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TRANSSEXUALITÄT: EIN KULTURELLER VERGLEICH“
ОглавлениеVortrag und Gespräch mit Johanna Kamermans am 29.01.1997 in der Paul-Gerhardt-Kirche in Köln, anläßlich der Photographie- und Textausstellung "Im falschen Körper - Transsexuelle Menschen in Deutschland" von Daniel und Geo Fuchs.
Guten Abend: mein Name ist Johanna Kamermans, ich komme aus Berlin, erlebe mich selbst - und das seit bald 25 Jahren - als transsexuell und werde - im Rahmen dieses Vortrags - versuchen Geschlechtswandel - Phänomene in anderen Kulturen, Zeiten und Sozialstrukturen zu beleuchten - allerdings nur ansatzweise, da diese Thematik derart vielfältig ist, daß man darin regelrecht versinken kann.
Meine beiden Sachbücher "Mythos Geschlechtswandel" (1992) und "Künstliche Geschlechter" (1995) bilden die Grundlage für die kommenden Ausführungen - allerdings bieten beide Bücher an sich auch nur wieder eine grobe Übersicht. Das auf die Geschlechtswandel - Thematik abzielende Quellenmaterial ist hierbei schier unerschöpflich, vor allem um die Jahrhundertwende gab es unendlich viele Publikationen. Als Beispiel der aktuellen Vielfalt der genannten Thematik sei an dieser Stelle noch verwiesen auf die von der Berliner Buchhandlung Prinz Eisenherz regelmäßig veröffentlichte Auswahlliste der lieferbaren Bücher zum Thema Transsexualität/Transvestitismus - die Liste vom 07.02.1996 weist 126 Titel aus. Und täglich werden es mehr.
Zum Vortrag selber sei noch gesagt, daß hierfür ca. 1 1/2 Stunden vorgesehen sind und anschließend eine Diskussion zur vorgestellten Thematik stattfinden wird. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, sich den Vortrag erst mal anhören zu wollen und diesen - des "Roten Fadens" wegen - nach Möglichkeit nicht zu unterbrechen. Bitte, notieren Sie Ihre Fragen und stellen Sie dieselben in der darauffolgenden Diskussion: ich bin mir sicher, daß wir auf dieser Art und Weise einen für beide Seiten überaus interessanten Gedankenaustausch haben werden. Besten Dank in voraus für Ihr Verständnis - auf geht's!
Vorweg eine kurze Zusammenfassung der zu behandelnden Thematik. Es wird dabei versucht ein Panorama unterschiedlichster Geschlechtswandelphänomene aufzuzeichnen, angefangen bei solchen im Rahmen der vorderasiatischen Fruchtbarkeitskulten der Bronzezeit, der "androgynischen Idee des Lebens" in der Antike sowie des Eindeutigkeitsdenkens späterer monotheistischer Religionen. Weitere Schwerpunkte bilden das überaus verfeinerte Berdachen - System der nordamerikanischen Urindianer und ein Aufriß Hirschfeldscher Ansätze vor 100 Jahren bis zum gesetzlich kanalisierten Transsexualismus unserer Tage. Hierbei soll nicht unterlassen werden, während des Vortrags immer wieder einen Bezug zur aktuellen Transsexualitäts-Problematik zu finden, denn: "Wer das Alte nicht kennt, kann das Neue nicht verstehen!" So weit, so gut.
Der Titel des heutigen Vortrags "Transsexualität: ein kultureller Vergleich" wirft gleich die Frage auf: "gibt es nur eine einzige, medizinisch und juristisch genau definierbare Transsexualität gar im Sinne eines genau normierten Krankheitsbildes, von wo aus die übrigen Geschlechtsidentitäts-Manifestationen zu beurteilen sind, oder gibt es gar viele möglichen Transsexualitäten bzw. trifft es zu, wie die Frankfurter Seelendoktorin Dr. Inoszka Prehm es formuliert: "Transsexualität hat so viele Gesichter, wie es Transsexuelle gibt"?
Ja, Letzteres trifft den Nagel auf den Kopf und ich kann ihr nur voll beipflichten (es ist dies gleichzeitig auch der Tenor dieses Vortrags), wenn sie in einem Stern-Leserbrief (Stern 24/95) dazu weiter ausführt: "Die einen führen ein glückliches Leben ohne die geschlechtsangleichende Operation und die anderen können ohne die chirurgische Geschlechtsänderung nicht leben". Und ganz wichtig: "Es wäre erstrebenswert, wenn die Betroffenen und die, die sie umgeben, lernen könnten, diese beiden Lösungsmöglichkeiten zu akzeptieren." Eine Aufforderung, wie sie nur allzugern an die diversen Transsexuellen-Selbsthilfe-Gruppen und deren Gurus weitergegeben werden darf - denn nur allzuoft hat sich im Laufe der Zeit herausgestellt, daß dieselben nicht die Lösung des Problems sind, sondern das Problem selber. Leider!
Was ist nun das Kennzeichnende einer (heutigen) Transsexualität? Ich glaube, daß man dies - nach dem heutigen Stand der Erkenntnisse - wohl so formulieren darf, wie dies Dr. Wilhelm Preuss von UKE Eppendorf in Hamburg in einem Hamburger Abendblatt-Interview vom 26./27.06.1993 getan hat:
"Transsexuelle Menschen können ihr Gefühl für sich selbst nicht mit ihrem körperlichen Geschlecht vereinbaren. Ihr Selbstwertgefühl und ihr Selbstvertrauen beruhen darauf, gegengeschlechtlich fühlen und denken, sich gegengeschlechtlich verhalten und äußern zu können. Die Geschlechtlichkeit erhält für die Transsexuellen bzw. deren Selbstbehauptung eine zentrale und existentielle Bedeutung. Oder wie die bekannte Entertainerin Romy Haag es ausdrückte: "Ich bin mit mir nur im Kontakt, wenn ich mich voll und ganz als Frau fühle".
Ob man allerdings so weit gehen sollte - wie dies in der begleitenden Fotoausstellung (mal wieder) geschieht - von einem "Im falschen Körper"-Leben zu sprechen, mag dahingestellt werden: "Es gibt keine falschen Körper, genauso wie es keine richtigen Körper gibt".
In einem Interview mit den Badischen Nachrichten vom 07.12.1993 anläßlich der Filmwoche zur Transsexualität im Freiburger Kommunalen Kino habe ich dazu ausgeführt (Auszug):
BN: Grundsätzlich lehnen Sie Geschlechtsumwandlungen nicht ab? KAMERMANS: Wenn derjenige, der sich dazu entschließt, informiert ist. Wenn er weiß, was er seinem Körper und sich da antut. Er wird ja kastriert. Die Folgen können verheerend sein: Der Mensch fällt in sich zusammen, körperlich oder psychisch oder beides. Natürlich: Wenn eine fest daran glaubt, sie ist jetzt eine Frau, dann ist sie unter Umständen glücklicher als vorher. Aber man darf nicht sagen: Du lebst im falschen Körper, und wir holen dich daraus. BN: ... denn damit wäre ja Transsexualität eine Krankheit, die man mehr oder weniger "wegoperieren" kann ...
KAMERMANS: Ich will wegkommen von dem Begriff Krankheit. Wenn sich zum Beispiel in Hamburg Transsexuelle als behindert deklarieren lassen - das ist doch ein total verqueres Denken. Nach meinem Dafürhalten ist Transsexualität ein Konflikt zwischen einer Homosexualität, die man nicht durchkommen läßt, und der kulturellen Norm. BN: Wenn es keinen "falschen Körper" gibt, kann es überhaupt einen "richtigen" geben, in dem der Rest der Gesellschaft glaubt zu leben?
KAMERMANS: Richtig und falsch - das gibt es eben nicht. Was Transsexuelle betrifft: Statt "ich lebe in einem falschen Körper" finde ich es richtiger zu sagen, "ich bin fremd im eigenen Körper". Und das Bild vom "falschen Körper", das haben ja nicht nur Transsexuelle. Das ist ja ein gesellschaftliches Mißverständnis.
Und wie leicht dieses "Im falschen Körper"-Motto mißbraucht werden kann, zeigt die kleine Kultur-Notiz im Spiegel 9/1995, in welcher gleich von "beklemmenden Bildern" die Rede ist - wie bei Außerirdischen bzw. beim Ufo-Glauben. Motto: (meinetwegen) ja!!! Credo:(Glaubensbekenntnis) nein und nochmals nein!!!
Inzwischen sind wir - locker plaudernd - angekommen bei einem ganz wesentlichen Aspekt der gesamten "Geschlechtswandel-Thematik: "Ist das "Anderssein" eines Menschen eine Störung, eine Abweichung, gar eine Krankheit oder - wie dies eben in anderen Kulturen und Zeiten meistens der Fall war bzw. ist - eher eine zu integrierende Identitätsvariante (erinnern wir uns an Inoska Prehms Aussagen)." Interessant ist in diesem Zusammenhang was Susanne Osburg und Cordula Weitze, zwei bekannte Transsexualitäts-Publizistinnen, in einem R&P-Artikel (1996, 14. Jg.) mit dem Titel: "Richterumfrage zum Transsexuellengesetz" vermerken:
"Bei allem medizinischen Fortschritt ist die Ätiologie (Ursächlichkeit) der Transsexualität immer noch ungeklärt. In der Sexualwissenschaft hat sich der Trend durchgesetzt, Transsexualität nicht mehr als Krankheitseinheit, sondern als ein Phänomen innerhalb eines Spektrums von Geschlechtsidentitätsstörungen zu verstehen. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob eine sich noch an einem statischen Krankheitsmodell orientierende Rechtspraxis der Dimension des Problems Transsexualität gerecht wird. Wie Pfäfflin und Junge (1992) sind auch Becker und Hartmann (1995) der Ansicht, daß für die "an ihrer Geschlechtlichkeit leidenden Personen eine erhöhte Toleranz für ungewöhnliche Lebensstile und Lösungen inklusive der Möglichkeit eines (nicht unbedingt auch operativen) Geschlechtswechsel wichtig und wünschenswert ist." Aus Psychotherapien ist bekannt, daß ein Wunsch, dessen Erfüllung mit der subjektiven Gewißheit der Erlösung von einem Leiden verbunden ist, zunächst akzeptiert werden muß, um einer psychischen Bearbeitung und "Enttäuschung" zugänglich zu werden. Dies kann auch in der Behandlung von Transsexuellen beobachtet werden. Mit einem Entgegenkommen an rechtlich-sozialer Akzeptanz, die den dynamischen Aspekt transsexueller Entwicklungen einbezieht und daher auf "irreversible" Tatsachen weitmöglichst verzichtet, wäre es den Betroffenen möglich, ihre subjektiv zunächst unverrückbare Überzeugung auch nach deren weitgehender Realisierung noch einer Überprüfung zu unterziehen und iatrogene Fixierungen zu vermeiden."
Man/frau beachte in diesem Zusammenhang vor allem den ersten Satz des Text-auszugs, selten wird dies so offen gesagt ...! Aber auch der letzte Satz sagt viel aus.
Obwohl auch hier also noch von einem offensichtlich tief und fest eingeschliffenen Geschlechtsidentitäts-"Störungs"-Begriff ausgegangen wird, ist es trotzdem sehr erfreulich feststellen zu können, daß sich in der bisher doch so starren Haltung der TS-Macher (Ärzte, Gutachter, Richter) und der "Gemachten" (speziell TS-Selbsthilfe-Gefolgschaft und deren - Gurus) Bewegung zeigt. Es sieht so aus, als sei ein Umdenken - ganz langsam allerdings - im Gange und zwar vom bisherigen, überaus beliebten "Tunnelblick" zum erforderlichen, allerdings gewöhnungsbedürftigen "Panora-mablick". D. h. es sieht so aus, als würde sich der medizinisch-juristische Griff zum "Pfründephänomen Transsexualität" - als überaus lukrative und von der Realität ablenkende "Krankheit" - allmählich lockern ("dynamischer Aspekt transsexueller Entwicklungen" usw.) und würde sich - endlich und ganz langsam -ein Sichbesinnen auf die jahrtausendalten Geschlechtswandel-Traditionen einstellen: weg vom neuzeitlich-patriarchalischen Kastrations- und Machbarkeits-(Wahn-)Denken, weg vom Störungs- bzw. Krankheitsbegriff und hin zur Akzeptanz bzw. Toleranz einer jeweils völlig individuell geprägten Geschlechtsidentitäts-Variante bzw. seiner höchst persönlichen, gesellschaftlichen Interpretation. Ich freue mich, daran mit meinen Büchern und Artikeln und vor allem auch mit Vorträgen wie diesem, mitwirken zu dürfen. Im vorerwähnten Interview mit den Badischen Nachrichten habe ich noch ergänzend hierzu ausgeführt:
BN: Sie haben ein Buch geschrieben, Sie haben an der Dokumentation Ihres Lebens mitgespielt. Warum drängt es Sie in die Öffentlichkeit?
