Читать книгу Ein Schuss kommt selten allein - Johanna Hofer von Lobenstein, Aj Sherwood - Страница 10

KAPITEL 4

Оглавление

Es war schon fast drei Uhr, als wir wieder im Büro ankamen, und ich hatte nicht sonderlich viel zu tun, was nicht bedeutet hätte, von A nach B zu laufen und mit Menschen zu sprechen. Daher zeigte ich Donovan in Ruhe die Agentur, erklärte, wo alles war, und holte dann die Formulare ab, die er für die Versicherung ausfüllen musste.

»Okay, ich denke mal, das war’s für heute. Alles andere hat bis morgen Zeit.«

»Dann bis morgen.« Donovan packte mit einem Lächeln die Papiere ein und verließ die Agentur durch die Hintertür, um nach Hause zu fahren. Ich nahm meine Tasche, um es ihm gleichzutun, blieb aber noch kurz am Empfang stehen. »Ich bin dann weg, Marcy.«

»Sekunde noch«, sagte sie und sah von ihrem Computer auf. Zum Glück sorgte eine dicke Holztrennwand dafür, dass ich ihn nicht berühren konnte. Jim hatte für Marcy eigens einen Schreibtisch mit einem hohen Tresen aus Holz besorgt, um zu verhindern, dass ich versehentlich etwas streifte. »Ich habe zwei Nachrichten für dich, und einen Abrechnungsbogen, den ich schon an Sharon weitergegeben habe.«

Sie reichte mir zwei Notizzettel, und ich sah, dass die eine Nachricht von Borrowman und die andere von meiner Schwester war. »Super, danke.«

Marcy senkte die Stimme und raunte mir zu: »Und, wie läuft es so mit deinem neuen Partner?«

»Sehr, sehr gut«, versicherte ich ihr in ganz normaler Lautstärke. »Er hat mir ehrlich gesagt gerade den Arsch gerettet, als ein Häftling auf mich losgegangen ist. Er hat ihn so schnell abgefangen, dass es eine wahre Freude war. Allerdings mache ich mir Sorgen um den Bürostuhl, den er benutzen soll. Der ist, glaube ich, nicht für einen Mann von seiner Statur gebaut. Können wir ihm vielleicht einen stabileren Stuhl bestellen?«

»Klar, ich suche morgen etwas heraus und gebe die Bestellung auf.« Ihr Gesichtsausdruck blieb zweifelnd. »Und er ist wirklich nicht …?«

Wo genau der Satz hingehen sollte, blieb unklar, aber ich konnte es mir schon denken, also schüttelte ich den Kopf und beruhigte sie. »Wirklich ganz und gar nicht. Das Leben hat ihm ein paar Dämpfer versetzt, darum sieht er ein bisschen mitgenommen aus. Oh, und übrigens …« Ich beugte mich zu ihr hinunter und senkte die Stimme. »Diese Tattoos, die du gesehen hast? Das sind gar keine Tätowierungen, sondern Narben.«

Sie blinzelte mich aus braunen Augen an. »Narben?«

Ich wusste ganz genau, dass keine fünfzehn Minuten später alle im Büro wissen würden, was ich ihr erzählte, tat aber trotzdem so, als wäre es streng vertraulich. »Ich kenne nicht alle Einzelheiten, aber vor etwa einem Jahr ist er einem Säureangriff zum Opfer gefallen, als Bodyguard.«

Sie schlug eine Hand vor den Mund, die Augen hinter der Brille weit aufgerissen. »Nein. Der Ärmste! War er schwer verletzt?«

»Beide Arme waren so gut wie komplett verätzt, und Teile des Rückens, soviel ich sehen kann.« Ich hatte natürlich alles gesehen. »Wie gesagt, ich kenne nicht die ganze Geschichte, und ich werde nicht danach fragen, bevor er nicht bereit ist, von selber darüber zu sprechen.«

»Natürlich nicht«, stimmte sie mir schnell zu, immer noch erschrocken. »Findest du ihn deswegen so toll? Weil er jemanden auf diese Art beschützt hat?«

»Ja, auch deswegen.« Lächelnd entzog ich mich dem Gespräch. Jetzt hatte sie Zeit, die Information zu verdauen. »Wenn Jim uns sucht, sag ihm, wir kommen morgen früh wieder rein, bevor wir die nächsten Fälle in Angriff nehmen. Es ist keine besonders volle Woche. Ich denke, wir werden hauptsächlich damit beschäftigt sein, Donovan einzuarbeiten.«

»In Ordnung. Ist vielleicht sowieso besser, wenn am Anfang nicht ganz so viel los ist. Sich an dich zu gewöhnen, kann anstrengend genug sein.« Sie zwinkerte mir zu.

Achselzuckend – schließlich konnte ich das nicht leugnen – ging ich zurück in mein Büro, um meine Anrufe zu tätigen. Borrowman hatte einfach um Rückruf gebeten. Das konnte ich später erledigen. Natalies Nachricht bestand in der Frage, ob Skylar das Wochenende bei mir verbringen konnte. Meine liebreizende Nichte war zwar immer willkommen, aber es war nett von Natalie, vorher zu fragen. Das Gespräch mit ihr würde kaum länger als fünf Minuten dauern, denn wenn ein Anruf mehr Zeit in Anspruch nahm, bekam meine Schwester buchstäblich Pickel. Also meldete ich mich zuerst bei ihr. Mein Büro war mit einem altmodischen Wählscheibentelefon ausgestattet, wie ich es auch zu Hause hatte, mit EMP-Schutz unter der harten Kunststoffhülle und einem weiteren um den Stecker.

