Читать книгу Iphigenie auf Tauris - Johann Wolfgang Goethe - Страница 7

Dritter Auftritt

Оглавление

IPHIGENIE. THOAS.

IPHIGENIE.

220Mit königlichen Gütern segne dich

Die Göttin! Sie gewähre Sieg und Ruhm

Und Reichtum und das Wohl der Deinigen

Und jedes frommen Wunsches Fülle dir!

Dass, der du über viele sorgend herrschest,

225Du auch vor vielen seltnes Glück genießest.

THOAS.

Zufrieden wär ich, wenn mein Volk mich rühmte:

Was ich erwarb, genießen andre mehr

Als ich. Der ist am glücklichsten, er sei

Ein König oder ein Geringer, dem

230In seinem Hause Wohl bereitet ist.

Du nahmest Teil an meinen tiefen Schmerzen,

Als mir das Schwert der Feinde meinen Sohn,

Den letzten, besten, von der Seite riss.

So lang die Rache meinen Geist besaß,

235Empfand ich nicht die Öde meiner Wohnung;

Doch jetzt, da ich befriedigt wiederkehre,

Ihr Reich zerstört, mein Sohn gerochen ist,

Bleibt mir zu Hause nichts das mich ergetze.

Der fröhliche Gehorsam, den ich sonst

240Aus einem jeden Auge blicken sah,

Ist nun von Sorg und Unmut still gedämpft.

Ein jeder sinnt was künftig werden wird,

Und folgt dem Kinderlosen, weil er muss.

Nun komm ich heut in diesen Tempel, den

245Ich oft betrat um Sieg zu bitten und

Für Sieg zu danken. Einen alten Wunsch

Trag ich im Busen, der auch dir nicht fremd,

Noch unerwartet ist: ich hoffe, dich

Zum Segen meines Volks und mir zum Segen,

250Als Braut in meine Wohnung einzuführen.

IPHIGENIE.

Der Unbekannten bietest du zu viel,

O König, an. Es steht die Flüchtige

Beschämt vor dir, die nichts an diesem Ufer

Als Schutz und Ruhe sucht, die du ihr gabst.

THOAS.

255Dass du in das Geheimnis deiner Abkunft

Vor mir wie vor dem Letzten stets dich hüllest,

Wär unter keinem Volke recht und gut.

Dies Ufer schreckt die Fremden: das Gesetz

Gebietet’s und die Not. Allein von dir,

260Die jedes frommen Rechts genießt, ein wohl

Von uns empfangner Gast nach eignem Sinn

Und Willen ihres Tages sich erfreut,

Von dir hofft ich Vertrauen, das der Wirt

Für seine Treue wohl erwarten darf.

IPHIGENIE.

265Verbarg ich meiner Eltern Namen und

Mein Haus, o König, war’s Verlegenheit,

Nicht Misstraun. Denn vielleicht, ach wüsstest du,

Wer vor dir steht, und welch verwünschtes Haupt

Du nährst und schützest; ein Entsetzen fasste

270Dein großes Herz mit seltnem Schauer an,

Und statt die Seite deines Thrones mir

Zu bieten, triebest du mich vor der Zeit

Aus deinem Reiche; stießest mich vielleicht,

Eh zu den Meinen frohe Rückkehr mir

275Und meiner Wandrung Ende zugedacht ist,

Dem Elend zu, das jeden Schweifenden,

Von seinem Haus Vertriebnen überall

Mit kalter fremder Schreckenshand erwartet.

THOAS.

Was auch der Rat der Götter mit dir sei,

280Und was sie deinem Haus und dir gedenken;

So fehlt es doch, seitdem du bei uns wohnst

Und eines frommen Gastes Recht genießest,

An Segen nicht, der mir von oben kommt.

Ich möchte schwer zu überreden sein,

285Dass ich an dir ein schuldvoll Haupt beschütze.

IPHIGENIE.

Dir bringt die Wohltat Segen, nicht der Gast.

THOAS.

Was man Verruchten tut, wird nicht gesegnet.

Drum endige dein Schweigen und dein Weigern;

Es fordert dies kein ungerechter Mann.

290Die Göttin übergab dich meinen Händen;

Wie du ihr heilig warst, so warst du’s mir.

Auch sei ihr Wink noch künftig mein Gesetz:

Wenn du nach Hause Rückkehr hoffen kannst,

So sprech ich dich von aller Fordrung los.

295Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt,

Und ist dein Stamm vertrieben, oder durch

Ein ungeheures Unheil ausgelöscht,

So bist du mein durch mehr als Ein Gesetz.

Sprich offen! und du weißt, ich halte Wort.

IPHIGENIE.

300Vom alten Bande löset ungern sich

Die Zunge los, ein langverschwiegenes

Geheimnis endlich zu entdecken. Denn

Einmal vertraut, verlässt es ohne Rückkehr

Des tiefen Herzens sichre Wohnung, schadet,

305Wie es die Götter wollen, oder nützt.

Vernimm! Ich bin aus Tantalus’ Geschlecht.

THOAS.

Du sprichst ein großes Wort gelassen aus.

Nennst du Den deinen Ahnherrn, den die Welt

Als einen ehmals Hochbegnadigten

310Der Götter kennt? Ist’s jener Tantalus,

Den Jupiter zu Rat und Tafel zog,

An dessen alterfahrnen, vielen Sinn

Verknüpfenden Gesprächen Götter selbst,

Wie an Orakelsprüchen sich ergetzten?

IPHIGENIE.

315Er ist es; aber Götter sollten nicht

Mit Menschen, wie mit ihresgleichen, wandeln;

Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach

In ungewohnter Höhe nicht zu schwindeln.

Unedel war er nicht und kein Verräter;

320Allein zum Knecht zu groß, und zum Gesellen

Des großen Donnrers nur ein Mensch. So war

Auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht

War streng, und Dichter singen: Übermut

Und Untreu stürzten ihn von Jovis Tisch

325Zur Schmach des alten Tartarus hinab.

Ach und sein ganz Geschlecht trug ihren Hass!

THOAS.

Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne?

IPHIGENIE.

Zwar die gewalt’ge Brust und der Titanen

Kraftvolles Mark war seiner Söhn und Enkel

330Gewisses Erbteil; doch es schmiedete

Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band.

Rat, Mäßigung und Weisheit und Geduld

Verbarg er ihrem scheuen düstern Blick;

Zur Wut ward ihnen jegliche Begier,

335Und grenzenlos drang ihre Wut umher.

Schon Pelops, der Gewaltig-wollende,

Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb

Sich durch Verrat und Mord das schönste Weib,

Des Önomaus Tochter, Hippodamien.

340Sie bringt den Wünschen des Gemahls zwei Söhne,

Thyest und Atreus. Neidisch sehen sie

Des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn

Aus einem andern Bette wachsend an.

Der Hass verbindet sie, und heimlich wagt

345Das Paar im Brudermord die erste Tat.

Der Vater wähnet Hippodamien

Die Mörderin, und grimmig fordert er

Von ihr den Sohn zurück, und sie entleibt

Sich selbst –

THOAS.

Du schweigest? Fahre fort zu reden!

350Lass dein Vertraun dich nicht gereuen! Sprich!

IPHIGENIE.

Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt,

Der froh von ihren Taten, ihrer Größe,

Den Hörer unterhält und still sich freuend

Ans Ende dieser schönen Reihe sich

355Geschlossen sieht! Denn es erzeugt nicht gleich

Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer;

Erst eine Reihe Böser oder Guter

Bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude

Der Welt hervor. – Nach ihres Vaters Tode

360Gebieten Atreus und Thyest der Stadt,

Gemeinsam-herrschend. Lange konnte nicht

Die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyest

Des Bruders Bette. Rächend treibet Atreus

Ihn aus dem Reiche. Tückisch hatte schon

365Thyest, auf schwere Taten sinnend, lange

Dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich

Ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen.

Dem füllet er die Brust mit Wut und Rache

Und sendet ihn zur Königsstadt, dass er

370Im Oheim seinen eignen Vater morde.

Des Jünglings Vorsatz wird entdeckt; der König

Straft grausam den gesandten Mörder, wähnend

Er töte seines Bruders Sohn. Zu spät

Erfährt er, wer vor seinen trunknen Augen

375Gemartert stirbt; und die Begier der Rache

Aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still

Auf unerhörte Tat. Er scheint gelassen,

Gleichgültig und versöhnt, und lockt den Bruder

Mit seinen beiden Söhnen in das Reich

380Zurück, ergreift die Knaben, schlachtet sie

Und setzt die ekle schaudervolle Speise

Dem Vater bei dem ersten Mahle vor.