KAMERMANS: Ich habe sehr darunter gelitten, daß man mich als nicht operierte Transsexuelle in die perverse Nische abgestellt hat. Ich wende mich dagegen, daß diese Operation zum Dogma wird. Und ich würde gerne sehen, daß das Bild vom Transsexuellen korrigiert wird.
BN: In welche Richtung?
KAMERMANS: Es geht um die Eigenverantwortlichkeit im Leben von Transsexuellen. Also jetzt ist es so: Wer seine Transsexualität erkennt, glaubt, er hat keine Wahl, als sich operieren zu lassen. In Wirklichkeit wird er von der gesellschaftlichen Norm, im "richtigen" Körper zu leben, zu einer Operation gezwungen.
BN: "Ihr" Film (NDR-Dokumentarfilm "Freier Fall: Johanna K." von Klaus Wildenhahn) ist mittlerweile auf einer Reihe von Festivals gezeigt worden, Wie sind die Reaktionen?
KAMERMANS: Die Leute können teils nachvollziehen, daß mit dem Selbstverständnis der Transsexuellen was nicht stimmen kann. Es gibt aber auch eine Front gegen mich“.
Zur Gesamtproblematik möchte ich - des besseren Verständnisses wegen - sodann aus einem Stern-Artikel (Stern 21/95) der mir bekannten Stern-Journalistin Uschi Neuhauser zitieren, da darin das gesamte Spektrum der Geschlechtswandel-Thematik kurz und prägnant dargestellt wird (ich selber habe dafür in meinen beiden Büchern 692 Seiten gebraucht!). Es heißt hier (Auszug):
"Das Wandeln zwischen den Geschlechtern ist so alt wie die Welt. Dionysos hat's getan, dieser Gott des Rausches und des Weines, der den Frauen als Mann und den Männern als Frau erschien und lustvoll der zweigeschlechtlichen Ekstase frönte. In den alten Kulturen und bei den Indianern wurden diese Grenzgänger zwischen den Geschlechtern von der Gemeinschaft nicht nur akzeptiert, sie wurden verehrt als mystische Wesen mit übernatürlichen Kräften. Wir aber leben in einer Welt, in der nur zwei streng definierte Rollenbilder existieren dürfen: Mann und Frau. Wer in dieses Schema nicht paßt, ist zur Heimlichkeit verdammt oder Spott und Ächtung ausgeliefert. Oder dem Messer. Geheimniskrämerei zieht sich durch all die Jahrhunderte. Leonardo da Vinci sagt man nach, daß er seine Sehnsucht, dem anderen Geschlecht anzugehören, in seine Frauengemälde hineinprojiziert habe, und Mona Lisa niemand anderer sei als er selber. Charles d`Eon de Beaumont (1728 bis 1810) begann seine Karriere als Vorleserin am russischen Zarenhaus. Mit 42 beeindruckte er als französicher Abgesandter am englischen Hof. Danach diente er Marie Antoinette als Hofdame. Nach seinem Tode wurde sein körperliches Geschlecht eindeutig als männlich definiert. Richard Wagner, der Helden- und Walküren-Komponist, soll im stillen Kämmerchen in Frauenkleidern aus Seide, Samt und Rüschen geschwelgt haben. Nur den Pop-Göttern verzeiht man es, wenn sie das eingeengte Rollenspiel aufbrechen. Prince, Michael Jackson, Grace Jones, Madonna, David Bowie, Amanda Lear. Who`s who?
Transsexualismus nennen Wissenschaftler das Phänomen, wenn im Körper eines Mannes die Seele einer Frau wohnt - oder umgekehrt. Während Transvestiten lustvoll in die Rolle des anderen Geschlechts schlüpfen, ohne das eigene aufzugeben, sehnen sich Transsexuelle mit einer qualvollen Besessenheit in einen anderen Körper. Psychotische Zusammenbrüche, Selbstmord- und Selbstverstümmelungsversuche sind oft die Folge. Seit Ärzte 1952 in Kopenhagen aus einem Soldaten die Blondine Christine Jörgensen schufen, ist die Erfüllung des Traumes chirurgisch machbar. Aus Cross-Dressers, die das Tragen der Kleider des anderen Geschlechts entweder sexuell erregt (vorwiegend Transvestiten) oder psychisch beruhigt (Transsexuelle), werden Cross-Bodies. Allein in Deutschland unterziehen sich pro Jahr 100 bis 150 Transsexuelle einer geschlechtsangleichenden Operation. Ebenso viele behalten aber ihre Körper und wechseln nur die soziale Identität. Auch wenn die meisten Transsexuellen und deren Chirurgen in der Öffentlichkeit beteuern, daß Kastration und lebenslange Hormontherapie immer noch besser sind, als im falschen Geschlecht zu leben - man fragt sich doch, ob es überhaupt künstliche Männer und Frauen geben müßte, wenn unser Kästchendenken nicht das individuelle Ausleben des 'Andersseins' immer mehr ins Abseits stellte und die technisch-chirurgische Machbarkeit in den Vordergrund. Auch der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch, der zahlreiche Transsexuelle in ihrer schwierigen Lebenssituation bis hin zur Operation begleitet hat, beginnt umzudenken und appelliert an sich und seine Medizinerkollegen, doch ihren 'ordnenden Heilungswillen zu dämpfen' und aufzuhören, 'einen unauffälligen Menschen schlechthin als >gesund<, einen befremdlichen aber als >krank< einzustufen'.
In diesem Sinne, wie Frau Neuhauser mich bei ihrer Recherche verstanden hat, lautet auch der erste Satz in meinem 1995 erschienenen Sachbuch "Künstliche Geschlechter":
"Die Transsexualität als solche ist ein uraltes Phänomen - das Wandeln zwischen den Geschlechtern ist so alt wie die Menschheit" ...
Dabei bezieht sich diese Feststellung allerdings in erster Linie auf den Geschlechtswandel im sozialen bzw. religiösen Sinne (auf den Genderbereich sozusagen) und weniger auf die körperlich-chirurgische Angleichung. Im Sachbuch "Mythos Geschlechtswandel" habe ich auf den Seiten 93 und 94 hierzu ausgeführt:
Das Phänomen der menschlichen Intersexualität ist in den vorgehenden Kapiteln in erster Linie in biologischer Hinsicht dargestellt worden. Hierbei wurde allerdings auch darauf aufmerksam gemacht, daß in den vielfältigen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens nicht nur die sexuellen Komponenten ins Gewicht fallen, sondern auch die sozialen Beziehungen eine überragende Bedeutung haben. Die geschlechts-spezifische Arbeitsteilung spielt eine große Rolle und die Tatsache, wie bei allen höher entwickelten Organismen, daß beide Geschlechter für die Fortpflanzung aufeinander angewiesen sind. Wenn auch in verschiedenen Kulturen und Zivilisationen manchmal sehr strenge geschlechtliche Gegensätze zu verzeichnen sind, so gibt es doch immer, wenn auch manchmal recht minutiös ausgearbeitete, ganz bestimmte Verhaltensweisen für beide Geschlechter, die das Auskommen miteinander sichern. Daß dabei manchmal das eine oder das andere Geschlecht dominiert bzw. dominierend war, dürfte allgemein bekannt sein. Die durch patriarchalische Strukturen gefestigte derzeitige männliche Dominanz in gesellschaftlicher Hinsicht verschiedenster Kulturkreise läßt sich vor allem historisch sehr übersichtlich zurückverfolgen und nachvollziehen - die Vorherrschaft des Mannes im sozialen kollektiven Bereich ist auch heute noch ausgesprochen stabil. Die insbesondere in den westlichen Zivilisationen zu beobachtenden Verfallserscheinungen sind noch zu kurzfristig und zu lokal (denken wir nur an die riesigen asiatischen Kulturen in Indien, China und Japan), um von grundsätzlicher, wegweisender Bedeutung schon zum jetzigen Zeitpunkt sein zu können. An geeigneter Stelle wird hierauf noch zurückgekommen.
Wie gesagt, werden die Beziehungen der Geschlechter definiert durch die biologischen und kulturellen bzw. sozialen Aspekte - speziell die im Zusammenleben der Geschlechter herausgearbeiteten Geschlechtsrollen der jeweiligen männlichen und weiblichen Individuen prägen das so vielfältige Erscheinungsbild des Geschlechtswandels in der menschlichen Gesellschaft besonders eindrucksvoll. Es ist hierbei zu beachten, daß der Mensch in erster Linie ein soziales Wesen ist und das Sich-einfügen-können in die Gesellschaft für seine weitere Entwicklung eine entscheidende Bedeutung hat. Die Kommunikation mit seinen Mitmenschen ist ausschlaggebend für jedes Individuum, die Umwelt bestimmt sein Tun und Lassen, und wenn es sich widersetzt, so muß trotzdem ein Konsens mit dieser Umwelt gefunden werden. In diesem Sinne ist auch der Geschlechtswandel beim Menschen zu sehen: Das Auftreten eines solchen Phänomens kann niemals von der Gesellschaft losgelöst betrachtet werden. Wenn diese Kommunikation nicht stimmt bzw. nicht vorhanden ist oder aufgrund falscher Voraussetzungen aufgebaut wird, können erhebliche Komplikationen für alle Beteiligten auftreten. Ein Wechsel der Geschlechtsrolle, insbesondere im Fall eines transexuellen Erlebens, wird deswegen in erster Linie durch die soziale Akzeptanz gekennzeichnet. Diese Akzeptanz wird wiederum gewichtet durch die möglichst enge Angleichung an das andere Geschlecht, speziell im optischen Gesamtbild, aber nicht zuletzt auch durch das Verhalten des Geschlechtsgewandelten in seiner direkten Umgebung. Toleranz und Zumutbarkeit werden heutzutage im Bereich der Transsexualität allerdings, was die Gesellschaft betrifft, oft im Übermaß belastet, bzw. das Akzeptieren durch die Umwelt oft gegen alle Vernunft erzwungen bzw. durchgesetzt.
Insofern muß der überaus gängige Begriff "Geschlechtswandel" vor allem auch immer zuerst im sozialen Sinne und erst in zweiter Linie im sexuellen Sinne verstanden werden. Dann kann der soziale Geschlechtswandel als ein bereits seit Jahrtausenden existierendes Phänomen nahezu sämtlicher Kulturkreise dieser Welt angesehen werden. Die erklärende Absicht dieses Buches ist es, auf diesen Sachverhalt aufmerksam zu machen und die heutige suggessive Automatik zwischen sozialem und sexuellem Geschlechtswandel aufzubrechen - der sexuelle Geschlechtswandel, d. h. die anatomische Angleichung auf chirurgischer Grundlage (inkl. der Kastration), kann nur als (moderne) Ausuferung einer (uralten) Gegebenheit gesehen werden.
Diese Feststellungen treffen insbesondere zu auf die Geschlechtswandelphänomene innerhalb der aus den Urzeiten stammenden Fruchtbarheitskulten, welche vor allem in den damaligen, speziell vorder-asiatischen Stadtkulturen der Bronzezeit eine ausgeprägt rituelle Bedeutung erlangten. D.h. wir können bei den damaligen Vorgängen von einer sogenannten rituellen bzw. kultischen Transsexualität sprechen, im Gegensatz zur heutigen sogenannten medizinischen Transsexualität wie wir diese in den derzeitigen westlichen bzw. westlich geprägten Kulturen vorfinden. Die rituelle Transsexualität kennzeichnet sich somit durch den Wunsch der Betroffenen (aber auch manchmal unter Zwang bzw. Anordnung der Umgebung) die Übernahme der weiblichen Verhaltensrolle, speziell auf religiös-sozialem Gebiet einzunehmen bzw. anzustreben. Und zwar meistens auf Dauer. Denn die (männliche) Transvestition wurzelt im alten Verlangen, weibliche Magie (Magna Mater) zu imitieren (koste es was es wolle!?): Die sexuelle Komponente kommt dabei erst in zweiter Linie und erfolgt ohne (bewußte) Täuschung. Man kann dies kurz und prägnant so formulieren: Bei der rituellen Transsexualität versetzte der Glaube an die mythischen Götter Berge, bei der medizinischen Transsexualität ist der Glaube an die Götter in weiß, d.h. an der ärztlichen Kunst.