Es klingelte zweimal, dann war sie schon dran. »Hallo, kleiner Bruder.«

»Hey, große Schwester«, antwortete ich, legte die Füße auf den Schreibtisch und lehnte mich in meinem Bürostuhl zurück. »Skylar kann gerne kommen.«

»Dann bringe ich sie nach der Arbeit vorbei. Gib ihr bitte nicht nur Eis und Pizza zu essen.«

»Spielverderberin.«

»Bye, Jon.«

Schwestern haben ein fantastisches Talent, selektiv zu hören. Bei meiner war das jedenfalls so. Ich legte achselzuckend auf, griff nach dem zweiten Klebezettel und wählte die mir unbekannte Nummer – es war also nicht Borrowmans Handy.

Leider nahm niemand den Anruf entgegen. Dieses Telefon-Pingpong spielte ich mit meinen Kontakten ständig, also sprach ich einfach auf die Mailbox: »Hier ist Jon. Sie sind dran!«

Da ich sonst nichts mehr zu tun hatte, fuhr ich nach Hause.

Aufgrund meiner so interessanten Fähigkeiten hatte ich Schwierigkeiten, in normalen Häusern oder Wohnungen zu leben. Heutzutage gab es fast überall elektronische Schließanlagen, und ich hatte bisher noch keine praktikable Methode gefunden, damit zurechtzukommen. Die meisten Räume in der Wohnung waren relativ unkompliziert, mein Hauptproblem war immer die Küche. Haushaltsgeräte waren extrem anfällig für mich und gaben meist schnell den Geist auf.

Vor sechs Jahren hatte sich eine Art Lösung ergeben: Ich hatte eine alte Pizzeria mit Holzöfen gekauft und sie mit offizieller Genehmigung der Stadt zu Wohnraum umfunktioniert. Die großen Backsteinöfen waren völlig frei von Elektrizität, und man konnte alles Mögliche darin zubereiten, sodass ich nicht mehr von Take-out-Gerichten leben musste. Alles in allem passte mir die Wohnung recht gut, insbesondere, da sie nur sechs Blocks von der Agentur entfernt war, was mir zeitaufwendiges Pendeln ersparte.

Tatsächlich besaß auch ich das eine oder andere elektronische Gerät. Kühlschrank, Mikrowelle, Fernseher, Stereoanlage und ein Google-Home-System, um die beiden Letzteren betreiben zu können. Ich fasste sie niemals direkt an – für die IT war meine Nichte Skylar zuständig. Trotzdem schrottete ich ab und zu etwas, und Skylar musste so regelmäßig vorbeikommen, um den Schaden zu reparieren, dass sie dafür ein monatliches Honorar bezog.

Ich stellte den Wagen auf der knapp bemessenen Parkfläche ab, die hinter dem Haus lag, dann betrat ich das Haus durch die schwarze Metalltür. Ich war nicht weiter überrascht, aus dem Wohnzimmer Geräusche zu hören. »Hey, Sky!«

»Hey, Onkel Jon«, rief sie fröhlich zurück, was mich beruhigte. Wenn sie so fröhlich war, hatte ich nicht aus Versehen etwas kaputt gemacht. Ich trat in den schmalen Flur, warf meine Schlüssel in das Körbchen neben der Tür und hängte im Vorbeigehen meine Tasche an die kleine Fußbank. Die Küche hatte keine Tür, also konnte ich problemlos erkennen, dass ein gewisser rotschöpfiger Teenager meine letzten Kekse gefunden und restlos aufgegessen hatte. Die leere Packung lag neben dem großen, altmodischen Spülstein, aber immerhin stand kein schmutziges Geschirr auf der weißen Ablage, also hatte sie halbwegs hinter sich aufgeräumt.

Hinter der Trennwand zwischen Küche und Wohnzimmer fand ich meinen Schützling vor, mit dem Rücken zu mir und dem Google Home in den Händen mitten auf dem weichen Teppich. »Was machst du da?«

»Das Update ist gestern rausgekommen«, erklärte sie und hob den Kopf, um mich anzusehen. Ihr rotes Haar war heute zum Pferdeschwanz zusammengebunden, und das hellblaue Tanktop betonte das Blau ihrer Augen. Von uns allen hatte Skylar die meisten irischen Gene abbekommen. »Sie haben die Spracherkennung verbessert.«

»Oh, sehr gut«, sagte ich, aufrichtig erfreut. Manchmal musste ich mit dem System regelrecht streiten, weil es mich nicht richtig verstand. Denn im Gegensatz zu anderen konnte ich nicht mal eben kurz die Fernbedienung zur Hand nehmen, wenn das passierte. Ich näherte mich vorsichtig und setzte mich dann auf die Sofakante, um dem Gerät nicht zu nahe zu kommen. Zum Glück war der Raum groß, und ich hatte trotz TV-Möbel, Regalen, der großen Couch, Sitzsack und Billardtisch genug Platz, um Sicherheitsabstand zu wahren. »Und, wie war dein Tag? Soll ich etwas kochen?«

»Das wär’ super. Mom kommt heute Abend spät.« Sie strahlte mich an.

