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Gebet, das etwas bewirkt
Der 26. Juni 2012 war ein brütend heißer Sommertag im Bundesstaat Colorado. In Colorado Springs stieg das Thermometer auf die Rekordhöhe von 38,5 Grad Celsius – und fachte damit die Angst vor dem herannahenden Waldbrand in der Bergregion westlich der Stadt noch weiter an. Die Einsatzkräfte der Feuerwehr hatten sich bisher vergeblich bemüht, ihn unter Kontrolle zu bringen. Die anhaltende Trockenheit hatte die Berghänge bereits zu Zunder ausgedörrt.
An diesem Tag richteten sich viele besorgte Blicke auf die Berge. Dann, wie auf ein arglistiges Stichwort hin, fegten Windböen mit fast 100 Stundenkilometern über Stadt und Bergregion. (Schon ein Sturm von nur halber Stärke wirft einen Mann um; aber 100 Stundenkilometer – Windstärke 11 bis 12 –, das gilt auf der Beaufortskala für Windgeschwindigkeit als Orkan.) Sturm und Flammen auf knochentrockenem Bergland – wahrlich eine unheilige Trinität.
Durch den starken Wind angefacht, sprang das Waldo-Canyon-Feuer über die Feuerschneisen und näherte sich so raubgierig und ungehindert der östlichen Stadtgrenze, wie 1939 Hitlers Blitzkrieg über Polen dahingetobt war. Letzten Endes sollten dem Feuer knapp siebeneinhalbtausend Hektar Land und 346 Wohnhäuser zum Opfer fallen.
Ich saß an jenem Nachmittag an meinem Schreibtisch, als ein Kollege hereinkam und fragte: „Hast du das gesehen?“ Instinktiv eilte mein Blick zu den Bergen – das Bürofenster geht nach Westen – und ich sah die Feuerfront, deren Vorhut sich gerade über die letzte Bergkette vor der Stadt wälzte. Für unser Wohnviertel (das an den Wald grenzt) war bereits zweimal die Evakuierung angekündigt worden. Seit Tagen beobachteten wir die Rauchsäulen über dem Epizentrum des Feuers im Westen, die sich zehn Kilometer emporblähten wie eine riesige Gewitterwolke oder das Deckbett eines Vulkans – unheilschwanger in ihrem leuchtenden Orange und düsteren Schwarz.
Aber in den Nachrichten hatte man uns immer wieder versichert, das Feuer würde nordwestlich an der Stadt vorbeiziehen, und wir hatten einfach unser Leben weitergeführt wie sonst – bis zu dem Moment, in dem ich die Flammen über die Bergkette kriechen sah. Auf dem Weg zur Tür schnappte ich mir mein Handy und rief meine Frau Stacy an: „Du musst packen; ich bin unterwegs nach Hause.“ – „Aber es gab doch keinen Evakuierungsalarm“, protestierte sie. „Das Feuer kommt“, erklärte ich. „Es kommt näher, ich kann es sehen. Ich bin unterwegs.“ Wie jemand, der einer auflaufenden Flut zu entkommen sucht, raste ich buchstäblich mit dem Feuer um die Wette, das Bergkuppe um Bergkuppe eroberte. Der Hund und ein paar Habseligkeiten waren rasch ins Auto geladen – es stimmt, was man so sagt: Wenn „der Augenblick“ gekommen ist, gibt es nur noch wenig wirklich Wichtiges – allem anderen sagten wir Lebewohl.
Unsere Nachbarn waren die Letzten, die flohen; später erzählten sie uns, dass Häuser auf dem Hügel explodiert waren. Im Stau feststeckend, der durch die Evakuierung verursacht war und auf den die Asche wie ein makabrer Schneesturm herabwehte, benachrichtigten wir verzweifelt Freunde per SMS oder Anruf und baten um ihr Gebet. Mein Wagen hat keine Klimaanlage; also tauchte ich einen Schal von Stacy in Wasser und hielt ihn mir vor den Mund, um keinen Rauch einzuatmen. Währenddessen schmiedete ich Notfallpläne, sollte das Feuer uns einholen – denn die Windböen fegten jetzt heulend von den Bergen heran und trieben die Feuerwalze vor sich her wie eine Ausgeburt der Hölle.
