Читать книгу Shannon und der Falke von Chihuahua: Shannon 20 - John F. Beck - Страница 7
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ОглавлениеÜber einer Bodenwelle im Westen tauchte ein klappriger, von einem mageren Maultier gezogener Karren auf. Auf dem Bock saß ein ärmlich gekleideter Mexikaner, dem das schlohweiße Haar unter dem breitkrempigen Strohsombrero hervor bis auf die Schultern fiel. Einer der Soldaten machte den Capitan auf das schwerfällig näher rumpelnde Fahrzeug aufmerksam. Shannon nutzte die Gelegenheit, den Spaten sinken zu lassen und sich keuchend mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn zu wischen. Sofort flog der Kopf des ,Rebellenjägers' zu ihm herum.
„Weiter, du Hund! Schneller, schneller, wenn du nicht willst, dass wir dich halb verscharrt hier liegen lassen!“
Der Karren hielt genau auf die einsame Gruppe mit dem zum Tode Verurteilten zu. Hitzewellen umflossen ihn. Manchmal sah es so aus, als würde er sich nicht vom Fleck bewegen. Auf den Befehl des Capitan feuerte einer der Soldados einen Schuss in die Luft. Aber das schien den weißhaarigen Alten ebenso wenig zu stören wie die zwei, drei anderen Karabiner, die sich drohend auf ihn richteten. Er lenkte das Maultier um ein paar Dornbüsche herum auf die Uniformierten zu. Seine Schultern waren gebeugt.
Shannon stand inzwischen bis zu den Knien in der Grube, die er ausgehoben hatte. Das Hemd klebte ihm auf dem Rücken. Die Sonne stach wie mit Feuerpfeilen herab. Shannons Muskeln waren wie Teile einer gleichmäßig funktionierenden Maschine. Er warf einen Spaten voll Erde nach dem anderen heraus. Stahl knirschte auf Lehm. Nichts verriet Shannons Bereitschaft zum blitzschnellen Handeln. Er beobachtete, wie der Karren in einer Entfernung von fünfzehn Yard hielt. Der Weißhaarige starrte eine Weile neugierig auf die Männer, dann begann er umständlich vom Bock zu klettern. Der junge Soldat mit dem Schirm machte ein besorgtes Gesicht. Da stampfte Ortega auch schon wütend mit dem Fuß auf.
„Was willst du hier, du jämmerliche Vogelscheuche? Verschwinde! Pronto, pronto!“
Der Alte zog den Kopf ein, legte verständnisvoll eine Hand hinter das rechte Ohr und grinste unsicher. Dann schob er eine Bastmatte auf dem Karren zur Seite, nahm ächzend und schnaufend einen Korb mit Früchten heraus und schlurfte barfuß auf die Soldados zu.
Drei Pesos, Señores nur drei Pesos, por favor!“
Ortega legte grimmig eine Hand an die Revolvertasche, die er hoch an der linken Hüfte am Koppel trug. Der Kolben der Waffe ragte nach vorn.
„Verschwinde, Dummkopf!“
Der Weißhaarige blieb ratlos stehen, zog die Schulter noch höher.
„Zwei Pesos, Señor Captän?“
Der Señor Capitan zog mit verkniffener Miene die Waffe. Hastig stellte der Alte den Korb ab und zog sich ängstlich zum Karren zurück. Ein paar Soldaten lachten. Es verging ihnen, als Shannon
mit einem Panthersatz aus der Grube schnellte.
Er schlug einen im Weg stehenden Mexikaner mit dem flachen Spatenblatt nieder. Dann war er bei Ortega, umschlang ihn von hinten, entriss ihm den Armeerevolver und presste den Hageren fest an sich. Alles ging so schnell, dass keiner der Soldaten zum Schuss kam.
Shannon grinste drohend.
„Okay, Capitan! Du weißt hoffentlich, was geschieht, wenn einer deiner Soldados auf mich zu schießen versucht!“
Er hielt den Revolver an Ortegas Schläfe.
„Du bist verrückt, Shannon, wenn du glaubst, dass du hier lebend wegkommst!“, keuchte der Offizier.
