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Einleitung

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Auf die weder durch Deiche noch durch Dünen geschützten ganz kleinen Eilande an der Westküste Schleswigs, die als Hallige bezeichnet werden, richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit, als man von der furchtbaren Sturmflut des 3. Februar 1825 vernahm, welche Kirchen, Hütten und jedes Besitztum weggeschwemmt und die dem Untergang Entronnenen in solche Not versetzt hatte, daß sie auch in weitern Kreisen zu thatkräftiger Mildthätigkeit antrieb. Als Prediger der nordwestlichsten dieser Halligen, welche von der im Jahre 1634 durch das tobende Meer größtenteils verschlungenen umfangreichen Insel Nordstrand, den Namen Nordstrandischmoor führt, wirkte damals Johann Christof Biernatzki. Er war am 17. Oktober 1795 als Sohn eines Gastwirts in dem holsteinischen Flecken Elmshorn geboren. Von Jugend an schwach und kränklich, von den Blattern stark entstellt, kam er erst spät auf das Altonaer Gymnasium, wo der durch langes Leiden in sich gescheuchte Knabe eine gründliche Vorbildung empfing. Er war hier Zeuge der Leiden des benachbarten Hamburg während des französischen Krieges. Nach Deutschlands Befreiung widmete er sich zu Jena, Halle und Kiel der Theologie und den morgenländischen Sprachen, aber die auf den Hochschulen herrschende, das Herz leer lassende Behandlung des Christentums konnte ihn nicht befriedigen. Seine Seele verlangte nach Erwärmung und Erhebung, die er aus der lebendig aufgefaßten Offenbarung in Gottes Wort und seiner Natur schöpfte. Frischer Natursinn begeisterte ihn, die Schönheit des Deutschen Vaterlandes, (denn als Deutscher fühlte er sich) und die Wunder der Schweiz aufzusuchen. Als er im Jahre 1821 die Prüfung weniger glänzend, als er gehofft, in Glückstadt bestanden, nahm er die ihm angebotene Stelle als Prediger auf der Hallig Nordstrandischmoor an, wie kümmerlich und von aller Welt abgeschnitten auch das Leben der mit Spott oder Mitleid betrachteten „Halligpriester“ sein mochte. Nordstrandischmoor zählte auf seiner kleinen Viertelquadratmeile neun Hütten mit etwa fünfzig Einwohnern, die sich kärglich von der Schafzucht nährten. Die alte Kirche war 1816 von der Flut weggerissen worden, der die Hallig so sehr ausgesetzt war. Bei dem höchst schwachen Einkommen hatte der Priester, wie man die Prediger nannte, auch den Schulunterricht zu besorgen. Alles dies schreckte ihn nicht ab; er wollte als christlicher Prediger auf seine Gemeinde wirken, und eine lenkbarere konnte er nicht finden, da auf der Hallig strengste Sittlichkeit herrschte, dabei aber mußte er auf jede erheiternde Geselligkeit verzichten, da die Bewohner in sich verschlossen, nur dem Bedürfnis des Tages und dem alten Gotte lebten. Gleich in der ersten Zeit riß das aufgeregte Meer die neue Kirche weg und beschädigte das Pfarrhaus, aber gläubig hielt der treue Priester aus. Schon zwei Jahre später führte er in seine bescheidene Wohnung die Geliebte seiner Seele, Henriette de Vries, die ihn mit einer ihm bald wieder entrissenen Tochter beschenkte. Die Geburt einer zweiten erfreute ihn unmittelbar vor der Sturmflut des Jahres 1825, die ihm nur Gattin und Tochter ließ, auch Kirche und Pfarrhaus verschlang, blos der alte goldene Abendmahlskelch von 1549 fand sich wunderbar erhalten.