Wir erreichten Freunde im Osten der Stadt, wo wir erst einmal unterkamen, und beobachteten angespannt, wie das Feuer sich entwickelte. Es sollte noch drei lange Tage dauern, an denen Flammen und Rauch aufstiegen und Aschewolken die Berge verhüllten, bis wir Nachricht bekamen – unser Haus war verschont worden.
Es wurde dies und das gemunkelt, aber was uns endgültig sprachlos machte, war schließlich der Bericht der Feuerwehr. Ein erfahrener Einsatzleiter und ein paar besonders Unerschrockene aus seinem Trupp waren in unserer Straße, als sie Zeuge eines Geschehens wurden, wie sie es noch nie erlebt hatten. Die dreißig Meter hohe Feuerfront hätte unseren knochentrockenen Berghang eigentlich wie Pulver in Brand setzen müssen und es wäre eine Frage von Sekunden gewesen, bis unser Anwesen nur noch Schutt und Asche gewesen wäre.
Aber das geschah nicht. Als die rasenden Flammen die Grenze unseres Grundstücks erreichten, war es, als seien sie plötzlich unschlüssig. Sie zögerten – und wichen schließlich zurück. Das geschah etliche Male. Die höllische Front gelangte einfach nicht auf unseren Grund und Boden. Sie stürmte heran, zog sich zurück, stürmte wieder, wich wieder zurück – obwohl der Wind sie von hinten antrieb und das Feuer soeben in wenigen Minuten etliche Kilometer Land verwüstet hatte.
Irgendwann fiel uns auf, dass das zur selben Zeit geschehen war, als ein Freund uns diese Nachricht geschickt hatte:
Ich habe einen Engel gesehen. Er schwebte über eurem Haus, breitete die mächtigen Flügel aus und trat so Wind und Flammen entgegen. Ich glaube, es wird euch nichts geschehen.
Als es schließlich gestattet war zurückzukehren, bot sich ein erstaunliches Bild: Das schwelende Buschfeuer war bis an die Veranda des Hauses herangekrochen. Aber die große Feuerwalze hatte die Grundstücksgrenzen nicht überwunden. Die Pappeln im Garten standen in ihrer ganzen sommerlichen Frische unversehrt da.
Ich weiß – diese Geschichte gibt Anlass zu schwierigen Fragen. Sie rührt an den empfindlichen Nerv unseres Bedürfnisses nach Schutz und Rettung und an unsere lange Liste unbeantworteter Gebete. Andere haben auch ernsthaft gebetet, als das Feuer heranstürmte – wieso wurden deren Häuser nicht verschont?
Ich will nicht so tun, als wüsste ich die Antwort auf diese Fragen. Gebete, die erhört wurden, Gebete, die nicht erhört wurden, oder ein Schweigen, auf das ich mir keinen Reim machen kann? Davon kann ich ebenso ein Lied singen wie Sie vermutlich auch. Dies ist kein Bericht über meine Erfahrungen mit dem Beten.
Aber eines weiß ich: Jeden Tag, wenn ich aus der Haustür trete, sehe ich vor mir auf dem Berghang die Silhouette der geschwärzten Baumruinen und davor, direkt an unserer Grundstücksgrenze, grüne, unversehrte, blühende Bäume. Der Hintergrund gleicht Mordor; der Vordergrund dem Garten Eden. Ein Bild wie ein unwiderlegbares Zeugnis für die Macht des Gebets.
Eine verstörende, aber hoffnungsvolle Wahrheit
Also, nennen wir das Problem doch gleich beim Namen. Manche Gebete wirken, manche Gebete wirken nicht. Warum überrascht uns das? Ärgert uns sogar? Manche Diäten funktionieren, die meisten funktionieren nicht; das überrascht kaum jemanden. Wir suchen einfach weiter nach der, die für uns funktioniert. Manche Investitionen zahlen sich aus, andere nicht; wir suchen nach der, die sich für uns auszahlt. Manche Schulen sind effektiv; andere überhaupt nicht; hoffentlich können Sie die finden, die für Ihr Kind die beste ist.
Es gibt eine Weise, wie Dinge funktionieren. Nennen Sie mir irgendetwas in dieser Welt, für das das nicht gilt.