„Lieber verrückt als tot“, grinste Shannon. Wetten, dass ich’s schaffe? Sag ihnen, sie sollen dein Pferd herbringen. Wahrscheinlich ist es das beste in der Remuda. Also, gib schon den Befehl!“
„Wir werden dich wie einen Hasen jagen, Shannon! Du hast keine Chance, in die Sierra zu entkommen!“
„Ich will nicht in die Sierra, verdammt noch mal! Ich gehöre nicht zu Santillos Rebellen.“
„Du lügst!“
„Fang nicht wieder davon an!“, knurrte Shannon. „Streite nicht mit einem Hombre. der den Finger am Drücker hält! Gib endlich den Befehl, dass ich das Pferd bekomme, ehe ich wütend werde.“
„Ich mach das schon“, erklärte der weißhaarige Alte mit plötzlich veränderter harter Stimme.
„Schieß ihn nieder, Companero. Du hast nicht mehr viel Zeit dazu. Die Sprengladung in dem Korb wird gleich in die Luft gehen.“
Einen Moment war Shannon ebenso sprachlos wie die Soldados. Der angebliche Alte straffte sich. Er wirkte plötzlich kraftvoll und geschmeidig. Lachend schleuderte er den Strohsombrero weg, an dessen Innenrand das falsche weiße Haar befestigt war. Sonnenlicht fiel auf ein kantiges braunes Gesicht mit verwegen funkelnden Augen. Rabenschwarzes Haar glänzte.
„Santillo, der Falke von Chihuahua!“, keuchte Ortegas junge Ordonanz erschrocken und ließ den Schirm fallen.
Alle starrten auf den Korb. Zwischen den Trauben und rotbäckigen Äpfeln zischte und knisterte es. Ein dünner Rauchfaden stieg empor. Der berüchtigte Rebellenführer aus der Sierra zog einen schweren 45er Colt unter dem verwaschenen, mehrfach geflickten Poncho hervor. Seine Augen blitzten.
„Schnell, Gringo! Zu den Pferden!“
Entsetzt stoben die Soldados auseinander. Shannon wirbelte Ortega herum, versetzte ihm einen Stoß, der ihn in die frischgeschaufelte Grube warf, und hechtete hinterher. Im nächsten Augenblick krachte es wie ein Kanonenschuss. Staub und Rauch hüllten den Platz ein.
Shannon beendete die Unterhaltung mit dem Capitan mit einem Revolverhieb.
Schreie gellten. Pferde wieherten. Hufe stampften.
Er schnellte aus der Grube. Mündungsfeuer zuckten durch die graugelben Schwaden. Ein Reiter preschte auf ihn zu. Shannon riss den Revolver hoch, da erkannte er Santillo. Der Rebellenhäuptling warf ihm die Zügel eines zweiten reiterlosen Pferdes zu, ohne selbst das Tempo zu drosseln. Wie ein Schatten fegte er an Shannon vorbei.
Der Satteltramp landete mit einem Panthersatz auf dem Pferderücken. Sand und Steine spritzten unter den hämmernden Hufen auf. Santillos wildes Triumphgelächter versank im Dröhnen mehrerer Gewehre. Kugeln pfiffen an Shannon vorbei. Er drehte sich halb und schoss aufs Geratewohl, nur um Zeit zu gewinnen und die Soldaten in Deckung zu zwingen.
Der Lärm blieb zurück. Nur noch das Trommeln der Hufe und das Knarren des Sattelleders begleiteten ihn.
Eine Meile weiter wartete Ramon Santillo hinter einer Gruppe von Felsen. Er trug noch immer die Kleidung eines Peons, aber seine Haltung verriet Selbstbewusstsein und wilde Freude. Der grüne Seidenschirm hing als Trophäe an seinem Sattel.
„Weißt du jetzt, warum sie mich den ,Falken von Chihuahua' nennen, Gringo? Er lachte leise. Sie sind niemals sicher vor mir. Ich stoße wie ein Raubvogel zwischen sie, wenn sie es am wenigsten erwarten. Aber komm! Sie werden wie die Teufel hinter uns her sein. Delgado, dieser Menschenschinder und Schuft von einem Gouverneur, hat zwanzigtausend Pesos auf meinen Kopf ausgesetzt. Ich hoffe, Gringo, du hast nicht die Absicht, sie dir zu verdienen.“
Er lachte wieder, aber Shannon verzog keine Miene.