Ich liebte meine Schwester, das taten wir alle, aber niemand wäre je so weit gegangen, sie eine gute Köchin zu nennen. »Ich wollte gebratenen Lachs mit Gemüse machen. Okay für dich?«

»Ich liebe Fisch, das weißt du doch.«

»Das stimmt.« Ich ging in die offene Küche, nahm meine Greifzange zur Hand und manövrierte die Zutaten auf meine Metallarbeitsfläche auf Rollen, dann zog ich sie zu mir, in ausreichendem Abstand zum Kühlschrank.

Skylar spielte noch eine Weile am System herum, solange ich das Essen vorbereitete und den Ofen anfeuerte. Dann kam sie zu mir, setzte sich auf einen Barhocker und stützte die Unterarme auf den Tresen. »Du siehst aus, als hättest du gute Laune. Hattest du einen schönen Tag?«

»Ich habe einen neuen Partner.« Ich konnte mein breites Lächeln nicht unterdrücken.

»Moment mal.« Ihre Hand schoss nach oben, um mich zu unterbrechen. »Ich dachte, du datest nicht mehr?«

»Bei der Arbeit, nicht privat«, erklärte ich. Es war rührend, wie sehr Skylar daran glaubte, dass ich einen Lebenspartner finden würde, trotz meiner Eigenheiten. Sie wusste besser als die meisten, wie schwierig es war, mit mir zusammenzuleben, und dennoch war ihre Zuversicht nicht zu erschüttern.

Erst war sie sichtlich enttäuscht, typisch Teenager, dann fasste sie sich wieder und meinte: »Aber das ist doch super. Du hast dir schon so lange einen gewünscht. Wie ist er – oder sie – denn?«

»Er. Sein Name ist Donovan Havili, und er ist unglaublich toll.«

Sie wackelte auf eine Art mit den Augenbrauen, die Vierzehnjährige eigentlich noch nicht kennen sollten. »Eeeeecht?«

»Das reicht jetzt«, sagte ich streng und würzte den Lachs.

»Ist er schwul?«

»Bi, aber das spielt überhaupt keine Rolle.« Sobald ich die Worte laut ausgesprochen hatte, wurde mir klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte.

Skylar stürzte sich auf die Aussage. »Er ist bisexuell! Also hast du eine Chance.«

»Wieso hast du eigentlich nur die eine Hälfte gehört? Denk doch mal darüber nach, Skylar. Der Mann muss vierzig Stunden pro Woche mit mir zusammenarbeiten. Ja, er ist wunderbar und sehr geduldig und sehr großzügig – aber trotzdem. Er muss mich vierzig Stunden ertragen, ohne dem Impuls nachzugeben, mir den Hals umzudrehen. Willst du seine Geduld wirklich so überstrapazieren und ihn auch noch zu meinem Lover machen? Er würde mich umbringen oder so schnell wie möglich das Weite suchen.«

Jetzt schmollte Skylar ganz offen. »Du gibst einfach immer auf, ohne es auch nur zu versuchen.«

Ich wusste aus leidvoller Erfahrung, wie unmöglich mich die meisten Menschen fanden. Mein eigener Vater hatte uns an meinem siebten Geburtstag verlassen, noch bevor sich meine Gabe überhaupt richtig entwickelt hatte. Er hatte es nicht mit meiner Mutter und mir gleichzeitig ausgehalten. Selbst meine Mutter hatte einen höflichen Weg gefunden, mich mit siebzehn aus dem Haus zu bugsieren, weil ich ihre Nerven und ihr Bankkonto über Gebühr strapaziert hatte. Natalie war die Einzige, die es wirklich geschafft hatte, mit mir zusammenzuleben. Sie hatte eine Engelsgeduld und außerdem das beste Stressmanagement, das ich je gesehen hatte. Aber selbst sie hatte die Waffen gestreckt, als ich neunzehn gewesen war. Immerhin hatte sie mir noch geholfen, hier zu renovieren.

Natürlich sprach ich das alles nicht laut aus. Stattdessen zuckte ich die Achseln und sagte leichthin: »Glaub mir, Kleines. Ich kann Menschen gut genug lesen, um zu wissen, wann es sich lohnt, es zu versuchen. Was ich brauchen würde, wäre eine Jahrhundertromanze, und die Chancen, so etwas zu bekommen, stehen nun mal nicht gut. Ich hätte einen süßen besten Kindheitsfreund gebraucht, der dann später meine große Liebe geworden wäre. Vielleicht sollte ich noch mal von vorne anfangen.«

»Ich auch«, klagte Skylar. Aber schon war sie wieder guter Laune und beim Thema. »Und? Wie ist er denn so, dieser Donovan? Du sagst, er ist super, aber was bedeutet das auf einer Skala von eins bis zehn?«

»Zwanzig.« Erleichtert darüber, dass sie das andere Thema ruhen ließ, schob ich den Lachs in den Ofen, dann bat ich: »Google, stelle den Timer auf dreißig Minuten.«

»Timer gestellt«, antwortete eine weibliche Computerstimme freundlich.