Und da Thyest an seinem Fleische sich

Gesättigt, eine Wehmut ihn ergreift,

385Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme

Der Knaben an des Saales Türe schon

Zu hören glaubt, wirft Atreus grinsend

Ihm Haupt und Füße der Erschlagnen hin.

Du wendest schaudernd dein Gesicht, o König:

390So wendete die Sonn ihr Antlitz weg

Und ihren Wagen aus dem ew’gen Gleise.

Dies sind die Ahnherrn deiner Priesterin;

Und viel unseliges Geschick der Männer,

Viel Taten des verworrnen Sinnes deckt

395Die Nacht mit schweren Fittigen und lässt

Uns nur in grauenvolle Dämmrung sehn.

THOAS.

Verbirg sie schweigend auch. Es sei genug

Der Gräuel! Sage nun, durch welch ein Wunder

Von diesem wilden Stamme Du entsprangst.

IPHIGENIE.

400Des Atreus ältster Sohn war Agamemnon;

Er ist mein Vater. Doch ich darf es sagen,

In ihm hab ich seit meiner ersten Zeit

Ein Muster des vollkommnen Manns gesehn.

Ihm brachte Klytemnestra mich, den Erstling

405Der Liebe, dann Elektren. Ruhig herrschte

Der König, und es war dem Hause Tantals

Die lang entbehrte Rast gewährt. Allein

Es mangelte dem Glück der Eltern noch

Ein Sohn, und kaum war dieser Wunsch erfüllt,

410Dass zwischen beiden Schwestern nun Orest

Der Liebling wuchs; als neues Übel schon

Dem sichern Hause zubereitet war.

Der Ruf des Krieges ist zu euch gekommen,

Der, um den Raub der schönsten Frau zu rächen,

415Die ganze Macht der Fürsten Griechenlands

Um Trojens Mauern lagerte. Ob sie

Die Stadt gewonnen, ihrer Rache Ziel

Erreicht, vernahm ich nicht. Mein Vater führte

Der Griechen Heer. In Aulis harrten sie

420Auf günst’gen Wind vergebens: denn Diane,

Erzürnt auf ihren großen Führer, hielt

Die Eilenden zurück und forderte

Durch Kalchas’ Mund des Königs ältste Tochter.

Sie lockten mit der Mutter mich ins Lager;

425Sie rissen mich vor den Altar und weihten

Der Göttin dieses Haupt. – Sie war versöhnt;

Sie wollte nicht mein Blut, und hüllte rettend

In eine Wolke mich; in diesem Tempel

Erkannt ich mich zuerst vom Tode wieder.

430Ich bin es selbst, bin Iphigenie,

Des Atreus Enkel, Agamemnons Tochter,

Der Göttin Eigentum, die mit dir spricht.

THOAS.

Mehr Vorzug und Vertrauen geb ich nicht

Der Königstochter als der Unbekannten.

435Ich wiederhole meinen ersten Antrag:

Komm, folge mir und teile was ich habe.

IPHIGENIE.

Wie darf ich solchen Schritt, o König, wagen?

Hat nicht die Göttin, die mich rettete,

Allein das Recht auf mein geweihtes Leben?

440Sie hat für mich den Schutzort ausgesucht,

Und sie bewahrt mich einem Vater, den

Sie durch den Schein genug gestraft, vielleicht

Zur schönsten Freude seines Alters hier.

Vielleicht ist mir die frohe Rückkehr nah;

445Und ich, auf ihren Weg nicht achtend, hätte

Mich wider ihren Willen hier gefesselt?

Ein Zeichen bat ich, wenn ich bleiben sollte.

THOAS.

Das Zeichen ist, dass du noch hier verweilst.

Such Ausflucht solcher Art nicht ängstlich auf.

450Man spricht vergebens viel, um zu versagen;

Der andre hört von allem nur das Nein.

IPHIGENIE.

Nicht Worte sind es, die nur blenden sollen;

Ich habe dir mein tiefstes Herz entdeckt.

Und sagst du dir nicht selbst, wie ich dem Vater,

455Der Mutter, den Geschwistern mich entgegen

Mit ängstlichen Gefühlen sehnen muss?

Dass in den alten Hallen, wo die Trauer

Noch manchmal stille meinen Namen lispelt,

Die Freude, wie um eine Neugeborne,

460Den schönsten Kranz von Säul an Säulen schlinge.

O sendetest du mich auf Schiffen hin!

Du gäbest mir und allen neues Leben.

THOAS.