Hierzu habe ich auf S. 96 von "Mythos Geschlechtswandel" wie folgt ausgeführt:
"Gleichzeitig sind wir hier bei einem fundamentalen Unterschied zwischen beiden Formen der Transsexualität angelangt. Bei der rituellen Transsexualität war das jeweilige Individuum im Kollektiv eingebettet, es fand eine Kommunikation statt zwischen allen Betroffenen, und die Integration geschah einvernehmlich. Der Geschlechtwechsel fand ohne Verleugnung der biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern statt. Die Kastration wurde nur in bestimmten Kulturen und Epochen praktiziert. Wurde auch die soziale Rolle voll und ganz ausgefüllt, so hatte die sexuelle Rolle in der Folge eine dienende und passive homosexuelle Funktion. Die Partner der Betroffenen mußten auch keine so strenge Unterscheidung zwischen heterosexuell und homosexuell über sich ergehen lassen; die Homosexualität, also der gleichgeschlechtliche Verkehr, speziell der Analverkehr, wurde in den damaligen Zeiten ebenso gesehen, wie es zutreffend ist: als eine sexuelle Variante. Allerdings muß hierbei natürlich der damalige Wissensstand in Sache Sexualität und Fortpflanzung berücksichtigt werden. Nach damaliger Auffassung brauchte sich der Mann quasi nur jeweils ein Gefäß zu suchen zum Ablegen seines Samens ob nun Frau, Mann oder Tier, man wußte es nicht besser, vor allem nicht in Verbindung mit der Fortpflanzung, jedenfalls nicht in den Jahrtausenden der Eisen- und Bronzezeit: Die Zeugunsmitwirkung des Mannes offenbarte sich erst im Laufe der Geschichte.
Es ist in der Folge grundfalsch, wie es in den meisten ärztlichen Publikationen hervorgehoben wird, nur den Wunsch nach einer körperlichen Umwandlung als Kriterium für eine echte Transsexualität einzusetzen. Auch wenn die soziale Anpassung noch so gut gelungen ist, die sexuelle Rolle einer Frau mittels Chirurgie erreichen zu wollen, ist nur auf der Basis einer Täuschung des Partners möglich - eine solche Täuschung muß deshalb individuell bleiben und kann nicht kollektiv vorgeschrieben werden. Deswegen sind die heutigen Transsexuellen-Gesetze bereits prinzipiell falsch konzipiert, weil die Umwelt nur auf freiwilliger Basis bereit sein kann, jeweils mitzuspielen, und nicht mittels gesetzlicher Maßnahmen bzw. Möglichkeiten dazu veranlaßt werden soll, sich damit auseinanderzusetzen bzw. abzufinden.
Eine weitere wichtige Erkenntnis, die das häufige Vorkommen der rituellen Transsexualität in alttestamentarischen Zeiten uns liefert, ist die nahtlose Verknüpfung mit der Homosexualität. Es wurde also nicht zwischen Transsexualität und Homosexualität differenziert, da das nicht erforderlich war: Die Gleichgeschlechtlichkeit war für alle Partner etwas Selbstverständliches. Es war nicht nötig zu täuschen. Die Partner einer geschlechtlichen Beziehung machten sich nichts vor bzw. brauchten sich nichts vorzumachen."
Das heutige, so gängige Kästchendenken (Heterosexualität, Homosexualität, Bisexualität, Hermaphroditismus, Transsexualität, Transvestitismus, Androgyn- Status usw.) gab es wohl in jenen alten Zeiten (noch) nicht - die Sexualität hatte früher im Leben der Menschen einen ganz anderen Stellenwert: man/frau lebte sie, statt sie zu analysieren oder womöglich zu bewerten - es war eben so! Allerdings geschah dies oft sehr zügellos und quer durcheinander, so daß bereits in alttestamentarischen Zeiten gegen die offensichtlich weit verbreitete Freizügigkeit in der Sexualität vehement Stellung bezogen wurde. Ich zitiere wiederum aus "Mythos Geschlechtswandel", S. 95:
"Schon in der Bibel gibt es einen Hinweis darauf, wie bereits in den Urzeiten der menschlichen Geschichte das Phänomen der Transvestition den Menschen vertraut war. So heißt es im 5. Buch Mose (Deuteronomium) 22,5:
"Eine Frau soll nicht Männersachen tragen und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen: Denn wer das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Greuel."
Unzweifelhaft hängt die Aufstellung diese Verbots zusammen mit der beim Volke der Kanaanitern zu jener Zeit üblichen homosexuellen Tempel- und Kultprostitution. Es handelte sich dabei um einen Fruchtbarkeitskult zu Ehren der Göttin Ashera, der Gattin Baals (semitischer Wetter- und Himmelsgott). Die in weiblicher Kleidung durch Lustknaben, auch Kedeshim genannt, ausgeübte homosexuelle Tempelprostitution war den Juden höchst suspekt. Davon zeugen ja auch die übrigen mosaischen Gesetze. So heißt es im 3. Buch Mose 18, 22:
"Du sollst nicht bei Knaben liegen wie beim Weibe; denn es ist ein Greuel."
Und im Vers 29 heißt es noch einmal:
"Denn welche diese Greuel tun, deren Seelen sollen ausgerottet werden von ihrem Volk."
Ebenso heißt es im 3. Buch Mose 20, 13:
"Wenn jemand beim Knaben schläft wie beim Weibe, dann haben sie ein Greuel getan und sollen beide des Todes sterben: ihr Blut sei auf ihnen."
Und an anderen Stellen heißt es:
"Wenn ein Mann sich zu einem anderen Mann wie zu einer Frau legt, haben beide Schändliches begangen. Sie sollten mit dem Tode bestraft werden, es lastet Blutschuld auf ihnen." (Leviticus 20, 13)
"Du darfst mit einem Mann keinen geschlechtlichen Umgang haben wie mit einer 'Frau; es wäre ein Greuel." (Leviticus 18, 22)
"Deshalb überließ sie Gott den schimpflichsten Leidenschaften. Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Geschlechtsverkehr mit dem widernatürlichen. Ebenso gaben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in ihrer Begierde gegeneinander: Männer trieben mit Männern Unzucht und empfingen so den gebührenden Lohn für ihre Verirrung." (Römerbrief 1, 26 - 27)
"Oder wißt ihr nicht, daß Ungerechte keinen Anteil am Reiche Gottes haben werden? Gebt euch keiner Täuschung hin. Weder Unzüchtige noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder... Der Leib dagegen ist nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn und der Herr für den Leib." (Korintherbrief 6, 9 u. 13)
Bereits in diesen weitzurückliegenden Zeiten gab es also die unselige Verbindung von Rollentausch, Homosexualität und Prostitution. Es ist also alles schon einmal dagewesen. Hervorgerufen wurden diese Assoziationen und die damit zusammenhängenden biblischen Ge- und Verbote durch die bereits erwähnten aus den Urzeiten stammenden Fruchtbarkeitskulten, die in den damaligen Stadtkulturen eine ausgeprägt rituelle Bedeutung erlangt hatten."
Sogar biologische Intersexuelle, Hermaphroditen somit, finden wir in den alttestamentarischen Schriften der Talmud-Gelehrten noch erwähnt (auch Jesus sprach noch von den "Eunuchen, die so geboren sind"): sie wurden Saris genannt: "Er ist ein Mensch, der mit seinem 20. Jahr noch keine zwei Haare auf seinem Körper hat und bekommt er diese später, so ist er doch ein Sari. Er hat keinen Bart, seine Haare sind fein und sanft, sein Haut ist glatt; sein Wasser bekommt keinen Schaum, er uriniert nicht mit einem andern, sein Samen ist nicht gebunden, er ist klar wie Wasser, sein Wein ist nicht sauer. Seine Stimme ist wie die einer Frau."
Ebenso werden in den biblischen Schriften die Kennzeichen weiblicher Zwischenstufen, Aìloniths genannt, dargestellt:
"Ein Weib, welches, wenn sie zwanzig Jahre alt ist, noch nicht zwei Haare auf dem Körper hat. Sie hat keine Brüste und die Cohabitation ist ihr widrig. Sie hat keinen weiblichen Mons Veneris. Sie hat eine männliche Stimme."
In dem Werk "Die Medizin der Talmudisten" von Joseph Bergel (Berlin, Leipzig 1885) wurden dann im obenerwähnten Zusammenhang die Worte Weibmann und Mannweib geprägt - beide Bezeichnungen gehören heutzutage zum gebräuchlichen, wissenschaftlichen Idiom. Das vom spätlateinischen "effeminatio" (Verweiblichung) abgeleitete Adjektiv "effeminiert", als Synonym für affektiertes, übertrieben weibliches Verhalten ("weibisch" oder auch "tuntig") war besonders in früheren Zeiten gebräuchlich (speziell in Reiseberichten), ist jedoch im heutigen Sprachgebrauch ins Hintertreffen geraten. Dagegen hat sich im allgemeinen derzeitigen Sprachgebrauch der Ausdruck "Transvestit" fest eingebürgert - eine Bezeichnung, welche nur eine überaus undifferenzierte Charakterisierung darstellen kann und vorwiegend im männlichen Sinne Verwendung findet.
Zurückkommend auf die Geschlechtswandel - Manifestationen im Rahmen der Fruchtbarkeitskulten in Klein-Asien der Bronzezeit bzw. der griechisch-römischen Antike, ist es an der Zeit die dem Ganzen zugrundeliegende "androgynische Idee des Lebens" kurz zu erläutern. Diese besagt, daß die Zusammenlegung beider geschlechtlicher Potenzen eine höhere Wirkmächtigkeit darstellt, als jede für sich, d.h. die Geschlechter sind für ihre Verwirklichung aufeinander angewiesen. Und dies manifestiert sich durch die gelebte Androgynität als die Sehnsucht nach der Einheit, nach der Verbindung der Gegensätze bzw. deren Überwindung, nach Harmonie. Gleichzeitig ist diese Sehnsucht aber auch die Suche nach dem Früheren, nach dem Verlorengegangenen, nach dem Paradies erweiterter Lebensmöglichkeiten, nach dem Anfang von allem. In der Folge spielte diese allgegenwärtige "androgynische Idee des Lebens" vor allem auch in den damaligen Welterklärungsmustern eine herausragende Rolle, nicht zuletzt in den vielen alttestamentarischen Quellen bzw. darauf fußenden biblischen Texten.
Überliefert ist uns zum Beispiel der Fruchtbarkeitskult um Kybele, der Magna Mater, der großen Göttin. Dieser Kult war speziell im sumerischen Kleinasien, in Phrygien, rund um Hierapolis beheimatet. Dieses Fruchbarkeitsbrauchtum, vergleichbar mit dem griechischen Artemis-Kult, verbreitete sich in späteren Zeiten durch dem Aufstieg Roms zur Weltmacht (aber nicht zuletzt auch durch das ungezügelte Zutun verschiedener bizarrer Kaiser wie Caligula und Caracella) im gesamten römischen Weltreich jener Tage. Der Kult geriet vor allem durch die in Frauenkleidern auftretenden Weibmann- Priester, Galli genannt, zu einem riesigen religiösen Spektakel, und nicht zuletzt beim Frühlingsfest geriet auch das Volk außer Rand und Band: Es wurden ekstatische Zeremonien bis zum Exzeß durch- bzw. aufgeführt. Dabei wurde die Kastration mit wahrer Inbrunst betrieben, und die Priester - und mit ihnen viele Gefolgsleute - entmannten sich dabei selber, warfen ihre Genitalien auf den Umzügen in die Häuser, deren Besitzer sie daraufhin mit weiblicher Kleidung ausstatten mußten. Dieser Kastrationsmythos wurde auf den entmannten Hohepriester der Göttin Kybele, Attis genannt, zurückgeführt, der wegen seiner Untreue zur Strafe impotent gemacht werden sollte. Andere Quellen sprechen davon, daß die Mutter-Göttin, die Dea Syria, die abgeschnittenen Genitalien der entmannten Priester gewaschen und gesalbt und sie dann der Erde übergeben habe, sozusagen als Vegetationsopfer. Interessant bei diesen religiösen Bräuchen ist das Phänomen der Selbstkastration - man wollte kein "Mann" mehr sein.
Den Römern war lange Zeit nur die syrische Ursprungsform - und diese eher als Kuriosität - bekannt, ähnlich dem Erscheinungsbild der Hare Krishna-Jünger mit ihren bunten Gewändern im heutigen Straßenbild. Als der Kult sich jedoch über das gesamte römische Reich ausbreitete, änderte sich auch in Rom seine Ausgestaltung, speziell bezogen auf die Kastrationszeremonien. Wurden die Kastrationen bei lärmender, ekstatische Musik und Gesang anfänglich mit dem Zeremonienschwert in einem gezielten Schnitt durchgeführt, so wurden in späteren Zeiten die Techniken mit scharfkantigen Klemmen zur alleinigen Entfernung von Hoden und Hodensack verfeinert. Diese Prozeduren verliefen immer sehr blutig und endeten oft tödlich, vor allem wenn auch das Glied mitentfernt wurde. Es traten auch oft tödliche Infektionen der nun erheblich verkürzten Harnröhe auf, ein Problem, das auch bei den heutigen genital-chirurgischen Anpassungsmaßnahmen beachtet werden muß. Dabei kann nämlich, wie von den kastrierten Eunuchen-Priestern überliefert, eine dauernde Blasenschwäche die Folge sein.
