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Der Stein der Weisen

Als John Rasbury die breite, schmucklose Frontfassade der Zentrale des Nachtdienst, dem atlantischen Geheimdienst, vor sich sah, stutzte er kurz und hielt inne. Ganz allein stand er auf der Straße im Sicherheitsdistrikt von Atlantis, während am Himmel still die beiden Monde Triton und Argon ihre Bahnen zogen. Als Schattenmann war John diesen Weg schon öfters gegangen und es war auch nichts ungewöhnliches dabei, das ein Agent des Nachtdienst eben jener Zentrale einen Besuch abstattete. Jedoch nicht wegen eines Missionsbriefings beim Chef des Nachtdienst, da er zurzeit in der Zentralverwaltung eingeteilt war und keine Missionen übernahm. Allerdings auch nicht weil seine Schicht jetzt begonnen hätte, da er nur tagsüber arbeitete. Sein außerberuflicher Besuch beim Nachtdienst hatte einen besonderen, ja ungewöhnlichen Grund. Und das machte ihn noch nervöser, als er für gewöhnlich schon war.

Wie vor dem Absprung von einer tiefen Klippe stand er mitten auf der dunklen, leblosen Straße. Bereit seine geheimen Absichten zu verfolgen. Ein paar Sekunden lang verharrte er so, bis er sich umentschied und in den nächsten dunklen Winkel einer Seitenstraße bog. Der Absprung war missglückt.

Mehrmals atmete John tief ein und aus und versuchte sich zu beruhigen. Was ihm aber kaum gelang. Daraufhin fingerte er unruhig an seinem Handgelenk herum, wo er seinen Portabile an einem Armband trug. Hastig flog sein Zeigefinger über den sich langsam aufbauenden holografischen Menübildschirm. Nach einigen Eingaben veränderte sich das Bildfeld und zeigte das Gesicht einer gefiederten, jungen Frau, die John neugierig in die Augen blickte.

„Hallo Felicia“, sagte John.

„Was ist?“, fragte die Frau. „Warum meldest du dich so früh? Hast du schon die Daten geholt?“

John kratzte sich am Hals und strich über sein glattes Kinn.

„Nein. Ich habe die Daten noch nicht“, antwortete er.

„Und warum rufst du mich dann an? Wo bist du?“

John schluckte.

„Ich glaube, ich kann das nicht.“

Im Gesicht der Frau zeigte sich ein Anflug von Argwohn, wobei ihre Federn sich leicht reckten.

„Was ist das Problem?“, hakte sie nach. „Sowas hast du doch schon mal gemacht?“

„Ja, natürlich. Aber es ist etwas anderes, sich bei Piraten oder Kriminellen einzuschleichen“, erwiderte er.

„Was meinst du damit?“

John räusperte sich und wurde leiser, als er antwortete.

„Ich breche in meine eigene Arbeitsstelle ein. Beim Nachtdienst! Einem der sichersten Orte im Imperium, wenn nicht der ganzen Galaxie. Wenn man mich erwischt, dann …“

Weiter kam er nicht, da der Gedanke ihm die Sprache verschlug. Stattdessen beendete seine Gesprächspartnerin den Satz für ihn.

„Wenn man dich erwischt, wird dir nichts geschehen, weil du ein Schattenmann bist. Du machst nur deine Arbeit und gehst ins Archiv. Daran ist nichts verboten.“

„Aber ich gehe ja nicht bloß in irgendein Archiv, sondern ins ‚Geheime Archiv‘. Dafür habe ich keine Zugangsberechtigung“, rief John. „Dort befinden sich Staatsgeheimnisse, die Geheime Geschichte von Atlantis und noch andere Dinge, deren reine Existenz schon eine Gefahr für das Fortbestehen des Imperiums ist.“

„Außerdem auch ein Stein der Weisen. Und deswegen willst du da ja rein“, entgegnete Felicia ruhig.

„Ja“, sagte John.

„Du hast mich um die Zugangscodes für das Archiv gebeten und um DNA-Proben von meinem Vater. Was beides nicht ganz einfach zu beschaffen war.“

„Ja, ich weiß.“

„Und du weißt auch, dass sie den Stein bald wegbringen werden. Wir haben also nur kurze Zeit die Chance, an die Informationen über die Sternenspringer zu kommen.“

John überlegte, während Felicia ihn weiter zu ermutigen versuchte.

