Читать книгу Homilien über den ersten und zweiten Thessalonicher-Brief - Johannes Chrysostomos - Страница 6

Zweite Homilie.

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1.

8. Denn von euch aus erscholl das Wort des Herren nicht nur in Macedonien und Achaia, sondern überallhin ist euer Glaube an Gott gedrungen, so daß wir nicht nöthig haben. Etwas zu sagen. 9. Denn sie selbst verkündigen von uns, welchen Eingang wir bei euch gefunden, und wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen 10. und seinen Sohn vom Himmel zu erwarten, den er von den Todten auferweckt hat, Jesum nämlich, der uns vom zukünftigen Zorne erlöst hat.

Gleichwie eine wohlriechende Salbe ihren Duft nicht in sich verschließt, sondern ihn ausströmt und die Luft weitumher mit ihrem Wohlgeruche erfüllt, so daß Alle, welche sich in der Nähe befinden, ihn wahrnehmen, so halten edle und bewunderungswürdige Männer ihre Tugenden nicht verborgen, sondern dadurch, daß die Kunde davon sich in weiteren Kreisen verbreitet, wirken sie fördernd und bessernd auf gar viele Menschen ein. Das ist auch hier der Fall gewesen und mit Beziehung darauf sagt der Apostel: „So daß ihr Vorbilder geworden seid aller Gläubigen in Achaia und Macedonien. Denn von euch aus erscholl das Wort des Herrn nicht nur in Macedonien und Achaia, sondern überallhin ist euer Glaube an Gott gedrungen.“ Euer Fortschritt im Glauben, will der Apostel sagen, hat die ganze Umgegend mit Staunen erfüllt, eure wundervollen Thaten aber den ganzen Erdkreis. Denn das bedeutet der Ausdruck „überallhin“ . Und er sagt auch nicht: „Euer Glaube ist bekannt geworden,“ sondern er bedient sich des Ausdrucks „erschollen“ . Gleichwie nämlich von dem Schall einer gewaltigen Posaune die ganze Gegend widerhallt, so ist der Ruf von eurer Glaubensstärke, gleich einer Posaune weithinschallend, im Stande, den ganzen Erdkreis zu durchdringen und mit gleicher Stärke überall an Aller Ohren zu schlagen. Große Thaten werden an den Orten, wo sie geschehen, wohl auch laut gepriesen, in der Ferne aber weniger. Bei euch nun ist dem nicht also: euer Ruf ist mit weitem Schalle über die ganze Erde hin gedrungen. Diese Worte soll Niemand für Übertreibung halten. Denn dieses Volk der Macedonier war schon vor der Erscheinung Christi auf Erden hochberühmt und mehr noch gefeiert als selbst die Römer, welche gerade dadurch hohen Ruhm erlangten, daß sie die Macedonier unterjochten. Die Thaten, welche der Macedonierkönig vollführte, können mit Worten gar nicht beschrieben werden; aus einem kleinen Lande hervorgehend, hat er die ganze Welt bezwungen. Darum sah ihn auch der Prophet als geflügelten Panther,36 indem er durch dieses Bild seine Schnelligkeit, seine Thatkraft, seinen Siegesmuth bezeichnete, mit dem er unter lauter Siegen und Trophäen den Erdkreis durchzog.

Von ihm wird erzählt, er habe einst, als ein Philosoph behauptete, es gebe unzählige Welten, schmerzlich geseufzt, daß er noch nicht einmal eine einzige Welt erobert habe. So hochstrebenden Sinnes war dieser Mann und in Sage und Sang ward er allüberall gefeiert. Und zugleich mit dem Ruhme des Königs stieg auch das Ansehen des Volkes; jener Macedonierkönig nämlich war Alexander. Da nun dessen Ruhm überallhin drang, so wurde auch Alles, was in seinem Lande vorging, in der weiten Welt bekannt. Denn was mit hervorragenden Männern in Verbindung steht, kann nun einmal nicht in Verborgenheit bleiben. Die Thaten der Macedonier aber standen denen der Römer nicht nach.