Letzten Sommer habe ich mir beim Arbeiten den Arm verletzt. Ein paar Wochen lang habe ich das Problem ignoriert, bis ich mich schließlich doch gezwungen sah, meine Physiotherapeutin aufzusuchen. Das tat ich in der Annahme, dass ein paar Termine bei ihr das Problem aus der Welt schaffen würden; es war ja schließlich nichts Ernstes, nur eine Muskelzerrung, Überbelastung, kein Knochenbruch. Aber die Therapie dauerte Monate – und das ärgerte mich maßlos. Meinen Arm ärgerte ich ebenfalls – indem ich ihn benutzte, bevor er ganz geheilt war. Ich reizte den Muskel immer mehr, weil ich nicht bereit war, mein Leben den Tatsachen anzupassen – in diesem Fall der Tatsache, dass ein winziger Muskel in meinem linken Arm Schonung brauchte.
Sie kennen diese Verärgerung, von der ich spreche. Irgendetwas Pubertäres in der menschlichen Natur hat etwas dagegen, dass es sich den Realitäten der Welt um uns herum (und in uns) beugen soll. Wir wollen essen, wenn uns danach ist; und wenn unsere Gesundheit das nicht lange mitmacht, sind wir überrascht und bestürzt. Wir wollen, dass Fitness schnell erreichbar ist, dass Diäten rasche Erfolge bringen; alles soll bitteschön fein ordentlich in unseren Terminplan passen. Wir wollen, dass unsere Freunde freundlich zu uns sind, ohne dass wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, wie unser Charakter und Verhalten auf unsere Freunde wirken. Wir wollen, dass die Kinder „wohlgeraten“, ohne dass wir die Opfer bringen, die Eltern nun einmal bringen müssen, um ihren Kindern gerecht zu werden.
Und mit dem Gebet ist es nicht anders. Wir hätten es gern leicht, easy, ungefähr nach dieser Formel:
Gott liebt uns und er ist mächtig.
Wir brauchen seine Hilfe.
Wir bitten darum, so gut wir können.
Der Rest ist seine Sache.
Er ist schließlich Gott. Ihm ist alles möglich.
Das Problem ist nur: Manchmal erhört Gott unser Gebet, manchmal tut er es nicht – und wir haben nicht die geringste Ahnung, warum oder nach welchem Muster er mal so und mal so handelt. Wir verlieren den Mut und geben das Beten ganz auf. (Und wir sind gekränkt und glauben auch, wir hätten ein Recht dazu.) Wir missachten genau den Schatz, den Gott uns gegeben hat, damit wir gerade nicht den Mut verlieren, damit wir „Berge“ auf unserem Weg versetzen und die Welt in eine Richtung verändern können, wie wir sie uns so dringend ersehnen.
Die unbequeme Wahrheit lautet: Das ist eine sehr naive Auffassung vom Beten, ungefähr so naiv wie der Glaube, dass es nur Liebe braucht, damit eine Ehe gelingt, oder die Auffassung, Außenpolitik solle auf dem Vertrauen in unsere Mitmenschen gründen.
Diese vereinfachte Sicht des Gebets hat schon viele Seelen zerstört, weil sie entscheidende Fakten außer Acht lässt. Es gibt eine Weise, wie Dinge funktionieren.
Gott ist mächtig, ich bitte ihn um Hilfe und dann ist er am Zug – dieses Muster erinnert mich an eine Szene aus dem Film Patch Adams. Patch ist ein junger Medizinstudent mit einem Herzen aus Gold. Er möchte Menschen am Rand der Gesellschaft medizinische Versorgung bieten. Er sammelt eine Gruppe gleichgesinnter Idealisten um sich und sie beginnen, ihren Traum umzusetzen.
Dann schlägt das Schicksal zu. Patchs Freundin wird ermordet – und zwar von einem schizophrenen Mann, einem der Leute, denen Patch und seine Freunde helfen wollen. Die folgende Szene nimmt uns mit auf einen Felsen; Patch steht am Rand des Kliffs. Die Stimmung ist unheilschwanger; man erwartet, dass er sich jeden Moment hinunterstürzt. Patch streitet mit Gott. Ich mag diese Szene sehr – er kommt aus der Deckung, er kämpft mit dem richtigen Gegner. Bis deutlich wird, dass er die Welt völlig falsch versteht:
Patch blickt zum Himmel auf.
„Also bitte, gib mir eine Antwort – sag mir, was du im Schilde führst.“
Schweigen.
„Okay, betrachten wir’s mal logisch: Du erschaffst den Menschen. Der Mensch erleidet enorm viel Schmerz. Der Mensch stirbt. – Vielleicht hättest du ein wenig länger brainstormen sollen, bevor du diese Welt erschaffen hast.“
Pause.
