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Teestunde mit Yamato

Jack Swift war gerade dabei, einen Platz von den Hinterlassenschaften eines Minotaurus zu befreien. Krümeln von Algenkeksen und einem Stück Nussbaumkuchen waren über den ganzen Tisch verteilt und hatten sich mit kleinen Quhwa-Pfützen zu einer pampigen Masse vermischt. Während sich draußen auf der Terrasse das halbe Imperium versammelte, waren im Teeraum nur ein junger Walla, der fleißig auf seinem Metica, einem faltbaren Bildschirm, herumtippte, und ein alter Kobold, der mit steifen und zähen Bewegungen seine Tasse an die Lippen führte.

Es war ein warmer Sommernachmittag und die meisten Gäste hatten es sich auf der breiten Terrasse, die in den Wald hineinragte, bequem gemacht. Die bunte Gesellschaft bildete einen kleinen Querschnitt der Völkerschaften, die das Imperium beherbergte. Von einer stillen Gorgone bis zu einer Gruppe feixender Zentauren war alles vertreten.

Hier, am nordöstlichen Rand des Hains, arbeitete Jack Swift, ein junger Ase, als Kellner im „Teekessel“. Der „Teekessel“ war als Adresse des guten Geschmacks und der feinen Kultur in Miris sehr bekannt. Ganz im Stile eines klassischen Teehauses von Yoshima, bedurfte es keiner weiteren technischen Spielereien, wie sie die meisten solcher Etablissements nötig hatten.

Jack Swift war erst vor kurzem mit einem Schiff von Atlantis gekommen und deshalb noch nicht lange Angestellter im „Teekessel“. So plötzlich, wie er damals vor knapp einem Monat eingetroffen war, so undurchsichtig waren auch seine Beweggründe. Für seine Kollegen war es jedenfalls ein Rätsel, warum er, ohne große Prüfung seitens des Besitzers des Teehauses, eingestellt wurde.

Die Hafenstadt Miris auf dem Planeten Albion gehörte zu den schönsten Städten im gesamten Engelbezirk, dem Sternengebiet, das alle Planetensysteme des ehemaligen Stammesverbands der Ghal umfasste. Erst vor einhundert Jahren war die Stadt von den Atlanten gegründet worden, kurz nachdem sie in einem langjährigen Feldzug das gesamte Gebiet erobert hatten. Albion war damals als Heimatwelt der Wallas Teil des Ghalischen Bunds gewesen, der dann von Atlantis vernichtet worden war. Die Ghal bildeten dabei eine Konföderation verschiedenster Stämme und Völker.

Zu den vielen Sehenswürdigkeiten in der Stadt gehörte auch der Hain. Einen solchen Wald gab es in jeder Ortschaft auf Albion. Mit seinen gewaltigen Baumriesen war der Hain von jedem Viertel aus zu erkennen. Er lag im Zentrum, leicht erhöht zum restlichen Stadtgebiet, und wirkte wie ein vorgelagerter Ausläufer der Bergkette, welche Miris eingrenzte.

Vorsichtig räumte Jack das Geschirr ab und wischte den Tisch mit einem feuchten Lappen, wobei seine dunklen Adern durch die schneeweiße Haut hervortraten. Als er mit seiner Arbeit fertig war, ging er in die Küche, wo er das schmutzige Porzellan in das Waschbecken tat. Bevor er mit dem Abwasch begann, wischte er sich mit dem Handrücken seiner Rechten durchs Gesicht und band sein weißes Haar zu einem Knoten nach Art der Asen.

Ganz in seine Arbeit vertieft bemerkte Jack die junge Kellnerin nicht, die vorsichtig von hinten an ihn herantrat. Um den jungen Asen auf sich aufmerksam zu machen, tippte sie ihm auf die Schulter. Mit einem kurzen Seitenblick nahm Jack von der Kellnerin Notiz, die ihn freundlich und erwartungsvoll mit ihren braunen Augen ansah, unter denen jeweils ein blaues Dreieck auf die Wangen eintätowiert war.

„Hey Jack, was machst du da?“, fragte sie und spielte dabei mit einer ihrer grünbraunen Locken.

„Nichts, Gwen. Nur Abwasch“, erwiderte Jack monoton.

Schon seit seinem ersten Tag im „Teekessel“ hatte die junge Walla-Frau ihr Interesse an dem exotischen Asen gezeigt. Immer wieder suchte sie nach Möglichkeiten, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch Jack hatte bis dahin keine der Annäherungsversuche seitens Gwen erwidert. Auch gegenüber seinen anderen Arbeitskollegen zeigte er sich desinteressiert.

„Weißt du was, Jack?“, versuchte es Gwen erneut.

„Hm?“, brummte der Ase, ohne sie dabei anzusehen.

„Yamato will, dass du einen Gast im Teehaus bedienst.“

„Ich wusste nicht, dass das Teehaus für heute reserviert ist“, sagte Jack und unterbrach für einen Augenblick seine Tätigkeit.

„Du sollst ihm die Teezeremonie machen“, rief Gwen mit aufgerissenen Augen und begann zu kichern.

