Читать книгу Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors - John Densmore - Страница 10

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WILD CHILD

Ich habe Musik schon immer geliebt. Als Achtjähriger hatte ich zwar nie verstanden, warum in der St. Timothy’s Catholic Church andauernd Kniebeugen gemacht werden mussten, aber auf den Orgelspieler fuhr ich ab. Die bunten Glasfenster waren hübsch, aber der Geruch des Weihrauchs und all das Gemurmel waren unheimlich. Und diese zwölf Bilder mit den Leuten, die einen Typen mit seinen Handgelenken und seinen Füßen an ein hölzernes Kreuz nagelten, fand ich abscheulich. Meine Mutter bestand darauf, dass ich mit ihr und meiner älteren Schwester Ann jeden Sonntag in die Kirche ging. Ein Rätsel war mir, wie mein Dad es schaffte, nicht mitkommen zu müssen. Jedenfalls ließ mich Mom oben auf der Empore Platz nehmen, wo ich in der letzten Bank direkt neben den Orgelpfeifen saß, die die tiefen Töne am lautesten spielten. Mr. K. lächelte nie, aber wenn er die unteren Noten mit seinen Füßen spielte, wackelten die Kirchenwände. Besonders natürlich meine Bank. Gewöhnlich saß ich da oben alleine und konnte meine Mutter und meine Schwester weit unter mir sehen. Nur Ostern und Weihnachten, wenn die Kirche voll war, saßen auch andere dort. Es war unglaublich laut. Mom meinte, dass das Volumenpedal mit Mr. K. durchginge. Sonntags hatte Mr. K. auch immer eine rote Nase. Vielleicht ging auch abends zuvor die Flasche mit ihm durch. Sobald er das „Ave Maria“ spielte, war ich im siebten Himmel. Ich stellte mir vor, dass Mr. K. das Stück so laut spielen sollte, dass alle Kirchenfenster zerbersten und alle Leute da unten sich umdrehen und zu uns zwei hinaufschauen, wie wir lächelnd dasitzen. Ich wusste, dass so eine Vorstellung auch Mr. K. zu einem Lächeln veranlassen würde.

Zu Hause fand ich Gefallen an den Glenn Miller-Platten und den Klassik-LPs meiner Eltern. Musik faszinierte mich und trug mich aus meinem kleinen Vorstadtzimmer in eine Fantasiewelt. Mit achteinhalb Jahren bat ich meine Eltern um ein Klavier und Klavierunterricht. Sie stimmten zu und mieteten ein Wandpiano. Ich vertiefte mich sofort in das Instrument. Meine Eltern brauchten mich nie zum Üben zu zwingen, spornten mich allerdings manchmal recht subtil an. „Übermorgen ist schon deine nächste Unterrichtsstunde!“ pflegte Mom zu sagen. Es machte mir Spaß, ein Stück zu spielen, sobald ich es beherrschte, besonders vor Publikum.

Schon als Kind wusste ich um den Unterschied zwischen einem großartigen Musiker und einem mittelmäßigen, welcher in den Pausen zwischen den einzelnen Noten deutlich wurde: das Gefühl, das man in die Stille genauso packen musste wie in die Töne. Ich zog es vor, auf einigen Akkorden zu improvisieren als neue Stücke zu lernen. Ich geriet in eine Art Trance, wenn ich auf alten Evergreens wie „Love Is a Many Splendored Thing“ herumkasperte und aus Teilen der Songs eigene rohe Kurzversionen bastelte.

Während ich zur Daniel Webster Junior High School ging, wollte ich gerne in der Schulband irgend ein Instrument spielen. Egal welches. Ich dachte an Klarinette, aber mein Zahnarzt meinte, es würde meine Zähne ruinieren (ich musste bereits Klammern tragen). Der Dirigent der Band, Mr. Armour, schlug Trommel vor. Ich befürchtete allerdings, dass ich wegen des Lärms kaum üben könnte.

Aber Mr. Armour bestand darauf. Er zeigte mir ein Übungsset aus Holz und Gummi. Das war zwar nicht besonders interessant, aber ich konnte immerhin sofort zu Hause mit der Überei anfangen und mir später überlegen, wie ich meine Eltern dazu bringen könnte, mir ein echtes Schlagzeug zu besorgen.

Schließlich stimmten sie zu, aber ich musste in der Zwischenzeit Privatstunden nehmen. Mir fielen fast die kleinen gierigen Augen aus dem Kopf, als ich zum ersten Mal Mr. Muirs Drum Shop in West L.A. betrat. Ich war schon früher mehrmals an dem Laden vorbeigegangen, sabberte praktisch vor den Fenstern, während es mich nach einem blitzenden neuen Schlagzeug gelüstete. Mr. Armour meinte, dass ich mit Privatstunden schnell Fortschritte machen würde, deswegen zwangen mich meine Eltern schließlich dazu. Es war fürchterlich frustrierend, die neun essentiellen Schlagzeuggrundbegriffe auf einem dämlichen Stück Gummi beigebracht zu bekommen, während um einen herum glimmernde Schlaginstrumente in allen möglichen Farben standen.

Aber Mr. Muir bestand darauf, dass ich für ein großes, lautes Schlagzeug noch nicht reif sei – oder seine Ohren waren nicht reif genug, die Proben meiner Trommelei zu hören. Ich war darauf bedacht, ihm zu imponieren, weil vor meiner Unterrichtsstunde Hyle King dran war, ein vierzehnjähriger Junge mit pomadegeformtem Haar. Aber er war ein verdammt guter Drummer und ein noch besserer Pianospieler. Mit vierzehn schon ein Musiker.