»Zwanzig, ehrlich?« Skylar folgte mir auf das große Sofa im Wohnzimmer. »Was ist denn so toll an ihm?«

»Nicht sein Aussehen, du kannst aufhören, so ein Gesicht zu machen«, wies ich sie mit erhobenem Zeigefinger zurecht. Dann schlug ich die Beine übereinander und versuchte, die richtigen Worte zu finden. »Sein Äußeres wirkt eigentlich eher gefährlich. Er ist sehr groß, muskulös, und er hat so eine Ausstrahlung, als ob mit ihm nicht gut Kirschen essen wäre. Jeder Depp, der sich mit ihm anlegen würde, kann einem nur leidtun. Aber er hat einen gigantischen Beschützerinstinkt, und er ist wirklich lieb und so geduldig wie Natalie. Wenn ich in seiner Nähe bin, beruhigt mich seine Aura so sehr, dass ich mich am liebsten auf seinem Schoß zusammenrollen und schnurren würde.«

Sie machte wieder das lüsterne Augenbrauending. »Und wieso tust du es dann nicht?«

»Sky«, stöhnte ich. »Wenn ich endlich einen Partner finde, der mir die Haut rettet, dann werde ich den Teufel tun, ihn sofort wieder zu vergraulen!« Ich konnte noch nicht mal sicher sein, dass er die ganze Woche durchhalten würde, von einem Monat ganz zu schweigen.

»Menno.« Sie zog die gekreuzten Beine unter sich, dann fragte sie: »Wann kann ich ihn kennenlernen?«

»Hoffentlich bald. Ich schaue mal, wie es läuft. Wenn er nächste Woche noch da ist, gebe ich eine Willkommensparty für ihn.«

»Bestimmt will Grandma ihn kennenlernen, wenn er sich entschließt, bei dir zu bleiben«, meinte sie nachdenklich, während sie mit schief gelegtem Kopf Dinge dachte, die sie vermutlich besser nicht denken sollte. »Ich erzähle es ihr.«

Es war einfacher, wenn sie eine Nachricht schrieb, als wenn ich meine Mutter mit meinem alten Wählscheibentelefon zu erreichen versuchte. »Wenn du mir ihr darüber sprichst, bitte, mach um alles in der Welt nicht mehr daraus, als es ist.«

»Menno«, wiederholte sie und rümpfte die Nase.

Sie führte etwas im Schilde. Ich wusste es.


Im besten Zombiemodus schlurfte ich am Empfang vorbei auf mein Büro zu, um zu schauen, ob mir jemand Nachrichten hinterlassen hatte. Meine Kaffeemaschine hatte heute morgen den Geist aufgegeben, und ich hatte zwar unterwegs bei Starbucks angehalten, aber erst ein Drittel von meinem Kaffee getrunken, und das Koffein wirkte noch nicht. Auf halbem Weg warf ich einen Blick in Richtung Chefbüro. Jim bemerkte es und winkte mich herein. Ich konnte mir schon denken, worum es ging, also änderte ich die Richtung, betrat sein Büro und schloss die Tür hinter mir.

»Und, wie finden Sie ihn?«, fragte Jim gespannt.

»Unglaublich geduldig.« Ich ließ mich in den Besuchersessel vor seinem Schreibtisch plumpsen. »Außerdem ist er einer von den wunderbaren Menschen, denen man alles nur einmal erklären muss. Jedenfalls musste ich mich bisher kein einziges Mal wiederholen. Und er fühlt sich für mich verantwortlich, was wirklich bemerkenswert ist. Ich denke, wenn er mal mit seiner Geduld am Ende ist, dann wird sein Beschützerinstinkt verhindern, dass er mich einen Kopf kürzer macht.«

Jim atmete hörbar erleichtert auf. »Gut. Das ist sehr gut. Ein besserer Start also als bei den letzten beiden.«

Darauf erwiderte ich mal nichts. Hauptsächlich, weil es auf »Das hätte ich Ihnen gleich sagen können« hinauslaufen würde. Die letzten beiden Partner hatte ich mir nicht selbst ausgesucht, und das hatte sich schon sehr bald bemerkbar gemacht. Es war gründlich schiefgelaufen. »Ich bin vorsichtig optimistisch, dass er es zumindest länger aushalten wird als alle vor ihm.«

»Na ja, das ist keine besonders hohe Messlatte«, brummte Jim und lehnte sich dann seufzend zurück. »Ich will Ihnen wirklich keinen Anker aufdrängen, Jon. Ich will nur nicht, dass Sie tot oder im Krankenhaus enden, nur weil wir keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben.«

»Das weiß ich ja, Jim«, antwortete ich leise. »Und ich weiß es wirklich zu schätzen.« Es war nicht seine Schuld, dass es schwierig war, mit mir auszukommen. »Für den Moment bin ich erst mal gut aufgehoben. Bisher war nur eine Person dumm genug, es mit Donovan aufnehmen zu wollen. Es ist ungfähr so sinnvoll, wie mit einem Berg zu streiten.«

»Einem finster aussehenden Berg«, sagte Jim mit zustimmendem Nicken. »Was haben ihm seine Eltern nur zu essen gegeben? Ganze Kühe? Er hat ein Kreuz wie ein Footballspieler.«

»Das ist das Tonga-Blut – es macht ihn überlebensgroß.« Ich warf einen prüfenden Blick auf die Uhr an der Wand, vermutete, dass es dem Computer meines Chefs schlecht bekommen würde, wenn ich noch länger sitzen blieb, und stand auf. Sho würde mich umbringen, wenn er schon wieder einen Arbeitscomputer ersetzen musste. »Ich halte Sie auf dem Laufenden. Aber bisher ist alles super.«

»Das war alles, was ich wissen wollte. Eins noch: Wir haben einen Fall reinbekommen. Ein junger Mann hat sich privat gemeldet. Marcy hat den Fall aufgenommen. Liegt auf Ihrem Tisch.«

Das war etwas ungewöhnlich. Die meisten Fälle gelangten über die Polizei zu uns, es kam nur in Notfällen vor, dass Privatpersonen uns selbst beauftragten. »Okay, ich schaue es mir an.« Ich hob grüßend meinen Kaffeebecher und verließ das Büro.

