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Zweiter Aufzug Erster Auftritt
ОглавлениеOREST. PYLADES.
OREST.
Es ist der Weg des Todes, den wir treten:
Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller.
Als ich Apollen bat, das grässliche
Geleit der Rachegeister von der Seite
565Mir abzunehmen, schien er Hülf und Rettung
Im Tempel seiner vielgeliebten Schwester,
Die über Tauris herrscht, mit hoffnungsreichen
Gewissen Götterworten zu versprechen;
Und nun erfüllet sich’s, dass alle Not
570Mit meinem Leben völlig enden soll.
Wie leicht wird’s mir, dem eine Götterhand
Das Herz zusammendrückt, den Sinn betäubt,
Dem schönen Licht der Sonne zu entsagen.
Und sollen Atreus’ Enkel in der Schlacht
575Ein siegbekröntes Ende nicht gewinnen;
Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater
Als Opfertier im Jammertode bluten:
So sei es! Besser hier vor dem Altar,
Als im verworfnen Winkel, wo die Netze
580Der nahverwandte Meuchelmörder stellt.
Lasst mir so lange Ruh, ihr Unterird’schen,
Die nach dem Blut ihr, das von meinen Tritten
Hernieder träufend meinen Pfad bezeichnet,
Wie losgelassne Hunde spürend hetzt.
585Lasst mich, ich komme bald zu euch hinab;
Das Licht des Tags soll euch nicht sehn, noch mich.
Der Erde schöner grüner Teppich soll
Kein Tummelplatz für Larven sein. Dort unten
Such ich euch auf: dort bindet alle dann
590Ein gleich Geschick in ew’ge matte Nacht.
Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld
Und meines Banns unschuldigen Genossen,
Wie ungern nehm ich dich in jenes Trauerland
Frühzeitig mit! Dein Leben oder Tod
595Gibt mir allein noch Hoffnung oder Furcht.
PYLADES.
Ich bin noch nicht, Orest, wie du bereit,
In jenes Schattenreich hinabzugehn.
Ich sinne noch, durch die verworrnen Pfade,
Die nach der schwarzen Nacht zu führen scheinen,
600Uns zu dem Leben wieder aufzuwinden.
Ich denke nicht den Tod; ich sinn und horche,
Ob nicht zu irgendeiner frohen Flucht
Die Götter Rat und Wege zubereiten.
Der Tod, gefürchtet oder ungefürchtet,
605Kommt unaufhaltsam. Wenn die Priesterin
Schon unsre Locken weihend abzuschneiden
Die Hand erhebt, soll dein’ und meine Rettung
Mein einziger Gedanke sein. Erhebe
Von diesem Unmut deine Seele; zweifelnd
610Beschleunigest du die Gefahr. Apoll
Gab uns das Wort: im Heiligtum der Schwester
Sei Trost und Hülf und Rückkehr dir bereitet.
Der Götter Worte sind nicht doppelsinnig,
Wie der Gedrückte sie im Unmut wähnt.
OREST.
615Des Lebens dunkle Decke breitete
Die Mutter schon mir um das zarte Haupt,
Und so wuchs ich herauf, ein Ebenbild
Des Vaters, und es war mein stummer Blick
Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen.
620Wie oft, wenn still Elektra meine Schwester
Am Feuer in der tiefen Halle saß,
Drängt ich beklommen mich an ihren Schoß,
Und starrte, wie sie bitter weinte, sie
Mit großen Augen an. Dann sagte sie
625Von unserm hohen Vater viel: wie sehr
Verlangt ich ihn zu sehn, bei ihm zu sein!
Mich wünscht ich bald nach Troja, ihn bald her.
Es kam der Tag –
PYLADES.
O lass von jener Stunde
Sich Höllengeister nächtlich unterhalten!
630Uns gebe die Erinnrung schöner Zeit
Zu frischem Heldenlaufe neue Kraft.
Die Götter brauchen manchen guten Mann
Zu ihrem Dienst auf dieser weiten Erde.
Sie haben noch auf dich gezählt; sie gaben
635Dich nicht dem Vater zum Geleite mit,
Da er unwillig nach dem Orkus ging.
OREST.
O wär ich, seinen Saum ergreifend, ihm
Gefolgt.
PYLADES.
So haben die, die dich erhielten,
Für mich gesorgt: denn was ich worden wäre,
640Wenn Du nicht lebtest, kann ich mir nicht denken;
Da ich mit dir und deinetwillen nur
Seit meiner Kindheit leb und leben mag.
