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1 Größer, breiter, gescheiter Die Geburt des neuen Menschen

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Es existiert.

Es geht weiter.

Es, die Evolution.

Wir sehen sie nicht, aber sie ist schon im Gange.

Die Verwandlung des Menschen.

Ein neuer Homo sapiens erscheint am Horizont.

Der neue Mensch.

Er existiert.

Der Mensch, wie er jetzt ist, ist nicht der Endpunkt der Evolution, das dürfen wir als sicher annehmen. Mutter Natur hat noch große Erzählungen vorbereitet und ist drauf und dran, sie auch umzusetzen. Die Evolution bleibt nicht stehen, auch das dürfen wir als sicher annehmen. Sofern wir uns jetzt nicht in die Luft sprengen mit unserem Raumschiff Erde, wird es uns noch eine Zeit lang geben. Die Frage ist nur: in welcher Form, in welcher Gestalt, in welcher Ausführung?

Eine Verwandlung des Menschen ist ein transhumaner Schritt. Mitunter ein großer. So wie einst vom Schimpansen zum Homo sapiens ereignet sich jetzt ein Progress vom Homo sapiens zum Homo sapiens sapiens. Der Übergang zu diesem neuen Menschen ist keine leichtfertige Behauptung, kein überzogener Gedanke, keine Utopie. Es scheinen sich gewisse Symptome abzuzeichnen. Eine ganze Reihe von Indizien.

In den Vereinigten Staaten ist der Transhumanismus im Gegensatz zu Europa schon ein großes Thema. Dort versteht man darunter allerdings, dass man dem Menschen Chips ins Gehirn einsetzt oder künstliche Gelenke einbaut, die mehr Bewegung ermöglichen. Der vorhandene Mensch soll verbessert werden, man strebt ein ausgereifteres Modell an, als wir jetzt haben. Es soll weniger anfällig, länger haltbar und leichter zu reparieren sein. An eine ganz neue Serie wird dabei nicht gedacht. Ein Evolutionssprung ist der Transhumanismus für die Amerikaner nicht. Sie stellen sich nicht vor, dass der Mensch jetzt das gleiche macht, was er vor hunderttausend Jahren mit den Primaten gemacht hat: nämlich, dass er hier aufspringt und dort als eine andere Spezies landet. Dass er sich verwandelt.

Genau das zeichnet sich aber ab. Eine Verwandlung des Menschen. Sie drückt sich zunächst in ganz einfachen Parametern aus, die wir bei uns im Wiener AKH schon seit einem halben Jahrhundert untersuchen. Als Gynäkologe war ich bei diesen Verwandlungsbeobachtungen sozusagen von Geburt an dabei.

Wir haben das Körpergewicht, den Körperumfang, den Schulterumfang, die Körpergröße und den Kopfumfang der Neugeborenen untersucht. Diese anthropomorphen Parameter, wie man sie nennt, haben wir über fünfzig Jahre hinweg an 80.000 Babys evaluiert und dabei hochsignifikant gesehen: Die Kinder werden immer größer.

Sie werden immer dicker, die Schultern werden immer breiter, und der Kopfumfang wird immer größer.

Der Grund, warum wir überhaupt auf die Idee kamen, diese Parameter zu messen, war die Tatsache, dass die Kaiserschnitte immer mehr zunahmen. Wir fragten uns, ob vaginale Geburten irgendwann noch möglich sein würden oder ob wir unsere Kinder nur noch mit Kaiserschnitt holen könnten. Wir fragten uns das nicht, weil wir Gynäkologen nicht auf ewig mitten in der Nacht zu normalen Geburten aufstehen wollten, sondern weil die natürliche Art, auf die Welt zu kommen, immer schwieriger wurde.

Die Gedankenkette lässt sich weiterführen. Größere Babys haben einen größeren Kopf. In einen größeren Kopf passt ein größeres Gehirn.