Ich vermutete, dass meine Eltern Mr. Muir dafür bezahlten, dass er mich von den misstönenden Drums bis zur letzten Sekunde fernhielt. Aber es war zu meinem Besten. Diese neun Grundregeln sorgten dafür, dass ich später den Unterschied zwischen einer baumstumpfhämmernden, heavy-metal orientierten Technik und einem feinsinnigen Jazzrock-Stil erfühlen konnte.

Ein Jahr später war ich in der 8. Klasse und wurde der Paukenspieler des Symphonie-Orchesters der Schule. In einem Orchester verbringen die Paukenspieler eine Menge Zeit damit, die Takte bis zu ihrem Einsatz zu zählen. Wie auch immer, die Pauken sind gewöhnlich erst am Ende einer Symphonie dran, wenn dramatische Trommelwirbel die Crescendos akzentuieren müssen. Ich liebte es, zu dem dramatischen Höhepunkt von „Das Große Tor von Kiev“ beizutragen, dem letzten Satz von Mussorgsky’s „Bilder einer Ausstellung“ (Natürlich waren unsere Stücke vereinfachte Fassungen der klassischen Originale).

Auf der Highschool wurde ich in die Marschkapelle befördert. Mit den grässlichen, federgeschmückten Hüten und den protzigen, aufgetakelten Uniformen fühlte ich mich wie in der Armee. Damals war das Spielen in einer Marschkapelle so etwas wie Aussatz, aber ich mochte die Energie, mit vierzig anderen Musikern zu spielen.

Ich arbeitete mich dann zum Beckenspieler hoch, bis ich schließlich erster Marschtrommler wurde. Von allerhöchster Wichtigkeit ist es, ein solides Gefühl für Takte zu entwickeln, indem man zuerst die Grundschläge lernt (bei den Ureinwohnern Amerikas wurden diese „Großvatertakt“ genannt). So bekam ich das richtige Feeling, die komplizierten rhythmischen Nuancen der Snaredrum spielen zu können. Wenn man Marschrhythmen auf dem kompletten Schlagzeug spielt, so bedient man alle Perkussionsinstrumente gleichzeitig: Snare, Bass, Tom-Tom und die Becken. Ich hatte das Glück, alle Schlaginstrumente separat lernen zu müssen. Die Tatsache, dass ich jedes einzelne gründlich beherrschte, kam mir zugute, wenn ich sie alle zusammen spielte.

*

Es war 1960. Kennedy stritt sich mit Nixon. Die Pirates schlugen die Yankees in der World Series. Wyatt Earp war die populärste Show im Fernsehen und The Apartment gewann den Oscar für den besten Film des Jahres. Sänger wie Pat Boone und Fabian trieben sich auf den vordersten Plätzen der Hitparade herum.

Ein Musiker galt immer noch nicht als cool. Definitiv die Coolsten waren die Footballspieler. Danach kam Basketball, dann Baseball, Sprinten und schließlich Tennis. Die Muskelprotze mit ihren Team-Pullover kriegten die Mädchen. Als Mitglied eines Tennisteams wurde man für schwul gehalten – man nannte solche Leute damals „faggots“.

Ich war der letzte Mann in dem Tennisteam und dazu auch noch in der Paradegruppe. Wenn ich so zurückblicke, war Musik in diesen einsamen Jahren des Aufwachsens wie auch in den folgenden meine Rettung.

Glücklicherweise wurde ich während meines zweiten Jahres auf der Highschool gefragt, ob ich in einer Popgruppe mitmachen wollte. Meine Mutter malte unser Logo auf die Vorderseite meiner Basstrommel – „Terry and the Twilighters“. Alle anderen in der Gruppe kamen wie ich aus katholischen Familien, aber sie gingen immer noch auf Konfessionsschulen. Nachdem ich nach der ersten Klasse unserer katholischen Schule aufgegeben hatte, dachten meine Eltern, dass in einer öffentlichen Highschool weniger Druck ausgeübt werden würde. So gelangte ich schließlich auf die University Highschool oder Uni, wie wir sie nannten, aber um den Katechismusunterricht an Sonntagen kam ich doch nicht herum. The Twilighters spielten schließlich in den katholischen Schulen um L.A. herum – Marymount, Loyola, Notre Dame – und ich fand heraus, dass ich den Mädchen mit meinem Schlagzeugspiel imponieren konnte, oder es war vielleicht nur die Tatsache, dass ich neu in der Gegend war. Was auch immer es war, ich fühlte mich beobachtet, was mich zu einigen Showeinlagen inspirierte. Ich konnte jedermanns Augen auf mich gerichtet fühlen und ich schöpfte aus dieser Aufmerksamkeit eine Art melodramatische Selbstsicherheit. Ich hielt mich für einen ziemlich guten Drummer und das Publikum inspirierte mich zu einer noch stärkeren Konzentration auf mein Spiel.

Nun hatte ich meine eigene Clique. Auf einer der katholischen Partys freundete ich mich mit einem Mädchen namens Heidi an. Ihre Haut war gelblich-braun und sie konnte großartig lächeln.

Sie ging mit Terry, dem Kopf der Band. darum konnte ich es kaum glauben, als sie mit mir tanzte und ihre Arme eng um mich schloss. In der folgenden Nacht träumte ich, wie ich ihr das hawaiianische Kleid auszog und meine Lippen und Hände über ihren weichen runden Körper strichen. Morgens war mein Bettlaken feucht.