Sind die uns bekannten Kastrationszeremonien jener Zeit heute eher als Ausdruck einer barbarischen Religiosität zu verstehen, so sind dennoch die Beweggründe, die Verehrung einer Muttergöttin, nicht ohne Bezug zu heutigen Zeit. Wir kommen nicht umhin, unwillkürlich an den ausgeprägten Mutterkomplex vieler Transsexueller heutzutage zu denken. In diesen Zusammenhang verweisen wir auch auf Stollers Theorie der dominierenden Mutter und des schwachen Vaters mit dem Sohn als Penis-Ersatz! Ebenso denken wir hierbei an den Versuch, das Phänomen des Transvestitismus als unbewußte Assoziierung mit dem mütterlichen Einssein in frühkindlichen Zeiten zu begründen, als direkt nach der Geburt "Geborgenheit" und "Mutter" über längere Zeit zu identischen Begriffen wurden. Eine solche Assoziationskomponente, ob nun bewußt oder unbewußt vorhanden, darf natürlich auch beim transsexuellen Erleben nicht übersehen werden. Der Vollständigkeit halber sei diesbezüglich erwähnt, daß in vorgeschichtlichen Zeiten Natur und Weiblichkeit eins waren ("Am Anfang war das Weib") - die "Große Mutter" (Magna Mater) wurde dabei in erster Linie als Erhalterin des Lebens, aber nicht zuletzt auch als Todesgöttin dargestellt. Fruchtbar und furchtbar zugleich waren Begriffe, welche die babylonische Ischtar, die semitische Astarte, die syrische Anat, die griechische Artemis, die keltische Andrata oder die germanische Freya durchweg gekennzeichnet haben. Die uralten Fruchtbarkeitsgöttinen forderten dabei besonders Opfer, auch Menschenopfer (meistens männlichen Geschlechts!). Der Historiker Erich Neumann sagt hierzu: "Tötung, Opfer, Zerstückelung und Blutdarbringung sind magische Instrumente der Fruchtbarkeit" (und des TS-Kults?).
Erste Darstellungen der "Ur-Mutter" wurden vor ca. 30´000 Jahren gefertigt: Die berühmteste ist die "Venus von Willendorf" (Niederösterreich), eine ca. 20´000 Jahre alte Steinfigur. Die streitbare amerikanische Feministin Camilla Paglia sagt zu derzeit neu aufgeflammten Natur-Kultur-Diskussion im religiös-geschichtlichen Sinne: "Das Buch der Genesis ist eine männliche Unabhängigkeitserklärung von den uralten Mutterkulturen. Am Anfang war nicht das Wort, sondern die Natur (d.h. das "Weib"). Deren unermeßlicher und unergründlicher Charakter wurde nicht von einem "Männer- Gott" verkörpert, sondern durch die Fruchtbarkeit einer "Großen Mutter". Zu dieser Darstellung kann zurückgegriffen werden auf uralte Mythen und zahlreiche archäologische Funde aus aller Welt. Die "Große Mutter" wurde von Ägypten bis nach Indien, von Kleinasien bis tief nach Afrika hinein verehrt - überall wurde zuerst eine weibliche Gottheit angebetet. Sie war zunächst vermutlich namenlos. Erst die Sumerer haben uns auf 4500 Jahre alten Tafeln in Keilschrift überliefert, wie sie ihre "Große Göttin" nannten: Ianna.
Denn - wie bereits gesagt - in vorgeschichtlicher Zeit waren Natur und Weiblichkeit eins: Die Fruchtbarkeit der Frau, deren biologische Grundlagen damals noch nicht durchschaut wurden, rief Furcht und zugleich heilige Scheu hervor. Die Menschen der Frühzeit spürten intuitiv das Geheimnis des Lebens, das jede Frau ganz selbstverständlich in sich trägt. Und so versuchten sie sich von diesem Geheimnis, von diesem mütterlichen Element des weiblichen Menschen ein Bild zu machen. In heutiger Zeit haben Genetik und Molekularbiologie inzwischen klar aufgezeigt, daß nur die weibliche Urstruktur Ausgang allen (geschlechtlichen) Werdens ist: "Am Anfang war das Weib" - die Ausformung der ungeheuer komplizierten biologischen Prozesse im bisherigen Evolutionsablauf von Natur und Mensch geht vom weiblichen Ur-Element aus. Das männliche Element ist imgrunde nur zusätzlich vorhanden und vom weiblichen abgeleitet. Die eigentliche Berechtigung des Männlichen geht dabei ausschließlich von der Funktion desselben bei der Fortpflanzung, d.h. über die Biologie der Sexualität, aus. Im Sachbuch "Künstliche Geschlechter" (S. 31 - 45) habe ich dazu überaus ausführlich referiert und ich habe hier im Vortrag derart weit ausholen müssen, um vor allem die damit direkt im Zusammenhang stehende Entwicklung der bereits zitierten "androgynischen Idee des Lebens" aufzuzeigen. Daß sich daraus in den letzten 2`000 Jahren die überaus dominierende Stellung des männlichen Prinzips, wiederum aus religiösen Überlegungen, ergeben hat, dürfte allgemein bekannt sein. Bereits James Brown sang: "it´s a man´s man´s man´s world". Daran wird sich so schnell auch nichts ändern, Feminismus hin oder her ...! Die (erneute) Gleichwertigkeit des weiblichen Prinzips ist noch in weiter Ferne!
In dem bereits zitierten Zeitraum der Bronzezeit und der Antike wurde nun die Nähe zur Natur mit ihrem rhythmischen Auferstehen und Erstarren der Natur oft über den dauerhaften bzw. temporären Geschlechtswandel gehuldigt. In späteren Zeiten, als das männliche Prinzip sich immer mehr durchzusetzen begann, verlagerte sich das Ganze dann immer mehr in die "himmlischen Sphären", weg von "Mutter Erde", (biblischer Text: "Macht Euch die Erde untertan"). Entsprechende Fruchtbarkeitskulte wie die um Kybele und Attis finden wir bei den Sumerern und den darauffolgenden babylonischen Kulturen manchmal noch über Tausenden von Jahren. Die damit exzessiv zusammenhängende rituelle Transvestition war deshalb aus den damaligen Gesellschaften bzw. Stadtkulturen nicht wegzudenken und in der Folge auch völlig integriert inkl. den damit zusammengehenden Prostitutionsvorgängen. Wir erinnern diesbezüglich nochmals an die alttestamentarischen Berichte über die Kanaaniter und deren Kult um die Göttin Ashera sowie an die Tempelprostitution des Kedeshim (Lustknaben in weiblicher Kleidung und Aufmachung) sowie die dagegen gerichteten biblischen Ver- und Gebote.
Bei den Babyloniern galt die Göttin Ischtar als doppelgeschlechtlich und bereits dem (himmlischen) Venusstern geweiht: abends weiblich, morgens männlich. Sie wurde oft dargestellt mit einer linken, weiblichen und einer rechten männlichen Hälfte (wir erinnern uns an die biblische "Zela"- Deutung: gleiche gleichwertige Hälftungsidee auch in Indien und Indonesien) sowie mit aus ihren Schultern wachsenden Pflanzen, oft auch mit Bart - ihr Geliebter war der Vegetationsgott Tammuz. Typisch für diesen Kult waren die weibmännlichen Kultpriester, Kurgaru oder Asinnu genannt, deren "Männlichkeit" Ischtar in "Weiblichkeit" verwandelt hatte. Außer bei den orgiastischen Festen zu Ehren Ischtars wirkten diese Kultdiener auch mit beim Neujahrfest zu Babel sowie bei größeren Kranken- und Hexen- Beschwörungszeremonien. Im sexuellen Sinne war ihr Verhalten zweifellos homosexuell und kein Mensch dachte sich offenbar etwas bei diesen gleichgeschlechtlichen Kontakten: Es war eben so! Selbstverständlich spielte hierbei auch die damalige Fortpflanzungs- Ungewißheit eine große Rolle.
Dieses weibmännliche Priestertum steht im Gegensatz zu den in jenen Zeiten ebenfalls häufigen Eunuchen-Priestern im Dienste verschiedenster Kastrationskulten Vorderasiens, wie im vorerwähnten Kybele-Kult. In rezenten Zeiten finden wir eine solche religiöse Kastration u.a. bei der russischen Sekte der Skopzen (sie kannten, je nach Schwere der Operation, die Bezeichnungen "Kleines Siegel" und "Großes Siegel") und auch in Indien bei der in die Hunderttausende gehende Gilde der Hrinjas. Und eines der am besten gehüteten Geheimnisse der frühen Christenheit war die Aufforderung an den speziellen inneren Kreis der Eingeweihten, sich selbst zu entmannen, um durch diesen Beweis der Keuschheit größere Gnade zu erlangen. Die Kirche folgte dem "Buch der Weisheit" und lehrte: "Selig ist auch der Kinderlose (der Eunuch!), der sich nicht frevelhaft verging" (Weisheit 3, 14) und sogar Jesus selbst rief zur Kastration:
"Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig.... manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es" (Matthäus 19, 12).
Der Kirchenvater Origenes (185-245 n. Chr.) wurde hoch gelobt, weil er sich selbst entmannt hatte. Und in der Apologie des christlichen Philosophen Justinus (100-165 n. Chr.), bekannt durch seine Synthese von griechischer Philosophie und frühem Christentum, ist mehrmals festgehalten, daß die römischen Ärzte damals von gläubigen christlichen Männern belagert wurden, die nach der Operation verlangten. Die in diesem Jahr beim Erscheinen des Kometen Hale-Bopp durch Selbstmord ums Leben gekommenen Anhänger der amerikanischen Sekte "Heaven's Gate" waren übrigens nahezu alle kastriert. Die Geschichte wiederholt sich nur. Weiter erinnern wir noch an die Aussage des lateinischen Kirchenschriftstellers Tertullian (160-220 n. Chr.): "Das Königreich des Himmels steht für Eunuchen offen" und seinen Rat, Christenknaben vor der Pubertät zu kastrieren, damit ihre "Tugend" dauerhaft geschützt sei. Und im Mittelalter sangen in den Chören der Kathedralen, bzw. in der Zeit des Barocks in den Opern, die "castrati" - Gesangskastraten, die vor der Pubertät entmannt worden waren um - neben ihrer Tugend - auch ihre Sopranstimmen zu erhalten. Denn Frauen waren ja vor allem Kirchlichem rigoros ausgeschlossen: männlich-patriarchalisches Eindeutigkeits-Prinzip ad absurdum geführt ...!
Im soeben erschienenen Sachbuch "Das Privatleben der römischen Kaiser" von Alexander Demandt heißt es von den meisten von ihnen (u. a. Augustus, Nero, Heliogabal, Caracella): "In Frauengewändern, geschminkt und in üppigem Schmuck zeigten sich die Lüstlinge, Wüstlinge und erotische Gierschlünde unter den Herrschern in der Öffentlichkeit". Von Nero ist überliefert, daß er, als seine Frau gestorben war, überall nach einem Menschen mit den gleichen Gesichtszügen suchen ließ. Seine Wahl fiel auf den Sklaven Sporum, den er von seinem Leibarzt entsprechend chirurgisch "angleichen" ließ. Sporum wurde anschließend von Nero sogar geheiratet (das TSG ist also nichts neues unter der Sonne!). Ebenso überliefert ist die Geschichte des Kaisers Heliogabal (218-222 n. Chr.), der zu jener Zeit in Rom einmarschierte und befahl, daß ihm der Respekt einer Kaiserin zuteil werden sollte. Angeblich soll Heliogabal sogar eine Selbstkastration versucht haben. Demandt meint, daß weder die neuzeitlichen, absoluten Herrscher noch griechische Tyrannen oder italienische Renaissancefürsten jemals so frei von allen Zwängen und aller Fremdbestimmung gewesen seien: "Das Privatleben der römischen Kaiser sei in allen seinen Verästelungen und Verwurzelungen unerschöpfbar - ein in der europäischen Kulturgeschichte einzigartiges anthropologisches Experiment".