„Am siebten Tag hast du dich ausgeruht. Vielleicht hättest du den Tag besser verwendet, um uns zu bemitleiden.“1
Patchs Weltsicht ist lückenhaft – gefährlich lückenhaft. Sie lässt ein paar schrecklich entscheidende Fakten der Geschichte außer Acht:
„Du erschaffst den Menschen. Der Mensch beschließt, gegen dich zu rebellieren. Wir liefern unser Leben, diese Welt und die Geschichte der Menschheit dem Bösen aus. Unser ganzes Elend beruht auf dieser Tatsache. Aber du greifst ein – du sendest deinen Sohn, um uns zu retten. Seitdem befinden wir uns in einem weltgeschichtlichen Kampf um diese Menschheit und um diesen Planeten.“
Sehen Sie, welchen Unterschied die wenigen „Auslassungen“ machen? Ohne diese Elemente der Geschichte können wir Dinge wie Waldbrände oder Mordfälle nicht verstehen. Ebenso wenig wie die Frage, warum manche Gebete wirken und manche nicht.
Es gibt Antworten
Das Gebet stellt uns vor ein furchtbares Dilemma. Wir wollen beten, das liegt in unserer Natur. Wir wollen verzweifelt gern glauben, dass Gott sich für unsere Sache einsetzt. Aber dann … sieht es nicht danach aus, als ob er das täte. Und was machen wir dann?
Ich glaube, gerade in diesem Dilemma steckt Gott. Ich glaube, er will, dass wir dranbleiben, dass wir damit ringen, so lange, bis wir wirkliche, tragfähige Antworten gefunden haben.
Die Wirklichkeit, in der wir uns vorfinden, ist weitaus komplexer, als man die meisten Menschen glauben gemacht hat – besonders Menschen, die an Gott glauben. Wie Patch haben wir ein gefährlich lückenhaftes Verständnis von unserer Situation, zum Beispiel:
Gott ist allmächtig.
Er hat nicht eingegriffen.
Also war es wohl nicht sein Wille, etwas zu tun.
Ja – Gott ist souverän. Und in dieser Souveränität hat er eine Welt erschaffen, in der die Entscheidungen von Menschen und die Entscheidungen von Engeln zählen. Und zwar gewaltig.
Er hat uns die „Würde der Ursächlichkeit“ verliehen, wie Blaise Pascal es formuliert hat. Unsere Entscheidungen haben enorme Konsequenzen. Darauf werden wir noch ausführlich zurückkommen. Auf jeden Fall lässt sich das Gebet nicht auf die schlichte Formel bringen: „Ich habe gebetet; Gott hat sich nicht gerührt. Er hat es wohl nicht gewollt.“
Wir sind in die spannendste Geschichte eingestiegen, die sich überhaupt nur denken lässt. Eine Geschichte voller Gefahr, Abenteuer und Wunder. Es gibt nichts Hoffnungsvolleres als den Gedanken, dass die Dinge auch anders sein können, dass wir in der Tat Berge versetzen können und dass wir eine Rolle darin spielen, dass dies geschieht.
Vielleicht finden wir erste Antworten oder wenigstens eine neue Perspektive auf die Dinge in einer Geschichte aus dem Alten Testament. Während der Herrschaft von König Ahab (circa 860 v. Chr.) litt der Nahe Osten unter einer Dürre, die dreieinhalb Jahre anhielt. Die Ernte verdorrte; im Land herrschte Hunger; das Vieh musste geschlachtet werden, weil es nicht genug Futter fand. Eine Szene wie aus den jüngsten Hungergebieten Afrikas. Aber ein Ende war in Sicht; Gott hatte dem Propheten Elia gesagt, dass die Zeit der Dürre zu Ende sei. „Nach mehr als zwei Jahren sagte der Herr zu Elia: ‚Geh jetzt, und zeig dich Ahab! Ich will es wieder regnen lassen‘“ (1. Könige 18,1; Hfa).