Für Biernatzki war dieses Unglück die Veranlassung nicht allein zu seiner Versetzung als Prediger der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Friedrichstadt, sondern auch zu seinem ersten Auftreten als Dichter; denn noch in demselben Jahre ließ er sein „religiöses Lehrgedicht, der Glaube“, zum Besten seiner durch die letzte Ueberschwemmung zu Grunde gerichteten Gemeinde erscheinen. Die Teilnahme war so groß, daß noch in demselben Jahre eine zweite Auflage folgte. Ruhte auch Biernatzki’s Muse nicht, die sich gern in reinen Herzenstönen erging, so trat er doch in den nächsten neun Jahren nur bei besondern Gelegenheiten öffentlich auf: das Jahr 1829 brachte das Festgedicht „Der König und sein Volk“, und als der durch den Pariser Julisturm aufgeregte Freiheitsgeist aus Schleswig-Holstein und Dänemark ergriff, suchte er durch eine im Druck erschienene Predigt „Die Pflichten des Bürgers in einer unruhigen Zeit“ christliches Oel auf die brandenden Wogen zu gießen. Bei der allgemeinen Bewegung trieb es ihn, auch die Form des Romans, dessen sittenverderblichen Einfluß er tief bedauerte, in christlicher und sittlicher Wirkung zu verwerten. Zehn Jahre nachdem er seine Hallig verlassen, trat er mit den Erzählungen „Wege zum Glauben oder die Liebe aus der Kindheit“ hervor, deren Absicht die nähere Bezeichnung „Wanderungen auf dem Gebiete der Theologie im Modekleide der Novelle“ entschieden ausspricht. Denselben Nebentitel führt auch die im nächsten Jahre erschienene „Die Hallig“, die schon 1840 zum zweiten, 1852 zum drittenmal aufgelegt, auch ins Englische und Holländische übersetzt wurde. Ihr folgt 1839 die einfach als Novelle bezeichnete, von demselben Geiste durchdrungene, Erzählung „Der brave Knabe oder die Gemeinde in der Zerstreuung“. Im Jahre 1840 wurde Biernatzki auf seinen Wunsch zum Pfarrer von Rüdern in Holstein befördert, aber schon hatte ihn eine schmerzliche Krankheit ergriffen, die ihn, ehe er seine neue Gemeinde übernehmen konnte, am 11. Mai 1840 hinraffte. Seine 1844 gesammelten Schriften brachten auch eine Novelle „Des letzten Matrosen Tagebuch“ und seine zum Teil in Zeitschriften zerstreuten Gedichte. Daß von diesen, wie auch von der Sammlung der Werke, eine neue Auflage sich nötig erwies, deutet auf die Wirkung, welche der frühe hingeschiedene Dichter, auch im Gedränge verschiedenster Richtungen, auf empfängliche Gemüter geübt1.

In seiner „Hallig“, die uns in den wenigen Monaten vom 9. September 1824 bis zum folgenden 3. Februar eine große Menge von Ereignissen auf dem kleinen, einsamen Eilande zeigt, hat Biernatzki seiner frühern Gemeinde und sich selbst, als Priester und Dichter, ein dauerndes Denkmal gegründet, aber auch zum Besten der armen Halligpriester einen nicht wirkungslosen Mahnruf erlassen. Die gemütliche, in tiefster Seele wurzelnde Liebe der Bewohner von Nordstrandischmoor zur Heimat, ihre still zufriedene Beschränkung, ihr gläubiges Vertrauen auf Gottes Wort als Leitstern in allen Leiden und Nöten tritt lebendig hervor, und wir erschauen, wie gerade die äußern Verhältnisse diesen Charakter immer mächtiger den Halligern aufdrücken mußten, die von aller Welt geschieden, auf dem kleinsten Raum vom Meer beschränkt, auf den Anblick dieses gewaltigen Elementes, einer äußerst kärglichen Natur und der ewigen Himmelsschrift angewiesen, von einem gläubigen, wie sie selbst, in dürftigen Umständen lebenden Priester geleitet, fast nur durch schiffbrüchige Fremde und die geforderten Abgaben mit der Außenwelt verbunden waren. Und auf einem solchen Boden muß die echte Treue wachsen, die sich nur des stillen Genusses freuen will und sich mit allen Wurzelfasern in den einmal liebgewonnenen Zustand einsenkt. Nur eine übermächtige Wirkung kann eine solche Treue wankend machen, wie es Biernatzki auf ergreifende Weise zu schildern weiß, so daß kaum ein leiser Zweifel an diese Möglichkeit aufzusteigen vermag. Unerschütterlicher als die Treue, zeigt sich die Heimatsliebe, der das unnatürliche Verhältnis weichen muß, zu dem der Verlobte, der so viele Jahre lang nach seiner Geliebten sich gesehnt, durch einen wunderlichen Zufall gerade beim Betreten seiner Hallig hingerissen worden. Wenn der Geliebte, den auf der weiten Erde, die er gesehen, nichts abwendig machen konnte, in einem unbewachten Augenblick sich vergißt, so hält das liebende Mädchen unerschütterlich fest an seiner Treue, an seiner reinen Einfalt und Unschuld; in ihrem Herzen ist „Gottes Erdreich“.