Jack ließ eine Tasse zurück ins Becken fallen, wo sie mit einem lauten Glucksen wieder im Wasser versank. Entgeistert blickte er zu Gwen, die sich sichtlich über seinen Schock amüsierte.

„Aber ich habe noch nie die Teezeremonie selber gemacht“, sagte er und hantierte fahrig mit dem Geschirr. „Nur einmal assistiert.“

„Befehl vom Chef“, entgegnete Gwen und kehrte ihm aufreizend den Rücken zu. „Du solltest den Gast besser nicht warten lassen.“

Direkt neben dem Teeraum, für die Gäste durch einen separaten Eingang erreichbar, befand sich ein Garten, der durch hohe Bambuszäune von der restlichen Welt abgeschirmt war. Vom Eingang dieses kleinen Idylls führte ein schmaler, gewundener Kiesweg zu einem Häuschen im hinteren Teil des Areals. Fremdartige Schmetterlinge, wie der Bunte Regenfalter und die Sonnengöttin, flogen friedlich ihre Bahnen und landeten scheinbar willkürlich für eine kurze Rast auf Steinen und vielfältigen Pflanzen, deren Blätter und Blüten wie kleine Monde und Sterne aufblühten. Die niedrigen roten Zypressen entlang des Zauns waren besonders eindrucksvoll anzusehen. Hier war mit viel Hingabe ein kleines Abbild einer Traumlandschaft entworfen worden, um den Besucher des Gartens von seinen alltäglichen Sorgen zu befreien.

Jack folgte still dem Weg durch dieses botanische Paradies. Es ging zwischen hohem Bambus hindurch, über einen kleinen Bach und an zierlichen Sträuchern vorbei. Schließlich stand er vor einem steinernen Wasserbecken. Jack ließ seine Hände kurz in das Wasser gleiten und wusch sich.

Den Eingang in das kleine Teehaus bildete eine rechteckige Holztür, kaum größer als eine Hundeklappe. Der Ase musste sich vorsichtig durchzwängen, um in den Innenraum zu gelangen. Das Zimmer war sehr schlicht gehalten und enthielt nur einen Schrank und eine Tuschezeichnung an der Wand sowie einen einfachen Feuerherd in der Mitte des Raumes. Die für die Teezeremonie notwendigen Utensilien lagen schon neben der Herdstelle bereit, wo die Flammen eines Feuerchens den Wasserkessel berührten.

Das energische Fingerschnipsen des Gastes, einen hochgewachsenen, breitschultrigen Mann, erinnerte Jack an die förmliche Begrüßung in Form von drei kurzen Verbeugungen. Drei schwarze Fuchsschwänze wedelten hinten aus seinem Anzug hervor und seine Augen waren zu langen dunklen Schlitzen verzogen, als er mit einem breiten Lächeln auf Jack schaute.

„Sind Sie Jack Swift?“, fragte er langsam und betonte jede einzelne Silbe.

Mit verschränkten Beinen saß der Gast auf einem Sitzkissen, welches unter seiner gewaltigen Statur komplett verschwand.

„Bitte! Fangen Sie doch an!“, forderte er Jack freundlich auf.

Direkt neben der Tür lagen weitere Sitzkissen, von denen der Ase nun eines nahm. Mit dem Kissen in der Hand suchte Jack nach einem geeigneten Platz, von wo aus er die Teezeremonie abhalten sollte. Neugierig beäugte ihn der fremde Mann dabei, während er mit seiner rechten Hand auf die Tischplatte trommelte. Schließlich wählte sich der Ase eine Stelle direkt am Feuer, was der Gast mit einem Lächeln kommentierte. Das ungleiche Paar saß sich nun am Feuer gegenüber, wo Jack damit begann, langsam mit präzisen Handgriffen den Tee zuzubereiten. Der Gast beobachtete ihn bei seinen gleichmäßigen Bewegungen, wie er das Wasser in den Kessel füllte und eine kleine Menge Tee in die Teekanne gab. Wie ein Zeremonienmeister, der ein heiliges Ritual vollführte, zelebrierte der Ase das Teekochen förmlich. Nicht jede Handlung von Jack quittierte der Gast mit Wohlwollen und mehrmals war dieser kurz davor, den Kellner mit einer Frage zu unterbrechen. Doch bevor er sein erstes Wort aussprechen konnte, schien er sein Vorhaben jeweils noch einmal zu bedenken und gab es schließlich unter einem abwägenden Kopfnicken wieder auf.

Nachdem der großgewachsene Mann einige weitere unausgesprochene Fragen zur altehrwürdigen Teezubereitung für sich behalten hatte, reichte Jack ihm eine Tasse mit frisch gebrühtem Schwarzblatt-Tee. Schweigend nippte der Gast kurz, bevor er vorsichtig einen kleinen Schluck nahm.

„Ah, sehr gut“, sagte er, während er seine Tasse absetzte.

„Das freut mich aber“, erwiderte Jack das Lob. „Ich kenne Yamato nur als einen äußerst sparsamen Fuchs bei Komplimenten.“

„Was meinen Sie?“, fragte der Gast ungerührt.