Die Akte lag tatsächlich auf meinem Tisch, oder, um genau zu sein, auf meinem Stuhl. Marcy legte Unterlagen für mich immer auf den Stuhl, denn sie behauptete, dass auf meinem Schreibtisch alles verloren ginge. Das war natürlich lächerlich – so unordentlich war ich nun auch wieder nicht. Mein Tisch sah zwar aus wie ein Schlachtfeld, aber der Wahnsinn hatte durchaus Methode. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich alles wiederfinden.

Ich hatte kaum die Akte auf den Schreibtisch gelegt und mich hingesetzt, als schon das Telefon klingelte. Ich hob den Hörer ab und klemmte ihn unters Kinn. »Jonathan Bane.«

»Bane, hier ist Borrowman. Hören Sie, wir haben im Fall Marsha Brown einen Tatverdächtigen, der schon zwei Frauen vergewaltigt und umgebracht hat. Die Leichen hat er in der gleichen Gegend entsorgt. Er schwört aber, dass er dieses Mal nichts damit zu tun hat.«

»Tun sie das nicht alle?«

»Das stimmt, aber die anderen beiden Taten hat er gestanden. Warum sollte er bei der dritten lügen?«

»Gute Frage«, antwortete ich langsam. »Von der Tatzeit her könnte er es auch gewesen sein?«

»Ja. Wir haben ihn erst heute Morgen gefasst. Er ist schon seit ein einigen Tagen auf der Flucht. Vor ein paar Stunden haben wir ihn dann verhaftet.«

»In Ordnung. Soll ich vorbeikommen und ihn mir ansehen?«

»Wenn Sie Zeit haben. Heute schaffe ich es nicht mehr, aber morgen wäre gut.«

»Klar. Nach der Mittagspause würde es passen.«

»Wunderbar, danke. Wie läuft’s mit Ihrem neuen Partner?«

»Ganz gut, danke der Nachfrage.« Wenn man vom Teufel spricht – er hatte gerade das Büro betreten, mit einem sehr interessanten Gesichtsausdruck, der zwischen »amüsiert« und »misstrauisch« schwankte. »Dann bis morgen.«

»In Ordnung. Bis dann.«

»Guten Morgen«, grüßte ich vorsichtig, während ich den Hörer auflegte. »Was machst du denn für ein Gesicht?«

»Was auch immer du Marcy erzählt hast, es hat funktioniert«, erwiderte er mit hochgezogenen Brauen. »Sie hat nicht nur Guten Morgen gesagt, sondern mir sogar Kaffee angeboten.«

Natürlich. Er war ja bei der Militärpolizei gewesen, also war er nicht nur aufmerksam, sondern auch geübt darin, Schlussfolgerungen zu ziehen. Das sollte ich im Hinterkopf behalten. »Ich möchte eben, dass die anderen dich auch so sehen wie ich. Probleme damit?«

»Kein bisschen.« Sein Lächeln wurde breiter, und man konnte seine sehr weißen, leicht schiefen Zähne erkennen. Ein perfekter Kontrast, dieses strahlende Lächeln und die kastanienbraune Haut. »Worum ging es denn gerade?«

»Borrowman hat einen neuen Tatverdächtigen im Mordfall Marsha Brown. Er glaubt nicht, dass der Kerl es war, möchte aber trotzdem eine zweite Meinung. Wir fahren morgen nach der Mittagspause hin und nehmen ihn unter die Lupe.«

Donovan nickte. »Okay. Was steht heute an?«

»Lass mich mal sehen. Wir haben einen Privatfall reinbekommen. Jemand, der Probleme hat und uns direkt beauftragen will. Ich hatte noch keine Zeit, die Akte zu lesen.«

Er bedeutete mir, hineinzuschauen, also schlug ich die Akte auf und las sie durch, wobei ich lautlos durch die Zähne pfiff. Normalerweise fanden Privatfälle auf einer, höchstens zwei Seiten Platz. Diese Akte umfasste zwei volle Seiten, und die Sache roch nach Ärger.

»Das klingt wirklich sehr ausgefallen. Ein Austauschstudent, Chen Li, wird von einer Studentin auf dem Campus angeschossen, aber das Mädchen behauptet, er habe sie um Geld erpresst und sie habe in Notwehr gehandelt.«

Donovan, der gerade dabei war, einen Ordner auf seinem Tisch abzulegen, wandte sich um und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Und stimmt das?«

»Chen sagt, nein. Aber das wird sich erst klären, wenn wir mit ihm sprechen.« Ich blickte auf die Wanduhr. Es war halb neun, und ich rechnete kurz nach, ob wir es angesichts der Verkehrsverhältnisse und der Besuchszeiten im Krankenhaus einrichten konnten. »Wir haben heute Vormittag keine Termine. Ich würde vorschlagen, wir fahren noch vor der Mittagspause hin.«

