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Kapitel 1: Ben
ОглавлениеEs war sehr früh am Morgen, als ich aufstand, mich fertig machte und mit meiner Sporttasche aus dem Haus ging. Mein Vater war in der Arbeit. Frühschicht. Meine Mutter schlief und ich hatte ihr noch gestern am späten Abend Bescheid gegeben, dass ich mich am Morgen gleich zum Schwimmbad aufmachen würde.
Es war noch recht frisch und kühl. Aber die Sonne schien bereits und es war sehr angenehm ihre warmen Strahlen auf meiner Haut zu spüren.
Es war die vorletzte Woche der Sommerferien und ich wollte noch die warmen und sonnigen Tage vom August genießen, bevor die Ferien zu Ende waren und im September dann schließlich wieder mit seinem allmählich kommenden Herbstwetter die Schule beginnen würde.
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Ich holte mein Fahrrad aus dem Schuppen, sattelte meine Sporttasche und radelte los zum Freibad. Die Nebenstraßen in der Stadt, auf denen ich fuhr, waren weitgehend leer. Hin und wieder fuhr ein Autofahrer vorbei, der sich wohl auf den Weg zur Arbeit machte, oder ein Spaziergänger ging mit seinem Hund Gassi, aber ansonsten war es ruhig und still.
Ich selbst wohnte am Rande der Stadt und das Freibad befand sich am gegenüberliegenden Ende etwas außerhalb des Ortsschildes. Deswegen brauchte ich eine gute Weile bis ich zuerst durch die unterschiedlichen kleinen Straßen und die verschiedenen Wohnungsgebiete fuhr und dann schließlich auf den Fahrradweg kam, der direkt zum Freibad führte.
Ich trat zuerst kräftig in die Pedale, um schneller zu werden und hielt die Füße still, als ich genug Geschwindigkeit aufgenommen hatte. Der Weg führte an einer schönen Landschaft vorbei mit vielen großen und alten Bäumen, einem kleinen Fußballplatz und letztlich an mehreren Tennisplätzen.
Ich ließ mich durch das Fahrrad tragen, das ich immer wieder etwas beschleunigte und erfreute mich an den aufkommenden Gänsehautgefühlen in mir.
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Endlich war ich angekommen. Ich schloss mein Rad bei den Fahrradhaltern ab, die noch alle unbesetzt waren und ging dann zur Kasse.
Eine ältere, knausrige Frau, die ich bereits öfter an der Kasse getroffen hatte, saß hinter der Scheibe und bereitete gerade ihre Geldkassette vor.
Als sie mich auftauchen sah, beäugte sie mich misstrauisch. Sie sah auf eine kleine Uhr, die neben ihr stand und sagte: „Es sind noch zehn Minuten bis geöffnet wird.“
Ich fluchte innerlich. „Oh, tut mir leid. Dann bin ich ein wenig zu früh gekommen“, antwortete ich und wartete unschuldig aussehend ab.
Sie musterte mich noch einmal kritisch und sagte dann: „Das macht dann eins fünfzig.“
Ich lächelte und schob ihr dann das Geld passend zu. „Danke.“
Ihre Mundwinkel gingen leicht nach oben, als ob sie kurz davor war schief zu grinsen, sich aber zurückhielt. „Viel Spaß“, sagte sie dann nur und gab mir das Ticket in die Hand.
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Ich betrat das Freibad durch die Sperre und ging durch die großen Grünflächen. Meine Sporttasche warf ich in eine schattige Ecke und zog mich anschließend in einer nahegelegenen Umkleidekabine schnell um. Ich hatte die Badehose schon angezogen, deswegen musste ich nur noch die restlichen Kleidungsstücke ausziehen.
Da immer noch niemand da war und der Bademeister nirgends zu sehen war, rannte ich dann durch das feine Gras, die Standduschen im Vorbeilaufen ignorierend, zum größten und tiefsten der drei Schwimmbecken und landete mit Anlauf im Wasser. Das noch recht kalte Wasser erschreckte mich und verpasste mir viele kleine Nadelstiche.
Nachdem ich aber die erste Bahn geschwommen war, wurde es besser. Ich ruderte mehrere Male hin und her und legte mich danach angelehnt erschöpft auf einen der Liegestühle, die vom Becken einige Schritte entfernt aufgestellt waren.
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Ich bemerkte, dass nun langsam die Badegäste ankamen. Nur ganz Wenige. Denn in der Früh war es für die Meisten noch zu kalt. Dafür hatte man genügend Platz zum Schwimmen. Gegen Mittag und dann vor allem nachmittags war an vielen Tagen alles überfüllt. Deswegen genoss ich die Ruhe und schloss meine Augen, um mich zu entspannen.