„Euer Glaube an Gott,“ heißt es weiter, ist überallhin gedrungen.“ Der Apostel drückt sich aus, wie wenn er von einem lebenden Wesen sprechen würde und gebraucht den Ausdruck „überallhin gedrungen“. Das thut er im Hinblick auf ihren heiligen Eifer. Und um zu bezeichnen, daß sie ihren Glauben lebendig und thatkräftig gezeigt hätten, fügt er bei: „So daß wir nicht nöthig haben, Etwas zu sagen, denn sie selbst verkünden von uns, welchen Eingang wir bei euch gefunden.“ Sie warten es nicht ab, Etwas von euch zu hören, sondern Diejenigen, welche weder Augenzeugen noch Ohrenzeugen waren von euren Leistungen kommen mit deren Lobe den Augenzeugen derselben zuvor. So weit hat sich euer Ruhm verbreitet.

Darum brauchen wir auch ihnen gar nicht von eurem Verhalten zu erzählen, um sie zur Nacheiferung anzuspornen. Denn was sie erst aus unserm Munde vernehmen sollten, das erzählen sie als etwas längst Bekanntes. Sonst hängt sich bei derartigen Dingen Mißgunst an. Aber die Größe eurer Tugenden hat diese überwunden, und so sind sie selbst die Herolde eurer Trefflichkeit. Und obwohl sie euch nachstehen müssen, so schweigen sie doch nicht, sondern verkünden vor mir euer Lob. Bei dem Vorhandensein einer solchen Gesinnung nun können sie gewiß auch meinen Worten den Glauben nicht verweigern.

Was will der Apostel nun sagen mit den Worten: „Welchen Eingang wir bei euch gefunden?“ Das will heißen: Gefahrvoll war er, voll Todesnöthen, allein von all Dem hat euch Nichts wankend gemacht, ihr hieltet zu uns, wie wenn gar Nichts geschehen wäre. Wie wenn euch gar nichts Schlimmes widerfahren wäre, sondern wie wenn ihr tausend Wohlthaten empfangen hättet, also habt ihr uns dann später wieder aufgenommen. Das war nämlich der zweite Besuch. Als sie (nämlich Paulus und Silas) von ihnen weg nach Beröa gegangen waren,37 brach Verfolgung über die Gläubigen herein. Als dieselben später zurückkehrten, wurden sie von den Gläubigen so ehrenvoll aufgenommen, daß diese sogar ihr Leben für sie einsetzten. In den Worten nun: „Welchen Eingang wir bei euch gefunden“ ist ein doppeltes Lob ausgesprochen, das des Apostels und der Thessalonicher. Paulus aber deutet das Wort lediglich zu ihrem Lobe.


2.

„Und wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen.

Das will heißen: Leicht und mit großem Eifer habt ihr euch zu Gott bekehrt, und es kostete euch keine große Mühe, dem Dienste des lebendigen und wahren Gottes euch zu widmen. Mit diesen Worten ertheilte er ihnen auch zugleich eine Ermahnung in milder Form.

Und um seinen Sohn vom Himmel herab zu erwarten, den er von den Todten erweckt hat, Jesum nämlich, der uns vom zukünftigen Zorn erlöst hat.

Der Apostel will sagen: Um seinen Sohn vom Himmel herab zu erwarten, der gekreuzigt wurde und begraben ward, den aber, wie er erklärend beifügt, Gott von den Todten auferweckt hat. Hier ist nun Alles beisammen: Auferstehung, Himmelfahrt, zweite Ankunft, Gericht, Belohnung der Gerechten, Bestrafung der Bösen.

Jesum, der uns vom künftigen Zorne erlöst hat?

Diese Worte enthalten einen Trost, eine Ermahnung, eine Aufmunterung für Jene. Denn wenn Gott ihn von den Todten auferweckt hat, wenn er im Himmel ist und von dannen wieder kommen wird, (und ihr glaubt ja, daß Dem also sei; wo nicht, dann hättet ihr nicht so Viel gelitten;) ist das doch wohl eine reiche Quelle des Trostes. Und wenn die Verfolger sicher ihre Strafe treffen wird, wie der Apostel in dem zweiten Briefe sagt,38 so ist das euch ein Trost, und zwar kein geringer. „Und um seinen Sohn vom Himmel herab zu erwarten,“ fährt er fort. Damit will der Apostel andeuten, daß das Schlimme ihnen jetzt widerfahre, die Seligkeit ihnen aber in der Zukunft zu Theil werde, dann nämlich, wenn Christus vom Himmel herabkomme. Erwäget also, wie fest die Hoffnung des Christen sein muß, weil der Gekreuzigte auferstanden, weil er in den Himmel aufgefahren ist, weil er wieder kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Todten.