»In Ordnung«, stimmte Donovan gutmütig zu. »Aber bevor wir fahren, würde ich gerne noch etwas mit dir vereinbaren.«

Ich legte fragend den Kopf schief. »Was gibt es denn?«

»Es ist so. Du kannst ja in mir lesen wie in einem Lexikon. Ich dagegen habe es mit dir nicht ganz so leicht. Deshalb möchte ich so etwas wie ein Zeichen vereinbaren, das du machen kannst, wenn wir es mit einem gefährlichen Kandidaten zu tun haben. Damit ich weiß, dass ich mich auf Ärger einstellen sollte, und Zeit habe, einen Plan zu machen, anstatt spontan reagieren zu müssen.« Er stellte seinen Kaffee ab, setzte sich auf seinen Stuhl und drehte sich zu mir. »Beim Militär hatten wir Handzeichen, mit denen wir wortlos kommunizieren konnten.«

Jetzt verstand ich, was er meinte. Er war der erste meiner Partner, der mitdachte, Probleme vorhersah und Lösungsvorschläge machte. Ich war erst mal verblüfft, obwohl es eigentlich kein Wunder war. Hier sprach sein Beschützerinstinkt. »Diese Handzeichen kann ich aber nicht.«

»Das habe ich mir schon gedacht«, beschwichtigte er. »Im Polizeidienst lernt man heutzutage die Grundlagen der Gebärdensprache. Kannst du die vielleicht?«

Keine schlechte Idee. »Die habe ich tatsächlich gelernt. Aber ist das dann nicht ziemlich offensichtlich?«

»Ich würde sie leicht abwandeln. Es muss so aussehen, als würdest du zappeln oder dich kratzen. Wir müssen heute früh nicht sofort ganz tief einsteigen, aber wir sollten uns schon mal auf zwei wesentliche Signale einigen. Du kennst die Gebärde für P, oder?«

Ich machte das Zeichen für P: ausgestreckter Zeigefinger, die anderen Finger nach unten zusammengehalten.

»Genau. Das machst du und stützt dabei das Kinn auf die Hand, als würdest du nachdenken«, schlug er vor. »Dann weiß ich, dass wir Probleme mit dem Typ bekommen.«

Das war wunderbar simpel. »P für Probleme. Soll G dann Gefahr bedeuten, oder ist das als Denkerpose zu gekünstelt?«

»Das brauchen wir, glaube ich, gar nicht.« Donovan rieb die Fingerspitzen aneinander. Heute sah er wieder ziemlich gut aus in seinem Oberhemd und den Jeans. Wer auch immer seine Klamotten kaufte, hatte meine volle Zustimmung. Das Hemd hatte einen hellen Kupferton, der seiner Haut schmeichelte. »Wenn ich weiß, dass wir Probleme bekommen, gehe ich auch davon aus, dass Gefahr im Verzug ist. Aber nehmen wir mal an, irgendetwas passiert und ich bin am anderen Ende des Raums, oder wir haben ein Hindernis zwischen uns. Ich möchte, dass du es mir signalisieren kannst, wenn du Hilfe brauchst. Du machst das Zeichen für H vor deiner Brust und klopfst zweimal, sodass es einfach wie eine nervöse Geste aussieht.«

Ich machte also ein schlampiges H-Zeichen vor der Brust und tippte mir zweimal dagegen. »So?«

»Genau. Das sehe ich dann schon.« Donovan wirkte einen Hauch entspannter. »Das sollte erst mal reichen. Wir können später noch mehr vereinbaren, wenn es notwendig sein sollte.«

Ich war gerührt, dass er sich das überlegt hatte und sich von sich aus um mich sorgte. Aber wir kannten uns immer noch nicht gut genug, dass ich ihn einfach so aus Leibeskräften hätte drücken können. Schade. Nun ja, das würde schon noch kommen.

»Einverstanden. Sollen wir mal unseren möglicherweise völlig unschuldigen Klienten besuchen gehen?«


Chen Li sah nicht gut aus. Kein Wunder – der arme Kerl war zweimal angeschossen worden, einmal in den Arm und einmal in die Lunge. Er lag hochgestützt im Krankenhausbett, trug Verbände und eine Sauerstoffmaske über dem Mund. Asiatische Männer wirkten oft jünger, als sie wirklich waren, aber er sah aus wie ein Teenager und nicht wie der Zwanzigjährige, der er laut Akte war. Wahrscheinlich trugen seine kurz geschorenen Haare zu diesem Eindruck bei. Er blickte auf, als ich an die Tür klopfte. Unter seinen mandelförmigen Augen lagen dunkle Schatten.

»Jonathan Bane von der Psy Consulting Agency«, stellte ich mich vor. »Und das ist Donovan Havili, mein Partner.«

»Sehr erfreut«, erwiderte er mit leichtem chinesischen Akzent. Seine Worte waren wegen der Sauerstoffmaske etwas undeutlich. »Kommen Sie bitte herein.«

Das tat ich, hielt mich aber in sicherem Abstand von der rechten Seite des Raums, an der sich die ganzen Apparate und auch das Bett befanden. Ich versuchte, in Wandnähe zu bleiben, um den elektronischen Geräten nicht zu nahe zu kommen. Donovan, der meine Vorsicht bemerkte, schob sich zwischen mich und das Equipment. Das entspannte mich etwas, und ich nahm in einem der Besucherstühle Platz. Wenn Chen es merkwürdig fand, dass ich im Haus eine Sonnenbrille trug, erwähnte er es nicht, und er starrte mich zum Glück auch nicht komisch an. Die meisten Leute hätten mich danach gefragt.