Steckt in einem größeren Gehirn automatisch mehr Verstand?

Die Möglichkeit besteht. In der Medizin wissen wir, dass selbst noch im Erwachsenenalter bestimmte Hormone wie zum Beispiel das Östrogen für das Volumen bestimmter Teile des Gehirns mitverantwortlich sind. Das heißt, das Östrogen steuert, dass ein gewisses Quantum an Nervenzellen in diesem Areal erhalten bleibt. Das wiederum bedeutet, dass nicht nur das Gehirn als Gesamtgröße, sondern auch die Anzahl der Neurone vermehrt werden können. Wenn mit dem Gehirn die Menge der Neurone wachsen kann, dann könnte es sein, dass wir von Natur aus immer gescheiter werden.

Dass der Mensch immer größer wird, ist an sich keine neue Entwicklung. Im Laufe der Zeit ist er immer gewachsen. Wenn wir in der Geschichte zurückschauen, sehen wir es an den römischen Sarkophagen und noch besser an den Grabstätten der einfachen Menschen, die ohne den Zierrat der Reichen begraben wurden. Ihre Skelette waren klein. Auch wenn wir uns die Betten der Menschen im Mittelalter anschauen, kommt uns zu Bewusstsein, was für Zwerge wir einmal waren. Nehmen wir nur das Bett der Kaiser im Kloster Escorial bei Madrid. Da würde heute, legte man ihn zum Vergleich daneben, selbst ein Dreizehnjähriger nur noch mit Mühe hineinpassen.

Letzten Endes sehen wir es an uns selbst. Als ich in der Schule war, war ich einer der Größten. Wenn ich heute im AKH in den Aufzug einsteige, sind die Studenten alle um einen Kopf größer als ich. Ich schaue gern zu ihnen auf. Und ich bin sicher nicht der Einzige, der sich hin und wieder so klein fühlt.

Das Phänomen lässt sich nicht nur über lange Zeitspannen hinweg beobachten, es hat auch Pendants. Die gleiche Entwicklungsbeschleunigung zeigt sich in der Pubertät. Bei Jugendlichen ist sie ein körpereigenes Merkmal. Manche scheinen von einem Tag auf den anderen über sich hinauszuwachsen.

Etwas in der Art beobachtete auch ein gewisser James Flynn in den 1950ern, die Welt am Sonntag berichtete darüber. In der High School hatte er Basketball gespielt und viele Matches gewonnen. Als er fünf Jahre später gegen eine High-School-Mannschaft antrat, überragten ihn baumlange Jünglinge, gegen die er und seine Kollegen keine Chance mehr hatten. Sie waren nicht nur größer, sondern auch um einiges schneller als er, konnten mit der linken genauso gut werfen wie mit der rechten Hand und hatten auch sonst Tricks drauf, mit denen sie die Älteren austricksten.

Dreißig Jahre später fiel Flynn, mittlerweile Professor für Politikwissenschaften in Neuseeland, auf, dass in einigen Ländern die IQ-Werte stetig anstiegen. Er erinnerte sich an seine Basketballzeit und wurde neugierig. Ebenso, dachte er, müsste es doch mit der Intelligenz sein. Die Kollegenschaft war skeptisch, weil Zwillingsstudien längst ergeben hatten, dass Intelligenz zu siebzig Prozent vererbt wird. Der IQ, müsse also über die Generationen hinweg stabil bleiben. Der Flynn-Effekt galt lange Zeit als statistischer Fehler.

2015 bekam James Flynn dann doch Recht. Es waren Forscher der Universität Wien, die erstmals einen weltweiten Anstieg des IQ im 20. Jahrhundert nachwiesen, und der Unterschied war durchaus nennenswert. Der Gesamt-IQ liegt dreißig Punkte höher als 1909. Die Welt am Sonntag schrieb: Wer es heute auf einen durchschnittlichen IQ von hundert bringt, hätte vor einem Jahrhundert einen IQ von hundertdreißig gehabt und als hochbegabt gegolten.