„Eigentlich dachte ich, dass mein Freund seine Verwandlungen besser beherrscht“, erwiderte der Kellner.

Der breite Mund seines Gegenübers öffnete sich zu einem tiefen Lachen, wodurch ein paar spitze Zähne sichtbar wurden. Sichtlich amüsiert über den Gast, trieb Jack das Spiel weiter.

„Aber wahrscheinlich ist er doch nicht so gut, wie ich immer dachte“, fuhr er spöttisch fort.

Nach diesen Worten verfinsterte sich augenblicklich die Miene des Mannes. Er ignorierte Jack und widmete sich wieder schlürfend seiner Tasse. Abwartend beobachtete der Kellner den Gast, der sich den Anschein gab, seine Aufmerksamkeit nun gänzlich anderen Dingen zuzuwenden. Ohne eine Regung oder weiteren Bemerkung verharrte Jack still auf seinem Platz. Des Versteckspiels nach einer Weile überdrüssig und jegliche Vorsicht vermissend, gab Rasbury nun seine Tarnung auf und schaltete die Funktion seines Portabile ab, so dass der junge Ase sich in Luft auflöste und seine wahre Walla-Gestalt zum Vorschein kam.

„Hör auf mit dem Theater, Yoyo. Ich weiß, dass du es bist“, sagte John.

„Das war äußerst unklug von dir, jetzt schon deine Verhüllung aufzugeben“, tadelte ihn Yamato. „Was, wenn ich ein Schattenmann gewesen wäre?“

„Ich wusste, dass du es bist. Immerhin waren deine drei Schwänze zu sehen“, erwiderte John.

Sofort langte der Mann mit beiden Händen hinter sich.

„Ach, nicht doch!“, murmelte er. „So ein dummer Leichtsinnsfehler.“

„Sei nicht so streng mit dir“, tröstete ihn John, „ich hätte es dir fast abgekauft.“

„Wirklich?“, fragte Yamato und ein erfreutes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Aber ja! Und jetzt verwandele dich bitte zurück.“

„Wieso? Gefalle ich dir so nicht?“

Er streichelte langsam seine schmale Oberlippe, wo sogleich rasch und kräftig ein feines Bärtchen wuchs. Überall sprossen nun dunkle Härchen hervor. Seine Gestalt zog sich zusammen und sein Gesicht formte sich spitz nach vorne. Am Ende seiner Transformation saß ein kleiner, schwarzer Fuchs auf dem Kissen, der John mit goldenen Augen anblitzte. Seine drei Fuchsschwänze wedelten lebhaft hin und her, während er sich vorsichtig das Gesicht rieb.

„Du hast keine Ahnung, wie sehr solche Verwandlungen im Gesicht schmerzen“, klagte Yamato.

„Auch wenn du ein Kitsune bist, musst du dich doch nicht verwandeln“, meinte John.

„Da du ja nun schon einen Monat bei uns bist, wollte ich dich mal testen, um zu sehen, was du in dieser Zeit gelernt hast“, erklärte Yamato.

„Sehr witzig. Als ob ich die Teezeremonie jemals außerhalb von diesem Teehaus brauchen würde.“

„Das vielleicht nicht“, erwiderte der Fuchs. „Aber jeder meiner Angestellten muss die Grundzüge der Teezeremonie beherrschen.“

Yamato fächerte sich den Dampf des Schwarzblatt-Tees zu und sog dabei den Duft ein.

„Ah, himmlisch“, sagte er. „Sich in einen Menschen zu verwandeln ist nicht leicht, musst du wissen.“

Der Kitsune schnippte mit den Fingern.

„In so einer Verkleidung hättest du mich sicherlich nicht erkannt.“

Sofort wurde sein Fell dichter, während sein Körper wuchs und er sich in einen kräftigen Minotaurus verwandelte. Schnaubend schüttelte er seinen mächtigen Kopf, wobei er mit seinen Hörnern der Deckenlampe gefährlich nahekam.

„Oder wie gefällt dir das?“, brummte Yamato und klatschte in die Hände.

An der Stelle, wo noch vor einer Sekunde ein gewaltiger Minotaurus gesessen hatte, stand nun ein eleganter Zentaur, der unruhig mit seinen Hufen scharrte.

„Aber ich glaube, so magst du mich am meisten!“, sagte Yamato und verwandelte sich in eine schlanke, junge Nymphe mit langen, schwarzen Haaren, die John Rasbury lockend zuzwinkerte.

„Wirklich beeindruckend! Dagegen wirkt sogar mein Portabile veraltet. Aber jetzt muss ich mit dir reden, Yoyo“, erklärte John.

Ungelenke Verrenkungen vollführend, wechselte Yamato wieder zu seiner wahren Gestalt zurück. Er gab ein gequältes Stöhnen von sich, schnaubte schwer und fasste sich an den schmerzenden Kopf.