»Meine Aussage.« Chen zeigte auf ein Dokument, das er auf seinem Laptop aufgerufen hatte. »An wen soll ich sie schicken?«

»Am besten an mich«, sagte Donovan lächelnd. »Zeigen Sie mal her, ich tippe Ihnen hier unten meine E-Mail-Adresse rein.«

»Ah, vielen Dank.«

Ich sah aus dem Augenwinkel die Länge des Dokuments. Offen gestanden war ich beeindruckt, dass Chen es geschafft hatte, mit nur einer Hand drei volle Seiten zu schreiben. Das ließ auf Frustration oder Langeweile schließen, vielleicht auch auf beides.

»Ich weiß, Sie haben das alles aufgeschrieben, und ich werde es auch sorgfältig lesen. Können Sie uns trotzdem noch einmal in eigenen Worten erzählen, was passiert ist?«

»Überhaupt kein Problem«, sagte er entschlossen. Ungeduldig zog er die Sauerstoffmaske herunter und klemmte sie unters Kinn, um besser sprechen zu können. Seine nächsten Worte waren gleich viel deutlicher. »Haben Sie in der Zeitung von der Geschichte mit Alice Thompson gelesen?«

Die Zeitung war eines der wenigen Medien, mit denen ich mich auch ohne Elektronik auf dem Laufenden halten konnte, also nickte ich sofort. »Ja. Sie soll angeblich Erpresserbriefe erhalten haben, aber es kam nie jemand zu den Treffpunkten, um das Geld abzuholen. Die Polizei geht davon aus, dass ihr jemand einen Streich gespielt hat, richtig?«

»Genau. Wir dachten alle, dass es ein Streich war. Ms Thompson und ich studieren am gleichen College, wenn auch nicht die gleichen Fächer. Inzwischen wissen alle am College Bescheid. Das mit den Briefen fing vor ein paar Monaten an, im letzten Semester. Alle hielten es für einen Streich. Aber sie bekam immer weiter Briefe und fragte sich, wer dahintersteckte. Letzte Woche sprach sie mich vor der Bibliothek an, sie wollte etwas mit mir besprechen. Ich dachte mir nichts Böses dabei und sagte, na klar, also haben wir uns auf die Treppe vor der Bibliothek gesetzt. Sie fragte, ob ich von den Briefen gehört hätte, und ich sagte Ja, aber dass ich nicht weiß, wer sie geschickt hat. Sie hat noch weitere Fragen gestellt, aber ich wusste nichts darüber. Ich sagte ihr, ich hoffe, dass die Person bald gefasst wird, damit sie keinen Ärger mehr damit hat. Sie hat gelächelt und sich bedankt. Ich dachte, wir sind fertig, also stand ich auf, habe mich verbeugt und wollte gehen. Als ich aufsah, hatte sie eine Pistole in der Hand.«

Donovan gab einen Laut von sich, eine Mischung aus einem heruntergeschluckten Fluch und einem Ausruf der Überraschung. Auf die Verletzungen deutend fragte er: »Moment mal, Sie haben noch nicht mal gestritten? Sie hat einfach die Waffe gezogen und auf Sie geschossen?«

»Sie hat mich zweimal getroffen, wie Sie sehen«, bestätigte Chen düster. »Als ich die Pistole erkannte, bekam ich Angst. Ich bin weggerannt. Sie hat fünfmal geschossen. Um mich herum haben alle geschrien, und manche sind uns nachgerannt. Ich bin vom Campus weggelaufen, in eine Autowerkstatt, und habe mich in einem Auto versteckt. Sie wurde vom Campus-Sicherheitsdienst aufgegriffen, sie haben ihr die Waffe abgenommen und einen Krankenwagen für mich gerufen. Ich weiß nicht, was dann passiert ist, aber vor drei Tagen kam die Polizei hierher. Sie haben mich beschuldigt, die Briefe geschrieben und sie bedroht zu haben. Aber das habe ich nicht!« Chen musste husten, zog eine Grimasse und setzte dann die Sauerstoffmaske wieder auf, wie es ihm seine Lunge zweifellos nahelegte.

Die ganze Geschichte verursachte mir Kopfschmerzen. Ich konnte seiner Aura ansehen, dass er die volle Wahrheit sprach und dass er ein ehrlicher Mensch war. Er hatte nichts falsch gemacht, und schon gar nichts, was es gerechtfertigt hätte, auf ihn zu schießen. »Ich glaube Ihnen.«

Chen sah mich mit großer Erleichterung an. »Niemand sonst glaubt mir. Sie denken, dass ich etwas getan habe, das ihr Angst eingejagt hat, und dass sie darum geschossen hat. Ich habe Ihre Agentur angeschrieben, weil ich hoffe, dass ein Medium sehen kann, dass ich nicht lüge.«

»Sie sagen die Wahrheit und haben sich nichts vorzuwerfen, das sehe ich«, beruhigte ich ihn. »Sie müssen mich nicht überzeugen. Ich habe jetzt verstanden, was passiert ist. Was können wir denn für Sie tun?«

»Beweisen, dass ich unschuldig bin. Die Polizei glaubt mir nicht. Finden Sie die schuldige Person, und weisen Sie nach, dass Ms Thompson unrecht hat.«

Ich sah Chen an. Offensichtlich war er Austauschstudent, weit weg von zu Hause, im Krankenhaus ans Bett gefesselt, und die fremde Polizei saß ihm im Nacken – was für eine beängstigende Vorstellung. Er wirkte tatsächlich auch eingeschüchtert, in der Hauptsache aber empört. Er hatte sich nichts zuschulden kommen lassen und nichts von dem verdient, was ihm zugestoßen war. Mich wunderte es überhaupt nicht, dass er aufgebracht war.