„Außerdem, wie sollte man dich erwischen? Du gehst nur ins Archiv, wo sich um diese Zeit wahrscheinlich sowieso keiner aufhält. Du wirfst einen kurzen Blick auf den Stein, transferierst seine Daten und weg bist du. Keiner wird merken, dass du da warst“, sagte sie.

Noch immer zweifelnd, wiegte John seinen Kopf hin und her.

„Denk an den Plan und deine Abmachung mit Arnulf“, fügte Felicia hinzu. „Du hast dem Werwolf versprochen, mit den Informationen nach ehemaligen Standorten der Sternenspringer zu suchen, um dort Artefakte zu bergen. Und mir hast du immer gesagt, wie wertvoll und begehrt Gegenstände von der untergangenen Zivilisation der Sternenspringer sind. Ohne den Stein der Weisen geht es nicht. Und zudem erhoffst du dir doch auch etwas über ihre Technologie zu erfahren.“

„Ja, du hast Recht“, gab er kopfnickend zu.

„Du schaffst das“, sagte sie und beendete die Verbindung.

John schaltete seinen Portabile ab und verweilte noch ein paar Sekunden, wo er war, um sich zu sammeln. Endlich hatte er sich gefasst und war bereit den Plan auszuführen.

Die Zentrale des Nachtdienst war ein niedriges, bunkerähnliches Gebäude, ohne hervorstechende architektonische Merkmale, wie sie häufig von der atlantischen Bürokratie verwendet wurden. Seine glatte, graue Außenfassade war ohne Zier und Schmuck. Mit nur wenigen Fenstern ausgestattet, wirkte die Zentrale fast wie eine Festung. Verstärkt wurde dieser abweisende Eindruck noch dadurch, dass alle Fensteröffnungen so schmal wie Schießscharten waren. Obwohl aus fast allen Öffnungen helles Licht schien, wirkte die Zentrale verlassen.

Am Eingang durchlief John wie immer die automatische Sicherheitskontrolle. Er zuckte auch jetzt wieder kurz zusammen, als das bestätigende Signal seines Check-ups ertönte und der Computer seine Personaldaten runterratterte.

„John Rasbury; Schattenmann; Heimat: Planet Albion; Ethnie: Walla“

Dass John kein typischer Stadtbewohner war, konnte man schon an seinem natürlichen, grünen Haar und seiner bräunlichen Haut erkennen. Doch was ihn als einen Stammesangehörigen der Wallas auswies, waren die drei auf seine Stirn tätowierten grünen Striche.

Das Archiv befand sich im dritten Untergeschoss und war nur durch die Aufzüge zu erreichen. Normalerweise waren tagsüber immer eine Handvoll Archivare anwesend, welche den Zugang zum Archiv überwachten. Doch um diese Tageszeit war nur der Faun Sonas, die Assistenz des Archivleiters, zugegen. Allein saß er an seinem Arbeitsplatz, einem großen Schreibtisch mit breitem Armaturenfeld und zahlreichen Holo-Bildschirmen. Direkt vor einer Gittertür platziert, versperrte Sonas den Eingang zum Archiv und jeder, der dorthin wollte, musste erst an ihm vorbei.

Während sich die Zentrale außen in Dunkelheit hüllte und somit vor neugierigen Augen versteckt hielt, waren alle Innenräume hell ausgeleuchtet. Selbst im dritten Untergeschoss wurde flimmerndes Licht von den weißen Wänden verstärkt zurückgeworfen. Es war so grell, dass John sich erst an diesen anstrengenden Wechsel der Lichtverhältnisse gewöhnen musste. Als der Schattenmann fast schon den Schreibtisch erreicht hatte, hatten sich seine Augen endlich an das Licht angepasst.

Tief versunken in irgendwelche Dokumente schien der Faun Rasbury zuerst nicht zu bemerken. Als John sich jedoch räusperte, begrüßte er diesen mit einem süffisanten Grinsen, wobei er seine Lektüre unterbrach.