In der griechisch-römischen Antike finden wir besonders in der griechischen Mythologie zahlreiche Gestalten androgyner Natur - die allgegenwärtigen doppelgeschlecht-lichen Tendenzen im antiken Griechenland haben dabei die Kluft zwischen heterosexueller und homosexueller Liebe (Päderastie genannt in der Meister-Schüler-Beziehung) verringert. Die Griechen spielten die Männlichkeit des Mannes und die Weiblichkeit der Frau - bei anderen Völkern oft gerade betont - eher herunter: Im idealisierten, in zahlreichen Abbildungen und Statuen verherrlichten Hermaphroditen wurde die Trennung völlig aufgehoben, allerdings diesmal im horizontalen Sinne, meistens oben weiblich, unten männlich, mit "männlicher" Figur. Aus diesem Androgyn-Kult der Gleichwertigkeit des männlichen und weiblichen Prinzips ging auch die Vorliebe für rituelle transvestitische Veranstaltungen vielerlei Art hervor - bei religiösen Festen pflegten selbst Männer, die sich ausschließlich heterosexuell betätigten, in Frauengewändern zu erscheinen, z.B. im Rahmen der Dionysos- und Herakles-Kulten in Athen und Rom, die speziell auf die Oberschicht bezogen waren. Zum Herakles-Kult auf der Insel Kos heißt es in einer Überlieferung: "Ebenso kleideten sich bei den Mysterien des Herakles die Männer in Frauenkleidern, damit der Samenkeim nach der Rauhheit und Unfruchtbarkeit des Winters zu erweichen anfängt", ein deutlicher Hinweis auf den Bezug zwischen Geschlechtswechsel und Jahreszeitenwechsel (wie bei den Sumerern).
Im Zusammenhang mit der vorerwähnten griechischen Päderastie - Allgegenwärtigkeit sei noch vermerkt, daß die weniger respektablen Auswüchse u.A. zu einer florierenden Knabenprostitution auf Athens Straßen führten. Die Knabenprostituierten gingen in weiblicher Kleidung und Aufmachung die Straßen auf und ab und wurden als "Schande" betrachtet, hervorragend und witzig dokumentiert durch ein athenisches Sprichwort jener Tage, in dem es hieß: "Es ist leichter, fünf Elefanten in der Achselhöhle zu verstecken, als einen jener Knaben". Möglichst schrill war also schon zu jenen Zeiten angesagt und wie sich die Geschichte wiederholt, zeigen die rezenten Vorgänge im Bois de Boulogne, dem Pariser Transvestiten- und Transsexuellen-Dorado mit zeitweise an die tausend Prostituierten ("das größte Bordell der Welt" in den Medien). Mit rigorosen und manchmal brutalen Polizeiaktionen wurde die "Schande" (damaliger Bürgermeister von Paris Jacques Chirac, heutiger Staatspräsident!) wieder beseitigt. Über ähnliche Zustände im italienischen Rimini an der Adriaküste berichtete der Spiegel 38/1995 wie folgt:
Um ein Uhr morgens ist im Gewerbegebiet Groß Rimini der Teufel los. Hunderte von Autos mit Freiern und Neugierigen rollen im Schneckentempo an Dutzenden von Transvestiten aus Brasilien vorbei - denn offenbar sind gerade die Männer (!) der modische sexuelle Kitzel des verrückten Adria-Sommers 1995. Antonio geht im Viale Lavisco mit "Zebra 75" in Stellung und ruft per Funk nach Verstärkung. "So viele Einsatzwagen haben wir gar nicht, um die alle festnehmen zu können", sagt der Assistent hilflos. Die Polizistinnen Silvana und Donatella streifen sich Gummihandschuhe über und filzen im Einsatzwagen die Handtaschen der Männer (!), die ihre Silikonbrüste zurechtrücken. Dokumente und Drogen finden sie nicht, aber jede Menge Kondome und Cremes. Gleich im Dutzend werden die vor allem bei den italienischen Touristen begehrten Südamerikaner (!) weggekarrt. Ein paar der Gefilzten, die zunächst keinen Platz mehr in den Einsatzwagen finden, versuchen vergebens, auf ihren hochhackigen Schuhen davonzulaufen - Szenen wie aus einem Fellini-Film. Donatella drückte einen der Transvestiten vorsichtig in ein bereits brechend volles Auto. "Ich habe Angst, gekratzt zu werden", sagt sie, "die meisten von denen sind mit Aids infiziert." Dann desinfiziert (!) sie das Innere von "Zebra 75".
Ja ja, wie sich die Zeiten (aber wohl nicht die Menschen) ändern: Das Patriarchat schlägt hier doppelt zurück - am Strand und auf dem Papier ...!
Es ist weiter noch festzuhalten, daß die griechischen Philosophiegelehrten wie z. B. Sokrates (zeigte sich gerne als Frau) und Platon vielerlei Anleihen gemacht haben beim Erbgut aus vorgriechischen Zeiten bzw. bei den orientalischen Religionen mit ihren vielen Sonnen-, Wetter- und Vegetations-Gottheiten. Das in der Orphik, jener religiös-philosophischen Geheimlehre der griechischen Antike, kultivierte und ausgebaute androgyne Gedankengut zeigt sich besonders in Platons "Gastmahl des Aristophanes". Darin wird die Entstehung der ersten Menschen als kugelförmige Gestalten geschildert. Bemerkenswert an dieser platonischen Mythendarstellung sind dabei die nachfolgenden Motive (aus "Mythos Geschlechtswandel" S. 276-292 zitiert):
- Es gab drei Geschlechter, neben Männern und Frauen auch noch die androgynen Mann-Frauen - Doppelgestaltlichkeit aller drei Geschlechter - Kugelgestalt dieser ersten Menschen (im Kosmos ist alles rund!) - Radschlagen als Fortbewegungsmöglichkeit - Die Männer kamen von der Sonne, die Frauen von der Erde, die Androgynen vom Mond. - Doppelgeschlechtlichkeit des Mondes - Zerschneidung der Kugelmenschen in zwei unvollständige Halbteile durch Zeus - Dieses als Strafe für den Hochmut der Urmenschen gegen Gott - Kosmogonisches Ei-Motiv, mit Teilung des "Welt-Menschen-Eies" - Verbesserte erste Teilung, da die Urmenschen zuerst keine Zeugungsmöglichkeit hatten. - Das darauf folgende Versetzen der Zeugungsteile - Vereinigung der Hälften durch Eros, als Symbol des Strebens nach dem Ganzen. - Entstehung sowohl der Heterosexualität als auch der Homosexualität (von der Transsexualität ist nicht die Rede!) - Rechtfertigung der Homosexualität als gleichberechtigt mit der Heterosexualität.
Dieses Gedankengut Platons finden wir übrigens in heutiger Zeit nur noch recht verwässert in dem Ausdruck "platonische Liebe" als Äußerung einer gegenseitigen Zuneigung ohne sexuellen Charakter zwischen den Geschlechtern: Das restliche Gedankengut dürfte nur noch wenigen Eingeweihten zugänglich sein.
Schließlich sei noch erwähnt, daß beispielsweise in Indien und Indonesien als auch in Polynesien die Idee der geteilten doppelgeschlechtlichen Urwesen, die erst nach der Teilung liebes- und fortpflanzungsfähig werden, bei sehr vielen Völkern als authentisch überliefertes mythologisches Kulturgut zu betrachten ist, nicht zuletzt weil doch sehr oft Bezug genommen wird auf die vielfachen und realen biologischen Gegebenheiten bzw. Prozeßvorgänge in der Natur und im Kosmos. In diesem Zusammenhang darf auch nicht ganz unerwähnt bleiben, daß die Tatsache des Durchschneidens und Versetzens der Genitalien in den Gedanken Platons im Grunde als Vorläufer der modernen Geschlechtskorrektur auf operativer Grundlage angesehen werden könnte ... (wenn man/frau dann so weit gehen möchte!)
Kommen wir jetzt auf die verschiedenen Geschlechtswandlungs-Mythen zu sprechen, wie sie aus der griechischen Antike überliefert sind. Uns bereits bekannt ist die vom Halbgott Hermaphroditos sowie die Legende der Salmakis-Quelle, über die der Gott Hermes und die Göttin Aphrodite verfügten, daß fortan jeder Mann, der in der Quelle baden würde, dem Wasser als "semi vir" (halb Mann, halb Frau) entsteigen sollte und weibliche Charakterzüge entwickeln würde. Ebenso wird berichtet von Leukippos, ursprünglich ein Mädchen, das auf Wunsch seiner Mutter in einen Jüngling verwandelt wurde. Von direkten Geschlechtsumwandlungen wird außerdem noch in der Legende des Sehers Teiresias berichtet: Männlich geboren, wurde er von den Göttern in eine Frau und dann wieder zurück in einen Mann verwandelt. Direkt auf das griechische Pantheon bezogen, finden wir sodann noch zahlreiche weitere Ausgestaltungen androgyner Natur, wie beispielsweise bezogen auf die Fruchtbarkeitsgöttin Mise, die in orphischen Darstellungen als "männlich und weiblich, mit beiden Geschlechtern" bezeichnet wird.
In der Folge finden wir beispielsweise das Motiv des Hermaphroditos von den griechischen Bildhauern und Malern in zahlreichen Statuen und Bildern dargestellt. Vorzugsweise und als völlig selbstverständlich wurden die Räume in griechischen Privathäusern, in Bädern und Gymnasien damit geschmückt, und zahlreiche, in den Museen der ganzen Welt verwahrte Plastiken sind erhalten geblieben, z. B. im Berliner Pergamon-Museum, im römischen Museo Nazionale, im Pariser Louvre sowie in verschiedenen holländischen Museen (Leiden und Amsterdam). Allerdings verstanden die Griechen den Begriff des Hermaphroditen in einem anderen Sinne, als wir es heutzutage tun. Für die Griechen war der Kult des Androgynen in ihrer Religion begründet: Die Gottheit, die Harmonie von allem, wurde als vom männlichen und weiblichen Prinzip zusammengefügt gedacht, als von beiden Potenzen vereint repräsentiert, und mit Vorliebe durch Austausch der äußeren Geschlechtsmerkmale dargestellt, vorzugsweise als weibliche Gestalt mit Brüsten und männliche Geschlechtsorganen, also als Frau mit Penis. Dieses in der Antike gehuldigte Prinzip (in den Museen der ganzen Welt bewahrt geblieben) kann in der heutigen modernen Welt nur noch abseits wiedergefunden, werden beispielsweise im Sexgewerbe, in der Prostitution - dort ist die "Frau mit Penis" immerhin ein recht begehrter Sextypus.
Zusätzlich ist in verschiedenen Ländern (z. B. in Deutschland und in den Niederlanden) das alte griechische Androgyn-Ideal auch im rechtlichen Sinne immerhin aufzufinden - die sogenannte "kleine Lösung" regelt als klare, zeitlich befristete Übergangsstufe die sozial-vorbereitende Phase zur endgültigen chirurgischen Anpassung, wobei als alleiniges transsexuelles Kriterium nur der unbedingte Wunsch nach geschlechtlicher Umgestaltung gelten gelassen wird. Es sei jedoch bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die Vortragende eine andere Entscheidungsgrundlage für das Vorliegen einer transsexuellen Identität bevorzugt: Nur das konsequente Durchhalten des sozialen Geschlechtswechsels als solcher (Status- und Rollenwechsel) sollte für das Kollektiv als transsexuelles Kriterium gelten, die chirurgisch-sexuelle Umgestaltung sollte dagegen nur als individuelle Entscheidung akzeptabel bzw. durchsetzbar sein. Theoriebildungen im Sinne einer angeblichen "vollständigen und dauerhaften Transposition der Geschlechtsidentität" (Eicher/Augstein) sollten - da völlig abstrakt und realitätsfremd - hierzu nicht herangezogen werden.
Wir verabschieden uns aus der Antike noch mit dem Hinweis auf Dionysyos, den Gott des Weines und der Vegetation, den Ausgangspunkt vieler Mythen und Sagen, speziell bezüglich seiner Geburt aus dem Göttervater Zeus. Der Kirchenvater Eusebios sagte noch von ihm: "Dionysos ist weibgestaltet, so bezeichnend die mannweibliche (!) Kraft des Fruchtbaumes." Schließlich noch eine aufschlußreiche Beschreibung des androgynischen Brauchtums beim Astrologen Firmicus über die Assyrer, welche die Luft als Juno bzw. Venus verehrten und sich dieses Element als doppelgeschlechtlich vorstellten (zwischen Himmel = männlich und Meer = Wasser = weiblich gelegen). In seinem Bericht heißt es:
"Die Priesterschaft dient ihr mit effeminierter Stimme, mit verweiblichten Gesichtern, mit glattgemachter Haut, das männliche Geschlecht durch weiblichen Schmuck verunzierend" (sic!). Man sieht in ihren Tempeln die fürchterlichste Unzucht in der Öffentlichkeit: Männer litten, was nur Weiber leiden dürfen und sie zeigen, gleichsam mit stolzer Verherrlichung dieser Schande, ihre unreinen und schamlosen Körper. Sie zieren ihre gutgepflegten Haare, gehen in üppigen Kleidern und können mit ihren ermüdeten Hälsen kaum ihre Köpfe hochhalten."
