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Das Zeitalter des Dopamins Die Last der Belohnung
ОглавлениеÜbergewicht ist nicht bloß das Problem einzelner Individuen. Übergewicht ist eine Epidemie. Es ist die neue Cholera.
Die gewichtige Feststellung stammt nicht von mir, sie ist aus dem Editorial des New England Journal of Medicine. Schaut man sich die Statistiken und die globale Verbreitung der überschüssigen Kilos an, erscheint der Vergleich nicht übertrieben. Was die Fettleibigkeit betrifft, liegen vor allem die USA und Saudi-Arabien im tiefroten Bereich.
Bei einem Kongress berichtete Professor Gerhard Prager, eine international gefragte Kapazität in Sachen Adipositas am Wiener AKH, von einem seiner schwersten Fälle, die längst keinen Seltenheitswert mehr haben. Prager ist Spezialist für Magen-Bypass-Operationen, die letzte Möglichkeit, extremer Fettleibigkeit beizukommen. Sein Patient kam aus Saudi-Arabien und musste mit einem Militärflugzeug eingeflogen werden. Anders hätten seine zweihundert Kilo nicht transportiert werden können. Der Mann war nicht mehr imstande zu gehen. Er musste liegend, samt Bett, ins Flugzeug geschoben, von dort von einem Spezialtransport zum AKH gefahren und, immer noch im selben Bett, ins Krankenzimmer gerollt werden. Auf diesem Bett musste der Professor ihn auch operieren, für einen OP-Tisch war der Patient zu fett.
Bislang waren die Amerikaner im Spitzenfeld der schwersten Menschen der Welt, jetzt hat Saudi-Arabien sie überholt. Der Abstand zu Österreich oder Deutschland wird stetig dünner. Menschen mit Übergewicht sind längst in der Mehrheit. In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren stieg die Zahl so verlässlich wie rapide an. Gerade dieser Tage wurde eine Statistik veröffentlicht, nach der siebzig Prozent der Volksschüler zu dick sind. 70 Prozent!
Die Frage ist also:
Warum ist man gerade in den reichsten Ländern dieser Erde gewichtsmäßig so arm dran?
Meine Antwort darauf lautet:
Weil wir in einem dopaminergen Zeitalter leben.
Was immer wir tun, das im weitesten Sinn dem Überleben und der Erhaltung der Art dienen kann, es wird auf jeden Fall einmal Dopamin ausgeschüttet. Sex, Essen, Trinken und was sonst noch dazu beiträgt, die Menschheit nicht aussterben zu lassen, alles wird mit dem Glückshormon belohnt, damit wir ja nicht auf die Idee kommen, damit aufzuhören. Das hat sich die Evolution genial ausgedacht.
Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass wir jemals in so einem Überfluss leben würden wie heute. Sonst hätte die Natur dem Dopamin beigebracht, wann genug auch einmal genug ist. Diese Grenze kennt das Glückshormon nicht, und es wird sie auch nie erreichen. Es will mehr. Immer mehr. Mehr. Und mehr.
Wir haben nicht bloß arterhaltenden Sex, wir treiben es, wie es uns gefällt. Wir essen nicht mehr nur, was der Körper braucht, wir stopfen alles in uns hinein, ob es uns guttut oder nicht. Wir trinken nicht, wir saufen. Wir wollen uns nicht mehr nur wohlfühlen, wir wollen rund um die Uhr Spaß haben. Und weil sich das Dopamin nie zufriedengibt, mit dem, was es bekommt, sind wir auf der ständigen Suche nach den nächsten Kicks nicht mehr aufzuhalten. Wir sind süchtig. Nach allem. Besitz, Gefühl, Genuss. Das ist es, was die Welt belastet. Wir tragen das Zuviel am eigenen Leib mit uns herum und wollen trotzdem noch mehr.
Mit diesem Suchtverhalten erleben wir derzeit ein hedonistisches Zwischenspiel. Und das kann möglicherweise vorbei sein, bevor das Jahrhundert endet.
Nicht, weil wir es vielleicht nicht überleben würden, das auch. Vor allem aber, weil es sich nicht rechnet. Wir haben einen Wohlstand in Mitteleuropa, der jeden, unabhängig davon, was er arbeitet und wie viel er verdient, reich macht, und das ist der Sozialstaat. Das Sozialsystem ist der Reichtum im alten Europa. Und das ist nicht ewig haltbar. Wenn wir hier nicht umschichten, frisst sich das System selbst auf.
Das Zeitalter des Dopamins belohnt sich zu Tode. Das ständige Mehr ist ein übersattes Zuviel. Wir haben uns bereits in den drei zivilisationsdynamischen Leitsätzen des deutschen Philosophen Peter Sloterdijk verheddert.
Erstens. Es werden in den Menschenkörpern der wohlhabenden Hemisphären ständig mehr Fettreserven aufgebaut, als durch Bewegungsprogramme und Diäten abzubauen sind.
Zweitens. Es werden weltweit mehr Abfälle aus Konsum und gesellschaftlichen Lebensformen generiert, als sich in absehbarer Zeit in Recyclingprozessen resorbieren lassen.
Drittens. Es werden im Gang der Liberalisierung mehr Hemmungen fallen gelassen, als durch Hinweise auf frühere Zurückhaltung und Fairnessregeln domestiziert werden können.
Deshalb greife ich auf einen neuen Begriff zurück. Ein Stichwort, das ich für die einzig wirksame Waffe halte, mit der wir den Kampf gegen das Monstrum des Immer-noch-mehr-Wollens, der letztlich der Kampf gegen uns selbst ist, gewinnen können.
Ich propagiere das Dopamin-Fasten.
Wir sollten dem Dopamin die Flügel stutzen, die es uns so gern zu verleihen vorgibt. Wir sollten uns zusammennehmen. Wir sollten uns einschränken. Wir sollten endlich genug davon haben, nicht genug bekommen zu können.
Der Verzicht auf das, was wir unbedingt haben wollen, ist nur die halbe Sache. Die andere Hälfte ist die schwierigere: der Verzicht auf die Belohnung.
Insbesondere im Hinblick auf das Abnehmen wird es ohne Dopamin-Fasten nicht gehen. Das Überleben und die Reproduktion, die beiden heiligen Aufgaben der Natur, sind von der Nahrung abhängig und stark mit dem Belohnungshormon gekoppelt. Wie stark, sehen wir an den größten Verführern, die wir auf Schritt und Tritt im Alltag auf den Fersen und damit auf den Hüften haben: Salz, Zucker, Kohlenhydrate.
Sie sind Appetitverstärker und spielen in unserer Überflussgesellschaft teuflisch zusammen: Sie machen uns noch mehr Lust auf das, worauf wir ohnehin schon zu viel Appetit haben.