„Ah! Ich habe dir schon oft genug gesagt, du sollst mich nicht Yoyo nennen?“, jammerte der Fuchs und massierte sich die Schläfen. „Ich habe es wohl etwas übertrieben. Mein Schädel fühlt sich an, als wäre ich zwischen zwei Riesen in einer Prügelei geraten. Was gibt es? Hast du für deine Reise alles erledigt?“

„Ja, alles ist vorbereitet“, antwortete John. „Aber ich treffe mich vorher noch mit einem Freund im Hain.“

Misstrauisch beäugte ihn Yamato, während er seine Kopfmassage unterbrach. John saß etwas schräg auf seinem Kissen und suchte nach einer bequemen Position.

„Kommt dieser Freund mit auf die Reise? Und kenne ich ihn vielleicht?“, fragte der Fuchs.

„Ich denke nicht. Es ist ein Werwolf“, erklärte Rasbury, während er sich eine Tasse Tee eingoss.

„Ein Werwolf? Was für ein Werwolf?“, fragte der Fuchs, wobei er seine Ohren spitzte.

„Sein Name ist Arnulf. Ich habe mich mit ihm beim Tempel verabredet.“

„Sollte ich diesen Arnulf kennen?“

„Nein. Er ist ein alter Freund von mir.“

„Werwölfe sind äußerst gefährlich. Auch wenn sie deine Freunde sind“, sagte Yamato.

„Das mag zwar stimmen. Aber ich brauche ihn“, sagte John.

Die Augen des Kitsune wurden nach dieser Bemerkung ganz schmal. Mit stechendem Blick fixierte er die Augen seines Gastes.

„Und für was genau brauchst du einen Werwolf?“

John zuckte mit den Achseln und spielte mit dem Ring an seinem Finger. Aufmerksam beobachtete ihn sein Freund dabei.

„Jetzt lass mich nicht betteln. Erzähl etwas von deinen Plänen“, drängte der Fuchs. „Hier sind wir absolut sicher.“

Er entfernte eine lockere Holzdiele neben seinem Sitzplatz, unter der sich das Bedienfeld seines Überwachungssystems befand. Ein paar Schalter und Knöpfe betätigend, blickte er breit grinsend zu Rasbury.

„Das Neueste vom Neuen!“, meinte er, als er die Diele wieder an ihren Platz legte. „Es kommt keiner in die Nähe dieses Häuschens. Weder mit thermooptischer Camouflage noch mit Magie. Selbst Nano-Bots werden sofort erkannt.“

„Ich kann dir trotzdem nichts dazu sagen, aber du wirst auf jeden Fall noch davon hören. Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle, dann brauche ich den Nachtdienst nicht mehr zu fürchten - und vielleicht komme ich dann auch endlich hinter das Geheimnis unserer

Galaxie ...“, sagte John.

Ein kurzes Zucken ging durch den kleinen Fuchskörper. Argwöhnisch schaute Yamato zu Rasbury, wobei sich seine Augen wieder zu schmalen Schlitzen verengten.

„Ja, du hast Recht. Man kann nicht vorsichtig genug sein“, erwiderte der Fuchs. „Als du vor ungefähr einem Monat, mitten in der Nacht, an meiner Tür geklopft hast, glaubte ich zuerst an einen Überraschungsbesuch. Doch als du mir dann erzähltest, dass du auf der Flucht bist und der Nachtdienst dich sucht, musste ich wirklich erst mal überlegen, ob ich dir helfen oder doch lieber den Behörden übergeben sollte.“

„Aber du hast mir geholfen“, unterbrach ihn John.

„Weil wir Freunde sind“, sagte Yamato mit leiser Stimme und blickte Rasbury tief in die Augen. „Und außerdem können sich Freunde doch alles anvertrauen. Es muss schon was verdammt Wichtiges sein, dass der Nachtdienst hinter dir her ist. Bist du damals aus einem bestimmten Grund ausgerechnet zu mir gekommen?“

In einem kurzen Moment der Stille war nichts außer dem leisen Plätschern des Bachs zu hören. Die letzten Rauchschwaden des niedergebrannten Herdfeuers zogen in dünnen Fäden zur Decke empor, wo sie als feine Spiralen kringelnd ins Freie gelangten. Während Yamato reglos auf Johns Antwort wartete, nahm dieser einen weiteren Schluck von seinem Tee.

„Ich wusste einfach niemanden, an den ich mich sonst hätte wenden können. Du warst zu diesem Zeitpunkt meine letzte Rettung“, erwiderte John.

„Ach, wie nett von dir“, meinte der Fuchs. „Ich hoffe, du revanchierst dich irgendwann mal dafür.“

John drehte langsam seine Tasse herum und setzte sie schwer schluckend erneut an seine Lippen. Mit ernster Miene strich er über den Ring, wo der blaue Edelstein kurz aufleuchtete.

„Also gut“, sagte John. „Zumindest kann ich dir sagen, dass ich ins Niemandsland muss. Mehr erzähle ich dir, wenn ich wieder zurück bin.“

„Das Niemandsland?“, staunte Yamato. „Da hast du ja eine weite Reise vor dir. Na, dann hoffe ich, dass alles gut für dich laufen wird. Deine Reisetasche habe ich persönlich gepackt. Du kannst also jederzeit aufbrechen.“

„Danke, ich hoffe, ich war dir in der Zeit keine allzu große Last“, sagte John.