OREST.
Erinnre mich nicht jener schönen Tage,
Da mir dein Haus die freie Stätte gab,
645Dein edler Vater klug und liebevoll
Die halb erstarrte junge Blüte pflegte;
Da du ein immer munterer Geselle,
Gleich einem leichten bunten Schmetterling
Um eine dunkle Blume, jeden Tag
650Um mich mit neuem Leben gaukeltest,
Mir deine Lust in meine Seele spieltest,
Dass ich, vergessend meiner Not, mit dir
In rascher Jugend hingerissen schwärmte.
PYLADES.
Da fing mein Leben an, als ich dich liebte.
OREST.
655Sag: meine Not begann, und du sprichst wahr.
Das ist das Ängstliche von meinem Schicksal,
Dass ich, wie ein verpesteter Vertriebner,
Geheimen Schmerz und Tod im Busen trage;
Dass, wo ich den gesundsten Ort betrete,
660Gar bald um mich die blühenden Gesichter
Den Schmerzenszug langsamen Tods verraten.
PYLADES.
Der nächste wär ich diesen Tod zu sterben,
Wenn je dein Hauch, Orest, vergiftete.
Bin ich nicht immer noch voll Mut und Lust?
665Und Lust und Liebe sind die Fittige
Zu großen Taten.
OREST.
Große Taten? Ja,
Ich weiß die Zeit, da wir sie vor uns sahn!
Wenn wir zusammen oft dem Wilde nach
Durch Berg’ und Täler rannten, und dereinst
670An Brust und Faust dem hohen Ahnherrn gleich
Mit Keul und Schwert dem Ungeheuer so,
Dem Räuber auf der Spur zu jagen hofften;
Und dann wir Abends an der weiten See
Uns aneinander lehnend ruhig saßen,
675Die Wellen bis zu unsern Füßen spielten,
Die Welt so weit, so offen vor uns lag;
Da fuhr wohl einer manchmal nach dem Schwert,
Und künft’ge Taten drangen wie die Sterne
Rings um uns her unzählig aus der Nacht.
PYLADES.
680Unendlich ist das Werk, das zu vollführen
Die Seele dringt. Wir möchten jede Tat
So groß gleich tun als wie sie wächst und wird,
Wenn jahrelang durch Länder und Geschlechter
Der Mund der Dichter sie vermehrend wälzt.
685Es klingt so schön was unsre Väter taten,
Wenn es in stillen Abendschatten ruhend
Der Jüngling mit dem Ton der Harfe schlürft;
Und was wir tun ist, wie es ihnen war,
Voll Müh und eitel Stückwerk!
690So laufen wir nach dem was vor uns flieht,
Und achten nicht des Weges den wir treten,
Und sehen neben uns der Ahnherrn Tritte
Und ihres Erdelebens Spuren kaum.
Wir eilen immer ihrem Schatten nach,
695Der göttergleich in einer weiten Ferne
Der Berge Haupt auf goldnen Wolken krönt.
Ich halte nichts von dem, der von sich denkt
Wie ihn das Volk vielleicht erheben möchte.
Allein, o Jüngling, danke du den Göttern,
700Dass sie so früh durch dich so viel getan.
OREST.
Wenn sie dem Menschen frohe Tat bescheren,
Dass er ein Unheil von den Seinen wendet,
Dass er sein Reich vermehrt, die Grenzen sichert,
Und alte Feinde fallen oder fliehn;
705Dann mag er danken! denn ihm hat ein Gott
Des Lebens erste, letzte Lust gegönnt.
Mich haben sie zum Schlächter auserkoren,
Zum Mörder meiner doch verehrten Mutter,
Und eine Schandtat schändlich rächend, mich
710Durch ihren Wink zu Grund gerichtet. Glaube,
Sie haben es auf Tantals Haus gerichtet,
Und ich, der Letzte, soll nicht schuldlos, soll
Nicht ehrenvoll vergehn.
PYLADES.
Die Götter rächen
Der Väter Missetat nicht an dem Sohn;
715Ein jeglicher, gut oder böse, nimmt
Sich seinen Lohn mit seiner Tat hinweg.
Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.
OREST.
Uns führt ihr Segen, dünkt mich, nicht hierher.
PYLADES.
Doch wenigstens der hohen Götter Wille.
OREST.