Das entspricht drei Punkten pro Dekade, wobei der Anstieg nicht immer und in allen Weltregionen gleich war. In Deutschland war der IQ während der beiden Weltkriege gleich geblieben. In der Zwischenkriegszeit und ab 1950 machte er gewaltige Bocksprünge nach oben. Asien startete auf etwas niedrigerem Niveau als Europa, holte dafür aber dramatischer auf. Letztlich, war in dem Artikel zu lesen, wird er überall auf gleichem Level landen.

Es hat also in der Geschichte durchaus solche Entwicklungen der körpermorphen Parameter gegeben. Allerdings nie so rasant. Nie so auffällig. Jetzt scheint sich eine Explosion zu ereignen.

Das wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Allen voran: Wodurch ist diese Akzeleration ausgelöst, die ja kontinuierlich immer da war? Salopp gesagt: Wer oder was gibt da plötzlich so Gas? Und natürlich: Warum?

Was liegt dahinter? Ist da ein Mechanismus am Werk, der mehr kann, als Riesen zu produzieren? Ist dieser Mechanismus möglicherweise dazu geeignet, einen noch größeren Quantensprung zu ermöglichen? Ist es denkbar, dass sich im Zuge dessen das Gehirn vergrößert, die Anzahl der Neurone zunimmt und damit ein anderes Bewusstsein geschaffen wird? Und wenn ja, was lässt uns das noch erwarten?

Es ist durchaus möglich, auf ein paar dieser Fragen schlüssige Antworten zu geben.

Der Mechanismus, der hinter der Wachstumsexplosion liegt, hat etwas mit zwei Worten zu tun, die der Größe der Ereignisse so gar nicht entsprechen. Im Gegenteil, sie sind überhaupt nicht sexy. Die Rede ist von Insulin und Glukose. Die beiden, das Insulin als ein Wachstumsfaktor und die Glukose als Bestandteil der Nahrung, bewirken im Zusammenspiel des menschlichen Organismus mit den äußeren Umständen dennoch Erstaunliches.

Dass und wie sehr dieser Mechanismus in der Lage ist, in die Entwicklung des Menschen einzugreifen, beweist uns schon die Schwangerschaft. Deswegen ist sie für die Evolution so wichtig. Werfen wir einen Blick darauf.

Um das Kind in der Gebärmutter ausreichend zu ernähren, entwickelt die Frau in der Schwangerschaftszeit ein Überangebot an Insulin und ein Überangebot an Glukose, sprich an Zucker.

Man kann sich das so vorstellen:

Die schwangere Frau macht ihre eigenen Zellen für die Kohlenhydrate, für das Insulin zu. Eigentlich genau so, wie es auch Diabetiker machen. Was einiges zur Folge hat. Der Zuckergehalt im Blut steigt an. Die Bauchspeicheldrüse möchte den Zucker aber trotzdem irgendwie in die Zelle transportieren. Um das in diesen großen Mengen zu schaffen, steigt das Insulin an. Unschwer, sich vorzustellen, dass da ordentlich geschuftet wird.

Wozu der ganze Aufwand? Immerhin kann diese erhöhte Produktion, wenn sie pathologisch entgleist, was ja in der Evolution immer möglich ist, zu Schwangerschaftsdiabetes führen. Ist das ganze Tamtam der Mühe wert?

Es ist nicht nur die Mühe wert, es ist sogar lebensnotwendig. Das Risiko muss eingegangen werden, aus gutem Grund. Die hohen Insulinkonzentrationen und vor allem der hohe Zucker der Mutter stehen nun auch dem Baby zur Verfügung, und es beginnt, seine Hirnentwicklung zu beschleunigen. Ein Mechanismus, der wahrscheinlich für die evolutionäre Hirnentwicklung von hoher Bedeutung war.

