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Vorwort von Wolfram Kawohl

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Als der französische Arzt Jean-Marc Gaspard Itard 1825 eine Patientin beschrieb, die unter der Erkrankung litt, die wir heute Tourette-Syndrom nennen, hätte er wohl nicht gedacht, dass es dereinst solch ein ausgeprägtes und verbreitetes Interesse an diesem Thema geben würde. Gleiches dürfte für Georges Gilles de la Tourette gelten, der ab 1884 mehrere Fallbeschreibungen veröffentlichte und nach dem die Krankheit dann schliesslich benannt wurde. Mittlerweile existieren zahlreiche Erwähnungen in Filmen, in Radio- und Fernsehbeiträgen, in der Literatur und im Internet, viele davon jedoch oberflächlich und wenig korrekt, manche aber auch durchaus seriös und informativ.

Die Stärke von Johanna Krapfs Buch ist nicht etwa die Objektivität, wie sie von wissenschaftlichen Texten zu fordern wäre, sondern gerade die Subjektivität der darin enthaltenen Schilderungen. Hier kommen neben Berichten aus der Feder Johanna Krapfs auch Betroffene selbst zu Wort, teilweise im Interview, teilweise in der unmittelbaren Perspektive der ersten Person. Die Berichte über die Betroffenen sind dabei stets von Respekt und Einfühlungsvermögen geprägt. Das Erleben und die Erfahrungen dieser Betroffenen und ihre Sicht auf die Dinge prägen das Buch und eben nicht – im Gegensatz zu vielen anderen Werken – die Meinung von Behandlern, Journalisten oder Wissenschaftlern. Dies führt in manchen Fällen dazu, dass Zusammenhänge anders interpretiert oder Wirkung bzw. Nebenwirkung von Medikamenten sowie weiteren Behandlungsmethoden anders eingeschätzt werden, als es dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Dadurch wird aber wiederum auch veranschaulicht, wo Befürchtungen in Bezug auf durchaus verträgliche Behandlungsverfahren liegen, bzgl. derer sicherlich noch mehr Aufklärung erforderlich ist.

Die erfolgreiche Behandlung eines Tourette-Syndroms erfordert die enge Zusammenarbeit zwischen Betroffenem und Arzt, idealerweise unter Einbezug der Angehörigen. Oft bringen bereits die Kommunikation der korrekten Diagnose und die umfassende Aufklärung über Ursachen, Prognose und Behandlungsmöglichkeiten eine deutliche Erleichterung für die Betroffenen und ihr Umfeld. Nicht selten kommt es dabei vor, dass Patienten sich entscheiden, zunächst einmal auf eine Behandlung zu verzichten. Wenn andererseits, besonders bei ausgeprägter Symptomatik und gravierenden sozialen Folgen, eine Behandlung gewünscht wird, kommt der umfassenden Information über die verschiedenen Behandlungsverfahren eine zentrale Rolle zu. Oft existieren, nicht zuletzt durch Internetrecherchen, unkritische Haltungen gegenüber nicht wirksamen oder auch nicht ungefährlichen Methoden und umgekehrt Befürchtungen gegenüber etablierten und sicheren Verfahren.

Trotz all der mittlerweile existierenden, mehr oder weniger seriösen Informationen erscheint es manchmal unglaublich, wie lange es dauert, bis eine korrekte Diagnose gestellt wird. In meiner Sprechstunde erlebe ich immer wieder Patienten, bei denen erst im Erwachsenenalter erkannt wurde, dass ein Tourette-Syndrom vorliegt. Dies ist besonders gravierend angesichts der Tatsache, dass die Beschwerden in aller Regel bereits im Kindesalter auftreten und für die Betroffenen und ihr Umfeld je nach Ausprägung eine grosse Belastung bedeuten können. Oft werden die Tics dann als schlechtes Benehmen oder Zappeligkeit verkannt. Dies führt zu langen Leidensgeschichten mit Streitigkeiten, Schulwechseln, unwirksamen Behandlungsversuchen sowie Frustration und schlechtem Gewissen bei den Betroffenen.

Das vorliegende Buch trägt einerseits dazu bei, dass mehr Menschen vom Tourette-Syndrom erfahren. Andererseits ermöglicht es denjenigen, die mit einer von einem Tourette-Syndrom betroffenen Person beruflich oder privat zu tun haben, ganz unmittelbare Schilderungen des Erlebens und der persönlichen Einstellungen Betroffener zu ihrer Krankheit zu erhalten. Ich bin dankbar für das Engagement aller Mitwirkenden und wünsche diesem wertvollen Werk eine grosse Verbreitung.

Wolfram Kawohl, August 2019

Professor Dr. med. Wolfram Kawohl (geboren 1971) ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist Chefarzt und Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Dienste Aargau AG (PDAG) und beschäftigt sich klinisch und wissenschaftlich mit dem Tourette-Syndrom.

Und dann schreit sie Ortstarif!

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