Читать книгу Homilien über die Buße - Johannes Chrysostomus - Страница 15
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ОглавлениеDu hast noch einen dritten Weg zur Buße. Ich nenne aber vielerlei Wege der Buße, um dir durch die Verschiedenheit der Wege das Heil zu erleichtern. Welches ist nun dieser dritte Weg? Die Demuth. Sei demüthig, und du lösest die Fesseln der Sünde. Du hast auch dafür wieder den Beleg in der göttlichen Schrift an der Erzählung vom Zöllner und Pharisäer. „Es gingen,“ heißt es,52 „der Pharisäer und der Zöllner hinauf in den Tempel, um zu beten;“ und der Pharisäer fing an, seine Tugenden herzuzählen: „Ich bin nicht,“ spricht er, „ein Sünder, wie alle andern Leute, auch nicht, wie dieser Zöllner hier.“ Du elende und unglückliche Seele! Du verurtheilst die ganze Welt; warum kränkst du auch noch deinen Nachbar? Die Welt genügte dir nicht; mußtest du auch noch den Zöllner verdammen? Alle hast du auf diese Weise verurtheilt und nicht Eines Menschen geschont: „Ich bin nicht, wie alle andern Leute, noch wie dieser Zöllner da. Zweimal in der Woche faste ich, gebe den Zehnten von Allem, was ich besitze, den Armen.“ Wie prahlerisch redet er! Unglückseliger Mann! Es sei, du hast die ganze Welt verurtheilt, was verdammst du auch noch den Zöllner an deiner Seite? Du begnügtest dich nicht mit der Anklage der ganzen Welt, mußtest du auch deinen Nachbar verdammen? Was sprach nun der Zöllner? Nachdem er Dieses gehört, sagte er nicht: „Wer bist denn du, daß du mir diese Vorwürfe machst? Woher kennst du mein Leben? Du bist nicht mit mir umgegangen, hast nicht bei mir gewohnt, hast deine Zeit nicht mit mir verlebt. Warum bist du also so stolz? Wer gibt denn Zeugniß von deinen guten Werken? Warum lobst du dich selbst? Was schmeichelst du dir?“ Aber Nichts von all dem sagte der Zöllner, sondern betete gesenkten Hauptes und sprach: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ Und der Zöllner, der sich demüthigte, wurde gerechtfertigt; der Pharisäer aber verließ den Tempel mit dem Verluste der Gerechtigkeit; der Zöllner aber hatte sie erlangt, als er hinwegging, und Worte waren hier besser, als Thaten; denn Jener verlor bei seinen Werken die Gerechtigkeit, dieser erwarb sich dieselbe durch sein demüthiges Bekenntniß. Ja, das war noch nicht einmal Demuth; denn Demuth ist es, wenn ein Hoher sich erniedrigt; die Handlung des Zöllners war also nicht Demuth, sondern Wahrheit; denn wahr lauteten seine Worte; denn er war ein Sünder. Denn sage mir, was ist schlechter als ein Zöllner? Aus fremder Noth zieht er seinen Gewinn, bei fremden Arbeiten nimmt er Antheil am Nutzen; er kümmert sich nicht um die Arbeit, am Nutzen betheiligt er sich, so daß die Sünde des Zöllners eine sehr große ist. Denn Zöllner sein heißt nichts anderes, als offene Gewalt brauchen, gesetzlich Unrecht begehen und nehmen unter dem Scheine des Rechtes. Denn was ist schlechter, als ein Zöllner, der am Wege sitzt und die Früchte fremder Arbeiten erntet, und der, wo es Arbeit gibt, sich darum nicht im Mindesten kümmert, wo aber Gewinn ist, seinen Antheil von Dem nimmt, was er nicht durch Arbeit errungen? Da nun der Zöllner ein Sünder ist und eine so große Gnade erhielt, weil er demüthig war; wie viel mehr Gnade wird der Tugendhafte finden, wenn er demüthig ist? Wenn du also deine Sünden bekennest und demüthig bist, so wirst du dadurch gerecht. Willst du aber wissen, wer demüthig ist? Sieh auf Paulus, den wahrhaft Demüthigen, auf Paulus, diesen Lehrer der Welt, diesen geistlichen Redner, dieses auserwählte Rüstzeug, diesen ruhigen Hafen, diesen unerschütterlichen Thurm, auf ihn, der mit schwachem Körper alle Welt durchzog und wie mit Flügeln von einem Orte zum andern eilte. Siehe, wie demüthig er ist; sieh’ diesen Thoren und Weisen, diesen Armen und Reichen. Ihn nenne ich wahrhaft demüthig, ihn, der so viel gearbeitet hat, ihn, der tausend Siege wider den Satan davon trug, ihn, der da ausruft und sagt: „Seine Gnade ist an mir nicht vergeblich gewesen; allein ich habe mehr als sie alle gearbeitet“53: welcher Gefängniß, Streiche und Schläge ertrug, welcher die ganze Welt mit seinen Briefen bekehrte, welcher durch eine himmlische Stimme berufen wurde; der war demüthig, da er sagte: „Ich bin der Geringste unter den Aposteln, der ich nicht werth bin, ein Apostel zu heissen.“54 Siehst du die Größe der Demuth? Siehst du, wie Paulus sich erniedrigt, indem er sich selbst den Geringsten nennt? „Denn ich,“ sagt er, „bin der Geringste unter den Aposteln, der ich nicht werth bin, ein Apostel zu heissen.“ Denn das ist die wahre Demuth, daß man sich in Allem erniedrigt und sich den Geringsten nennt. Erwäge nur, wer Der war, der dieses sagte: Paulus, der Himmelsbürger, mit dem schwachen Leibe selbst, womit er umgeben war, die Säule der Kirchen, der irdische Engel, der himmlische Mensch. Ich verweile so gerne bei diesem Manne, wenn ich die Schönheit seiner Tugend betrachte. Die aufgehende Sonne mit all ihren glänzenden Strahlen, die sie entsendet, erheitert meine Augen nicht so sehr, als das Antlitz des Paulus meinen Geist erleuchtet. Denn die Sonne erleuchtet zwar die Augen, aber Paulus erbebt unsern Blick selbst bis zum Himmelsgewölbe: denn er macht die Seele erhabener als die Sonne, und herrlicher, als der Mond ist. Das ist die Kraft der Tugend: sie macht den Menschen zum Engel; sie beflügelt die Seele im Laufe zum Himmel. Diese Tugend lehrt uns Paulus. Bestreben wir uns, eifrige Nachahmer dieser Tugend zu werden!
Allein es ziemt sich nicht, von unserem Gegenstande abzuweichen; denn es war unsere Absicht, die Demuth als den dritten Weg zur Buße zu zeigen, daß der Zöllner sich nicht gedemüthigt hat, sondern bloß aufrichtig war, indem er seine Sünden bekannte und gerechtfertigt wurde ohne Aufwand von Geld, ohne Meere zu durchschneiden, ohne lange Fußreisen zu machen, ohne unermeßliche Meere zu durchschiffen,55 ohne daß er seine Freunde um ihre Fürsprache bat oder viel Zeit verwendete: bloß durch seine Demuth wurde er gerechtfertigt und des Himmelreichs für würdig befunden. Möchten wir alle durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesu Christi desselben theilhaftig werden! Ihm sei Ehre und Ruhm von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Amen.