In der Schwangerschaft ist eine derartige prädiabetogene Stoffwechsellage eine Notwendigkeit. Deswegen akzeptiert die Natur eine Situation wie bei Diabetikern. Sie ist essenziell. Das Kind braucht sie in diesen Phasen zur Entwicklung des Gehirns. Wie gescheit die Natur doch ist.

Was hat jetzt dieser Abstecher in die Schwangerschaft damit zu tun, dass die Menschen immer größer werden? Erhöhten Zucker und erhöhtes Insulin gibt es immerhin seit den Schwangeren der ersten Stunde.

Die Erklärung ist so einfach wie verblüffend: In der modernen Überflussgesellschaft leben wir praktisch wie in einer ewigen Schwangerschaft. Wir sind sozusagen die extrauterinen Embryos im Mutterleib der Überflussgesellschaft und pendeln zwischen einem Energieangebot für unseren Körper, wie das vorher in der Menschheitsgeschichte noch nie der Fall war, und andererseits der Gefahr, an Diabetes zu erkranken, wenn der Konsumbogen überzogen wird.

Unser Nahrungsangebot ist so riesig, dass das, was in der Schwangerschaft phasenweise einen Sinn hat, in der modernen Zivilisation permanent möglich ist. Vermehrtes Insulin und vermehrte Kohlenhydrate sind nicht mehr nur dazu da, um das Gehirn des Kindes zu vergrößern. Sie sind ein Dauerzustand. Zumindest in der westlichen Welt haben wir ständig genug zu essen und können jede Schwangerschaft für ein Mehr konditionieren.

Das ist einer der Gründe, warum die Menschen im 20. Jahrhundert damit begannen, stetig größer zu werden. Sie verändern sich.

Die Sache ist natürlich wesentlich komplexer und außerdem kein einmaliges Ereignis. Es gibt im Leben noch eine zweite Phase, in der die Energieressourcen für die Erhaltung der Art notwendig sind. Nämlich in der Zeit, in der ein Mädchen zur Frau wird.

Das zweite Mal, bei dem ausreichend Energie und Nährstoffe für die Fortpflanzung, die Reproduktion und schließlich das heranwachsende Leben gebraucht werden, beginnt schon lange vor der ersten Schwangerschaft. Sie ist sogar die Voraussetzung dafür. Denn um eine Schwangerschaft austragen zu können, braucht der weibliche Körper 140.000 zusätzliche Kilokalorien. Ohne diesen hochenergetischen Prozess gäbe es praktisch keine Fortpflanzung.

Die Frage ist dabei weniger, wo kommen diese 140.000 Kilokalorien her, sondern wo sollen diese 140.000 Kilokalorien hin. Wo soll der noch kindliche Frauenkörper plötzlich so viel Energie und Nährstoffe unterbringen? Ist ja nicht so, dass sich die Mädchen ein zusätzliches Depot aus der Requisitenkammer der Natur holen oder eine Art tragbare Vorratskammer umgeschnallt bekommen.

Es muss sich etwas innerhalb des Körpers ereignen, und genau das passiert. In der Steinzeit ist eine werdende Mutter auch nicht in die nächste Supermarkthöhle gegangen und hat sich vor den Regalen voll Babynahrung überlegt, ob sie sich heute für Alete oder Milupa entscheiden soll. Mutter Natur hatte selbstständig dafür zu sorgen, dass hier ein Schalter umgelegt wird, sodass das Kind das bekommt, was man heute in jedem Kaufhaus kaufen kann.

Im Organismus wird damit ein erstaunlicher Vorgang angeknipst. Er bewirkt, dass sich plötzlich überall, wo es nur geht, am Popo, an den Hüften, um den Bauch, Fettzellen bilden. Genau diese Fettzellen, die dann dafür verantwortlich sind, dass die Mutter die 140.000 Kilokalorien zur Verfügung hat, die sie für ihr Kind im Bauch und später zum Stillen braucht. Wie in der eigentlichen Schwangerschaft ist auch dieser Mechanismus eine sogenannte Insulinresistenz, die man in der Pubertät polyzystisches Ovar, kurz PCO, nennt.