3.

Kap. II.

1. Denn ihr selbst wisset, Brüder, daß unser Eingang bei euch kein fruchtloser war, 2. sondern, da wir vorher, wie ihr wisset, in Philippi Leiden und Schmach erduldet, faßten wir im Vertrauen auf unsern Gott den Muth, euch das Evangelium Gottes zu verkünden unter vielen Kämpfen.

„Groß fürwahr und herrlich ist Das, was ihr gethan habt; allein wir haben auch nicht menschliche Worte zu euch gesprochen.“ Wie schon oben, so weist der Apostel auch an dieser Stelle darauf hin, daß der göttliche Charakter des Evangeliums sich in zweifacher Beziehung zu erkennen gebe: einmal in den Wundern und Zeichen und in der Begeisterung Derer, die es verkünden, und dann aus dem Eifer und Glaubensmuthe Derjenigen, die es aufnehmen.

„Denn ihr selbst wisset, daß unser Eingang bei euch kein fruchtloser war.“ Fruchtlos will hier so Viel sagen als bloß menschlich, ganz gewöhnlich und alltäglich. Denn, soeben großen Gefahren, dem Tode und Elend entronnen, stürzte ich mich sofort aufs Neue in Gefahren.

„Sondern da wir vorher, wie ihr wisset, in Philippi Leiden und Schmach erduldet, faßten wir im Vertrauen auf Gott den Muth, — Seht ihr, wie der Apostel wieder alles Verdienst Gott zuschreibt? — euch das Evangelium zu verkünden unter vielen Kämpfen.“ „Es läßt sich nicht behaupten, daß ich nur dort Gefahren bestanden, bei euch aber nicht; denn ihr selbst wisset es wohl, wie groß die Gefahr bei euch gewesen ist, und in welcher Angst ich immer schweben mußte.“ In ähnlicher Weise schreibt der Apostel an die Korinthier: „Wir waren in Schwachheit, in Mühsal, unter Furcht und Zittern bei euch.“39

3. Denn unser Unterricht geschah nicht aus Trug, noch aus Unlauterkeit, noch mit List; 4. sondern wie wir von Gott bewährt erfunden worden, daß er uns das Evangelium anvertraut hat, so reden wir, nicht um Menschen, sondern um Gott zu gefallen, der unsere Herzen prüfet.

Seht ihr, daß der Apostel, wie ich schon vorher bebemerkte, den Eifer Derer, die das Wort Gottes verkünden, als einen Beweis für die Göttlichkeit des Evangeliums erklärt? Wäre es nicht göttlich, will er sagen, so wäre es Trug, und nimmermehr hätte ich für dasselbe so viele Gefahren bestanden, daß ich kaum zu Athem kommen konnte. Wenn mich nicht die Hoffnung auf die künftige Seligkeit aufrecht erhalten würde, wenn ich nicht von der unerschütterlichen Überzeugung beseelt wäre, daß diese Hoffnung nicht eitel sei, nimmermehr könnte ich so frohen Muthes sein in Bedrängnissen und Gefahren. Denn wer möchte wegen irdischer Güter so viel Leiden auf sich nehmen, wer ein so mühevolles und gefahrenreiches Leben führen! Welchen Menschen könnte man dazu vermögen! Wäre nicht der Umstand allein schon hinreichend, die Jünger abzuschrecken, wenn sie sehen müssen, wie der Meister in Gefahr schwebt? Allein euch hat Das nicht abgeschreckt.