Ich spürte den kühlen Wind, der in mein Gesicht blies und hörte dem Wasser zu, welches leise aus dem Becken schwappte und in den Überlaufrillen verschwand. Nach einer Weile merkte ich, dass ich drauf und dran war einzudösen. Das wollte ich nicht. Deswegen streckte ich mich und öffnete die Augen wieder mühsam, worauf ich mehrmals blinzeln musste.
Meine Sicht war zunächst verschwommen. Als erstes dachte ich, da wäre eine kleine Göttin. Sie war mehrere Meter weiter weg am gegenüberliegenden Ende des Beckens und setzte sich gerade im Zeitlupentempo auf den Rand, um ihre Füße zögerlich in das Wasser zu stecken und sie dann im Wasser treiben zu lassen.
Ich blinzelte noch einige Male. Das brachte nichts. Dann wischte ich mir mit dem Armrücken über die vertränten Augen, sodass alles wieder klar wurde.
Wenn ich nicht auf dem Liegestuhl gelegen wäre, wäre mir wohl oder übel der Boden unter den Füßen weggezogen worden und ich wäre von einem Moment auf den anderen gnadenlos umgekippt. Es war keine Göttin, sondern es war das hübscheste Mädchen, welches ich je in meinem Leben gesehen hatte.
Ich setzte mich langsam auf und versuchte meinen Blick abzuwenden, damit es nicht so aussah, als würde ich sie anstarren. Ich fühlte mich sofort hingezogen. Ich wollte näher ran, um besser erkennen zu können, wer das war.
Eher automatisch als wirklich gewollt, stand ich leicht schwankend auf und setzte mich in Bewegung.
Etwas weiter links, wo das Mädchen saß, war ein Kiosk in einer Ecke, der mit mehreren Tischen und Stühlen um ihn herum ausgestattet war. Ich hielt darauf zu und damit ich dort ankam, musste ich an ihr vorbeilaufen. So hatte ich einen Vorwand dichter heranzukommen.
Das Mädchen saß weiterhin ruhig da, betrachtete das Wasser und schaute neugierig umher.
Ich kannte sie nicht. Ich wusste nicht, wer sie war. Und ich kannte eigentlich die meisten Besucher des Freibads, wenigstens vom Sehen her.
Also musste sie von außerhalb kommen. Nicht nur aus einer der Städte in der Nähe. Sondern von ganz woanders. Denn ich hatte das Gefühl, dass sie das allererste Mal in diesem Schwimmbad war.
Der Abstand zwischen uns wurde immer geringer und jetzt konnte ich sie im vollen Umfang sehen.
So unauffällig und leise gehend wie möglich, ging ich an ihr vorbei, konnte aber kaum die Augen von ihr lassen.
Sie hatte leicht gewellte blonde Haare, welche ihr einige Zentimeter über die Schulter hingen und im Sonnenlicht leuchteten. Ihr Gesicht war oval und hatte sehr feine Züge. Die Haut war makellos schön und dabei hatte sie nicht einmal Schminke aufgetragen. Ihre eleganten und graziösen Hände stützen sich sanft am Beckenrand ab. Ihr Körper steckte in einem grünlichen Badeanzug.
Ich bekam teilweise Probleme richtig zu atmen. Kein Wunder, dass ich vorher gedacht hatte, eine Göttin würde es sich dort am Wasserbecken gemütlich machen.
Als ich schließlich an ihr vorüber war, musste ich mich erst einmal an einem der Tische am Kiosk abstützen und mich von diesem kurzen anstrengendem Fußweg erholen, damit ich mich wieder unter Kontrolle hatte.
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Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf den Kiosk. Er war schon besetzt. Eine Dame war zu sehen, die gelangweilt auf ihre Kunden wartete. Denn noch kein einziger war anscheinend dort gewesen. Sie sah kurz zu mir, schaute dann aber wieder weg, als sie bemerkte, dass ich einfach nur so herumlümmelte.
Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich kein Geld in der Tasche mit dabei hatte. Von außen her gesehen, musste diese Aktion wohl sehr komisch ausgesehen haben: Ein Junge lief zum Kiosk, starrte auf den Weg dorthin immer wieder auf ein Mädchen und setzte sich dann auf einen Tisch und dann schaute er weiterhin möglichst unauffällig auf dasselbe Mädchen.
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Nervös erhob ich mich wieder und ging recht zügig wieder zu meinem Platz im Grünen. Ich wählte dabei einen Weg, bei dem ich so gut es ging nicht in das Sichtfeld des Mädchens kommen würde.
Bei meiner Tasche angekommen, holte ich schnell einige Geldstücke heraus und eilte dann wieder auf demselben Weg zurück zum Kiosk.