Das heißt, junge Mädchen machen quasi eine zuckerkrankheitsähnliche Lebensphase durch.

Für kurze Zeit benimmt sich der Körper ganz und gar nicht normal. Keine Frage, dass das irritiert. Wenn sie diese kleinen Follikel, diese Zysten am Eierstock haben, fürchten viele Mädchen, nie wieder schwanger werden zu können. Diese Angst lässt sich leicht nehmen. Für das Wachstum ist dieser so gar nicht normale Zustand völlig normal. Das PCO ist bei jungen Mädchen von Natur aus mit einer diabetogenen Stoffwechsellage verbunden.

Was in dem Alter aber vermutlich noch viel irritierender ist: In dieser zuckerkrankheitsähnlichen Lebensphase werden die Mädchen dick. So wie auch Diabetiker übergewichtig sind, denn genau dasselbe geht bei einer Insulinresistenz vor. Bloß wird sie nicht, wie in der Schwangerschaft, durch das Hormon Progesteron erzeugt. Bei jungen Mädchen ist das Testosteron dafür verantwortlich, also das männliche Hormon.

Wie es im genial verzahnten menschlichen Bauplan so ist, sind wir damit sofort bei der Erklärung für ein weiteres Phänomen: die Akne in der Pubertät. Auch sie ist den männlichen Hormonen zu verdanken. Die Pickel sprießen nun gerechterweise bei Mädchen und Buben, während die Hormone ihrer eigentlichen Aufgabe nachgehen: aus der hohen Glukosekonzentration des Blutes Muskeln zu bilden. Aber das nur nebenbei.

Um die komplizierten Vorgänge im Körper, die für die Entwicklung des neuen Menschen relevant sind, noch einmal auf einen Blick zu haben:

Wir haben im normalen Leben heutzutage zwei Phasen, in denen die Zuckerkrankheit für die Erhaltung der Art notwendig ist. Damit wird die Energie zur Verfügung gestellt, die einerseits das Baby und anderseits der pubertierende Mensch brauchen. Wenn das allerdings überzogen wird, kommt es zu Problemen. In der Schwangerschaft zu Diabetes, und zwar dem richtigen Schwangerschaftsdiabetes, bei dem man mitunter tatsächlich Insulin spritzen muss.

In der Pubertät ist das alles noch viel desaströser. Durch die falsche und übermäßige Ernährung kann die Insulinresistenz, eben das PCO, komplett aus dem Ruder laufen. Dann ist sie keine auf zwei oder drei Jahre konzentrierte Phase, sondern führt zu einem permanenten polyzystischen Ovar. Vor allem zu dem, was man heute in jeder Schule sieht: zum Übergewicht.

Die Kinder werden, das lässt sich mit Worten nicht beschönigen, einfach fetter. In der Zeit der prädiabetogenen Insulin- und Glukoseintoleranz wandeln die jungen Menschen ihr intensives Essen zu sehr in Fettzellen um. Und schon wird ein für das Überleben notwendiger Prozess zur Pathologie.

Wir haben einerseits Schwangerschaftsdiabetes, andererseits die pubertäre Übergewichtigkeit. Zwei Gründe, die dafür sorgen, dass die Kinder größer und dicker werden.

Man kann es sich bei allem Überfluss, der heute herrscht, gar nicht mehr vorstellen, aber die längste Zeit lebten die Menschen nach einem kargen Prinzip. Im Normalfall gab es ausgesprochen wenig zu essen und zur Abwechslung eine Hungersnot. Sie pendelten zwischen Kaum-was und Gar-nichts. Menschheitsgeschichtlich gesehen, ist das erst gestern gewesen.