Endlich hatte sich der Himmel erbarmt; es würde regnen; eine wahre Sturzflut nahte bereits heran, beinahe eine biblische Sintflut – Regen von der Art, dass Ochsenkarren bis zu den Radachsen im Schlamm versinken und die Kinder eine Woche schulfrei kriegen. Aber bevor das geschehen konnte – und das ist der erste faszinierende Zug an der Geschichte –, bevor es so weit war, musste Elia beten. Warum das denn? Konnte Gott es nicht einfach regnen lassen? Schwer zu sagen. Bleiben wir also bei der Geschichte …
Während Ahab aß und trank, stieg Elia zum Gipfel des Karmel hinauf. Dort oben kniete er nieder, verbarg das Gesicht zwischen den Knien und betete. Nach einer Weile befahl er seinem Diener: „Steig auf den höchsten Punkt des Berges, und blick über das Meer! Dann sag mir, ob du etwas Besonderes siehst.“ Der Diener ging, hielt Ausschau und meldete: „Kein Regen in Sicht!“ Doch Elia schickte ihn immer wieder: „Geh, sieh noch einmal nach!“
Endlich, beim siebten Mal, rief der Diener: „Jetzt sehe ich eine kleine Wolke am Horizont, aber sie ist nicht größer als eine Hand.“ Da befahl Elia: „Lauf schnell zu Ahab, und sag ihm: ,Lass sofort anspannen, und fahr nach Hause, sonst wirst du vom Regen überrascht!‘“ Da kam auch schon ein starker Wind auf, und schwarze Wolken verfinsterten den Himmel. Es dauerte nicht mehr lange, und ein heftiger Regen prasselte nieder. Ahab bestieg hastig seinen Wagen und fuhr in Richtung Jesreel (1. Könige 18,42-45; Hfa).
Ich liebe diese Geschichte; sie ist so bodenständig und unglaublich hilfreich, wenn es darum geht zu verstehen, was Beten ist und wie es funktioniert. Gott will handeln, das steht fest; aber er besteht darauf, es nicht ohne Elias Gebet zu tun. Das erinnert mich an ein Wort von Augustinus: „Ohne Gott können wir nicht. Ohne uns will Gott nicht.“
Wir befinden uns in einem Universum, das so gestaltet ist, dass das Gebet darin eine wesentliche Rolle spielt, manchmal die entscheidende Rolle. Unsere Entscheidungen zählen.
Weiter: Elia sondert nicht nur ein paar kleine Stoßgebete ab; keine „Schnittblumen-Gebete“, wie Eugene Peterson sie nennt. Kein schnelles „Jesus, bitte geh mit uns in diesen Tag“. Elia ist entschlossen, Ergebnisse zu sehen. Er kniet nieder und betet und dann schickt er seinen Diener, damit der feststellt, ob sein Gebet funktioniert – hat es irgendwelche Auswirkungen?
Ich liebe diese Haltung des alten Propheten, seine Bereitschaft, alles daranzusetzen, zu sehen, was geschieht, und dann anhand der Ergebnisse den nächsten Schritt zu tun. Der Diener kommt zurück und berichtet, der Himmel sei klar und blau, so wie seit Jahren, so verschlossen wie der Schoß der alten Sarai. Das ist der Punkt, an dem die meisten von uns aufgeben. Aber der alte Prophet bleibt bei der Stange. Noch eine Gebetsrunde, noch einmal muss der Diener Ausschau halten. Nichts.
Elia zieht den Mantel aus, stemmt sich in die Riemen und betet weiter. So schnell lässt er sich vom Augenschein nicht entmutigen.
Noch sechs Mal wiederholt er sein Gebet. Wir würden inzwischen längst bei Starbucks hocken und etwas von der „dunklen Nacht der Seele“ vor uns hin jammern und fragen, was wir nur mit dem „Schweigen Gottes“ anfangen sollen. Ganz anders unser alter Israelit – der ist noch immer auf seinem Berg und hält durch. Nach acht Gebetsrunden – und Runden scheint mir tatsächlich ein angemessener Ausdruck; man denkt an Runden im Boxring, an Schweiß, verbissenen Siegeswillen und ganzen Einsatz –, nach acht Runden also sagt der Diener: „Tatsächlich, da ist eine kleine Wolke am Horizont, kaum eine Hand groß.“ Mehr braucht es nicht und der Sturm ist im Anmarsch.