Und der bereits zitierte Kirchenvater Eusebios (265-339 n. Chr.), Verfasser der ersten Kirchengeschichte berichtete über die ersten Jahrhunderte nach der christlichen Zeitrechnung, daß auf dem Gipfel des Libanon, ähnlich wie im antiken Halikarnassos, ein Tempel der Aphrodite stand über den er wie folgt berichtete:
"Eine Schule der Liederlichkeit, für alle obszönen Männer, die ihren Körper durch Zuchtlosigkeit beschmutzen, geöffnet" ("Darkroom"-Assoziationen!) bzw.: "Einige Effeminierte (im Griechischen Androgyni genannt), die eher Weiber als Männer genannt werden könnten, da sie die Würde ihres Geschlechts ablegten und litten was Weibern zusteht, verehrten so die Gottheit."
Wie aus diesen ureigenen Worten des Kirchenvaters hervorgeht, ging ihm jegliches Verständnis für die tiefe Mystik dieser Bräuche schon damals völlig ab. Es war ihm nicht mehr möglich, die Verbindung der Gottgestalt der Aphrodite mit der organisierten Materie, als Gegensatz zur Verbindung des männlich-erzeugenden Prinzips mit dem All-Schöpfer, zu versinnbildlichen. Er sah nur noch, daß die traditionellen Götter, in deren Tempeln - als sichtbare Demonstration ihrer Theologie - Geschlechtsakte zwischen Priestern und weiblich gearteten Jünglingen sowie zwischen weibmännlichen Priestern und Männern verübt wurden, zu Göttern der Knabenliebe geworden waren. Das heißt, daß die androgynische Idee des Lebens nur noch zur Darstellung homosexueller Akte mißbraucht wurde und Apollo, Dionysos, Pan, Aphrodite, Eros und Zeus selbst ihre Androgynität abhanden gekommen war, so wie dies im Christentum der darauf folgenden späteren Zeiten bis heute immer mehr praktiziert worden ist bzw. in der heutigen Zeit bei der chirurgischen Geschlechtsanpassung endete: Keine Zusammenlegung der männlichen und weiblichen Potenzen, sondern das Vortäuschen einer Auswechslung der jeweiligen grundverschiedenen geschlechtlichen Potenzen. Als ob die androgynische Idee des Lebens nicht auch gerade im biologischen Sinn gegeben wäre und es insbesondere im Fall der psychischen Intersexualität, der Transsexualität also, doch eigentlich darauf ankommen sollte, eine Harmonie zwischen Körper und Geist herzustellen (und kein Chaos anzurichten!).
Gehen wir jetzt für rezentere Geschlechtswandel-Traditionen zum amerikanischen Kontinent und zwar zu den Indianervölkern Mittel-, Süd- und Nordamerikas. Im letzteren Bereich wollen wir speziell das dort weit verbreitete indianische Berdachentum näher untersuchen. Aber zuerst noch einige Bemerkungen zu den Konstellationen Mittel- und Süd-Amerikas. Hier müssen wir uns verlassen auf die Berichte und Briefe der mit Kolumbus 1492 in die Neue Welt einfallenden spanischen und portugiesischen Eroberer (Conquistadores), d.h. 1519 Cortez in Mexiko und 1532 Pizarro in Peru - aus der uns bekannten christlichen Sicht der Dinge war diese Berichtserstattung über die vorgefundenen Bräuche natürlich sehr einseitig (aus "Mythos Geschlechtswandel" S. 125-131 zitiert):
Der erste spanische Historiker der Neuen Welt, Pietro Martiere d`Anghiera, der den "Conquistador" Vasco Nunez de Balbao in Panama begleitete, wußte folgendes zu berichten: "Widernatürliche Unzucht: Vaschus (Vasco Nunez de Balboa) fand das Haus dieses Königs verunreinigt durch die abscheulichste widernatürliche Unzucht. Denn er fand des Königs Bruders und viele andere jünger Männer in Frauengewändern, elegant und weibisch gekleidet, welche dem Bericht jener zufolge, welche in seiner Umgebung lebten, er mit widernatürlicher Liebe mißbrauchte. Von diesen befahl Vaschus, etwa vierzig an der Zahl, seinen Kampfhunden zum Fraß vorzuwerfen."
Und noch ein bezeichnender Bericht:
"Als das Volk von der harten Strafe hörte, der unsere Leute jene ekelerregende Gruppe von Männern unterworfen hatten, suchten sie bei ihnen wie bei Herkules (Augiasstall...!) Zuflucht und brachten mit Gewalt all jene herbei, von denen sie wußten, daß sie von jener Pest befallen waren. Sie spukten ihnen ins Gesicht und riefen unseren Männern zu, an ihnen Rache zu üben und die Welt von den Männern, die wie schädliche Tiere waren, zu befreien. Dieses stinkende Widerwärtigkeit hatte bei dem Volk noch nicht Wurzeln geschlagen, sondern wurde offensichtlich nur von den Adeligen und den Herren ausgeübt."
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, denn fünfhundert Jahre später hat sich immer noch nicht viel geändert. In den Köpfen spuken immer noch die gleichen Denkmuster. Es gibt noch einige weitere Chroniken in dieser Art, und alle legen Zeugnis davon ab, daß in ganz Spanisch-Amerika die Sitte der Transvestition, speziell im transsexuellen Sinne und unmittelbar verbunden mit der Homosexualität, anzutreffen war. In Anlehnung an das arabische Wort "bardaj" bzw. "barah" (Lustknabe, männlicher Prostituierter, junger Gefangener) wurden diese Personen - mit sozialem Geschlechtswandel somit und sich beim Geschlechtsverkehr passiv-homosexuell verhaltend - Bardajes genannt.
So schrieb Fernando de Ovieda in seiner "Historia general y natural de los Incas" (1526):
"In vielen Teilen des Festlandes praktizieren die Indianer Sodomia. Sehr üblich ist die abscheuliche Sünde wider der Natur, sogar in der Öffentlichkeit. Die Indianer, soweit sie Häuptlinge sind oder dem Adel angehören und dergestalt sündigen, haben Jünglinge, mit denen sie dieser verdammungswürdige Sünde frönen, und jene willigen Jünglinge, sobald sie in der Schuld verfallen, kleiden sich in naguas (Röcke), wie Frauen... und sie legen Perlenketten und Armbänder und anderen Frauenschmuck an; sie üben sich weder im Gebrauch von Waffen, noch tun sie etwas, was Männern angemessen wäre, sondern sie verrichten die üblichen Aufgaben im Hause wie Fegen und Waschen und sonstige weibliche Arbeiten."
Der Mann in Frauenkleidern, der Bardaje, war, wie aus diesen Berichten eindeutig hervorgeht, in der Folge mehr oder weniger gesellschaftlich anerkannt, vor allem in der Oberschicht und in erster Linie gemäß seiner sozialen Stellung, woraus sich die passive homosexuelle Rolle in geschlechtlicher Hinsicht automatisch ergab. Denn deswegen brauchte er seinen Status als Mann ja nicht zu ändern - auch die Homosexualität als solche war anerkannt, und es war hier nur die soziale Rolle, die das auslösende Element zum sozialen Geschlechtswandel darstellte. Ähnliche Konstellationen finden wir auch bei den Xanithen in den arabischen Golfstaaten (speziell Oman) und bei den Berdachen der nordamerikanischen Urindianer.
Auch in neueren Zeiten, d.h. in den Jahrhunderten nach Kolumbus, tauchen immer wieder Berichte über den kultischen Geschlechtswandel bei verschiedenen Stammesvölker Mittel- und Süd-Amerikas auf, z.B. beim Stamm der Puelche in Patagonien sowie - bis heute - bei den Araukanern im benachbarten Chile. Die betreffenden Personen, die meistens auch "Medizinmänner" sind, werden Machi genannt. In Reiseberichten Ende des letzten Jahrhunderts hieß es u.a.:
"Sie scheinen ein umgewandeltes Geschlecht zu haben, tragen Frauenkleidung und imitieren weibliches Verhalten, auch in der Stimme. Nachweislich unterliegt es keinem Zweifel, daß dieses Bestreben der Machi nach möglichst gänzlicher Umbildung des eigenen Geschlechts in das Weibliche an erster Stelle ihrer geistigen Vorstellung und ungewöhnlichen Verfassung entspringt. Um diese Anforderung ihres Berufes ganz zu entsprechen, überlassen sie sich ausnahmslos der Päderastie bzw. der Homosexualität. Wohl bemerkt aus dem Gedanken, auch in ihren sexuellen Beziehungen ganz und gar als Weib zu gelten."
In der Zeitschrift eines Schweizer Chemiekonzerns aus dem Jahre 1936 heißt es:
“Die Päderastie gilt dabei durchaus nicht als schändlich, sondern als berufliche Forderung. Trotzdem mag so mancher auf diesem Wege seinen homosexuellen Neigungen nachzugehen versuchen. Immerhin ist jener Geisteszustand der Machi bislang ein ungelöstes Problem der Psychologie geblieben."
sowie:
“Ebenso ist erwiesen, daß die männlichen Jugendlichen beider Stämme schon im frühen Alter, wenn sie etwa ein auffälliges weibliches Betragen aufzeigten, veranlaßt werden, Frauenkleider zu tragen und die weibliche Rolle in gesellschaftlicher Hinsicht zu übernehmen. Diese Jugendlichen dürfen jedoch nicht heiraten. Auch gesundheitlich abweichende Menschen wie z.B.: Epileptiker wurden auf ähnliche Weise dem Status des Medizinmannes zugeführt."
Es würde natürlich den Rahmen dieses Vortrags mehr als sprengen, auf diese vielen Geschlechtswandel-Phänomene im Rahmen des Schamanismus, beispielsweise auch heute noch bei den Naturvölkern Afrikas, näher einzugehen. Im Sachbuch "Mythos Geschlechtswandel" finden Sie dieselben jedoch ausführlich abgehandelt.
Dennoch kann zu diesen Ausführungen die aufschlußreiche Feststellung getroffen werden, daß bei dieser Art der rituellen Transvestition in der Person des Medizinmannes überaus akzeptable Existenzvoraussetzungen vorhanden sind, d.h. soziale und vor allem gesellschaftliche Hochachtung, promiskes und "abweichendes" Sexualverhalten, materiellen Wohlstand sowie eine künstlerische oder religiöse Position im Stammesleben. Die betreffenden Personen haben somit eine soziale Funktion und sind voll in der Gemeinschaft integriert. Außerdem muß wohl kein irgendwie gearteter Verdrängungsprozeß hinsichtlich des sexuellen Status stattfinden: es gibt kein (westlich orientiertes) "Kästchendenken". Die Gegensätze zum Status vieler transsexueller Menschen in unseren westlichen bzw. westlich-orientierten Gesellschaften sind hierbei wohl klar ersichtlich - nicht umsonst hat das Europäische Parlament am 12.09.1989 eine Entschließung zur allgegenwärtigen, gesellschaftlichen Diskriminierung von Transsexuellen angenommen (mehr hierzu in der Bundestagsdrucksache 11/5330 vom 05.10.1989).
Kommen wir jetzt zum Berdachentum bei den Indianern Nord-Amerikas. Die Berichterstattung über die dort angetroffenen Zustände und über das sexuelle Verhalten der dort ansässigen Prärievölker stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, als der Puritanismus-Treck in den Wilden Westen von statten ging. Einiges, jedoch nicht vieles, ist bis in den heutigen Zeiten dennoch (im Verborgenen allerdings) erhalten geblieben und wieder aufgetaucht, als die Amerikaner ihre eigenen indianischen Urkulturen und deren Bräuche neu entdeckt haben, zuletzt im siebenfach Oscar - gekrönten Kinofilm Kevin Costners "Der mit dem Wolf tanzt": Die Botschaft der Indianer ("Die Menschen sind Teil, nicht Herr der Natur") wurde wieder in den Mittelpunkt gerückt und hat bereits zu einem gewissen Umdenken diesbezüglich geführt. In einem auf dem Flohmarkt kürzlich erstandenen Fotobuch mit dem Titel: "Indianische Hoffnungen: vielleicht sind wir doch Brüder" war die schöne und berührende Widmung vermerkt: "Wo die Natur aufhört, fängt der Irrsinn an." Ja wirklich: es ist höchste Zeit für ein "back to the roots".
Wir müssen umdenken!