Schließlich ging es den Leuten Gott sei Dank etwas besser. Sie konnten sich, wenn es gut ging, dreimal in der Woche ordentlich sattessen. Selbst bei dem, was üblicherweise im 21. Jahrhundert auf den Tisch kommt, kann aber nicht von gesunder Ernährung die Rede sein. Die kontinuierliche Möglichkeit, hochwertiges Essen zur Verfügung zu haben, gibt es noch nicht lange.

Allerdings kam es in unserer Geschichte schon vor. Zuletzt vor 10.000 Jahren. Während der sogenannten neolithischen Revolution. Es erinnert dabei so einiges an die Gegenwart.

Nur so als Hypothese:

Wir leben in der Überflussgesellschaft des 20. und 21. Jahrhunderts in einer Phase, die der neolithischen Revolution sehr ähnlich ist. Mehr noch, die Parallelen sind bemerkenswert.

Schauen wir einmal zurück, was sich da getan hat.

Erstens: Ausgelöst wurde die neolithische Revolution durch eine Erderwärmung. So, wie wir sie jetzt haben.

Zweitens: Damals hat der Mensch angefangen, aus der primitiven Sammlertätigkeit einen Intellekt zu entwickeln, der die Gemeinschaftsfähigkeit, das Gemeinwesen, möglich gemacht hat. Es entstand ein neuer Mensch.

Drittens, und das ist naturwissenschaftlich gesichert: Es ist etwas explodiert. Das Gras.

Gräser traten das erste Mal in der Kreidezeit auf, woraufhin sich das Erosionsverhalten des Festlandes positiv geändert hat. Dann hat die Erderwärmung ein besseres klimatisches Ambiente für das Gras geschaffen und es damit zur Vollblüte gebracht. Aus dem Gras entstanden Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, der Reis und der Mais. Auf einmal hatte der Mensch hochwertige Nahrung zur Verfügung, die er sich davor gar nicht ausdenken hätte können. So wie wir jetzt.

Es war der Eintritt in eine neue Evolutionsphase des Menschen. Interessanterweise gleich in drei verschiedenen Erdteilen, und immer war es das Gras, das daran beteiligt war. Der Reis in Asien ist nichts anderes als eine Grassorte. Der Mais in Südamerika ist nichts anderes als ein Gras. Weizen, Roggen und Gerste sind ebenfalls Formen des Grases.

Gras, wird sich vielleicht jetzt jemand denken. Meine Güte, was regt er sich so auf. Gras. Na und? Vom Standpunkt des damaligen Menschen konnte man sich gar nicht genug aufregen. Was uns heute so geläufig ist, war zu der Zeit eine Sensation.

Das Gras hat sich durch etwas ganz Besonderes ausgezeichnet, was die anderen Pflanzen nicht hatten. Es war sehr kohlenhydratreich. Wenn wir uns den Weizenkeimling hernehmen, als hätten wir ihn noch nie gesehen, oder auch den Reis oder den Mais, den man einfach so essen kann, dann halten wir eine Kostbarkeit in Händen. Kohlenhydrate in Höchstform. Ein Turbo für die Hirnentwicklung.

Davor haben sich die Leute von Fleisch ernährt, das sie mühsam zur Strecke bringen mussten. Oder von Wurzeln, die sie irgendwo gefunden haben. Beides hatte wenig Kohlenhydrate. Das eine war Eiweiß, das andere mehr Zellulose. Auf einmal gab es Kohlenhydrate, noch dazu in Mengen. Als hätten sie zum ersten Mal einen Berg Nudeln gesehen, so muss das gewesen sein.

Im Nachhinein betrachtet, ist es von diesem Nudelberg bis zum darauffolgenden neuen Menschen ein Katzensprung gewesen. Ein bisschen Ackerbau, ein bisschen Getreide ernten, ein bisschen Fladenbrot backen, ein bisschen Gerstenbrei essen, und auf einmal war die Jungsteinzeit von lauter Intellektuellen bevölkert. Mit ihrem plötzlich so scharfen Verstand entschieden sie, dass sie nicht weiter durch die Gegend trampen mussten, immer auf der Suche nach Wurzeln fürs Frühstück, immer auf der Spur von Tieren zum Nachtmahl.