Wir begannen, uns zu verabreden, und ich versuchte, sie in mein Bett zu kriegen, aber sie war ihr gesamtes Leben lang von den Nonnen an ihrer Schule gewarnt worden, dass sexuelles Verlangen zu ewiger Verdammnis führe. Hinzu kam, dass sie ihrer Mutter versprochen hatte, bis zu ihrer Heirat Jungfrau zu bleiben. So blieb nichts anderes übrig, als sie zu einem intensiven Petting zu bringen. Ich entsinne mich, dass ich mit Heidi zu einigen Tanzveranstaltungen in Marymount ging, wo die Nonnen, die mir in meinen Träumen immer als kleine Pinguine erschienen, nicht nur angesichts ihres kurzen Kleides die Stirn runzelten, sondern auch herumliefen und darauf achteten, dass genügend Luft zwischen unseren Körpern während der langsamen Tänze war. Terry machte keine Bemerkung über Heidi und mich, aber ich fühlte mich ziemlich mies bei dem Gedanken, meinem besten Freund die Freundin abspenstig gemacht zu haben. Kurz danach wurden unsere Übungsabende recht unerfreulich und die Band brach auseinander.

Nachdem ich ein paar Jahre mit Gelegenheitsjobs als Mietdrummer verbracht hatte (bei Hochzeiten, Schultanzveranstaltungen, jüdischen Feiern), machte ich meine Abschlussprüfung auf der Highschool.

Außer in Musik und Sport waren meine Noten durchschnittlich und die großen Universitäten suchten keinen Snaredrumspieler für ihre Paradebands.

Darum fiel ich im Herbst 1963 am Santa Monica College in Apathie und wechselte andauernd die Fächer. Zuerst nahm ich Musik, doch ich dachte, dass ich damit nie meinen Lebensunterhalt verdienen könnte. Danach wechselte ich zu Wirtschaftslehre über. Nachdem ich aber eine schlechte Note in Buchführung bekommen hatte – zum zweiten Mal –, war ich mir sicher, dass jemand mir etwas damit sagen wollte. Vielleicht war das College nichts für mich.

Aber die Musik war in meinem Blut. Zum Studieren fand ich keine Zeit, weil ich mit meinen Kumpels im Musiktrakt herumhing und jammte. Üblicherweise kam dann der Fachleiter den Gang entlanggestürmt.

„Würdet ihr bitte etwas leiser sein?“ flehte er. „Ich übe gerade mit dem Juniororchester.“ Abgesehen von dem ganzen Durcheinander waren wir auf dem richtigen Weg. Wir waren der Grundsockel einer gigantisch großen Paradeband. Ungefähr zur Mitte meines zweiten Semesters wurde unsere SMCC-Band zum stadtweiten Wettbewerb im Rose Bowl zugelassen.

*

„Bbbbbbbrrrrrrrr! Bbrr!“ krächzte die Pfeife. Ich blickte starr gerade aus, während wir durch die Straßen von Pasadena zum Stadion marschierten. Im Vorübergehen drang der Sound der ultracoolen schwarzen Band vom L.A. City College in mein Ohr. Ich hätte nie geglaubt. dass eine Marschkapelle swingen kann, aber diese Typen schafften es.

Kaum hatten wir in dem Riesenstadion Platz genommen. als schon die Resultate verkündet wurden. Die Preisrichter. die unsichtbar irgendwo auf dem Hinweg platziert gewesen waren, riefen die Gewinner auf die Bühne hinauf.

Ich erinnere mich nicht mehr, wer Dritter wurde, aber die folgenden Worte werde ich nie vergessen:

„Der zweite Platz im All-California Junior College Wettbewerb der Marschkapellen geht an das Los Angeles City College!“

Beifall ertönte von den Seitenrängen.

„Und die Nummer eins in unserem Bundesstaat … und der Gewinner eines nationalen Fernsehauftritts … das Santa Monica City College!“

Wir hatten gewonnen! Wir waren die beste Band der Stadt!

Einen Monat später waren wir im L.A. Coliseum bei den Football-Meisterschaften. Die lebhafteste Erinnerung an diesen Auftritt bleibt der Moment, als wir in dem Tunnel warten mussten, um auf das Spielfeld zu gehen und Big Daddy Lipscomb mit der Nummer 33 zur Halbzeit an uns mit seinem Team vorbeiging. Er war der gewaltigste Typ, dem ich jemals begegnet bin. Oder jemals zu treffen gehofft hatte.

*

Im Sommer des Jahres 1964 geschah dann etwas Außergewöhnliches in der Musikszene von Los Angeles. Überall am Sunset Strip öffneten neue Clubs: Fred C. Dobbs, The Trip, Bedo Ledo’s und das Brave New World. Die Gruppen, die dort spielten, kamen beileibe nicht aus der Hitparadenabteilung. Sie spielten ihren eigenen Stil in ohrenbetäubender Lautstärke. Wann immer ich konnte, ging ich abends mit Grant, einem Freund von der Highschool, nach Hollywood, um dort bis um zwei oder drei Uhr morgens in den Clubs herumzuhängen. Leute jeden Alters hatten Zutritt, da dort kein Alkohol ausgeschenkt wurde. Meine Eltern waren sich inzwischen sicher, dass ich bald in der Gosse landen würde.

Meine Eltern! Mom war eine gebürtige Kalifornierin und stammte aus einer guten katholischen Familie mit fünf Kindern, dem Walsh-Clan. Während der Zeit der Depression ging Margaret Mary auf die Beverly Hills Highschool und wurde Bibliothekarin. Als sie sechzehn war, zog Ray Blaisdale Densmore in die Nachbarschaft. Mit zwölf war er mit seiner Familie aus York im Bundesstaat Maine in die Vorstädte von Los Angeles gekommen. Im Alter von 23 Jahren machte er auf der Universität sein Diplom in Architektur und glänzte als Schauspieler mit den Santa Monica Players. Auch Mom verdiente Geld mit der Schauspielerei. Die beiden gingen einige Jahre miteinander, bevor er ihr einen Heiratsantrag machte. Sie stimmte unter der Bedingung zu, dass ihre Kinder katholisch erzogen werden sollten. Er war nicht bereit, zum katholischen Glauben überzuwechseln; sein Zögern wurzelte wahrscheinlich in dem Rat seines Vaters, der seinen vier Söhnen mitgeteilt hatte, sie sollten kein katholisches Mädchen heiraten, was auch immer passieren würde.