„Denn unser Unterricht, d. h. die Lehre, geschah nicht aus Trug.“

„Meine Lehre ,“ will der Apostel sagen, „ist nicht Trug und Täuschung, so daß ich darob (früher oder später) zu Schanden werden müßte. Meine Wunder haben Nichts zu schaffen mit den fluchwürdigen Werken der Zauberer.“ Denn in diesem Sinne steht hier Unlauterkeit, d. h. Verkehr mit unlauteren Geistern. „Auch habe ich nie,“ fährt der Apostel fort, „weder List noch Gewalt angewendet, wie Theudas; sondern wie wir von Gott bewährt erfunden worden, daß er uns das Evangelium anvertraut hat, so reden wir, nicht um Menschen, sondern um Gott zu gefallen.“ Seht ihr, daß keinerlei eitle Ruhmredigkeit vorhanden ist? „Sondern Gott,“ fährt er weiter, „der unsere Herzen prüfet.“

„Nichts thun wir,“ sagt der Apostel, „um den Menschen zu gefallen. Wem sollten wir denn auch zu gefallen suchen?“ Nachdem er von den Verkündern des Evangeliums gesagt, daß sie nicht den Menschen zu gefallen suchen und nicht menschliche Ehre und Anerkennung erstreben, fährt der Apostel fort:

„Sondern wie wir von Gott bewahrt erfunden worden, daß er uns das Evangelium anvertraut hat.“ Das will heißen: „Nimmer hätte mich Gott auserwählt, hätte er mich nicht losgeschält erfunden von allem Zeitlichen. Wie er mich nun erprobt hat, so bleibe ich auch.“

„Wir sind bewährt erfunden worden von Gott,“ d. h. er hat mich geprüft und mir das Evangelium anvertraut. Wie ich nun Gott bewahrt erschien, so bleibe ich auch. Beweis dieser Bewährung ist eben der Umstand, daß mir das Evangelium anvertraut ward. Hätte Gott in mir etwas Schlechtes entdeckt, so wäre ich eben nicht als bewährt erfunden worden, so hätte mich Gott nicht erprobt. — (Dieser Ausdruck „erprobt“ oder was Dasselbe bedeutet: „er hat uns bewährt erfunden und uns das Evangelium anvertraut“ heißt hier nicht soviel als „geprüft“ . Wir Menschen müssen erst lange prüfen, bei Gott ist das ganz anders.) Darob reden wir also, wie es Denen zukommt, welche Gott geprüft und für würdig erachtet hat, des Apostelamtes zu walten.

„So reden wir nicht, um den Menschen zu gefallen,“ d. h. nicht euretwegen thun wir Dieß alles.

Der Apostel hat eben den Gläubigen zu Thessalonich großes Lob gespendet. Damit er nun nicht in den Verdacht der Schmeichelei gerathe, fährt er fort:


4.

5. Denn niemals sind wir mit Schmeichelworten umgegangen, wie ihr wisset, noch mit gewinnsüchtigen Absichten. Gott ist Zeuge! 6. Wir suchten keine Ehre bei den Menschen, weder bei euch, noch bei andern.

7. Wir hätten als Apostel Christi euch zur Last fallen dürfen. Denn niemals sind wir mit Schmeichelworten umgegangen.“ Damit will der Apostel sagen: Nie waren meine Worte darauf gerichtet, eure Gunst zu erwerben. So machen es Jene, die betrügen wollen, die auf Geld oder Herrschaft ausgehen. Niemand kann behaupten, daß ich euch schmeichelte, der Herrschaft wegen; Niemand kann sagen, ich sei des Geldes wegen zu euch gekommen.

In Bezug auf den ersten Punkt nun, der äußerlich zu erkennen war, die Schmeichelei nämlich, ruft er die Gläubigen selbst zu Zeugen auf mit den Worten: „Ihr wisset es selbst, ob ich geschmeichelt habe.“ In Bezug auf den andern Punkt, der nicht äußerlich zu erkennen ist, die gewinnsüchtige Absicht nämlich, ruft der Apostel Gott selbst zum Zeugen an.

„Wir suchten keine Ehre bei den Menschen, weder bei euch, noch bei andern. Wir hätten als Apostel Christi euch zur Last fallen dürfen.“ Damit will der Apostel sagen: Wir haben keine Ehrenbezeigungen gesucht, wir sind nicht mit prunkendem Gefolge aufgetreten, und wenn wir es gethan hätten, so hätten wir damit nichts Ungeeignetes gethan. Denn wenn Abgesandten irdischer Könige äußere Ehrenbezeigungen erwiesen werden , um wie viel mehr hätte ich Anspruch darauf!