„Nicht mehr als jeder andere Grünling an deiner Stelle“, sagte der Fuchs und lachte.

Das ein Walla und ein Kitsune miteinander befreundet waren, war keine Alltäglichkeit und das trotz ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Kennengelernt hatten sich die beiden bei Rasburys erstem Undercover-Einsatz. John war schon einige Jahre beim Nachtdienst gewesen, aber er hatte bis dahin nur einfache Aufklärungsmissionen übernommen. Diesmal war es jedoch anders. John sollte sich in eine Piratenbande einschleusen. Sich eine falsche Identität zuzulegen, fiel ihm nicht schwer, und natürlich unterstützte der Nachtdienst ihn tatkräftig. Allerdings war es eine kleine Herausforderung, in der Unterwelt herauszufinden, welche Gruppe hinter den regelmäßigen Überfällen auf die Kemet-Straße, eine wichtige Handelsroute des Imperiums, steckte.

Am schwierigsten gestaltete es sich jedoch, der Piratenmannschaft beizutreten. Yamato war damals der Erste Offizier auf der „Blutsauger“, dem Schiff der Piratenbande. Der Kitsune hatte John, trotz der Bedenken des Kapitäns, als Schiffsjunge angeheuert. Ohne Yamatos Eingreifen wäre die Mission vermutlich gescheitert und John hätte nie wieder eine Chance zu solch einer Mission bekommen.

Als der Geheimagent diese Hürde überwunden hatte und in das Piratenschiff aufgenommen worden war, war er auf sich allein gestellt. Weder der Nachtdienst noch sonst eine atlantische Behörde konnten ihm nun helfen. Ganze drei Monate war er auf der „Blutsauger“, die irgendwo durch die Galaxie trieb. Es gab keine Möglichkeit, mit seinen Vorgesetzten Kontakt aufzunehmen.

Piratenschiffe waren meistens einsame, abgeschlossene kleine Welten. Wenn die Sternenräuber keine Versorgungsstationen oder Verstecke hatten, wo sie ihre Vorräte auffüllen konnten, wurde alles Lebensnotwendige an Bord erzeugt. Die „Blutsauger“ war so ein Selbstversorgerschiff. Dadurch besaß sie eine hohe Flexibilität, die ihre Angriffe so unbestimmbar machten. Doch alleine hätte sie niemals über ein ausreichendes Drohpotential verfügt, um große Handelsschiffe zu kapern. Deswegen schloss der Kapitän der „Blutsauger“ immer wieder lockere, kurzfristige Allianzen mit anderen Sternenräubern, wobei die „Blutsauger“ die Führungsrolle übernahm.

Der Piratenalltag war trist und brutal. Der Kapitän und sein Erster Offizier hatten mit den Dolor-Chips ein wichtiges Kontrollinstrument über die gesamte Mannschaft. Jeden Tag wurde jedem Sternenräuber durch dieses Implantat mindestens einmal ein schmerzhafter Schock verpasst, und sei es nur, um die Disziplin aufrechtzuerhalten. Harte, eintönige Arbeit bestimmte die Tage an Bord. Die wenigen Überfälle waren eine erfreuliche Ausnahme vom Arbeitsalltag, weshalb die gesamte Piratencrew ihnen entgegenfieberte.

Während seiner Zeit auf dem Piratenschiff war John der persönliche Untergebene von Yamato. Dieser pflanzte ihm keinen Dolor-Chip ein, denn er hatte auch so immer ein Auge auf ihn. In der langweiligen Abgeschiedenheit von jeglicher Zivilisation entstand so ein Vertrauensverhältnis zwischen den beiden.

Bei einem dieser Überfälle, für den die „Blutsauger“ mit drei weiteren Piratenschiffen zusammenarbeitete, gelang es John, sich Zugang zur Kajüte von Yamato zu verschaffen und von dort ein Funksignal an die imperiale Flotte zu senden. Als persönlicher Handlanger des Ersten Offiziers war es für ihn nicht schwer, sich unauffällig in dessen Kabine zu begeben. Noch während das atlantische Handelsschiff gekapert wurde, überraschte der eintreffende Flottenverband die unvorbereiteten Sternenräuber. Kaum einer konnte entkommen. Wer nicht in dem nun einsetzenden Beschuss durch die imperialen Kriegsschiffe umkam, wurde als Gefangener in eine der entlegenen Gefängniskolonien verfrachtet. Einzig John und Yamato schafften es in jeweils eine Rettungskapsel – und mit Yamato der Piratenschatz. Erst Monate später fand der Geheimagent seinen ehemaligen Vorgesetzten nach langem Suchen auf Miris, wo er mit Hilfe der erbeuteten Talente sein eigenes Teehaus eröffnet hatte.

John jedenfalls hatte den Fuchs nie an die Behörden verraten, als Wiedergutmachung für seinen Verrat an ihm. Die Mission jedenfalls war ein voller Erfolg gewesen und die Piratenangriffe auf die Kemet-Straße hatten nahezu gänzlich aufgehört. John wurde damals endgültig in den Rang eines Schattenmanns erhoben.