Wie es sich ergab, richtete sich niemand nach dieser Empfehlung.

Ich wuchs in einem Mittelklassehaus in West L.A. zusammen mit meiner älteren Schwester Ann und meinem jüngeren Bruder Jim auf. Es war wie in der Ozzie & Harriet­Show und ich war Ricky. Ich identifizierte mich mit seinem drolligen Sinn für Humor, mit dem er seinen gütigen, aber im Grunde genommen spießigen Eltern entgegentrat. Als Kind konnte ich es kaum erwarten, irgendwann einmal das Zuhause verlassen zu können, aber ich war am Boden zerstört, als eines Tages die Mitteilung des State of California Transportation Departement ins Haus schneite, dass eine Autobahn geradewegs durch unser Grundstück gebaut werden sollte. Meine Wurzeln sollten zugepflastert werden. Wo mein „Zuhause“ war, ist heute eine Autobahnauffahrt. Auf dem Schild steht „San Diego Freeway North“.

Vielleicht nahmen meine Eltern diese Instabilität zum Anlass, mich so konservativ zu erziehen. Noch zur Zeit der Highschool übten sie Druck auf mich aus, dass ich mir die inzwischen schulterlangen Haare schneiden lassen und mich wie ein normaler Jugendlicher auf meine Schulaufgaben konzentrieren sollte.

Doch meine Flucht hatte begonnen. Es zog mich förmlich aus der Vorstadt von Los Angeles in die Clubs von Hollywood.

Ich ging nun auf das Juniorcollege, aber ich roch, dass da draußen eine Szene war, von der ich bisher nichts geahnt hatte. Ich begann, in mir unbekannten Straßen von Venice und Westwood umherzustreifen und fand schließlich meinen Weg nach Hollywood. Es dauerte nicht lange, bis mich die hellen Lichter und die dunklen Ecken des Sunset Boulevards verführt hatten.

Ich entdeckte eine neue Welt von Musik und Leuten. Grant und ich waren zwei 19-jährige Jazzfans und standen dem Rock’n’Roll eher ablehnend gegenüber, aber wir stellten fest, dass etwas ganz Besonderes in der Rockszene begann. Die Bands, die zu dieser Zeit in L.A. auftauchten, waren die Byrds, Love und die Rising Sons mit Ry Cooder. Ich träumte davon, eines Tages in einer Band wie Love zu spielen. Mit ihnen hingen unzählige Mädchen herum! Die ersten Male, als ich Love sah, war ich ziemlich schockiert. Selbst 1964 wirkten sie noch bizarr. Arthur Lee, der schwarze Leadsänger, trug eine rosagefärbte Omabrille und ihr Gitarrist trug so enge Hosen, dass es aussah, als hätte er sich vorne zwischen die Beine eine Socke gestopft. Sie waren eine Gruppe mit Leuten verschiedener ethnischer Herkunft und schienen miteinander befreundet zu sein. Nachdem ich Love gesehen hatte, wusste ich, dass ich noch einige Wege zu gehen hatte, bevor ich genauso hip sein würde. Sie kleideten sich in grelle Farben, trugen Lederwesten und Wildlederjacken mit Fransen. Ich stellte mir die Frage, ob sie so auch auf der Straße herumliefen.

Das Publikum bestand aus lauter Nonkonformisten, um es einfach zu sagen. Es war wie bei einer Modevorführung für Freaks: lange Haare und Perlenketten, Lederkragen und gestreifte Hosen, Wildledermokassins, Paisleyhemden und Nehrujacken. Aus der Sicht der heutigen Punker ziemlich zahm, aber ungeheuerlich für ein L.A.-Vorstadtkind der Mittsechziger. Diese Typen waren voll drauf. Hippies. Extravagant und freizügig. Ihre Hemmungslosigkeit war ansteckend. Ich wusste nun, wo ich hingehörte. Sicherlich nicht zu den Tab Hunter-Typen am College.

Um zwei Uhr nachts schlossen die Clubs und jedermann ging zu Canter’s an der Fairfax Avenue, der wahrscheinlich besten Restaurantkneipe an der Westküste. Toleranz war die Basis, auf der dieser Laden jene Jahre überlebte. Welch eine Szene! Das Essen landete wahrscheinlich genauso oft auf dem Boden wie es gegessen wurde. Es war ein Riesenspaß. sich gehen zu lassen und sich laut und auffallend zu benehmen. Meistens bis zu dem Punkt, wenn die Serviererin kam, Ärger machte und man befürchten musste, rausgeschmissen zu werden. Immer wenn Berühmtheiten wie der Plattenproduzent Phil Spector oder die Byrds hereinkamen, gab es einen enormen Applaus. Zwanzig Jahre später wurde Canter’s wiederum zu einer In-Kneipe, diesmal für die Punker-Szene. Die Musikstile ändern sich, aber Fisch und Brot bleiben gleich.

Um meine Gewohnheiten in Hollywood weiter ausbauen zu können, brauchte ich ein Auto und ich versuchte alles Mögliche, um immer länger von Zuhause fortzubleiben. So arbeitete ich zeitweise in einer chinesischen Wäscherei und faltete Hemden in einem Raum, dessen Temperatur nie unter 37 Grad Celsius sank. Und das im Winter! Es war wie in einer Sauna, jeden Tag. Ich trank literweise Orange Crush und aß kartonweise Twinkie­Kekse. Dazu sang ich den Schwitzkasten-Blues und verdiente genug Geld, um mir ein 57er Ford-Cabrio kaufen zu können. ’Ne heiße Kiste war das! Der Wagen war silbern gespritzt. Toll! Zu Hause kletterte ich auf die Rücksitze und mein Fuß brach geradewegs durch den Boden auf das Straßenpflaster.