Beachtet wohl, daß der Apostel nicht sagt, er sei geringschätzig behandelt worden oder er habe keine ehrenvolle Aufnahme gefunden, — denn damit hätte er ihnen einen Vorwurf gemacht — nein, er sagt nur: „Wir haben solche Ehrenbezeigungen nicht gesucht.“ Nachdem ich nun eigentlich berechtigt gewesen wäre, Ehrenbezeigungen zu verlangen, und sogar die Würde meiner Sendung solche erheischt hätte, ich aber trotzdem keine suchte, kann mir dann Ehrgeiz und Ruhmsucht vorgeworfen werden? Und wenn ich sogar solche gesucht hätte, könnte man mir dennoch keinen Vorwurf daraus machen. Denn es wäre nicht mehr als billig, daß den Abgesandten Gottes an die Menschen, die gleichsam als Gesandte des Himmels erscheinen, große Ehren zu Theil werden. Allein ich thue von all Diesem Nichts, um den Gegnern den Mund zu stopfen.

Man kann auch nicht sagen, daß ich es bloß bei euch so mache, denn im Briefe an die Korinthier heißt es: „Ihr lasset es euch ja gefallen, wenn man euch knechtet, wenn man euch aufzehrt, wenn man euch das Eure nimmt, wenn man sich erhebt, wenn man euch ins Angesicht schlagt.“40 Und ein anderes Mal: „Sein persönliches Auftreten ist schüchtern und sein Vortrag erbärmlich.“41 Und wieder: „Verzeihet mir dieses Unrecht!“42 An diesen Stellen zeigt der Apostel, daß er gar demüthig sei, weil er so Vieles erduldete, hier aber spricht er auch vom Gelde, indem er sagt: „Wir hätten euch als Apostel Christi zur Last fallen dürfen.“ Aber wir haben uns schonend unter euch benommen. Gleichwie eine Säugende ihre Kinder pflegt,


5.

8. so sehnsüchtig hingen wir an euch und waren freudig bereit, euch nicht nur das Evangelium Gottes, sondern selbst unser Leben hinzugeben, weil ihr uns überaus lieb geworden seid. „Wir haben uns schonend unter euch benommen.“ Das will sagen: In unserem Benehmen lag nichts Beschwerliches, nichts Aufdringliches, nichts Lästiges, nichts Anmassendes. „Unter euch“ d. h. wie einer von euch, nicht wie einer, der einen höheren Rang einnimmt. „Wie eine Mutter ihrer Kinder pflegt.“ Fürwahr, so muß ein Lehrer gesinnt sein. Schmeichelt etwa die Mutter dem Säugling, auf daß sie von ihm geehrt werde? Verlangt sie Geld von dem Kinde? Wird sie ihm überlästig und beschwerlich? Müssen die Lehrer nicht noch liebreicher sein als die Mütter? — Hier gibt der Apostel seine mütterliche Liebe zu ihnen kund. „So sehnsüchtig hingen wir an euch.“ Damit will er sagen: So sehr lieben wir euch, so sehr hängen wir an euch, daß wir nicht nur Nichts von euch nahmen, sondern daß wir uns auch nicht geweigert hatten, unser Leben für euch hinzugeben. Sage nur, sind das Eingebungen bloß menschlichen Sinnes! Wer wäre so thöricht, Solches zu behaupten!

Wir waren freudig bereit, euch nicht nur das Evangelium Gottes, sondern selbst unser Leben hinzugeben.

Sonach ist das letztere etwas Größeres als das erstere. „Aber,“ wendet man vielleicht ein, „was nützt denn Das? Das Evangelium bringt doch Nutzen!“ Ganz richtig. Allein die Hingabe des Lebens ist doch etwas Größeres hinsichtlich des Opfers, das gebracht werden muß. Denn das Evangelium predigen und das Leben hingeben, diese beiden Dinge stehen einander nicht gleich. Das erstere nämlich hat größeren Werth , das letztere Erfordert ein größeres Opfer . Wir wollten, sagt der Apostel, wenn es sein sollte, sogar das Leben für euch hinopfern. Weil er sie nun vielfach gelobt hat und noch lobt, darum sagt er ausdrücklich: „Dieß thun wir aber nicht aus Gewinnsucht oder Ehrgeiz oder aus Schmeichelei.“