Vergleichen wir dies mit einer Geschichte, die Anne Lamott in ihrer Autobiografie Traveling Mercies erzählt. Sie schildert ihre verständliche überwältigende Sorge angesichts einer möglichen Diagnose von schwarzem Hautkrebs (verständlich, da ihr Vater daran verstorben war) und die sechs Wochen, die sie auf einen Biopsietermin warten musste. Nach einem Besuch beim Hautarzt kommt sie nach Hause: „Auf einem Zettel schrieb ich Gott eine kleine Nachricht. Sie lautete: ,Ich bin ein bisschen besorgt. Hilf mir, nicht zu vergessen, dass du auch jetzt bei mir bist. Ich werde jetzt meine klebrigen Finger vom Steuerknüppel nehmen, bis ich wieder von dir höre.‘ Dann hab ich den Zettel zusammengefaltet und in die Nachttischschublade gesteckt, als sei es Gottes Briefkasten.“2
Um das vorwegzusagen: Ich mag Anne Lamott sehr; ihr Buch erzählt eine berührende Geschichte, die so viel Wahres über uns und unsere Menschlichkeit enthält. Aber wenn sie zum Thema Gebet kommt, finde ich nicht mehr viel Hilfreiches. Was glauben Sie, wessen Gebet wird wohl eher Ergebnisse sehen können – Elias oder Anne Lamotts? Wenn Sie einen von beiden bitten könnten, für einen nahestehenden Menschen zu beten – wen würden Sie wählen?
Seien wir ehrlich – manche Gebete wirken, manche wirken nicht. Es mag uns peinlich sein, das zuzugeben, aber wir wissen, dass es so ist. Wenn wir uns überhaupt für das Gebet interessieren, dann natürlich für ein Gebet, das wirkt. Und ein solches Gebet ist Gegenstand dieses Buches. Das bringt uns zurück zu Elia, dem Propheten aus Tischbe in Gilead.
Es gibt eine oft übersehene Aussage im Neuen Testament, die unser Bild von Gebet auf unerwartete Weise bereichern kann. Wir finden sie im Jakobusbrief und sie bringt uns zurück zu dem alten Propheten bei seinem Gebetskampf auf dem Berg Karmel: „Das Gebet eines Menschen, der sich nach Gottes Willen richtet, ist wirkungsvoll und bringt viel zustande. Elia war ein Mensch wie wir, und als er Gott im Gebet anflehte, es möge nicht regnen, fiel drei Jahre und sechs Monate lang im ganzen Land kein Regen. Danach betete er erneut, und diesmal ließ der Himmel es regnen, und das Land brachte wieder seine Früchte hervor“ (Jakobus 5,16-18).
Jakobus gibt seinen Lesern Nachhilfe in Sachen Gebet. (Immerhin hatte er ein paar beeindruckende Demonstrationen für die Macht des Gebets selbst miterlebt – er war schließlich mit dem Mann aufgewachsen, der aus dem Lunchpaket eines Knaben ein großzügig kalkuliertes Buffet für fünftausend Männer samt Anhang machte.)
Jakobus erinnert an die Geschichte der Dürre, die ich oben geschildert habe, und kommt dann zu einer atemberaubenden Schlussfolgerung: Du bist nicht anders als Elia. Nur sagt er es andersherum: „Elia war ein Mensch wie wir.“ Jakobus will eine Haltung entkräften, die es häufig unter den Frommen gibt und die den Wert biblischer Erzählungen vergiftet: Ja, sicher, das galt für Den-und-den (in diesem Fall Elia), aber der war ja auch kein Normalsterblicher. Nö. Gilt nicht. Trifft einfach nicht zu. Deutlicher kann man es ja wohl kaum sagen: „Elia war ein Mensch wie wir“ – wie Sie und ich.
In anderen Worten: Was Elia möglich war, ist uns auch möglich.
Ich will Sie gar nicht überzeugen, dass Sie beten sollten. Wenn die Probleme der Menschen, die Sie lieben, das Leid der Welt oder Ihre eigenen Träume, Wünsche oder Anfechtungen nicht Grund genug sind, dann habe ich nichts zu sagen, das mehr Überzeugungskraft haben könnte.
Was ich aber tun kann: Ich kann Ihnen helfen, tiefer zu verstehen, was Beten bedeutet, und ich kann Ihnen genug Anwendungsbeispiele vor Augen malen, dass Sie ein Gefühl dafür bekommen, wie die Dinge funktionieren. Es gibt nämlich eine Weise, wie die Dinge funktionieren. Aber bevor wir uns dieser Frage zuwenden, sollten wir uns ein paar gefährliche Missverständnisse über Gott und das Gebet von der Seele schaffen.