Unerschrocken waren Grant und ich uns weiterhin sicher, dass wir wegen des eindrucksvollen Armaturenbrettes und des blitzenden Auspuffrohres jede Menge Mädchen anmachen könnten. So kurvten wir in Westwood herum, dem Viertel von L.A. mit den Kinos und den schicken Shoppingcentern nahe dem Campus der Universität. Und wir fuhren und fuhren. Im Radio lief Henry Lewy auf KNOB mit seinen Jazzsendungen. Und enttäuscht kriegten wir den „Summertime Blues“, denn wegen des schrägen Bebops bekamen wir kein Mädel zu uns in den Wagen. Hey, wer hat es damals schon geschafft, mit dem Auto Mädchen abzuschleppen? Etwa die gutaussehenden Typen? Oder die Surfer vom Strand? Oder die Topmodischen? Ich glaub’s einfach nicht! Das war der erste von vielen gehüteten Mythen, der sich in Luft auflöste.

Zusätzlich zur Szene in Hollywood erforschten Grant und ich auch verschiedene Jazzclubs. Zu den besten zählte das Lighthouse, Shelley’s Manne Hole, das Bit, das Renaissance und das Melody Lane unten am Adams Boulevard, wo sich keine Weißen hinwagten. Mein Cabrio war erfolglos, so hatten wir reichlich Zeit, neue Musik zu hören.

Wie viele andere weiße Jazzliebhaber entdeckte ich zuerst Dave Brubeck-Platten. Damals hatten die Plattenläden noch Hörkabinen, was Grant und ich ausnutzten, um unsere Musikkenntnisse zu erweitern, ohne etwas dafür bezahlen zu müssen. Wir fanden Les McCann gut, einen schwarzen Pianospieler mit einem gefühlvollen Jazzstil vermischt mit Funk und Gospel. In diesen gläsernen Kabinen konnte man knapp zwanzig Minuten lang ungestört den Plattenspieler und die Kopfhörer benutzen, ehe der auf Umsatz bedachte Manager des Ladens einen zum Kaufen aufforderte.

Um ihrer Welt zu entfliehen, gingen viele Jugendliche in die Kinos. Wir taten es mit Hilfe des Jazz. Coltrane und Miles erschienen uns als Höhepunkte aus zwanzig Jahren Jazzgeschichte. Bei ihnen fanden wir unsere eigene Religion. Eine Art von roher geistiger Anarchie. In leidenschaftlichen Gesprächen erörterten wir, wie sehr diese Musikgenies über allem standen, wie sie die Akkorde aufbrachen und nach dem Unbekannten jenseits der Akkordstruktur suchten. Für Grants Vater klang Coltranes Musik wie „… wenn jemand einer Katze auf den Schwanz tritt…“. Doch die Leute, die seine Musik als Lärm bezeichneten, waren sich nicht der Entwicklung des Jazz vom Bebop über den Cooljazz zur freien Form bewusst. Wie konnten sie ihn dann verstehen? Wir dachten elitär, ohne zu wissen, was das Wort bedeutete. So etwa wie ein Geheimbund.

Jedesmal, wenn ich die Plattennadel auf Live at the Village Vanguard senkte, um „Chasin’ the Trane“ zu hören, versetzte mich die kraftvolle, treibende Energie in meiner Vorstellung in den Körper des Drummers Elvin Jones. Der Takt pulsierte in meinen Adern.

Ich habe die letzten fünfundzwanzig Jahre damit verbracht, diese traumhafte Zeit zurückzuerobern – war es wirklich eine traumhafte Zeit? – mit Hilfe von Musik, LSD, Sex, Büchern, Reisen, allem möglichen, um den Lauf der Welt anzuhalten, wie Don Juan zu Carlos Castaneda sagte.

Aber hauptsächlich versuchte ich es mit Musik.

Grant und ich gingen zu einem Konzert von Les McCann in den Renaissance Club, wo auch schon Lenny Bruce aufgetreten war. Wir waren zum ersten Mal in einem Jazzclub. Man brachte uns an einen Tisch hinter einem Pfosten. Wir bestellten schüchtern unsere Softdrinks, wohl wissend, dass man unsere Ausweise verlangt hätte, wenn wir Bier geordert hätten. Wir waren die einzigen Weißen in dem Schuppen. Im Renaissance herrschte eine coole Stimmung, eine Ausstrahlung, die wir bisher noch nicht geschafft hatten.

Dann kam dieser Komödiant auf die Bühne. Seine Show bestand darin, in Abständen von etwa zehn Sekunden mit den Fingern zu schnippen. Das ging so etwa fünf Minuten lang und erreichte seinen Höhepunkt in den beatnik-coolen Ausrufen „All right“ und „Hey, baby“. Ich blickte nicht durch, was er damit sagen wollte, aber seine Persönlichkeit war ansteckend. Er schien total verrückt zu sein, was mir gefiel. Ich identifizierte mich mit Nonkonformisten. Jahre später wurde der Finger-Schnipper Hugh Romney – auch als Wavy Gravy der Hog Farm Kommune bekannt – der Moderator beim Woodstock-Festival.

Wir wagten uns runter nach Redondo Beach, um Cannonball Adderley in Howard Rumsey’s Lighthouse zu hören. Cannonball ließ seinen Arm kreisen und schnippte mit den Fingern in einem unglaublich schnellen Tempo. Während er so den Takt angab (er schnippte die Off-Beats Zwei und Vier im 4/4 Takt; eine schwierige Übung, denn man muss die Eins und Drei im Kopf mitzählen oder auf Eins und Drei atmen, um das Abzählen beibehalten zu können), redete Cannonball gewöhnlich mit dem Publikum oder seiner Band. „Snip-snip-snip – bist du soweit, Joe (Zawinul) – snip-snip?“

Er nickt zustimmend mit dem Kopf.