Seitdem hatte John hin und wieder Yamato in Miris besucht. Dabei hatte jeder andere Gründe für die Kontaktpflege. Dem Schattenmann schien es ratsam außerhalb des Nachtdienst über verlässliche Freunde zu verfügen. Während für Yamato die Vorstellung, eines Kontaktmann beim Nachtdienst, reizvoll war. Die Zeit auf dem Piratenschiff hatte sie zwar zusammengebracht. Doch erst danach konnten sie, unabhängig ihrer Lebensweise, Freunde werden.

Der Nachmittag zog so dahin. Yamato wurde nicht müde Rasbury eine Geschichte nach der anderen zu erzählen. Der Tee in Johns Tasse war schon lange kalt. Trotzdem führte er sie immer wieder zu seinem Mund, um einen kleinen Schluck zu nehmen.

John gab sich Mühe, den Erzählungen von Yamato weiter zu folgen, doch in Gedanken war er schon auf dem Weg zu Arnulf.

„Kennst du das, John?“, fragte Yamato.

„Hm?“

Aus seinen Überlegungen gerissen, schaute John den Fuchs fragend an.

„Ich fragte, ob du auch schon das Gefühl hattest, du wärst die einzige vernünftige Person in der Galaxie“, wiederholte Yamato seine Frage.

„Äh, ja. Manchmal“, antwortete John knapp und versank sogleich wieder ins Grübeln.

„Du wirkst etwas unkonzentriert. Geht dir etwas durch den Kopf?“

„Ach, nur unbedeutende Kleinigkeiten“, winkte Rasbury ab.

„Willst du noch etwas Tee?“, fragte Yamato. „Der in deiner Tasse ist doch schon ganz kalt.“

„Mach dir keine Umstände, ich werde jetzt sowieso aufbrechen.“

John stand auf und streckte seine Beine durch, die vom langen Knien eingeschlafen waren.

„Schon? Nun, dann will ich dich nicht aufhalten. Aber wenn du mich je wieder besuchen solltest, kündige dich bitte beim nächsten Mal vorher an.“

Draußen vor dem „Teekessel“ erhob Yamato seine rechte Hand zum Abschied. Der Abend brachte gerade eine frische Brise vom Meer mit sich, welche im Blätterdach des Hains ein sanftes Rauschen auslöste. Ohne große Worte trennten sie sich voneinander, weder John noch Yamato brauchten eine weitere Geste als Ausdruck ihrer Verbundenheit.

Auf seinem Weg zum Tempel schlenderte Rasbury durch die dämmrigen Gefilde des Hains. Mittlerweile hatte er wieder seine Tarnung als junger Ase aktiviert. Yamatos Vorsicht gemahnte ihn dazu. Sicher konnte er sich nie sein, darin musste er dem Kitsune Recht geben. Dem Nachtdienst war nämlich alles zuzutrauen und jede noch so unscheinbar wirkende Person konnte ein Schattenmann in Verkleidung sein.

Um das Waldstück fügten sich dicht an dicht allerlei Geschäfte, und neben dem „Teekessel“ besaß noch so manches andere Café am Waldrand eine breite Terrasse in den Hain hinein. Die hohen, breiten Stämme der Bäume wuchsen weit in den Himmel und überragten dabei die meisten Gebäude der Stadt. Fast alle Häuser in der näheren Umgebung lagen im Schatten der großen Gewächse. Gleich einem vielstimmigen Chor schallte das Gezwitscher der Vögel den Vorübergehenden nach und verkündete aus dem Innern des Hains eine andere Welt. Doch man musste sich hineinwagen, um diese zu entdecken. Einladend waren die Wege nicht, sie erinnerten mehr an ausgetretene Trampelpfade als an bewusst angelegte Steige. Und selbst die Gewissheit, dass sich im Herzen des Waldes ein Tempel befand, wo abgeschieden ein paar Druiden lebten, war keine große Ermutigung, den ersten Schritt ins Grüne zu wagen. Aber gerade wegen all dieser Umstände war der Hain ein idealer Ort für das Treffen mit Arnulf. Der Weg vor John war kaum noch zu erkennen. Schon zu lange lagen die Besuche von Erkenntnishungrigen zurück, so dass die Pflanzen die letzten Spuren eines Pfads bereits fast verdeckten.

Die Reisetasche geschultert drang er in die grüne Welt ein, die ihn sogleich von der lärmenden Stadt abschnitt. Schon nach wenigen Metern war nichts mehr von der pulsierenden Metropole zu hören. Verwundert drehte sich John noch einmal um, wie um sich zu vergewissern, dass er sich noch in Miris befand. Hell schien die Sonne bis zum Waldrand. Doch ihre Lichtstrahlen prallten an dem dichten Blattwerk ab, so dass sich ihr Licht vor dem Hain zu stauen schien. Jenseits der Bäume war nur gleißende Helle und John wandte sich geblendet ab, dem augenfreundlicheren Dämmerlicht des Waldes zu.