Aber der Dichter zeigt uns nicht allein, wie die Hallig auf die Eingeborenen wirkt, der Aufenthalt auf ihr bewirkt auch die Bekehrung eines hochgebildeten fremden Kaufmanns, den Gott hier erkennen läßt, „was uns Not thut“. Dazu müssen freilich andere Umstände und auch der Priester mitwirken, aber alles dies beruht doch im Wesen des der Herrschaft des Meeres unterworfenen Halligs. Hierin wie in der ganzen Erfindung entwickelt Biernatzki großes Geschick. Nicht weniger zeigt die Entwicklung der Seelenzustände einen feinen Beobachter, wenn auch bei einzelnen Zügen die Absichtlichkeit hervortreten mag. Die größte Meisterschaft aber bewährt er in den großartigen Naturschilderungen, beim Schiffbruche und der Rettung nach der Hallig, bei dem schon gleich am Anfang angedeuteten, später so ergreifend in Scene gesetzten Schicklaufe und zuletzt bei der die unglückliche Geschichte von Godber und Maria zu einem bei allem Grausigen doch zu einem beruhigenden Abschluß bringenden Sturmflut.

Neben allem aber tritt die Persönlichkeit Biernatzki’s selbst uns in dem voll ausgeführten Bilde Holds, zu dem er selbst fast alle Züge geliefert hat, höchst verehrungsvoll als Muster eines vom innersten Geiste getriebenen werktätigen christlichen Geistlichen entgegen, das auch diejenigen ansprechen wird, die eine ganz abweichende Ansicht von der Offenbarung und der geistigen Bestimmung des Menschen haben, und seinen Träumen von einer Zeit des Rechtes und der Wahrheit auf Erden eben nur das Recht eines Traumes einräumen. Freilich möchten manche wünschen, daß die Bekehrungsgespräche nicht einen so breiten Raum einnähmen, besonders aber, daß die eigenen Bemerkungen, mit welchen der Dichter zuweilen gleichsam mit dem Finger auf die sittliche Verführung mahnend hindeutet, weggeblieben oder, so viel nötig, in die Darstellung verflochten wären.

Auch aus der ganzen sprachlichen Darstellung weht uns ein dichterisches Gemüt entgegen, das lebendig zu schildern, die rechten Farbentöne zu wählen, durch leicht fließenden, treffenden Ausdruck zu fesseln weiß, so daß nur hier und da etwas Schleppendes, nie etwas Ungehöriges oder die Reinheit der Sprache Trübendes stören möchte. So ist auch der äußern Form nach die „Hallig“ durchaus der Abdruck einer reinen, wolgestimmten Seele.

Heinrich Düntzer.

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Eine Gesamtausgabe der Schriften Biernatzki’s ist im Verlag von Ferd. Riehm in Basel erschienen, welche wir allen Freunden des Schriftstellers empfehlen.

Die Hallig

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