„Snip-snip – bist du soweit, Bruder Nat – snip-snip?“

„Yeah … uh-huh.“

„Snip-snip – meine Damen und Herren – snip – BRUDER NAT IST SOWEIT – snip-snip – ONE-snip-TWO-snip-ONE-TWO-THREE-snip…”

Dann fingen sie gewöhnlicherweise mit „Jive-Samba“ oder „Dis Here“ an und immer stand mein Mund in staunendem Unglauben offen, sobald dieser schnelle, pralle Sound ertönte.

Shelley’s Manne Hole war jedoch der Jazzclub. Er war ziemlich teuer, aber irgendwie kratzten wir immer das Geld zusammen. Obwohl wir scharf darauf waren, Mädchen aufzureißen, war der Jazz für uns ein Ersatz. Da Grant selbst Klavier spielte, schleppte er mich fünf- oder sechsmal zu Bill Evans-Auftritten. Zunächst kapierte ich nichts. Der Mann war zu subtil. Dann erkannte ich, welch außerordentliche Anschlagtechnik er beherrschte. Es war beileibe keine Cocktailmusik, wie einige Kritiker annahmen. Ich saß direkt vor der Bühne, als Art Blakely, der König des Trommelwirbels, sich durch glühende Afrojazz-Rhythmen ächzte. Er war damals schon ein End-Vierziger, aber sein Spiel steckte immer noch voller Energie: es hatte mehr Energie als ich, und ich war neunzehn.

Kerouac und Cassidy sahen Charlie Parker zu seinen besten Zeiten. Wir sahen John Coltrane. Mehrmals. Er war unglaublich. Alle im Publikum machten respektvoll den Weg für ihn frei, wenn er den Raum betrat. Sobald er sein Tenor- oder sein Sopransaxophon nahm und den alten Johnny Mercer-Song „Out of This World“ anstimmte, schwebte Trane tatsächlich aus dieser Welt hinweg. Mit geschlossenen Augen blies er sein Solo und verfiel in eine 15 Minuten dauernde Trance. Bei „Chasin’ theTrane“ spielten sie manchmal eine halbe Stunde lang und oft verschwand der Pianist McCoy Tyner mitten im Song. Dann drehte Coltrane den Rücken zum Publikum, schaute Elvin Jones, meinen Lieblingsschlagzeuger, an und sie trugen den Kampf unter sich aus. Das war so ursprünglich! Genau wie im Dschungel. Grant und ich drückten uns nach dem letzten Set noch hinten im Manne Hole herum, als Elvin mit einem Hammer die zwei Nägel aus den Bühnenbrettern zog, die seine Basstrommel am Verrutschen hindern sollte. Wir hörten, wie Coltrane das Wort „Hotel“ zu Elvin sagte und während der nächsten Tage war alles, was wir einander sagen konnten, „Hotel, Hotel“.

Meine eigene musikalische Karriere steckte immer noch in ihrem Raupenstadium, aber Grant und ich jammten stundenlang miteinander und imitierten McCoy und Elvin. Ab und zu spielten wir auf Brüderschaftsfesten an der UCLA, wo wir Top 40-Hits spielten. Die Nacht machten wir fünf Sets zu je 45 Minuten und bekamen dafür 15 Dollar pro Nase ­ in jenen Tagen eine Menge Geld. Wir stellten eine Band zusammen mit dem 1,95 Meter großen Gitarristen Jerry Jennings, der ein perfektes Gespür für Töne hatte. Wenn irgendwo eine Pfeife von einem Fabrikgelände ertönte, sagte Jerry „E-Dur“. Ein grauenvoller Bassist rundete die Gruppe ab, aber er spielte einen akustischen Bass und war demnach kaum zu hören.

Unsere Auftritte auf diesen Feten unterschieden sich natürlich radikal von der Musik in den Jazzclubs und sogar von der in Rockclubs. Die Lautstärke des „small talk“ war wesentlich höher und es herrschte allgemein eine aggressive Stimmung, die von der Menge des Bierkonsums abhängig war. An einem Abend verarschten wir die Leute. Wir nahmen einige selbstgemachte John Cage-artige Bänder mit, die sich nach Autobahnverkehr und Toilettenspülung anhörten. Mitten in Songs wie „Louie, Louie“ spielten wir die Bänder ein. Die Brüder gafften reichlich verwirrt, tanzten und tranken aber weiter. Um in Bars spielen zu können, musste man 21 Jahre alt sein und wir waren nur 19. So fuhren Grant und ich in seinem VW-Bus nachTijuana, um uns falsche Ausweise zu besorgen. Ich hoffte auch, dort meine lästige Jungfräulichkeit zu verlieren. Grant hatte schon eine dreizehnjährige Nachbarstochter verführt und war deswegen nicht ganz so verzweifelt wie ich. Er ließ mich und einige seiner Freunde zuhören, wie er und das Nachbarmädchen es in der Garage miteinander trieben. (Nach zwanzig Jahren Zusammenleben und zwei Kindern beschlossen sie schließlich zu heiraten.)

Aus mir wurde ein Nervenbündel, als ich schließlich an der Ecke der Tenth und der Avenida de Revolución stand, der anrüchigsten Straßenecke in Tijuana. Ein Mexikaner näherte sich und murmelte: „Hey, du Surfer, Bennies, Spanische Fliegen, falschen Ausweis, meine Schwester?“ Ich hatte weder blonde Haare noch eine sonnengebräunte Haut, trotzdem sah ich für ihn wie ein Surfer aus. Vielleicht war diese Bezeichnung nur ein weiterer Spitzname für uns Gringos. Aber sechs Dollar später hatte ich einen Militärausweis, der besagte, dass ich reife 22 war.