Als ich wieder am Becken vorbeilief, war sie nicht mehr auf ihrem Platz. Herzklopfend wanderte mein Blick auf das Schwimmbecken und ich suchte nach ihr. Dort schwammen jetzt mehrere Leute.
Ich hatte schon die Befürchtung, dass sie nicht mehr da war. Dass sie das Bad vermutlich schon verlassen hatte.
Aber dann entdeckte ich sie. Sie schwamm mit ruhigen Bewegungen im Wasser und machte keinerlei Anstalten aus dem Freibad zu gehen.
Ich atmete erleichtert auf und ging dann zum Kiosk. Ich holte mir bei der Dame zwei Waffeleis. Eine mit Schokolade und eine mit Erdbeere. Beide waren eingepackt.
Danach setzte ich mich auf einen der Stühle am Kiosk und wartete geduldig und möglichst unauffällig ab.
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Als das Mädchen schließlich aus dem Becken trat, hatte ich Glück. Sie setzte sich auf einen der Liegestühle auf der gegenüberliegenden Seite und trocknete sich mit einem Handtuch ab, welches sie anscheinend mitgenommen hatte. Im Grunde hatten wir irgendwie den Platz getauscht.
Zuerst hielt mich ein Gefühl davon ab, mich in Bewegung zu setzen. Vielleicht war es Angst oder Unsicherheit. Vielleicht auch beides. Doch dann gab ich mir einen Ruck, packte die zwei Waffeleis, die schon leider angefangen hatten bisschen zu tauen, und stand auf.
Ich ging auf sie zu. Als ich die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, bemerkte sie mich. Ich lächelte schwach und mir war klar geworden, dass es jetzt kein Zurück mehr gab.
Irgendwann stand ich vor ihr.
Und ich hatte echte Probleme vor ihrem Antlitz aufrecht zu stehen. Meine ganze Brust war angespannt. Meine Beine wackelten und mein Herz raste. Direkt vor ihr zu stehen und sie anzusehen war etwas völlig anderes, als nur flüchtig von der Seite auf sie zu schauen.
Sie war unglaublich schön. Hatte einen perfekten Körper. War etwa mittelgroß, vielleicht nur ein kleines Stück kleiner als ich selbst. Ihre tiefen dunkelgrünen Augen ließen mich halb irre werden und ihre ganze Ausstrahlung überwältigte mich.
Sie sah verlegen zu mir und wartete wahrscheinlich bis ich irgendetwas sagte.
Mein Hals fühlte sich plötzlich ganz trocken an. „Hallo“, sagte ich schwach. Und da mir nicht besseres mehr einfiel, streckte ich ihr meine Hand hin: „Ich bin Ben.“
Zögernd nahm sie meine Hand in ihre.
Die Hand des Mädchens war nicht so schwächlich und klein, wie so oft bei anderen Mädchen. Sie fühlte sich stark, aber nicht zu fest an. Und sie war nicht zierlich, sondern hatte Charakter.
„Emma“, sagte sie und wir schüttelten uns sanft die Hände.
Wir ließen sie wieder los, schauten uns aber unentwegt weiter an, jeder den anderen unsicher begutachtend.
Da ich nicht weiterhin wie ein Idiot dastehen wollte, zeigte ich ihr das Eis. „Willst du eins?“, fragte ich. „Ich habe hier Erdbeere und Schokolade. Die sind schon zwar nicht mehr ganz so frisch aus der Kühltruhe, aber trotzdem bestimmt noch ganz okay.“
Sie warf einen Blick auf die zwei verpackten Eisstiele und grinste etwas schelmisch: „Die hast du bestimmt gekauft, um mir eins davon anzubieten“, sagte sie.