Nach einem leichten Drücken auf sein Armband erschien mit funkelnden Lichtern das Menüfeld seines Portabile. Eilig tippte der Geheimagent auf den holografischen Bildschirm, bis eine kleine Karte von Miris darauf zu sehen war. Eine weitere Eingabe, und ein roter Pfeil erschien vor ihm. Zufrieden folgte John der vorgegebenen Richtung und marschierte immer tiefer ins Dickicht.

Der Weg, der durch den Hain führte, war stellenweise nicht mehr vorhanden, und ohne seinen Portabile hätte sich Rasbury wahrscheinlich schon nach kurzer Zeit verlaufen. Ohne sich weiter nach dem Pfad umzusehen, folgte er dem vor ihm schwebenden Richtungspfeil, während er von herumstreunenden Tieren neugierig beäugt wurde. Vorbei ging es an hohen Bäumen und dichtem Gebüsch.

Hinter ihm war auf einmal das auffällige Knacken eines Astes zu hören, was John kurz aufhorchen ließ. Durch das grüne Dickicht konnte er nicht erkennen, ob ihm wirklich jemand gefolgt war. All die Zeit im Teehaus hatte ihn schon ganz paranoid werden lassen und so war er sich sicher, von einem Schattenmann verfolgt zu werden. Wenn er sich jedoch schnell in die Büsche schlug und dabei eine kleine Abkürzung nahm, würde der Verfolger wahrscheinlich seine Spur verlieren.

Nachdem er ein paar Haken geschlagen und hinter dem nächsten Baum eine scharfe Linkskurve in die Sträucher genommen hatte, tat sich plötzlich unter ihm der Boden auf.

John stürzte einen kleinen Abhang hinunter und landete hart auf dem graslosen Boden. Er stand auf und rieb sich die schmerzenden Gelenke, während er sich gegen das abfallende Geröll lehnte und leise den Wald und seinen Portabile verfluchte. Über ihm war nichts zu hören. Der Schattenmann war nur eine Einbildung gewesen, was ihn erleichtert aufatmen ließ.

Vor ihm rieselte ein Wasserfall von einem Felsen herab. Sein klares Wasser sammelte sich in einem kleinen Teich. Den Staub und Dreck aus seiner Kleidung klopfend, ging John darauf zu. Während er sich etwas Wasser ins Gesicht spritzte, bemerkte er, wie von den hohen Baumkronen sich ein kleiner Funkenregen löste. Still beobachtete John ihren schwebenden Fall, während dem sich die Lichter zu kleinen Kugeln verbanden, die kurz darauf leuchtend auf der Wasseroberfläche tanzten.

„Sidhe“, sagte Rasbury spöttisch und machte sich unbekümmert wieder auf den Weg.

Kichernd folgten ihm einige der schwebenden Kugeln und umschwirrten verspielt den einsamen Wanderer. Mit wedelnden Handbewegungen versuchte John, sich der funkelnden Plage zu entledigen, wobei er eine Lichtkugel mit der Rechten traf. Diese zersprang sofort in glitzernde Funken, begleitet von einem lauten Gekicher.

Rasbury beachtete die Sidhe nicht weiter und folgte dem roten Pfeil immer tiefer in den Hain hinein. Diesmal schaute er jedoch besser darauf, wohin er trat. Seinen Verfolger, eingebildet oder nicht, schien er jedenfalls losgeworden zu sein.

Auf seinem Weg durch den Wald hatte John für einen Moment lang tatsächlich den Grund seiner Reise vergessen. Unbewusst folgte er zwar noch dem Richtungspfeil, doch seine Gedanken widmeten sich eher den äußeren Eindrücken.

Auf seiner Wanderung durch die Flora sah er, wie rotbraune Holzhörnchen zwischen den Bäumen von Ast zu Ast sprangen und mit einem leisen Rascheln im Blätterdach verschwanden. Vielstimmige Rufe von Variavögeln hallten von den Bäumen, doch kein einziger von ihnen war mit seinem bunten Federkleid zu sehen. Seinen Kopf in die Höhe gereckt, suchte John die Baumkronen erfolglos nach den gefiederten Sängern ab. Dabei lief er in einen Busch, aus dem mit lautem Gezwitscher ein Schwarm Vögel hervorbrach und in Richtung der Baumwipfel verschwand.

Nur an wenigen Stellen drangen ein paar Sonnenstrahlen durch das dichte Geäst. Doch statt die Umgebung zu erhellen oder dem Hainbesucher Übersicht zu verschaffen, verstärkte das goldene Licht, um das sich tanzend einige Sidhe tummelten, die unwirkliche Atmosphäre.

Fest auf seinen Portabile vertrauend, ging John weiter geradeaus, bis er endlich auf einen frisch ausgetretenen Pfad stieß. Er folgte mit aufmerksamen Augen dem Waldweg, der ihn in ein dichtes Gebüsch führte. Vorsichtig drückte er die Zweige und Äste beiseite, als ihn eine tiefe, sonore Stimme innehalten ließ.

„Vorsichtig. Vorsichtig.“

Inmitten des Strauchs, zwischen Zweigen und Blättern, saß ein alter Druide, der mit einer goldenen Sichel behutsam ein paar Blumen abschnitt. Streng funkelten seine dunklen Augen unter den buschigen, weißen Brauen hervor.