Aber nun rein in die Betten. Derselbe Typ schleuste uns zu einem schmalen Durchgang zwischen zwei Läden, wo am Ende einige schmutzige Löcher mit alten Matratzen ausgelegt waren. In dunklen Ecken räkelten sich einige kichernde mexikanische Frauen, die so aussahen, als ob sie zwischen dem sechsten und achten Monat schwanger waren. Doch so hatte ich mir meine Einführung nicht vorgestellt.

Wir gerieten in Panik, weil uns kein Ausweg aus dieser Situation erschien. Einige der Weiber grabschten nach unseren Armen und mehrere Männer bewegten sich plötzlich hinter ihnen. Wir warfen das Geld auf die Matratzen und rannten davon.

Einige Meilen nördlich von San Diego wurden wir von einem Beamten der Einwanderungsbehörde angehalten. Das Rücklicht des VW-Busses war ausgefallen.

„Ihr kommt aus Tijuana zurück und habt kein Licht am Schwanzende!“ scherzte der Beamte.

*

Im Herbst 1964 zogen Grant und ich bewaffnet mit unseren falschen Ausweisen aus unseren Elternhäusern in die entstehende Hippiekommune im Topanga Canyon. Meine Eltern trugen die Hälfte der monatlichen 70 $-Miete, solange ich noch auf’s College gehen würde.

Ich wechselte zum San Fernando Valley State College über, das direkt hinter dem Canyon lag, einer schönen, baumreichen, bergigen Gegend, etwa vierzig Minuten von Hollywood entfernt. Da war ich nun gelandet: in einer „richtigen“ Schule, nicht irgendeinem Juniorcollege und erfüllte den American Dream. Auf dem besten Weg zu einem Neun-bis-Fünf-Uhr-Job in der Stadt.

Das Problem war nur: es war nicht mein Traum. Von irgendwo aus meinem Unterbewussten rief eine Stimme: „LSD!“ Schon bald darauf sollte ich meinen ersten Kontakt mit LSD haben.

Grant und ich gingen gerne zu Jamsessions mit örtlichen Musikern, die zusammenkamen und Jazz spielten. Zunächst hatte ich ziemliches Lampenfieber mitzumachen. Es waren immer mehrere Schlagzeuger da, die auf ihren Einsatz warteten, was mich reichlich einschüchterte. Zu gerne wollte ich meinen Elvin Jones-Trommeltrick vorführen. Nach einigen Versuchen wuchs mein Selbstvertrauen, weil ich einiges an positivem Feedback auf meine Einsätze bekam. Zudem waren diese Leute wirkliche Musiker. Das war nicht irgendeine dämliche Brüderschaftsparty, sondern ein ernsthaftes Jamming. Ein Zunicken oder ein „Gut gespielt, Mann, du bist gut bei der Sache!“ brachte es für mich. Ich habe tagelang darüber nachgedacht, ob ich wirklich gut gespielt hatte.

Einer der Musiker bei diesen Sessions war Saxophonist. Er hieß Bud und war an den Rollstuhl gefesselt. Sein Körper war verkrümmt, aber er konnte wie Coltrane in Person spielen. Er hatte interessante Geschichten drauf, wie er im Gaslight Club in Venice Beach auftrat, wo Allen Ginsberg und andere Dichter ihre Lesungen hielten.

Eines Tages fand eine Razzia statt und alle steckten ihr Pot Bud zu, bevor die Polizei in das Lokal stürmte. Er stopfte es in seinen Rollstuhl, wohl wissend, dass die Drogenbullen ihn nie im Leben filzen würden.

Er war ein sanfter, freundlicher Typ, aber man schaute ungern hin, wenn er „voll drauf“ war. Er verrenkte seinen Körper beim Spielen und es schmerzte fast, ihm zuzusehen. Er hatte viel Puste, technisch gesehen, und der Zorn in seinen Soli war schonungslos. Er ließ sich keinen Augenblick zum Durchatmen, kam nicht aus seiner Rage heraus.

Eines Tages teilte er mir mit, dass er einen Freund habe, der ihn mit etwas LSD zu unserem Haus bringen könnte. Seine Augen leuchteten für einen Moment auf. „Du siehst dann Farben in der Luft, Mann“, sagte er euphorisch. Drogen gehörten bisher nicht in mein Repertoire. Ich war neugierig darauf, hatte aber auch einige konfuse Vorstellungen davon. Lysergsäure klang eher danach, dass es meinen Arm verätzen würde als mir einen Rausch zu verschaffen.

„Nun, versuchen wir’s…“, erwiderte ich ziemlich cool, doch im Inneren zitterte ich. Bis jetzt hatte ich noch nicht einmal Grass geraucht. Aber da war dieser Typ, der nicht laufen kann und deswegen in seinem Gehirn mit Hilfe von halluzinogenen Drogen herumreist. Je mehr er seine Reisen beschrieb, desto besser fand ich sie.

Einige Tage später erschien er tatsächlich vor unserem Haus. Ein athletischer Schwarzer mit einem acidschwangeren Blick im Gesicht trug ihn die Treppen hoch.

Wir setzten uns um den fleckigen Küchentisch und Grant und ich zeigten ihm voller Stolz unsere Jazz-Plattensammlung.

Schließlich zog Bud einen Plastikbeutel hervor, in dem sich etwas befand, das wie Zahnputzpulver aussah.