„Ah, Grünling. Du noch hier? Machst du Überstunden?“, fragte Sonas mit einem neckenden Unterton.

„Ich brauche nur ein paar Dokumente für eine Datenanalyse zum Niemandsland“, erwiderte John so harmlos wie möglich.

„Meinetwegen. Geh und bediene dich, falls du fündig wirst.“

Mit diesen Worten betätigte der Faun einen Schalter an seinem Schreibtisch, woraufhin sich die Gittertür zum Archiv öffnete.

„Normalerweise arbeitest du doch nur tags und nicht nachts. Ich an deiner Stelle würde ja gehen, wenn ich könnte, und mich in einer Bar entspannen“, bemerkte Sonas noch beiläufig, als er sich wieder seinem Lesestoff zuwandte.

John bemühte sich um ein einfaches Lächeln.

„Tja, was soll man machen, wenn die Arbeit ruft“, sagte er achselzuckend und ging durch die Tür.

Das Archiv, gemeinhin auch ‚Unendliches Archiv‘ genannt, enthielt zahllose geheime und der Öffentlichkeit unbekannte Aufzeichnungen, die niemandem als den obersten Beamten des Imperiums zugänglich waren. Es teilte sich in drei Bereiche auf. Im vorderen Teil befanden sich gedruckte Dokumente jeglicher Form. Teils Originale, teils Kopien. Jeden Raum zu durchlaufen war eine Herausforderung und für jemanden, der wie John unter Zeitdruck stand, unmöglich. Dementsprechend standen am Eingang jedes Abteils und Regals kleine Schwebegleiter, auch Sliders genannt, zur Verfügung, die es einem ermöglichten, schneller die Weiten der Räumlichkeiten zu durchqueren. Schnell flog John an den zahllosen Regalen vorbei, ohne diese auch nur eines Blickes zu würdigen. Im mittleren Abschnitt durcheilte er die Datenbanken, wo die gesamten Sicherungskopien des Nachtdienst gespeichert waren. Auch hier verschwendete er keine Zeit, um so schnell wie möglich diesen Bereich des Archivs hinter sich zu lassen. Gewaltig hoch türmten sich die Speichertürme, wie kleine Wolkenkratzer. Die Sliders waren auch dabei als Hilfe gedacht, höherliegende Akten oder Datenspeicher zu erreichen. Jedenfalls schien es unabdingbar für einen Archivar, der hier arbeiten wollte, schwindelfrei zu sein.

Erst als John den dritten und letzten Abschnitt erreicht hatte, und damit sein eigentliches Ziel, drosselte er sein Tempo. Im ,Geheimen Archiv‘, welches eigentlich ein großer Tresorraum war und zu dem nur ausgewählte Schattenmänner Zugang hatten, wurden allerlei wichtige Gegenstände und besondere Artefakte aufbewahrt. Langsamen Schrittes näherte sich John dem Sicherheitsschloss, wobei er sich noch einmal umdrehte, um sich zu vergewissern, dass er allein war.

Dieser Teil des Archivs war nur für wenige Mitarbeiter des Nachtdienst zugänglich. Das John sich nur hier aufhielt, konnte ihn eine Menge Ärger bereiten, weswegen er sich gut für diesen Augenblick vorbereitet hatte. Schnell betätigte er auf seinem Portabile ein paar Knöpfe, so dass eine holografische Abbildung vom Chef des Nachtdienst auf ihn projiziert wurde. Das Hologramm zu erstellen war keine leichte Aufgabe gewesen. John hatte sich dafür in die persönliche Datenbank seines Chefs gehackt. Der Portabile erstellte auch ein DNA-Muster für den Scan. Mit dieser Tarnung konnte John nun das Terminal bedienen, während der DNA-Scanner ihn überprüfte. Als Erstes wurde nach dem Code gefragt, den Felicia für John besorgt hatte. Äußerst konzentriert tippte er jede Ziffer behutsam ein. Nach erfolgreicher Bestätigung öffnete sich eine Vorrichtung zur Blutabnahme von einem Finger. Auch hier hatte Felicia ihm wieder das Gefragte verschafft. Allerdings rätselte John immer noch, wie sie es geschafft hatte, Blut von ihrem Vater abzuzapfen. Leicht zittrig legte er die Ampulle mit dem Blut seines Chefs in die Vorrichtung. Sofort fuhr eine kleine Nadel nach vorne und nahm eine Probe von dem Behältnis. Tief atmete John ein, während die Deckenkameras ihn surrend ins Visier nahmen. Dann kam das bestätigende Signal. Das Schloss öffnete sich und John huschte eilig durch die Türe, wobei die Kameras ihn noch im Blick behielten.

Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, war er endlich an seinem Ziel angekommen. Der Tresorraum war genauso hell ausgeleuchtet wie das restliche Archiv. Verchromte Spinde zogen sich in verschiedenen Größen in mehreren Reihen gegliedert durch den Raum, wobei jeder dieser Schränke einen Schatz von unermesslichem Wert in sich barg.

Zu Fuß ging John langsam die Spindreihen entlang, wobei er immer wieder zu den Kameras hochblickte. Das Gefühl ständig beobachtet zu werden beunruhigte ihn noch einige Zeit lang, da die Kameras immerhin durch seine holografische Tarnung schauen konnten. Aber diese Technik käme nur zum Einsatz, falls etwas aus dem Archiv gestohlen würde. Bei oberflächlicher Betrachtung würde der Sicherheitsdienst nur den Chef des Nachtdienst sehen. John hoffte, dass dies reichen würde, während er auf der Suche nach dem Stein der Weisen zum Gang S-3 lief. In diesem Bereich musste sich, nach seinen und Felicias Recherchen, der Stein befinden. Immer wieder hielt er vor einem Schrank und las die Inhaltsbeschreibung, bis er schließlich den gesuchten Spind am Ende des Gangs fand. John zögerte und dachte daran, dass er seit Jahrzehnten vermutlich das erste Wesen war, das diesen legendären Stein zu sehen bekam. Dann öffnete er die Schranktür und erblickte darin ein kleines, metallenes Kästchen. Behutsam holte er es hervor und hob den Deckel. So groß war Johns Anspannung, dass ihn der Anblick des Inhalts umso mehr verdutzte. Auch wenn dies der erste Stein der Weisen war, den er leibhaftig zu Gesicht bekam, so hatte er doch schon einige Geschichten über das Aussehen jenes Sternenspringer-Artefakts gehört und zumindest eine gewisse Vorstellung von ihm gehabt. Er hatte erwartet einen kristallförmigen Gegenstand in dem Kästchen vorzufinden. Jedoch befand sich darin ein einfacher silberner Ring mit einem blauen Edelstein. Um sich zu vergewissern, dass er sich nicht irrte, schaute er nochmals auf die Beschreibung an der Schranktür. Klar und deutlich stand dort in gut lesbaren Buchstaben „Stein der Weisen“. Unsicher nahm er den Ring in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. Waren Felicias Informationen falsch? Oder ist dies eine Falle?

Vorsichtig spähte er zur Tresortür, die verschlossen war. Er kratzte sich am Kopf und blickte wieder auf den Ring, begutachtete den blauen Stein, der glatt poliert in einer ovalen Fassung lag. Kein Glanz oder Funkeln ging vom ihm aus. Es war scheinbar nur ein einfacher Edelstein. Doch warum sollte ein solch gewöhnlicher Ring im Archiv des Nachtdienst aufbewahrt werden? Und warum wurde er als Stein der Weisen betitelt? Er musste herausfinden, ob es irgendeine Bewandtnis mit dem Schmuckstück hatte. Zögernd und vorsichtig steckte er den Ring an einen Finger seiner rechten Hand. Er rührte sich nicht, atmete kaum und wartete auf eine Reaktion. Auf was genau, wusste er selber nicht. Er hoffte zumindest auf ein Zeichen, auf einen Hinweis, der ihm das Geheimnis des Rings offenbaren würde. Doch nichts passierte. Es schien ein gewöhnlicher Ring zu sein.