Das Berdachentum der nordamerikanischen Indianer war - wie das vorher beschrieben Bardajentum in südlicheren Regionen - allgegenwärtig, allerdings von Stamm zu Stamm in seinen jeweiligen Erscheinungsformen stark variierend. Alle Ausgestaltungen beruhten jedoch ausnahmslos auf die spezielle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bzw. Rollenverteilung der nordamerikanischen Indianervölker. Die Zuni-Völker in der Gegend des heutigen Las Vegas nannten ihre Berdachen La`mana, die Indianer des Krähen-Stammes Bote ("weder Mann noch Frau"), die Navajos Nadle bzw. Nadleehè ("gewandelt"), die Pueblo-Indianer in Neu-Mexiko kannten die Institution des Mujaredo.
Die heute übliche Bezeichnung Winkte (vom Oglala-Wort "winktepi") ist neueren Datums, d.h. seit das Berdachen-Phänomen in den USA intensiver untersucht wird (wurde bei der Institutionalisierung der Transsexualismus-Idee in den USA in den 50er und 60er Jahren übrigens völlig übergangen (da ja "Homosexualität")): "Brandstifter" war damals Harry Benjamin mit seinem Werk "The transsexual phenomenon" (1966)). Besonders bei den Mohave-Indianern (links und rechts des Colorado-Flusses in Kalifornien) hatte sich im Rahmen einer totalen und absoluten gegenseitigen sexuellen Freiheit eine ausgeprägte Tradition des Berdachentums (dort Alyhas genannt) entwickelt. Wenn auch weniger vorhanden und entwickelt, gab es auch das Gegenteil: Frau-zu-Mann-Geschlechtswandel (dort Hwames genannt). Ich zitiere etwas ausführlicher aus "Mythos Geschlechtswandel" S. 132-134:
"Es gab ein hochentwickeltes Initiationsritual bezüglich der Berdachen, das sehr oft auf Traumbasis die Bestimmung der Alyha-Kandidaten festlegte. Die Mohave waren davon überzeugt, daß die Träume der Mutter während der Schwangerschaft einen Hinweis gäben über das Geschlecht des Kindes und seine späteren homosexuellen Neigungen. Wenn derartige Tendenzen auch anfänglich noch verborgen bleiben würden, so sollten diese - nach dem Denken der Mohave - nicht unterdrückt , sondern geradezu gefördert werden. Die Mohave glaubten, daß wie sie sagten "Im Herzen des Kindes entstand der Wunsch, als Alyha zu leben", es anfangen würde, sich auch anders zu verhalten und beispielsweise die Spielsachen des eigenen Geschlechts bzw. dessen Kleider abzulehnen. Ein solcherart betroffener Junge bevorzugte dann eben Puppen und spielte wie ein Mädchen. Im umgekehrten Fall lehnte das Mädchen Puppen ab und spielte mit Pfeil und Bogen. Immer aber wurde eine solche Neigung als von höheren Mächten initiiert angesehen, und auch die Gesellschaft akzeptierte mittels eines ausgeklügelten Initiationsrituals den Übergang des männlichen Kindes in die Gruppe der Frauen bzw. des weiblichen Kindes in die Gruppe der Männer.
Vom Moment der Initiation mußten die betreffenden Transsexuellen dann das Verhalten des anderen Geschlechts bis in die kleinsten Einzelheiten kopieren. Dies wurde als entscheidend dafür angesehen, daß besonders bei den Mann-zu-Frau-Transsexuellen auch "normalveranlagte" Männer sich für sie interessieren würden. Die Rolle des angenommenen Geschlechts sollte also möglichst perfekt dargestellt werden. Diese Geschlechtsumstellung, bereits manchmal im Alter von zehn Jahren, brachte mit sich, daß die Integration in die Gesellschaft offensichtlich wesentlich besser und einfacher vor sich ging als heute bei der Einführung der volljährigen Transsexuellen in das soziale Leben westlicher Gesellschaften. Die hier geltende starre Altersgrenze hinsichtlich des Erwachsenenstatus und des eigenverantwortlichen Handelns zeigt einmal mehr die relative Unzulänglichkeit der gesetzlichen Regelungen in Sachen Legalisierung eines transsexuellen Verhaltens. Es wird immer mehr deutlich, daß die soziale Akzeptanz nicht über Gesetze zu regeln und die biologische Komponente nicht nach Belieben zu beeinflussen ist.
Die Alyhas waren zudem keineswegs in eine untergeordnete Rolle am Rande der Gesellschaft gedrängt, sondern nahmen eine anerkannte Stellung ein: Man glaubte, wie gesagt, daß es sich um eine Berufung durch höhere Mächte handelte und die Alyhas deshalb über übernatürliche Kräfte verfügten. Sie übernahmen auch oft die Funktionen von Medizinmännern. Interessant ist außerdem, daß die Alyhas nicht nur in der weiblichen Rolle versuchten, eine möglichst perfekte Kopie abzugeben, sondern dies auch in der sexuellen Rolle taten, und zwar besonders, indem sie angaben, die Merkmale des weiblichen Geschlechts zu besitzen, und gemäß Berichterstattung, ohne weiteres behaupteten, ihr Penis sei ihre "Klitoris" und ihr Anus ihre "Vagina". Manipulationen am Glied waren den Sexualpartnern nur erlaubt, wenn der Alyha keine Erektion bekam. Verletzungen zwischen den Beinen sollten Regelblutungen vortäuschen, und Schwangerschaften wurden gleichfalls angedeutet (Stoff- oder Fellbündel unter den Röcken, Obstipation). Wenn schließlich, wie die Alyhas behaupteten, die Wehen einsetzten, gingen sie allein in den Wald, erleichterten sich und behaupteten, eine Fehlgeburt gehabt zu haben
Zu Hause wurden dann laute Wehklagen über das verlorene, imaginäre Kind angestimmt - die Umgebung spielte mit. Sie führten im allgemeinen ein ruhiges, friedliches und geachtetes Leben und identifizierten sich vollkommen mit Ihrem angenommenen weiblichen Status. Dies ging sogar soweit, daß sie sich daran beteiligten, wenn andere Frauen solche Männer, die nicht auf den Kriegspfad gehen wollten, lächerlich machten bzw. auslachten.
Auch bei etlichen anderen indianischen Stämmen gab es Berdachen vielgestaltiger Art, so beispielsweise bei den Yurok-Indianern in Nord-Kalifornien, hier Wergern genannt. Die Berdachen waren dort sehr zahlreich vertreten: Man sagt, daß einer von hundert Männern es vorzog, die Rolle der Frau sowohl in sozialer als auch in sexueller Hinsicht zu übernehmen. Die Wergern wurden hochverehrt und stiegen oft zu hoch angesehenen Medizinmännern und Häuptlingen auf: Ihnen wurden auch die höchsten Ehren übertragen, die diese Stammesgesellschaften zu vergeben hatten, d.h. das Berühren und Bestatten von Verstorbenen. Bei Begräbnissen und Trauerfeiern betätigten sie sich oft als Vorsänger und Vortänzer.
Bei den Navahos in Neu-Mexiko waren sowohl Hermaphroditen als auch Transsexuelle hoch angesehen, man nannte sie dort Nadle. Erstere waren die echten Nadle, die anderen waren die, die behaupteten, Nadle zu sein. Die Nadle galten als überaus reich und glücksbringend, und die gesellschaftliche Hochachtung für sie rührte nicht zuletzt daher, daß sie, so die Überlieferung, im Urstreit zwischen Männern und Frauen sich auf die Seite der Männer gestellt hatten: Auf diese Weise gelang es ihnen, die Frauen zu besiegen...
Hier kommt nun ein völlig neuer Aspekt des Weibmanntums nach Berdachenart hervor: Die Kontrolle der biologischen Frauen, beispielsweise bei der Beaufsichtigung der Feldarbeit. Die Nadles waren dann auch in fast allen wichtigen gesellschaftlichen Berufen vertreten bzw. verwalteten diese, so zum Beispiel beim Weben, Töpfern, Körbemachen, Hausarbeiten, bei der Schafzucht usw. Sie konnten auch als Familienoberhaupt handeln und über das kollektive Eigentum verfügen. Sie galten legal als Frauen, hatten Beziehungen zu beiden Geschlechtern und waren auch künstlerisch hervorragend ausgebildet. Dennoch hatten sie wesentlich mehr Einflußmöglichkeiten als die biologischen Frauen: Sie stellten mehr oder weniger eine Kaste von Frauen gemäß männlichen Wunschdenkens dar, Frauen ohne Probleme sozusagen. Allerdings muß in diesem Zusammenhang nochmals ausdrücklich hervorgehoben werden, daß sich ein solch ausgeprägtes Berdachentum, wie es oben beschrieben wurde, nur auf der Grundlage der strengen, geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung indianischer Kulturen entwickeln konnte. Die entsprechende Spezialisierung war typisch indianisch."
In der taz vom 08.03.1994 fand ich noch einen Bericht mit dem Titel "Weibmänner und Mannweiber" über das derzeitige Berdachentum bei den Navajos, jetzt Nadleehè genannt. Darin berichtet der Nadleehè Wesley Thomas u.a.:
"Ein richtiger, traditioneller Nadleehè (heißt "gewandelt") ist in der Navajo-Gesellschaft auch heute noch ein Mensch, der als Mann geboren ist, aber zu hundert Prozent als Frau gilt. Nicht wegen seiner sexuellen Vorlieben, sondern wegen der Arbeit, die er verrichtet. Dasselbe gilt umgekehrt für weibliche Nadleehè, die als Mann leben und arbeiten."
Aus dem Interview geht weiter hervor, daß die Navajo vier Geschlechter kennen: die Frauen als das erste, die Männer als das zweite, die Mannweiber als das dritte und die Weibmänner als das vierte - außer dem biologischen Geschlecht (Sex) gibt es im ebenbürtigen Sinne noch die soziale Geschlechterrolle (Gender). Bei seinem Stamm genießt Wesley Thomas (lebt teilweise in Seattle als Ethnologe, teilweise im Reservat) einen besonderen Status: Nadleehès gelten als "two-spirited-people", also als Wesen, die zwei Geister in sich vereinen. Sie sind hoch angesehen, gelten als besonders inspiriert und werden zu religiösen Handlungen und als Vermittler und Berater herangezogen. Außerdem sind sie in den Augen der Stammesmitglieder als "wohlhabend" eingestuft, allerdings nicht unbedingt im materiellen Sinne, sondern in der Bedeutung von "reich an Wissen". Eine sehr schöne Assoziation! Weiter berichtet Wesley Thomas, daß er mit Männern in festen Beziehungen lebt und dabei sein Nadleehè-Status dominiert d.h. der sogenannte Genderbereich ausschlaggebend ist. Hierzu führt er aus:
"Wer schwul oder lesbisch ist, verkehrt mit Personen vom selben Sex und selben Gender. Wenn ich einen Mann liebe, gehören wir zwar zum selben biologischen Geschlecht, aber nicht zum selben sozialen Geschlecht. Wir werden eben nicht als gleichgeschlechtlich betrachtet. Ich werde ja auch nicht als Mann klassifiziert: Ich bin eine Frau. Meine Lebenspartner sind deshalb auch keine homosexuelle, sondern heterosexuelle Männer."
Das Ganze geht soweit, daß, würde Wesley Thomas als Weibmann eine Frau lieben, wäre er für seine Familie und seinem Stamm gerade ein Homosexueller. Und das würde negativ sanktioniert werden...!"
Wie bereits mehrfach ausgeführt, gab bzw. gibt es unendlich viele Geschlechtswandel-Phänomene auf der ganzen Welt. In meinem Sachbuch "Mythos Geschlechtswandel" berichte ich u.A. noch über die Bräuche im sibirischen Raum (auf Schamanismus-Grundlage), in Indonesien ("manang-bali" auf Borneo), in der Südsee (Mahus auf Tahiti), in Afrika (Angola, Uganda, Nuba-Stämme, Sansibar usw.), in China, in Japan, im arabischen Raum (Xanithen in den Golfstaaten, speziell Oman, 1977 von der Ethnologin Unni Wikan entdeckt und angeblich mit einem Vorkommen von 1:50). Im Sachbuch "Künstliche Geschlechter" werden all diese Variationen weiter vertieft.
Leider muß ich es im Rahmen des heutigen Vortrags bei der vorgenannten Erwähnung belassen, denn die gesamte Geschlechtswandel-Thematik ist, wie bereits mehrmals erwähnt, mit allen seinen Variationen und Manifestationen ungeheuer umfangreich und vor allem überaus lehrreich: Panoramablick eben - statt Tunnelblick ...! Die Medien haben dies inzwischen gleichfalls erkannt und berichten beispielsweise ausführlich über die in die Hunderttausenden gehende Gilde der Hrinjas in Indien, die sich selbst kastrieren. Bezeichnenderweise sprechen diese Medien dabei immer noch von Eunuchen und stellen vorzugsweise der Prostitutionsaspekt in den Vordergrund. Letzteres ist auch in den westlichen bzw. westlich-orientierten Kulturen feststellbar, denn Homosexualtität (und damit "Weiblichkeit" ...!) als "Makel" der Männlichkeit ist noch immer ein bequemer Sündenbock.