„Halbiere das Zeug“, sagte Bud. Ed, der schwarze Panthermensch, stimmte zu. „Ihr müsst mit einer kleineren Dosis anfangen, damit ihr nicht durchdreht.“

Ed nickte wohlwollend. Er meinte es wirklich gut mit uns. Ich war froh über diese Rückversicherung.

Nachdem sie gegangen waren, öffneten wir die Tüte. Das LSD war pulverförmig. Wir teilten es in zwei Häufchen – ich bekam noch weniger als die Hälfte – und führten etwas davon mit feuchten Fingerkuppen in den Mund. Fünf Minuten verstrichen und nichts Kosmisches geschah. Ungeduldig schluckten wir auch den Rest von dem Pulver. Mit nervösem Lachen leckten wir es vom Küchentisch.

Ich ging ins Wohnzimmer und legte mich auf die Couch. Grant folgte mir und setzte sich in Zeitlupe in den Sessel.

Take me on a trip upon your magic swirling ship

My senses have been stripped, my hands can’t feel to grip

My toes too numb to step

Wait only for my boot heels to be wandering.

(Mach mit mir eine Reise auf deinem magisch strudelnden Schiff

Meine Sinne sind geöffnet, meine Hände sind erstarrt

Meine Zehen zum Gehen zu taub

Und warten darauf, dass meine Stiefelabsätze wieder wandern.)

Meine Augen durchstreifen das Zimmer, vertiefen sich mit großem Ernst in das Kunstwerk an der Wand. Wir hatten ein riesiges Stück Leinwand aufgehängt, auf dem alle unsere Musikerfreunde große Klumpen Farbe kleistern durften, vielleicht Jackson Pollock zur Ehre, vermute ich.

Hey Mr. Tambourine Man play a song for me

I’m not sleepy and there is no place I’m going to.

(Hey, Mann mit dem Tambourin, spiel mir einen Song

Ich bin nicht müde und will auch nirgendwo hin.)

Ich atmete tief den Geruch des Räucherstäbchens ein, das Grant angezündet hatte. Nun waren schon zwanzig Minuten verstrichen. Ich lugte über die ausgefranste Ecke des Sofas hinweg zum Boden und sah einen dunklen Abgrund, mindestens tausend Meter tief. lch war wieder ein Kind und hatte Angst vor den Monstern, die außerhalb meiner Krippe auf mich lauerten. Hilflos rutschte ich langsam von der Couch in den endlosen Schlund hinein. Furcht packte mich und ich schrie Grant zu, dass ich ins Leere falle.

Take me disappearing thru the smoke rings of my mind

Down the foggy ruins of time

Past the frozen leaves

The haunted frightened trees

Out to the windy beach

Far past the twisted reach

Of crazy sorrow.

(Durch die Rauchschwaden meines Verstandes

Führe mich hinunter zu den nebligen Ruinen der Zeit

Vorbei an gefrorenen Blättern

Den gespenstisch verängstigten Bäumen

Hinaus an den windigen Strand

Weit weg vom umrankten Griff irrer Sorgen.)

Er antwortete mit Gelächter. Je größer meine Angst wurde, desto mehr lachte er. Sein Lachen wurde so absurd, dass ich plötzlich aus meinem ersten – und einzigen – schlechten Trip herausgezogen wurde. Grant versuchte, mir die humorvolle Seite dieser Situation zu zeigen. Die ganze Geschichte dauerte nur zwei oder drei Minuten, aber mir kam sie wie eine Ewigkeit vor.

Hey Mr. Tambourine Man play a song for me

in the jingle jangle morning I’ll come followin’·you.

(Hey, Mann mit dem Tambourin, spiel mir einen Song

In dem Tingeltangel-Morgen folge ich dir.)

Vor unserem Haus stand ein Akazienbaurn mit hellgelben Blüten. Ich zog Grant nach draußen, um die unwirklich pulsierenden Farben und Blüten zu betrachten. Unsere Schritte knirschten laut auf dem Gras. Der Lufthauch auf meiner Haut war neuartig und fremd und das Geräusch eines weit entfernten Autoauspuffs hörte sich an, als ob ein Güterzug durch unser Wohnzimmer donnern wollte. Es war wie eine Szene aus Fellinis 8 1/2, eine unglaublich surreale Komödie und wir wälzten uns lachend im Gras. Irgendwie schafften wir es ins Haus zurück, um auszuprobieren, wie man mit diesem Trip im Gehirn Musik machen konnte.

Ich polterte mit meinen Fäusten wie ein Avantgardekomponist auf dem Klavier herum. Grant hielt das nicht aus; er bekam Seitenstechen vor Lachen.

Später, als Grant von einem Charlie Mingus-Plattencover total aufgesaugt wurde, verschwand ich im Badezimmer und onanierte. Ich ließ mir Zeit und meine Fantasien waren sehr detailliert. Stunden schienen zu vergehen. Psychedelisches Abspritzen – das war typisch für die Sechziger Jahre.

Acid verschaffte mir einen stärkeren Kick als die schale Oblate, die ich bei meiner ersten Heiligen Kommunion schluckte. Durch LSD hatte ich eine direkte Gotteserfahrung, oder wenigstens eine Erfahrung von etwas Außerirdischem oder Mystischem.

Auch einige Tage nach unserem Trip fühlte ich mich immer noch ein wenig high oder irgendwie anders. Ich wusste, dass sich die Droge aus meinem Körper verflüchtigt hatte und ich in etwa so war wie zuvor, aber das Wissen, dass man Dinge auch anders erleben kann, gab mir ein vollkommen neues Bewusstsein, das heute immer noch vorhanden ist.

Ein Riss war in der Fassade der Realität entstanden und ich hatte durch ihn hindurchgelugt. Meine Einweihung in die andere Wirklichkeit hatte stattgefunden.

Nichts hatte sich geändert, doch alles war anders.

Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors

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