720So ist’s ihr Wille denn, der uns verderbt.
PYLADES.
Tu was sie dir gebieten und erwarte.
Bringst du die Schwester zu Apollen hin,
Und wohnen beide dann vereint zu Delphis,
Verehrt von einem Volk das edel denkt;
725So wird für diese Tat das hohe Paar
Dir gnädig sein, sie werden aus der Hand
Der Unterird’schen dich erretten. Schon
In diesen heil’gen Hain wagt keine sich.
OREST.
So hab ich wenigstens geruh’gen Tod.
PYLADES.
730Ganz anders denk ich, und nicht ungeschickt
Hab ich das schon Geschehne mit dem Künft’gen
Verbunden und im Stillen ausgelegt.
Vielleicht reift in der Götter Rat schon lange
Das große Werk. Diane sehnet sich
735Von diesem rauen Ufer der Barbaren
Und ihren blut’gen Menschenopfern weg.
Wir waren zu der schönen Tat bestimmt,
Uns wird sie auferlegt, und seltsam sind
Wir an der Pforte schon gezwungen hier.
OREST.
740Mit seltner Kunst flichst du der Götter Rat
Und deine Wünsche klug in eins zusammen.
PYLADES.
Was ist des Menschen Klugheit, wenn sie nicht
Auf Jener Willen droben achtend lauscht?
Zu einer schweren Tat beruft ein Gott
745Den edlen Mann, der viel verbrach, und legt
Ihm auf was uns unmöglich scheint zu enden.
Es siegt der Held, und büßend dienet er
Den Göttern und der Welt, die ihn verehrt.
OREST.
Bin ich bestimmt, zu leben und zu handeln;
750So nehm’ ein Gott von meiner schweren Stirn
Den Schwindel weg, der auf dem schlüpfrigen,
Mit Mutterblut besprengten Pfade fort
Mich zu den Toten reißt. Er trockne gnädig
Die Quelle, die, mir aus der Mutter Wunden
755Entgegen sprudelnd, ewig mich befleckt.
PYLADES.
Erwart es ruhiger! Du mehrst das Übel
Und nimmst das Amt der Furien auf dich.
Lass mich nur sinnen, bleibe still! Zuletzt,
Bedarf’s zur Tat vereinter Kräfte, dann
760Ruf ich dich auf, und beide schreiten wir
Mit überlegter Kühnheit zur Vollendung.
OREST.
Ich hör Ulyssen reden.
PYLADES.
Spotte nicht.
Ein jeglicher muss seinen Helden wählen,
Dem er die Wege zum Olymp hinauf
765Sich nacharbeitet. Lass es mich gestehn:
Mir scheinet List und Klugheit nicht den Mann
Zu schänden, der sich kühnen Taten weiht.
OREST.
Ich schätze den, der tapfer ist und grad.
PYLADES.
Drum hab ich keinen Rat von dir verlangt.
770Schon ist ein Schritt getan. Von unsern Wächtern
Hab ich bisher gar vieles ausgelockt.
Ich weiß, ein fremdes, göttergleiches Weib
Hält jenes blutige Gesetz gefesselt;
Ein reines Herz und Weihrauch und Gebet
775Bringt sie den Göttern dar. Man rühmet hoch
Die Gütige; man glaubet, sie entspringe
Vom Stamm der Amazonen, sei geflohn,
Um einem großen Unheil zu entgehn.
OREST.
Es scheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft
780Durch des Verbrechers Nähe, den der Fluch
Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt.
Die fromme Blutgier löst den alten Brauch
Von seinen Fesseln los, uns zu verderben.
Der wilde Sinn des Königs tötet uns;
785Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zürnt.
PYLADES.
Wohl uns, dass es ein Weib ist! denn ein Mann,
Der beste selbst, gewöhnet seinen Geist
An Grausamkeit, und macht sich auch zuletzt
Aus dem, was er verabscheut, ein Gesetz,
790Wird aus Gewohnheit hart und fast unkenntlich.
Allein ein Weib bleibt stät auf Einem Sinn,
Den sie gefasst. Du rechnest sicherer
Auf sie im Guten wie im Bösen. – Still!
Sie kommt; lass uns allein. Ich darf nicht gleich
795Ihr unsre Namen nennen, unser Schicksal
Nicht ohne Rückhalt ihr vertraun. Du gehst,
Und eh sie mit dir spricht treff ich dich noch.