Schließlich werde ich diesen Vortrag über die Thematik "Transsexualität: ein kultureller Vergleich" (wie heißt es so schön in Goethes Faust: "Da steh ich nun, ich armer Tor") noch abschließen mit einigen Hinweisen zu den Geschlechtswandel-Vorkommnissen rundum das Wirken des Berliner Sexualforschers Magnus Hirschfeld vor etwa 100 Jahren. Von ihm stammt die überaus bekannte und weitsichtige Aussage (für die damalige Zeit sehr provozierend):
"Der Mensch ist nicht Mann oder Weib, sondern Mann und Weib"
Magnus Hirschfeld (1868-1935) wurde gleichfalls bekannt durch die Gründung 1919 des Berliner Instituts für Sexualwissenschaft. Vom preußischen Staat als Stiftung anerkannt, wurde dieses Institut von den Nazis 1933 geplündert und zweckentfremdet. Seine über 12.000 (!) Schriften wurden öffentlich verbrannt - man munkelt nichtzuletzt deswegen, da dort viele Nazis als Patienten geführt wurden. Im gleichen Sinne überaus wegweisend waren die von ihm herausgegebenen "Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen", in welchen Dr. F. Karsch-Haack im Jahre 1901 seinen viel beachteten Aufsatz "Uranismus oder Päderastie und Tribadie bei den Naturvölkern" publizierte (im Jahr 1911 erschien dann dessen Hauptwerk "Das gleichgeschlechtliche Leben der Naturvölker"), wegweisend für die gesamten Naturvölker - Forschung der nachfolgenden Jahren. Ebenso viel Aufsehen erregte in jener Zeit L.S.A.M. von Römers Beitrag: "Über die androgynische Idee des Lebens" in der Ausgabe 1903 II.
Vor allem jedoch ist Hirschfeld bekannt geworden durch die Ausarbeitung seiner sogenannten Zwischenstufen-Theorie, in welcher er erstmals die "Umkleidungstäter" von den Homosexuellen löste und für sie die Bezeichnung "Transvestiten" vorschlug (Magnus Hirschfeld: "Die Transvestiten", Berlin 1910). Im Jahre 1923 benutzte er dann erstmals das Wort "Transsexualismus", allerdings in Verbindung mit Transvestitismus, ohne diesen Begriff näher zu definieren (das tat dann 1966 Harry Benjamin!). In seiner ca. 2000 Seiten umfassenden sexualwissenschaftlichen Abhandlung, der "Geschlechtskunde", sieht er in dem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung eine Form des "Extremen Transvestitismus" (man kann sich somit fragen, ob der Transsexualismus die oberste Form des Transvestitismus darstellt oder der Transvestitismus die unterste Form des Transsexualismus...!). Hirschfeld schreibt:
"Die stärksten Formen des totalen Transvestitismus finden wir bei denen, die nicht nur ihr künstliches, sondern auch ihr natürliches Kleid, ihre Körperoberfläche andersgeschlechtlich umgestalten möchten. (...) Den höchsten Grad dieser körpertransvestitischen Zwangszustände beobachten wir bei denen, die eine mehr oder weniger vollständige Umwandlung ihrer Genitalien anstreben, vorallem also ihre Geschlechtsteile nach ihrer Seele formen wollen. Voran steht bei transvestitischen Frauen die Beseitigung der Menstruation durch Entfernung der Eierstöcke, bei transvestitischen Männern die Kastration. Diese Fälle sind viel häufiger, als man früher auch nur im entferntesten ahnte."
Vor ihm war der Psychiater Richard von Krafft-Ebing (1840-1902) in seinem bekannten Werk "Psychopathia sexualis" noch von einer Subkategorie der von ihn so benannten "Konträrsexuellen" im effeminierten Sinne ausgegangen, die er mit "Metamorphosis sexualis paranoica" betitelte: "Eine letzte Stufe im Krankheitsprozess stellt der Wahn der Geschlechtsverwandlung dar". Im Pro Familia Magazin 2/95 trug der darauf Bezug nehmende Artikel des Dr. Rainer Herrn (Leiter der Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft der Magnus-Hirschfeld - Gesellschaft in Berlin) den bezeichnenden Titel "Vom Geschlechtsverwandlungswahn zur Geschlechtsumwandlung". Fürwahr, ein langer Weg...! Denn noch immer wird beim derzeitigen Transsexualismus-Modell die Quadratur des Kreises angestrebt. Weil einfach nicht sein kann, was nicht sein darf?
Zum Anfang der zwanziger Jahre wurden die in Hirschfelds Sinne als "extreme Transvestiten" bezeichneten Personen zunächst auf eigenen Wunsch und unter Belehrung der Folgen einseitig oder zweiseitig kastriert - geübt in derartigen Eingriffen waren die Chirurgen bereits durch Genitaloperationen an Verletzten des Ersten Weltkrieges. Der damaligen Kapazität auf dem Gebiet der Genitalchirurgie Richard Mühsam berichtete 1926 über einen von Hirschfeld an ihm überwiesenen Patienten, an dem ein erster Versuch einer plastischen Operation durchgeführt wurde: dies nachdem der Transsexuelle (damals noch Transvestit genannt) zuerst 1920 kastriert und dann 1921 ein weibliches Ovarium eingepflanzt worden war...! Auch das gab es also. Über die erste komplette Genitalumwandlung im Sinne der zu Anfang erwähnten medizinischen Transsexualität berichtete Felix Abraham vom Institut für Sexualwissenschaft 1931 in dem Beitrag "Genitalumwandlung an zwei männlichen "Tranvestiten". Die wohl spektakulärste Geschlechtsumwandlung - und zwar von Mann zu Frau - fand in jener Zeit in Dresden statt - es betraf dies die Dänin Lili Elbe (wg. Dresden!), vormals Einar Wegener. Im Jahre 1931 erschien ihre Biographie "Ein Mensch wechselt sein Geschlecht: eine Lebensbeichte", welche auch in der damaligen Tagespresse sehr große Beachtung fand.
Aus dem Dunkel der Nazi-Zeit ist von Versuchen des berüchtigten dänischen Arztes Carl Peter Jensen (Tarnname Carl Vaernet) an homosexuellen KZ-Gefangenen bekannt. In einem Brief an seine NS-Auftraggeber schrieb dieser: "Die Versuche sollen auf breiter Basis feststellen, ob es durch Implantation einer künstlichen Sexualdrüse möglich ist, einen abnorm gerichteten Sexualtrieb zu normalisieren."
Im Jahre 1952 erfolgte dann die breit vermarktete Geschlechtsumwandlung der (wiederum) Dänin Christine Jörgensen, ehemals der GI George Jörgensen. Ab diesem Zeitpunkt bemächtigte sich die ärztliche Kunst des Geschlechtswandels und verhalf den Betroffenen zu chirurgischen und hormonellen Möglichkeiten, die bis dahin nicht für möglich gehalten worden waren. Nicht zuletzt durch die große Publizität in den Medien - Christine Jörgensen zeigte sich diesbezüglich sehr geschäftstüchtig - wurde so der Grundstein für eine überaus florierende ärztliche Umwandlungsindustrie gelegt. Christine Jörgensen (sie starb meines Wissens 1992) fand in der Engländerin Jan Morris (Conundrum, London 1974) eine würdige Nachfolgerin. Vor allem in den USA stieg man (Mann!) groß ein ("american dream" im Land der unbegrenzten Möglichkeiten) und Namen wie Harry Benjamin, John Money, Robert Stoller, G.W. und C.Socarides, John Hopkins Hospital in Baltimore, Mount-Sun-Rafael-Hospital in Trinidad (Colorado) mit dem Chirurgen Stanley Biber, usw., wurden zu Synonymen für die dort einsetzende, sprunghafte Entwicklung der transsexuellen Idee und deren (nahtlose?) Transformation: "Anything goes" war die schrankenlose Devise.
Für europäische Verhältnisse hatte über längere Zeit der Name Casablanca einen wahrlich magischen Klang, denn dort residierte über Jahre der legendäre Transsexer-Chirurg Charles Burou, der Erfinder des "Stülp" -, bzw. "Handschuh-Prinzips" bei der (chirurgischen) Umwandlung von Mann-zu-Frau-Transsexuellen. Jan Morris` "Conundrum" verlieh dem Endziel "Casablanca" noch zusätzlichen Glanz - "alles wunderbar" wär die verklärte Aussage des Buches, das Wort Kastration findet sich nirgends.
Wie bereits erwähnt kam dann über Harry Benjamin, einen Bekannten Hirschfelds, der in seinem Werk "The transsexual phenomenon" (New York 1966) das Phänomen Transsexualismus im wissenschaftlichen Sinne beschrieb, die Transsexualitäts - Diskussion - sozusagen über den amerikanischen "Umweg" - nach dem zweiten Weltkrieg wieder zurück nach Deutschland bzw. Europa. Alsbald folgten die ersten transsexuellen Gesetzgebungen u.a. in Schweden (1972), DDR (1974), BRD (1981, mit "kleiner Lösung" (Vornamensänderung) sowie "großer Lösung" (Personenstands-änderung)), Italien (1982), Holland (1984), Luxemburg (1989) usw. als auch die Gründungen der verschiedensten Transsexuellen-Selbsthilfe-Organisationen, die zu einem erheblichen Imageverlust in der Öffentlichkeit letztendlich geführt haben ("nicht die Lösung des Problems, sondern das Problem selber"). Aus den USA kommen inzwischen immer kritischere Töne zu uns herüber, weg von der Chirurgie, hin zur Tradition ("Das Wandeln zwischen den Geschlechtern ist so alt wie die Menschheit ...)
Und wie wird es weitergehen?
Heutzutage erscheinen in der deutschen Presse solche lakonischen Berichte wie beispielsweise in der Bildzeitung vom 10.03.1993:
"Operation": ER wurde zur Frau, SIE zum Mann. Rollentausch unter dem Skalpell. Zwei Transsexuelle: Er (30) möchte zur Frau werden, sie (24) will Mann sein. Ein Medizinprofessor spielt Gott, operiert beide um. 19 Stunden im OP. Die Eierstöcke wurden ihm eingepflanzt, seine Hoden wurden ihr angenäht. Professor Xia Zhaoji: "Beide entwickeln sich ohne Sexualhormone normal (!)."
Und in der Hamburger Morgenpost vom 10.03.1993 hieß es
"Der "Es-Mann", so die Nachrichtenagentur Xinhua, habe ohne die Einnahme von Sexualhormonen weibliche Körperformen und ein sanftes Gemüt (!) entwickelt. Die frühere Frau bekam einen "kühnen Charakter" und einen Schnurrbart. Bei beiden Patienten wurde vor dem Eingriff schwerer Transsexualismus diagnostiziert." China ist ja weit weg...! Nicht so ganz weit weg, tönte es vor kurzer Zeit aus der Patriarchats-Hochburg des "stern" (13/93):
"Im Salambo (das bekannte Sex-Theater auf der Hamburger Großen Freiheit) ist ein Gutteil der Artistinnen erst durch Operation zur Frau geworden und arbeitet noch die Rechnung des Chirurgen ab (!). Transvestiten (!), heißt es, könnten auch sechs Nummern am Abend wegstecken (!)."
Und der israelische Präsident Eser Weizmann wird mit den Worten zitiert (Tagesspiegel vom 03.02.97):
"Persönlich betrachte ich Homosexualität als bedauernswertes Phänomen, und diese Sache verursacht bei mir Übelkeit. Ich verstehe weder einen Mann, der sich in eine Frau umwandeln will, noch eine Frau, die eine Geschlechtsumwandlung anstrebt."
Die in Tausenden von Jahren entstandene männlich-patriarchalische Eindeutigkeits-Hybris ist eben schwer zu knacken: wir sehen dies an jene (willkürlichen), vorerwähnten Beispiele.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Dieser Vortrag wurde am 29.01.1997 in der Paul-Gerhardt-Kirche zu Köln - im Rahmen der Foto-Ausstellung "Im falschen Körper: Transsexuelle Menschen in Deutschland" - gehalten. Eine verkürzte Fassung (unter dem Titel "Geschlechtswandel im kulturellen Vergleich) wurde am 11.06.1997 in der Akademie der Künste zu Berlin - im Rahmen der Vortragsreihe zum "Goodbye to Berlin? - Hundert Jahre Schwulenbewegung" - Festival - entwickelt.