Überhaupt brauchten sie nicht mehr auf Achse zu sein. Das Getreide wuchs immer an derselben Stelle, so ein Feld bewegte sich nicht. Daher brauchte sich auch der Mensch nicht mehr zu bewegen und wurde sesshaft. Er säte und erntete und lebte wunderbar von dem, was um ihn herum aus der Erde schoss. Es war reichlich. Es deckte den Bedarf einer zehnköpfigen Gruppe, die immerhin drei Kilo Getreide pro Tag verdrückte. Die Menschen hielten die neolithische Revolution für eine gute Sache.

Kein Wunder. Sie veränderten sich. Sie wurden größer. Sie entwickelten ein Hirn, das fähig war, einen sozialen Zusammenhalt zu schaffen. Und wieder zeigen sich Parallelen zur Gegenwart. So eine ähnliche Situation haben wir heute wieder. Unser Gras ist die Wohlfahrtsgesellschaft. Sie macht es möglich, ihre Güter überall zu verteilen und den Menschen tagtäglich ausreichend Kohlenhydrate und auch genug Kalorien zur Verfügung zu stellen.

Drängt sich natürlich die Hoffnung auf: Könnte das die Menschen wieder ein Stück intelligenter machen?

Ist es nicht eine absurde Theorie, die man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte? Die Unsitte, Fastfood in sich hineinzustopfen, kann dafür sorgen, dass sich ein besseres Gehirn ausbildet. Einmal ganz bildlich gesprochen.

Und doch ist was dran.

Die Ernährung ist einer der Hauptgründe für die Evolution. Jeder Eindruck verändert und beeinflusst unser Genom. Am stärksten natürlich das, was wir zu uns nehmen, was wir inhalieren, was das Genom des Stoffwechsels beeinflusst. Das prägt am nachhaltigsten. Der Mensch ist, was er isst, man kann es nicht oft genug sagen.

Drängt sich natürlich die nächste Hoffnung auf: Könnte das die Menschen auch ein Stück besser machen?

Meine Antwort ist: Ich weiß es nicht.

Aber es ist ohne weiteres möglich.

Ich möchte es gern mit dem französischen Jesuiten, Theologen und Naturwissenschaftler Pierre Teilhard de Chardin halten, der sagte, er habe durch seinen Glauben an Gott eine positive Welthaltung einnehmen können. Ihm zufolge wird sich alles ins Positive entwickeln. Was für ein schöner Gedanke, an den es sich zu glauben lohnt. Auch wenn es im Augenblick, das muss ich sagen, nicht sonderlich danach aussieht, aber das hindert uns nicht am Hoffen.

Ändert sich mit der Größe des Gehirns die Anzahl der Neurone, ändern sich auch die Mentalität und die Psyche der Menschen. Dann ist der Mensch in Zukunft vielleicht empathischer und hat eine größere soziale Bindung.

Warum nicht?

Mit dem Gehirn eines neuen, besseren Menschen gedacht, gibt es jedenfalls kaum einen anderen Weg, als dass sich die Kulturen angleichen und zu verstehen lernen. Dass diese aggressive Form des Islam nur eine Durchgangsphase ist. Dass sich sowohl die Religionen, wie auch die unterschiedlichen sozialen Schichten aufgrund eines verbesserten Gehirns mit mehr sozialer Kompetenz zu einem friedlichen Zusammenleben finden. Nur so als eine Hypothese.

