf Capezios um. Die anderen drei trugen fortan Sneakers. Van Halen waren nie eine Glam-Band. Sie standen für Gitarren-Rock und avancierten zu einem der dynamischsten Live-Acts der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre. Und von diesem Augenblick an kleideten sie sich auch dementsprechend.
Als wir die Location hinter uns ließen, sah ich die Road-Crew, die immer noch beim Truck stand.
„Wieso seid ihr noch hier?“, erkundigte ich mich.
Ein paar von ihnen lachten auf diese abgebrühte Art, wie ich es oft aus den Kehlen solcher Männer vernommen hatte – ein wissendes Lachen, das sich einstellt, wenn man schon fast alles gesehen hat und zur Erkenntnis gelangt ist, dass Murphys Gesetz in Bezug auf das Tourleben kein Scherz ist.
Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.
Der Erste, der sich zu Wort meldete, war Red. Laut ihm hatte einer der Jungs das Licht brennen lassen, weshalb die Batterie nun leer war. Red versicherte mir, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Der Servicedienst der Truckfirma sei bereits auf dem Weg, um die Batterie wieder aufzuladen. Sie würden uns dann im Hotel treffen.
Als wir schließlich beim Holiday Inn City Center eintrafen, sehnten wir uns alle danach, nach diesem langen und anstrengenden Tag unsere Kehlen anzufeuchten. Ich schlenderte direkt an die Bar. Pete und Tommy begleiteten mich. Die Jungs aus der Band warteten bereits auf uns.
„Mögt ihr Typen Jack Daniel’s?“, fragte Michael Anthony.
„Na klar!“, erwiderte ich. „Wer tut das nicht?“
„Nun denn“, sagte Michael mit einem Lächeln. „Die erste Runde geht auf mich.“
Als wir gerade die zweite Runde in Angriff nahmen, tauchte der Rest unserer Crew auf. Offenbar hatte der Servicedienst ganze Arbeit geleistet. Die Crew hatte daraufhin rasch den Truck beladen und war noch rechtzeitig eingetroffen, um das Ende des Arbeitstages zu begießen. Während der Abend nun voranschritt, ergab sich für mich die Möglichkeit, mit jedem Bandmitglied einzeln zu plaudern. Sie waren sich einig: Sie wollten eine große Band werden und waren bereit, hart für ihr Ziel zu arbeiten und sich auch beraten zu lassen, um es zu erreichen. Trotz all der Probleme, mit denen wir uns an diesem ersten Abend hatten herumschlagen müssen, und der Tatsache, dass es keine wirklich tolle Show wurde, war ich überaus optimistisch.
Van Halen konnten nicht nur auf ein herausragendes Debütalbum verweisen, nein, mit ein paar kleineren Anpassungen und ein bisschen Glück könnten sie sich zu einem ebenso herausragenden Live-Act entwickeln. Heute denke ich an diese Nacht als beinahe unglaublich unschuldige und glückliche Zeit zurück. Natürlich würden sie nicht viel länger anonym bleiben – und auch mit der Unschuld würde es schon bald vorbei sein. Allerdings ließ sich die ohnehin nie lange konservieren.
Um Mitternacht waren wir alle müde, und die Bar schloss auch langsam. Wir leerten unsere Drinks und begaben uns zu den Aufzügen. Im Rock-Kontext war es keine sonderlich lange Partynacht gewesen. Dennoch hatten wir einen langen Tag und Abend hinter uns. Als der Aufzug nach oben fuhr, stieß Edward David in die Rippen.
„Hey, Mann, hast du etwas Krell dabei?“
David nickte.
„Yeah, dann komme ich noch rüber in dein Zimmer.“
Der Aufzug hielt in der achten Etage. Sie verabschiedeten sich höflich und stiegen aus. Pete und ich waren in der elften Etage untergebracht. Während der Aufzug weiterfuhr, musste ich mir meine Unwissenheit – und Neugier – eingestehen. Ich war in meinen 31 Jahren ganz schön herumgekommen und hatte die ganze Welt bereist. Dabei hatte ich auch die eine oder andere illegale Substanz konsumiert (doch nur selten exzessiv), aber von „Krell“ hatte ich noch nie gehört.
„Über was zum Teufel haben die sich gerade unterhalten?“, fragte ich nun Pete.
Er lachte.
„Krell ist ein Slangausdruck für Kokain“, weihte er mich ein. Vielleicht versuchte er ja, meine nächste Frage zu antizipieren, als er mich nun seinerseits fragte: „Möchtest du wissen, wie sie zu Gras sagen?“
„Klar, warum nicht?“
„Snade“, antwortete er.
„Snade?“, wiederholte ich. Das klang ja lächerlich.
„Interessant“, sagte ich. „Woher kommt das?“
Pete sah mich an. Seine Augen waren von Whiskey und Schlafmangel ganz glasig. Er blickte mich perplex an, als ob er diese Frage zum ersten Mal hörte.
„Weißt du was?“, sagte er. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“
Wir lachten beide, während der Aufzug nach oben kroch.
In dieser Nacht schlief ich nur wenige Stunden, bevor mich ein Anruf Carl Scotts aus meinen Träumen holte. Bis heute streitet Carl ab, dieses Telefonat getätigt zu haben, aber ich weiß, dass ich das nicht geträumt habe. Seine Stimme klang besorgt, ja, fast schon panisch. Er hatte die Show im Aragon mitverfolgt und war nicht gerade glücklich.
„Noel, was sollen wir nur unternehmen?“
Ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Was meinst du damit?“
„Die Show“, sagte er. „Es war schrecklich. Wir haben so viel in diesen Act investiert, und so legen die nun los?“
Ich atmete tief durch. Einerseits lag Carl ja nicht falsch. Es war ganz sicher kein berauschender Einstand für Van Halen gewesen – und Warner (vor allem Carl) auf den Erfolg der Band angewiesen. Andererseits hatte Carl keine Ahnung davon, wie verdammt chaotisch der Tag verlaufen war. Umstände, auf die die Band und auch sonst niemand Einfluss hätte nehmen können, hatten dazu beigetragen, dass ihr Debüt einigermaßen holprig verlaufen war. Dafür, so dachte ich mir, hatten sie eine respektable Leistung geboten. Es war unmöglich, nicht von Edwards Gitarrenspiel beeindruckt zu sein. Und Stiefel hin oder her – es war ebenso offenkundig, dass David das Potenzial besaß, ein toller Frontmann zu sein. Ihnen war nur wenig Zeit und Platz zur Verfügung gestellt worden, und wir alle hatten mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Eigentlich konnten wir sogar von Glück sprechen, dass alles noch einigermaßen glimpflich abgelaufen war. Allerdings sagte ich nichts von alldem. Ich war einfach zu müde. Stattdessen versuchte ich, ihn zu beruhigen und dazu zu bewegen, so schnell wie möglich wieder aufzulegen.
„Mach dir keine Sorgen, Carl. Gib uns ein paar Wochen, und wir werden voll auf der Höhe sein.“
„Okay“, sagte er. „Das hoffe ich.“