Der Apostel mußte den Gläubigen zu Thessalonich, weil sie so viele Kämpfe bestanden, außerordentliches Lob spenden, um ihren Muth anzufeuern. Dieses große Lob konnte aber den Verdacht der Schmeichelei erwecken. Um diesen zu beseitigen, spricht er von den Gefahren. Damit es aber wieder nicht scheine, als rede er von Gefahren, um auf seine Mühen hinzuweisen und auf seine Ansprüche auf Ehrenbezeigungen, so fügt er, nachdem er von den Gefahren gesprochen, hinzu: „Weil ihr uns überaus lieb geworden seid,“ d. h. darum hätten wir gerne unser Leben für euch hingegeben, weil unser Herz an das eure gekettet ist. Das Evangelium verkünde ich euch auf Geheiß Gottes, mein Leben aber würde ich für euch, wenn es sein sollte, hinopfern aus Liebe.

Ja, die Liebe des wahren Freundes muß so beschaffen sein, daß er sogar das Leben hinzuopfern sich nicht weigert, wenn dieß von ihm gefordert wird! Doch, was sag’ ich, wenn es gefordert würde! Er muß darnach selbst als nach einer Gunst eifrig streben. Es gibt nichts Beglückenderes als eine solche Liebe. Denn da kann Nichts vorkommen, was Betrübniß verursachte. Ein wahrhaft treuer Freund ist die Würze des Lebens, ist eine mächtige Schutzwehr. Was vollbringt nicht ein ächter Freund! Welches Glück bereitet er! Welchen Gewinn, welchen Vortheil verschafft er! Nenne mir tausend Schätze, keiner kann einem ächten Freunde an Werth gleichkommen.

Reden wir zuerst von dem Glücke der Freundschaft . Beim Anblick des Freundes wallt das Herz des einen frohlockend auf, er umarmt den andern, und das bereitet dem Herzen unaussprechliche Freude. Sogar der bloße Gedanke an den Freund verleiht der Seele höheren Schwung. Ich rede von den wahrhaften Freunden, die eines Herzens sind, die für einander in den Tod gehen, die einander heiß und innig lieben. Ihr dürft nun nicht, um meine Worte zu entkräften, an die alltäglichen Freundschaften, an Tischgenossen, an bloße Namenfreunde denken. Wer einen solchen Freund hat, wie ich meine, der versteht meine Worte ganz gut. Er wird seines Anblickes nicht satt, und wenn er ihn alle Tage sieht. Er wünscht ihm Alles, was er sich selber wünscht. Ich kenne Einen, der, als er einst heilige Männer um ihre Fürbitte anging, sie hat, zuerst für seinen Freund, dann erst für ihn selbst zu beten. Von solcher Bedeutung ist uns ein guter Freund, daß wir seinetwegen sogar Orte und Zeiten liebgewinnen. Denn gleichwie leuchtende Körper ihren Glanz ausstrahlen auf die in ihrer Nähe befindlichen Orte, so tragen auch die Freunde den Liebreiz ihrer Person auf die Orte über, au denen sie geweilt, und oft haben wir, wenn wir ohne die Freunde an solchen Orten waren, geweint und geseufzt, eingedenk jener Tage, an welchen wir mit jenen zugleich uns daselbst befanden. Doch mit Worten läßt sich nicht schildern, welche Lust und Freude die Gegenwart der Freunde bereitet. Nur Diejenigen wissen es, welche es erfahren haben. Unbesorgt magst du von dem Freunde einen Dienst verlangen oder eine Gefälligkeit dir erweisen lassen. Wenn die Freunde von uns Etwas verlangen, so ist uns das nur angenehm; getrauen sie sich nicht, uns um Etwas anzusprechen, so ist uns das leid. Was wir besitzen, ist zugleich auch ihr Eigenthum. Oft haben wir uns losgesagt von allen irdischen Dingen, der Freunde wegen aber möchten wir nicht von hinnen scheiden. Ja, der wahre Freund ist ein kostbareres, begehrenswertheres Gut als selbst das Licht der Augen.


6.