Verdammt. Das war's dann. Sie würde mich abblitzen lassen. Das Mädchen nahm meine Nervosität war und schmunzelte: „Dann nehme ich Schokolade.“ Ich lächelte erleichtert und reichte ihr das Schokoladeneis. „Setz dich doch. Du brauchst hier nicht so herumzustehen.“ Sie machte eine Handbewegung in Richtung der Liegestühle, die ganz in der Nähe standen. Ich zog einen von ihnen näher zu ihrem heran. Aber nicht zu dicht. Dann setzte ich mich unsicher darauf und packte mein Eis aus. An ihrem machte sie sich bereits zu schaffen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie das Erdbeereis auswählen würde, aber im Grunde war es mir momentan völlig egal. So aß nun ich das Erdbeerenexemplar. „Schmeckt's?“, fragte ich. Sie leckte noch einmal an ihrem und nickte: „Es ist unglaublich gut. Danke!“ Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Und sie wahrscheinlich auch nicht. Wir saßen recht still da, waren mit unserem Eis beschäftigt und niemand hatte wirklich eine Ahnung, worüber man reden könnte. Oder vielmehr traute sich niemand ein Gespräch anzufangen. Das ging so paar Minuten. Aber schließlich brach sie die unbehaglich werdende Spannung: „Bist du öfter im Freibad?“ Ich war unendlich dankbar dafür, dass sie das Wort ergriff und antwortete: „Immer wieder, klar. Aber im Freibad bin ich nicht so oft. Wenn es kälter wird und das Hallenbad öffnet, bin ich häufig dort. Da gibt es auch ein Dampfbad und einen echt coolen Pool. Warst du in der Stadt auch schon mal im Hallenbad?“ Obwohl ich die Antwort auf meine Frage schon kannte, stellte ich sie trotzdem. Sie war noch nie in diesem Hallenbad gewesen. Da war ich mir ziemlich sicher. Aber ich wollte wissen, woher sie kam. „Nein“, sagte sie und wirkte dabei ein wenig verklemmt. „Ich bin hierhergezogen. Erst Anfang des Sommers. Mein Papa hat eine neue Arbeit bekommen, wo er viel mehr verdient. Und so mussten meine Mama und ich eben mitkommen.“ „Oh.“ Das erklärte alles. „Dann ist hier ja alles ganz neu für dich. Wie gefällt es dir?“, fragte ich. „Gut. Die Landschaft ist echt sehr schön.“ Ich musste grinsen. „Ja, das ist sie wirklich. Gehst du dann auch wieder in die Schule im September?“ Sie nickte. „Ja, auf's Gymnasium in einer Stadt, die hier ganz in der Nähe ist und ich da immer mit dem Bus dann hinfahre. In die elfte Klasse gehe ich in zwei Wochen.“ Beinahe wäre ich aufgestanden, um einen Freudentanz aufzuführen. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, an dessen Geburtstag eines seiner größten Wünsche in Erfüllung ging. „Hey, cool. Ich gehe auch auf das Gymnasium und komme in die Oberstufe. Also in die Elfte. Dann sehen wir uns sicher öfters dort. Kommt darauf an, welche Kurse wir zusammen bekommen. Und mit dem Bus dorthin fahre ich auch immer.“ - So redeten wir noch eine Weile weiter. Ich erzählte ihr viel über die Schule und die Lehrer dort. Ein wenig über die Stadt. Und ich fand heraus, wohin sie gezogen war. Nämlich in eines der Häuser im Neubaugebiet. Ein älterer Mann, der dort alleine gewohnt hatte, weil dessen Frau verstorben war, war ausgezogen und ist ins Altersheim gegangen. So stand dort nun ein noch recht modern gebautes Haus herum. Es war so um die zehn Jahre alt. Ihr Vater hatte es entdeckt und einen stattlichen Preis gezahlt, um es zu kaufen. Da ich ziemlich selten im Neubaugebiet war, war es auch kein Wunder, dass ich sie diesen Sommer noch kein einziges Mal gesehen hatte. Sie war mit ihrer Familie ziemlich mit dem Umzug beschäftigt. Mit dem Hinfahren der Möbel und Umzugskartons aus ihrem ehemaligen Heimatort. Und dann mit dem Streichen der Wände und dem Einrichten des ganzen Hauses. Ich gewöhnte mich langsam an sie und war nicht mehr so enorm nervös. Ich mochte sie. Wirklich sehr. Sie war einfach wundervoll und wunderschön. Mit der Zeit füllte sich das Bad mit noch mehr Gästen und es wurde immer wärmer. Die Gespräche der anderen Leute übertönten unser Ruhiges und es verlor an Tiefe und Leichtlosigkeit. Irgendwann sagte sie: „Ich denke ich muss dann los. Mein Papa will mich um eins wieder abholen.“ Ich nickte enttäuscht. „Wir sehen uns dann sicher in der Schule. Bestimmt sogar auch an der Bushaltestelle.“ Sie stand auf, sodass ich sie wieder in voller Pracht vor mir hatte und wickelte das trocken gewordene Handtuch um ihren Anzug. Dann lächelte sie, warf ihre blonden Haare zurück und sagte: „Sehr gerne.“ Ich hatte nicht gewusst, dass ich überhaupt rot werden konnte. Ich hatte gedacht, dass wäre bei mir irgendwie gar nicht möglich, denn so etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich spürte wie meine Wangen anfingen zu glühen und dann schließlich brannten. Sie bemerkte es und lachte kurz auf. Danach wurde es nur noch schlimmer. Zum Glück drehte sie sich um und ging davon. So fiel ihr Blick wenigstens nicht mehr auf meine Badehose, die sich an einer Stelle plötzlich aufgeplustert hatte.