John stieß einen tiefen Seufzer aus. Als er jedoch den Ring wieder zurücklegen wollte, merkte er, dass dieser feststeckte. Mit aller Kraft zehrte er an dem Schmuckstück. Doch weder vor noch zurück ließ er sich schieben. Eng umschloss er seinen Finger und verursachte bei seinem Träger ein unangenehmes Kribbeln, das Johns gesamten Körper durchfuhr. Der Schattenmann drehte sich schnell in alle Richtungen und sah sich nach Hilfe um. Nach ein paar weiteren vergeblichen gewaltsamen Versuchen, sich des Rings zu entledigen, probierte er auf andere Weise eine Reaktion zu erzwingen. Zuerst suchte er nach versteckten Knöpfen und Schaltern am Ring, welche ihm vielleicht helfen könnten. Aber als John nichts dergleichen fand, ging er anders vor. Den Stein küssend, anhauchend und zuletzt wie eine Wunderlampe reibend, erhoffte er sich irgendeinen Effekt auslösen zu können. Jedoch blieb alles vergebens. Schon spielte John mit dem Gedanken, sich an Sonas zu wenden und sich somit dem Nachtdienst zu stellen.

„Öffne dich!“, dachte er nur. „Öffne dich, du verdammter Ring!“

Währenddessen wurde das Kribbeln immer unangenehmer und hatte schon seinen Kopf erreicht, wo es sich nun zu konzentrieren schien.

John setzte sich auf den kühlen Boden und drückte seinen mittlerweile rasenden Schädel gegen die Spinde. Langsam begann sich der Raum und alles darin um ihn zu drehen. Er nahm sich selbst nur noch als Zentrum eines Wirbelsturms wahr, der von ihm ausging und allein um ihn kreiste. Was nun geschah, war jenseits jeder Vorstellung und aller Geschichten, die der Schattenmann über die Sternenspringer und ihre Technologien gehört hatte. Ein zitterndes Funkeln ging von dem leblosen, blauen Edelstein aus und erfasste den gesamten Ring, welcher nun hell glitzerte. Dann zogen sich vom Stein ausgehend blaue Äderchen an Johns Finger entlang. Eine kalte, unsichtbare Linie führte von seiner Hand den Arm entlang bis in seinen Kopf. Und dann begann es.

Sein Gehirn schien sich in einen gewaltigen Ballon zu verwandeln, der bis zum Anschlag mit abertausend Informationen geradezu vollgepumpt wurde. Zahlreiche Bilder von fernen Orten, Ornamenten, Symbolen, die er nur schwer einordnen konnte, zogen an seinem inneren Auge in einer schier endlosen Parade vorbei. Krämpfe durchfuhren seinen Körper während dieser Prozedur. Sich an den Schädel fassend, glaubte er, dieser würde ihm bald noch unter dieser Behandlung zerspringen. Wie lange das andauerte, konnte Rasbury kaum einschätzen. Als er den Druck kaum noch aushalten konnte, hörte es plötzlich auf.

Im selben Augenblick öffnete sich vor ihm ein tiefes Loch, in welches der ganze Tresorraum geschluckt wurde. Jenseits von Raum und Zeit schwebte John in einer dunklen Leere. Vor ihm blinkte erst schwach ein kleiner Punkt auf, der mit großer Schnelligkeit anzuwachsen schien oder sich ihm annäherte. Statt des Punkts breitete sich vor Rasbury gleich darauf die Fabula-Galaxie in ihrer gesamten Größe aus. Was um ihn herum passierte, konnte Rasbury sich nicht erklären, während die unterschiedlichsten Welten in hoher Geschwindigkeit an ihm vorbeizogen. Das bunte Rauschen, welches seine Sinne zu betäuben drohte, kam dann aber plötzlich zum Stehen. Um ihn herum schwebten die Sterne und einige Planeten in ihren vorgegebenen Umlaufbahnen. Doch ein großer rotscheinender Planet mit einem breiten Ring flog direkt auf ihn zu. Unter seinen fünf Monden, die ruhig und beständig um den Gasriesen kreisten, brach einer aus seiner Bahn heraus. Dicht vor Johns Gesicht hing der Himmelskörper frei in der Luft. So nah war John dem schwebenden Objekt, dass er die Meere und fruchtbaren Landschaften darauf erkennen konnte. Fast glaubte er sogar einige Tiere durch die weiten Ebenen streifen zu sehen. Wie von selbst zog es seine rechte Hand mit dem Ring dorthin. Als er die Mondoberfläche jedoch berührte, zog sich alles wie in einer Implosion zusammen. Der Planet mit seinen Monden entzog sich dem Blickfeld des Schattenmanns. Genauso verschwanden alle Sterne und die gesamte Fabula-Galaxie vor seinem inneren Auge.