Jawohl, in der That ist ein wahrer Freund höher zu schätzen als das Licht der Augen. Über diese Worte brauchst du dich nicht zu wundern. Denn besser, daß die Sonne uns verschwinde, als daß der wahre Freund geraubt werde. Besser, in der Finsterniß wandeln, als ohne Freunde leben. „Wie so?“ möchte ich fragen. Ja, das will heißen: Viele, die zwar die Sonne sehen, wandeln im Dunkeln, Diejenigen aber, welche Freunde haben, wandeln auch dann nicht im Dunkeln, wenn sie sich in Leiden und Trübsalen befinden. Ich spreche von den wahren und eigentlichen Freunden, welchen die Freundschaft über Alles geht. Ein solcher war Paulus, der, auch ungebeten, gerne sein Leben hingegeben hätte. Mit so feuriger Inbrunst muß man lieben. Ich will euch ein Beispiel anführen dafür, daß Freunde, im christlichen Sinne nämlich, einander näher stehen, als selbst Eltern und Kinder. Denke mir da keiner an die Christen jetziger Zeit, denn mit so vielen andern Tugenden ist auch die Tugend der christlichen Freundschaft seltener geworden. Darauf lenke vielmehr ein Jeder sein Augenmerk, daß zur Zeit der Apostel nicht etwa bloß die Vorsteher, nein, auch „die Gläubigen selbst ein Herz und eine Seele waren.“43 „Keiner nannte von seiner Habe Etwas sein eigen, sondern einem Jeden ward nach Bedürfniß zugetheilt.“44 Mein und Dein waren damals fremde Begriffe. Die wahre Freundschaft zeigte sich darin, daß Niemand sein Eigenthum als seinen Besitz ansah, sondern das des Nebenmenschen, daß er dagegen seinen Besitz als fremdes Gut betrachtete; sie zeigt sich darin, daß Jeder nicht weniger auf sein Wohl bedacht war, als auf das des Nächsten, und daß dieser umgekehrt wieder eine gleiche Gesinnung an den Tag legte.

„Ist es möglich,“ frägt man, „daß es Menschen von solcher Gesinnung gibt?“ Jawohl ist es möglich, wenn wir nur wollen. Gar leicht wäre es der Fall, wofern nur bei uns kein Hinderniß bestünde. Wäre es unmöglich, so hätte Christus es nicht befohlen und hätte nicht so viel gesprochen von der christlichen Liebe. Ja, es ist etwas Großes um die Liebe, etwas unaussprechlich Großes; mit Worten läßt sich von ihr kein Begriff geben, nur durch eigene Erfahrung lernt man sie begreifen. Der Mangel an wahrer christlicher Liebe ist es, der so viele Spaltungen hervorgerufen hat, er trägt die Schuld, daß die griechischen Heiden immer noch Heiden sind. Der wahre Freund will nicht gebieten und herrschen, sondern größere Freude macht es ihm, wenn er dem Freunde gehorchen und dienen kann. Er will lieber Wohlthaten erweisen als empfangen. Er ist von Liebe durchdrungen, und darum ist ihm immer zu Muthe, als hätte er seinem Drange noch nicht Genüge gethan. Wenn er dem Freunde Gutes thun kann, so bereitet ihm das mehr Vergnügen, als wenn ihm selbst Solches widerfährt. Er will den Freund eher sich verpflichten, als ihm Dank schulden, oder vielmehr, er will zugleich den Freund zum Schuldner haben und dessen Schuldner sein. Er will dem Freunde dienen, aber ohne davon viel Aufhebens zu machen, vielmehr soll es scheinen, als ob ihm selbst dadurch ein Dienst erwiesen würde.


7.