So kehr zurück! Tu was dein Herz dich heißt;

Und höre nicht die Stimme guten Rats

465Und der Vernunft. Sei ganz ein Weib und gib

Dich hin dem Triebe, der dich zügellos

Ergreift und dahin oder dorthin reißt.

Wenn ihnen eine Lust im Busen brennt,

Hält vom Verräter sie kein heilig Band,

470Der sie dem Vater oder dem Gemahl

Aus langbewährten, treuen Armen lockt;

Und schweigt in ihrer Brust die rasche Glut,

So dringt auf sie vergebens treu und mächtig

Der Überredung goldne Zunge los.

IPHIGENIE.

475Gedenk, o König, deines edeln Wortes!

Willst du mein Zutraun so erwidern? Du

Schienst vorbereitet, alles zu vernehmen.

THOAS.

Aufs Ungehoffte war ich nicht bereitet;

Doch sollt ich’s auch erwarten: wusst ich nicht,

480Dass ich mit einem Weibe handeln ging?

IPHIGENIE.

Schilt nicht, o König, unser arm Geschlecht.

Nicht herrlich wie die euern, aber nicht

Unedel sind die Waffen eines Weibes.

Glaub es, darin bin ich dir vorzuziehn,

485Dass ich dein Glück mehr als du selber kenne.

Du wähnest, unbekannt mit dir und mir,

Ein näher Band werd uns zum Glück vereinen.

Voll guten Mutes, wie voll guten Willens,

Dringst du in mich, dass ich mich fügen soll;

490Und hier dank ich den Göttern, dass sie mir

Die Festigkeit gegeben, dieses Bündnis

Nicht einzugehen, das sie nicht gebilligt.

THOAS.

Es spricht kein Gott; es spricht dein eignes Herz.

IPHIGENIE.

Sie reden nur durch unser Herz zu uns.

THOAS.

495Und hab Ich, sie zu hören, nicht das Recht?

IPHIGENIE.

Es überbraust der Sturm die zarte Stimme.

THOAS.

Die Priesterin vernimmt sie wohl allein?

IPHIGENIE.

Vor allen andern merke sie der Fürst.

THOAS.

Dein heilig Amt und dein geerbtes Recht

500An Jovis Tisch bringt dich den Göttern näher,

Als einen erdgebornen Wilden.

IPHIGENIE.

So

Büß ich nun das Vertraun, das du erzwangst.

THOAS.

Ich bin ein Mensch; und besser ist’s wir enden.

So bleibe denn mein Wort: Sei Priesterin

505Der Göttin, wie sie dich erkoren hat;

Doch mir verzeih’ Diane, dass ich ihr

Bisher mit Unrecht und mit innerm Vorwurf

Die alten Opfer vorenthalten habe.

Kein Fremder nahet glücklich unserm Ufer;

510Von Alters her ist ihm der Tod gewiss.

Nur Du hast mich mit einer Freundlichkeit,

In der ich bald der zarten Tochter Liebe,

Bald stille Neigung einer Braut zu sehn

Mich tief erfreute, wie mit Zauberbanden

515Gefesselt, dass ich meiner Pflicht vergaß.

Du hattest mir die Sinnen eingewiegt,

Das Murren meines Volks vernahm ich nicht;

Nun rufen sie die Schuld von meines Sohnes

Frühzeit’gem Tode lauter über mich.

520Um deinetwillen halt ich länger nicht

Die Menge, die das Opfer dringend fordert.

IPHIGENIE.

Um meinetwillen hab ich’s nie begehrt.

Der missversteht die Himmlischen, der sie

Blutgierig wähnt; er dichtet ihnen nur

525Die eignen grausamen Begierden an.

Entzog die Göttin mich nicht selbst dem Priester?

Ihr war mein Dienst willkommner, als mein Tod.

THOAS.

Es ziemt sich nicht für uns, den heiligen

Gebrauch mit leicht beweglicher Vernunft

530Nach unserm Sinn zu deuten und zu lenken.

Tu deine Pflicht, ich werde meine tun.

Zwei Fremde, die wir in des Ufers Höhlen

Versteckt gefunden, und die meinem Lande

Nichts Gutes bringen, sind in meiner Hand.

535Mit diesen nehme deine Göttin wieder

Ihr erstes, rechtes, lang entbehrtes Opfer!

Ich sende sie hierher; du weißt den Dienst.

Iphigenie auf Tauris

Подняться наверх