Ausgelaugt und schwitzend lag John am Boden. Er befand sich zu seiner Erleichterung wieder im Tresorraum. Die Vision war vorüber. Seine Atmung wurde wieder ruhig und die Anspannung ließ in ihm nach.

Behutsam richtete sich Rasbury auf, wobei er sich an den Spinden abstützte. Während er sich tief einatmend den Schweiß von der Stirn wischte, schaute er sich um. Die Tür war noch verschlossen. Ob ihn wohl jemand gesehen hatte, fragte sich John. Doch sofort richteten sich seine Gedanken wieder auf den Ring. Noch immer ging ein vibrierendes Funkeln von dem Stein aus, er schien noch aktiviert zu sein. Alles Wissen, dass der Ring ihm übermittelt hatte, war nun in ihm präsent. Es lag frei und zugänglich vor seinem inneren Auge ausgebreitet. Als wäre eine Datenbank in seinem Kopf, wo er auf alles direkt zugreifen konnte. Eine solche Klarheit und Ruhe hatte John noch nie verspürt. Alles, was er je über die Sternenspringer wissen wollte, und noch vieles mehr trug er nun in sich. Jederzeit abrufbar, dank dem Ring. Es würde einige Jahre dauern, da war sich John sicher, bis er alle Daten durchgesehen hätte. Allerdings würde es sich lohnen, davon war John ebenso überzeugt. Was jedoch dieser Ring war, blieb ihm ein Rätsel. War es ein Stein der Weisen? Oder etwas völlig anderes?

Als hätte das Schmuckstück seine Gedanken erraten, schoss ihm auch schon die Antwort durch den Kopf. Kurz zuckte John durch den stechenden Druck zusammen. Doch so plötzlich, wie er gekommen war, war er auch schon wieder verschwunden. Die gewünschte Information jedoch blieb.

„Aber natürlich!“, rief John. „Ein Schlüssel!“

Ein Schlüssel aber für was? Sofort wurde auch diese Frage beantwortet.

„Für die Universalschmiede? Was ist das?“

Eine Flut an Informationen überschüttete ihn und brachte ihn ins Taumeln. Wild wedelte er mit seinen Händen vor seinem Gesicht, in der Hoffnung, sich somit vor der Datenmasse zu schützen. Langsam ließ der Strom nach und Rasbury konnte seine Gedanken wieder ordnen.

Es war nun Zeit zu verschwinden. Ein Blick auf seinen Portabile zeigte ihm, dass er schon viel zu lange im Archiv gewesen war. Über eine Stunde war vergangen, seitdem er den Tresorraum betreten hatte. Doch was sollte er mit dem Ring machen? Er ließ sich immer noch nicht von seinem Finger lösen. Unschlüssig betrachtete John den Ring. Jedoch gab sich Rasbury dieses Mal selbst die Antwort für sein Problem.

„Ich brauche wohl professionelle Hilfe. Am besten einen Experten über Sternenspringer-Technologie.“, murmelte er, während er mit unruhigem Blick auf den Ausgang aus dem Archiv zuging.

Der Nachtdienst würde zwar schnell das Verschwinden des Ringes bemerken und noch schneller ihn als den Verantwortlichen dafür ausmachen. Allerdings, und das war der springende Punkt, konnte er sich anders des Rings nicht entledigen, ohne verhaftet zu werden. Und zudem bot sich ihm dadurch eine Gelegenheit, an die er nie gedacht, von der er nicht einmal geträumt hatte.

Doch fürs Erste galt es unterzutauchen und das weitere Vorgehen mit Arnulf und Felicia abzusprechen. John hatte auch schon eine Idee, bei wem er Unterschlupf finden könnte. Für diese Situation kam nur sein alter Freund Yamato in Frage und dahin führte ihn nun auch sein Weg.

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