„Wollen Sie zum Tempel?“, fragte er und strich sich durch seinen schneeweißen Bart.

Der alte Mann musterte den Besucher wachsam, er musste fremd auf ihn wirken, da John noch immer seine Tarnung als Ase aufrechterhielt.

„Ja, eigentlich schon“, erwiderte John. „Aber es ist schon eine Weile her, daher können Sie mich gern zu ihm führen. Weit kann es ja nicht mehr sein.“

Der Druide bedachte diese flapsige Antwort mit einem Blick, der Argwohn und Missbilligung zugleich ausdrückte. Langsam richtete sich der alte Mann auf und schritt in gemächlichem Gang vorweg, immer den Pfad entlang. Schon nach kurzer Zeit erreichten die beiden Männer das kreisrunde Steingebäude.

„Was auch immer Sie tun müssen, tun Sie es“, warf der Alte hin, ließ John stehen und trottete alleine weiter.

Der Tempel war ein einstöckiges, kreisrundes Gebäude, das von einer niedrigen, mit Gras bewachsenen Kuppel überdacht war. Im Zentrum der Kuppel befand sich eine große Öffnung, die von einer Reihe kleiner Birken umkränzt war. Nur ein schmales Tor führte in das fensterlose Heiligtum.

Nur zu vertraut war dieser Anblick für John, der sich noch gut an seinen Initiationsritus erinnerte, bei dem gemäß einer alten Stammestradition der Wallas jedes Kind seine individuelle Gesichtstätowierung erhielt. Alles aus jenen Tagen war in seinem Gedächtnis verankert. Der viele Rauch, die gemurmelten Worte und das schmerzhafte Tätowieren. Doch nostalgisch oder gar heimatlich fühlte er sich nicht. Es war eine andere Zeit und er war damals noch ein anderer Walla gewesen.

Während er gedankenverloren seinen Erinnerungen nachhing, war die Sonne schon untergegangen und unter den dichten Baumwipfeln des Hains machte sich die Dunkelheit langsam breit. Mit ein paar schnellen Fingerbewegungen schaltete John seinen Portabile aus. Der rote Pfeil, der die ganze Zeit vor ihm hergeschwebt war, löste sich auf. Noch immer tanzten die Sidhe genannten Lichtkugeln in den hohen Baumkronen herum. Ihre magische Erscheinung wirkte um diese Tageszeit um einiges angenehmer auf John. Wahrscheinlich weil sie gleich übergroßen Glühwürmchen den dunklen Wald zumindest etwas erhellten, so dass noch schwach die schattenhaften Umrisse der Bäume und Pflanzen zu erkennen waren. Doch trotz der beruhigenden Atmosphäre, welche das glimmende Licht der Sidhe erzeugte, ärgerte sich Rasbury über sich selbst, als er nach der Uhrzeit sah. Er hatte im Teehaus und im Hain zu viel Zeit vertrödelt. Arnulf würde sicher schon auf ihn warten.

„Lasse niemals einen Werwolf auf dich warten“, ermahnte John sich selbst.

Werwölfe neigten, abgesehen von der Jagd, der sie mit großer Leidenschaft frönten, zu großer Ungeduld. Nichts konnte ihnen schnell genug gehen. Und gerade Arnulf war ein besonders ungehaltenes Exemplar seiner Spezies. Das war auch eines seiner Probleme während ihrer gemeinsamen Dienstzeit in der „Schwarzen Legion“ gewesen, wo John ihn kennengelernt hatte. Diese schnelle Kampfeinheit der atlantischen Flotte wurde praktisch überall im Imperium eingesetzt und zog aufgrund ihres hohen Personalbedarfs viele Abenteuerlustige an. Im Gegensatz zu John jedoch legte sich der Werwolf damals immer wieder mit ihren Vorgesetzten an. Obwohl sich ihre Wege seitdem getrennt hatten, hatte Rasbury doch einen losen Kontakt zu Arnulf aufrechterhalten. Der ungestüme Werwolf war ihm irgendwie sympathisch. Vielleicht lag das aber auch einfach daran, dass John für diese Kreaturen allgemein eine geheime Faszination hegte.

Vorsichtig schob Rasbury den stechenden Ast eines dichten Dorngestrüpps, welcher ihm den Weg versperrte, zur Seite. Vor ihm lag nun der Tempel des Karnonos. Anders als tagsüber, wo das Heiligtum von der Sonne hell beschienen wurde, brütete das dunkle Gemäuer nun vor sich hin. Doch soweit er es erkennen konnte, hatte sich der Tempel seit seiner Kindheit kaum verändert. Es war noch immer das alte Bauwerk, welches von Moos und Ranken überwuchert wurde. Wie beim ersten Mal, als er von seinem Vater im Alter von elf Jahren dorthin begleitet worden war, erinnerte das Gebäude ihn an eine umgestülpte Schüssel. Nur am Tor brannte als einzige Lichtquelle eine Fackel.

Sternenspringer

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