»Genau das werden wir tun. Mein Partner gibt Ihnen jetzt seine Telefonnummer. Rufen Sie uns an, wenn die Polizei wieder mit Ihnen sprechen will oder wenn Sie sich bedroht fühlen. Donovan war früher bei der Militärpolizei. Glauben Sie mir, an ihm kommt keiner vorbei.«

Chen sah Donovan prüfend an, dann grinste er. »Das kann ich mir vorstellen.«

Donovan grinste zurück. »Geben Sie mir mal Ihr Handy, ich tippe die Nummer ein. Ich schicke Ihnen Nachrichten, wenn wir auf etwas Neues stoßen, okay?«

»Das finde ich sehr gut. Danke.«

Ich schaute zu, wie Donovan alles in Chens Handy eintippte, und fragte: »Wie lange müssen Sie noch im Krankenhaus bleiben? Haben Sie schon einen sicheren Ort für danach?«

»Meine Mutter kommt, um nach mir zu sehen. Ihr Flieger landet noch heute. Die Ärzte wollen mich erst in ein paar Wochen entlassen.«

Das ließ mich innerlich aufatmen. Es wäre mir gar nicht recht gewesen, ihn allein zu wissen. »Gut. Wenn Sie Hilfe brauchen, melden Sie sich. Wir holen Sie aus dem Krankenhaus ab, okay? Wir wollen der Frau keine Gelegenheit geben. Es klingt, als hätte sie sie nicht alle.«

Chen verzog fragend das Gesicht. »Hätte sie nicht alle?«

»Als wäre sie verrückt«, übersetzte Donovan.

»Ah. Ja, verrückt, hat sie nicht alle«, stimmte Chen sofort zu. »Ich traue ihr nicht.«

»Das tun wir auch nicht. Chen, eine letzte Frage noch, dann lassen wir Sie in Ruhe. Wissen Sie den Namen des Polizeibeamten, der Sie befragt hat?«

»Ja, ich habe die Visitenkarte hier.« Er zog sie unter dem Laptop hervor und reichte sie mir.

Mit flauem Gefühl im Magen nahm ich die Karte. Natürlich war er es. Ich verzog keine Miene und lächelte Chen knapp zu. »Diesen Detective kenne ich. Gut, dass Sie uns angerufen haben. Er ist bekannt dafür, etwas … engstirnig zu sein. In Ordnung, ich rufe ihn an und lasse ihn wissen, dass wir an dem Fall arbeiten. Danke Ihnen. Wir melden uns bald, in Ordnung?«

»Danke, Mr Bane, Mr Havili«, antwortete Chen höflich und mit spürbarer Erleichterung.

Wir verließen das Krankenzimmer, und ich schaffte es bis ans Ende des Korridors, bevor ich fürchterlich zu fluchen begann.

»Darauf hab ich schon gewartet.« Donovan betrachtete mich mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Ich habe dir angesehen, dass du den Typ nicht ausstehen kannst. Ist das einer von den Beamten, die du gestern gemeint hast?«

»Ich hatte doch angedeutet, dass es mal einen Vorfall gegeben hat. Dieser Kerl war der Hauptdarsteller. Verdammt noch mal.« Ich schlug mit der Faust gegen die Wand. »Er ist genau der Typ, der sich an einem Verdächtigen festbeißt und dann alles dafür tut, die Beweise so zu drehen, dass er ihn überführen kann. Kein Wunder, dass Chen so verunsichert war, dass er uns eingeschaltet hat. Bestimmt denkt er sich, dass außer ihm niemand verdächtigt wird. Das Einzige, was ihn gerade noch vor den Handschellen schützt, ist die Tatsache, dass er im Krankenhaus liegt.«

»Sekunde mal, der Junge wird ohne Grund angeschossen, und die Polizei will ihm das Ganze auch noch in die Schuhe schieben?« Donovan gab einen leisen Pfiff von sich. Er sah alles andere als begeistert aus. »Das klingt aber nicht besonders fair.«

»Nein«, knurrte ich mit wachsender Frustration. »Aber genau das ist es, was Solomon tun wird. Donovan, ich sage es nicht gerne, aber wir haben nicht viel Zeit dafür, Beweise zu sammeln. Und es müssen stichhaltige Beweise sein. Etwas, mit dem wir über Solomons Kopf hinweggehen können, wenn es sein muss. Wir müssen nicht unbedingt den Schuldigen finden, aber wir müssen nachweisen, dass es nicht Chen war.«

»Und zwar bevor er aus dem Krankenhaus entlassen wird, sonst muss er in einer Zelle gesund werden«, fasste Donovan düster zusammen. »Also dann. Wir sollten uns dahinterklemmen.«

Ein Schuss kommt selten allein

Подняться наверх