Auch dafür würde einiges sprechen. Die Intelligenz wird steigen, und dadurch werden die Menschen offener sein. Selbst ein Wirtschaftsforscher wie John Maynard Keynes, einer der Größten auf seinem Gebiet, sagt, dass dieses Streben eines jeden, immer mehr zu haben und den eigenen Besitz so in den Vordergrund zu stellen, in der Wirtschaftsordnung nicht mehr haltbar sein wird. Möglicherweise haben auch die Grünbewegungen Recht, dass die Güterverteilung ein Zukunftsmodell ist. Teilhard de Chardin würde ihnen gern zustimmen. Es würde zur Offenbarung des Johannes passen und seiner Vision des Himmlischen Jerusalem, das nach dem Ende der Apokalypse entstehen wird.

Im Sinne einer hoffnungsvollen Weltsicht ist die Vorstellung schon sehr reizvoll, dass es nicht nur gesellschaftliche Veränderungen sind, die einen friedlichen Wandel erzwingen, sondern dass auch das Gehirn des Menschen ein anderes sein und dazu beitragen wird, dass die Menschheit doch einmal friedlicher zusammenleben kann.

Natürlich mangelt es in der Menschheitsgeschichte nicht an furchtbaren und hochkriminellen Ausreißern. Diktatoren, Tyrannen, Usurpatoren. Aber selbst auf dem Gebiet gab es eine Evolution. Genauso, wie die Menschen seit der Steinzeit immer größer geworden sind, so haben sie langsam immer mehr begriffen, dass es so etwas wie Gebote geben muss, an die man sich hält. Gerade in den vergangenen Jahrzehnten hat da, ähnlich wie bei der Körperform, ein Sprung stattgefunden.

Zumindest in Mitteleuropa sind wir heute in einer Zeit angekommen, die vor hundert Jahren noch nicht existent, nicht einmal denkbar war. Konkret, dass jeder Vertreter jeder Partei und jeder Weltanschauung sagt: Das, was wir unter keinen Umständen wollen, ist Krieg. Wir sind für eine soziale Gerechtigkeit, und wir sind dafür, dass die Menschen in Frieden leben können.

Das ist eine enorme Evolution. Es ist nicht Programm einer Partei, es ist das, was die Briten common opinion nennen. Öffentlich geteilte Meinung. Gemeinsame Überzeugung. So etwas gab es vor hundert Jahren nicht. Selbst die Intellektuellen, die geistige Elite der Gesellschaft, sind mit fliegenden Fahnen in den ersten Weltkrieg gezogen. Oskar Kokoschka, um nur ein Beispiel zu nennen.

Jemand könnte jetzt dagegen halten und diesen Fortschritt als viel wahrscheinlichere Erkenntnis aus den beiden Weltkriegen beschreiben. Auch nicht falsch. Es ist aber deshalb nicht auszuschließen, dass der Mensch durch ein sozialeres Gehirn verstanden hat, dass es so etwas nicht mehr geben darf. Geschichte und Erfahrung spielen zusammen und nähren einen Evolutionsprozess.

Die Evolution agiert nicht zufällig, per random, wie die Neodarwinisten angenommen haben. Die Evolution geht in eine vorgegebene Richtung, aber sie orientiert sich an dem, was sie vorfindet. In welche Richtung sich der neue Mensch entwickeln wird, wird in den nächsten Jahrzehnten deutlich zu sehen sein.

Die Gesellschaft, und das ist ein naturwissenschaftlich-physiologischer Gedanke, ist dabei sehr gefordert. Denn wenn ein neuer Mensch entsteht, ist das kein völlig isolierter Prozess. Der neue Mensch orientiert sich auch an der Umwelt. Und er ist abhängig von dem, was common opinion ist. Zeichnet die Gesellschaft eine humane Welt vor, nimmt der neue Mensch mit seiner neuen Intelligenz an ihr Maß. Er hält an den alten Vorstellungen der vorhergehenden Generation fest und lässt sich auch human beeinflussen.

Wie immer das alles ausgehen wird: In dieser Transformation sind wir gerade.

Es existiert

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