Manche von euch haben mich vielleicht noch nicht recht verstanden. Darum will ich die Sache noch einmal vortragen. Der wahre Freund also macht gern den Anfang im Wohlthun, aber so, daß es herauskommt, als vergelte er nur empfangene Wohlthaten. So hat es auch Gott selbst gemacht den Menschen gegenüber. Aus Liebe wollte er seinen Sohn für uns dahingeben. Um aber nicht als unser Wohlthäter, sondern als unser Schuldner zu erscheinen, gebot er dem Abraham, ihm zuerst seinen Sohn zu opfern, indem er dadurch die Größe seiner Wohlthat verhüllen wollte. Wenn keine Liebe vorhanden ist, so setzen wir den Werth empfangener Wohlthaten herab, den Werth der gespendeten aber übertreiben wir; wenn aber Liebe in unsern Herzen herrscht, dann verbergen wir die gespendeten Wohlthaten und stellen sie, wenn sie auch groß sind, gerne als klein dar. Wir wollen nicht, daß der Freund als unser Schuldner erscheine, sondern umgekehrt, wir wollen als seine Schuldner erscheinen, während wir doch selbst ihm Gutes erwiesen haben. Ich kann mir nun wohl denken, daß die Meisten von euch Dieß alles nicht begriffen haben, redete ich ja doch von einem Dinge, das jetzt nur mehr im Himmel existiert. Es verhält sich damit ungefähr so, wie wenn ich von einer indischen Pflanze reden würde, die Keiner von euch aus eigener Anschauung kennt. Keine Beschreibung, und wenn ich auch Stunden lang davon sprechen würde, wäre im Stande, ein anschauliches Bild und einen klaren Begriff davon zu geben. So verhält es sich auch mit dem oben Gesagten. Wenn ich auch noch so viele Worte machen würde, es wäre vergeblich, Niemand würde durch bloße Worte einen Begriff von der Sache bekommen.

Ja, die Pflanze, die ich meine, sie wächst nicht in Indien, aber im Himmel droben, und ihre Zweige, sie tragen als Frucht nicht köstliche Dinge dieser Welt, sondern ein tugendhaftes Leben, das da an Werth alle Köstlichkeiten der Erde übertrifft. Nenne mir irgend eine Freude, eine erlaubte oder unerlaubte, und wäre sie auch süßer als Honigseim, alle übertrifft das Glück einer wahren Freundschaft! Des Honiggenusses bekommen wir einmal satt, des Freundes aber nie, so lange er Freund ist, sondern die Liebe zu ihm wächst nur und verwandelt sich nie in Überdruß. Ja, der wahre Freund hat in unsern Augen einen größeren Werth, als das leibliche Leben selber. Wurden doch schon Manche nach dem Tode der Freunde sogar des Lebens überdrüssig.

In Vereinigung mit einem Freunde mag Einer wohl auch die Verbannung ertragen, ohne den Freund aber möchte Mancher auch nicht einmal gerne in dem Vaterlande wohnen. Mit dem Freunde ist wohl auch die Armuth erträglich, ohne denselben mag oft Gesundheit und irdisches Glück eine Qual sein. Der wahre Freund lebt eben nur in dem andern. Ich bedaure, daß ich Dieß nicht in einem Beispiele erläutern kann. Denn ich weiß recht wohl, daß meine Darstellung keinen rechten Begriff von der Sache geben kann. — So verhält es sich nun mit der Freundschaft auf dieser Welt. Im Himmel droben aber harret der wahren Freundschaft unbeschreiblicher Lohn. Lohn verheißt Gott uns, damit wir einander lieben. „Liebe,“ sagt er, „und empfange dafür Lohn!“ Und doch wären wir dafür eigentlich Dank schuldig. „Bete,“ sagt er, „und empfange dafür Lohn!“ Und doch sind wir eigentlich dafür Dank schuldig, weil wir ja nur Nützliches erbitten. „Dafür, daß du mich bittest, empfange Lohn! Faste, und empfange Lohn! Werde tugendhaft, und empfange Lohn dafür, während du Dank dafür schuldig wärest!“ Gott macht es hierin, wie die Eltern, welche den Kindern Belohnungen ertheilen, wenn sie dieselben zu einem tugendhaften Wandel herangebildet haben, gleich als wären sie der Kinder Schuldner, da sie dieselben in Lust gezeugt. So sagt auch Gott gleichsam: „Lebe tugendhaft, dann wirst du belohnt! Denn du machst dadurch deinem Vater Freude, und dafür bin ich dir Belohnung schuldig. Bist du aber böse, so beleidigst du deinen Vater.“

Darum wollen wir Gott nicht beleidigen, sondern ihm Freude machen, damit wir das Himmelreich erlangen durch Jesum Christum unsern Herrn. Amen.

Homilien über den ersten und zweiten Thessalonicher-Brief

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