„Ich verkaufe keinen Mann, dem ich das Leben verdanke.“
„Übertreib nicht, Gringo. Ich glaube, du hättest dir recht gut allein zu helfen gewusst. Aber Ortega, dieser Bastard, hatte schon lange eine Lektion verdient! Er ist der gefährlichste unter Delgados Offizieren, ein Bursche, der wie ein Besessener hinter mir her ist. Nicht nur des Geldes wegen. Er sieht sich schon als Stellvertreter des Gouverneurs in Ciudad Chihuahua einziehen. Tut mir leid. Gringo, dass dir meine Leute diese salzige Suppe eingebrockt haben.
„Mir auch.“
Santillo grinste. Seine Zahnreihen blitzten. Du bist ein harter Bursche. Gringo. Was hältst du davon, in meiner Armee zu reiten, gegen Delgado, den Tyrannen! Für die Freiheit der Provinz Chihuahua!
„Bügel an Bügel mit Kerlen wie Gutierez?“
Santillo zuckte die Achseln. „Felipe ist ein guter Kämpfer, nur das zählt. Du würdest ja nicht für ihn, sondern für mich reiten. Also?“
„Mein Bedarf an Verdruss ist reichlich gedeckt. Nicht nötig, dass ich ihm auch noch nachlaufe.”
„Schade“, meinte der Rebell. Du hättest gut zu uns gepasst, Gringo, wirklich.“
„Nenn mich nicht dauernd Gringo. Ich hab einen Namen. Ich heiße Shannon, Jim Shannon.“
„Macht nichts!“, lachte Santillo. „Gringo gefällt mir besser. Komm endlich! Da hinten sind sie schon.“ Mit einem kehligen Schrei trieb er sein Pferd weiter.
Ein Blick über die Schulter zeigte Shannon, dass Ortegas Soldaten keine Zeit verloren hatten. Eine Staubwolke rollte auf ihrer Fährte heran. Shannon blieb keine Wahl, als hinter Santillo in die Ausläufer der Sierra hineinzujagen. Er hatte kein gutes Gefühl dabei. Etwa so wie am Pokertisch, wenn er mit dem Instinkt des erfahrenen Spielers witterte, dass er trotz eines guten Blattes im Begriff war, in eine Pechsträhne hineinzuschlittern und trotzdem nicht mehr aussteigen konnte.
Shannon konnte stolz auf sein Ahnungsvermögen sein. Doch eine Stunde später war das ein ziemlich armseliger Trost für ihn.
Santillo war ein Stück zurückgeblieben. Sein Ruf stoppte Shannon. Er wendete zwischen den steilen, in der Sonne glühenden Felsmauern und ritt zu dem Rebellenhäuptling zurück. Santillo war abgestiegen, stand lässig neben dem Pferd und trank aus der lederüberzogenen Sattelflasche. Er benahm sich ganz so, als gäbe es weit und breit keine Gefahr mehr. Dabei wusste Shannon genau, dass die Soldados nicht mehr als zwei Meilen hinter ihnen waren.
Santillo grinste.
„Hast du's dir inzwischen nicht doch anders überlegt, Gringo?“
„Nein.“
„Dachte ich mir“, nickte Santillo. zog seinen 45er Colt und richtete ihn auf Shannon. Du bist einer von den wenigen Hombres, die jederzeit zu ihrem Wort stehen. Ich hab ’nen Bück dafür.“
„Willst du mir deswegen 'ne Kugel geben?“
Der Falke von Chihuahua lachte.
„Nur, wenn du dich weigerst, mir dein Pferd zu überlassen, das ja ohnehin Ortega gehört. Tut mir leid. Gringo. Mein Gaul lahmt nämlich. Auf dem schaffe ich keine halbe Meile mehr.“
Der Colthammer klickte. Shannon erkannte die eiserne Entschlossenheit hinter Santillos Grinsen. Es war ein ausgesprochener Pechtag! Wenn schon Verdruss, dann aber gleich richtig! Aber das war kein Grund zum Jammern, auch wenn Shannon wusste, dass die Chancen eines Mannes zu Fuß in dieser Wildnis höchstens eins zu hundert standen. Irgendwie schaffte er ebenfalls ein Grinsen.
„Was hättest du getan, wenn ich mich entschlossen hätte, doch bei euch mitzumachen?“
„Dich trotzdem zurückgelassen!“, gab Santillo unumwunden zu. „Aber so fällt es mir leichter. Du musst das verstehen, Gringo. Ich hab nichts gegen dich, im Gegenteil. Aber die Revolution braucht mich! Meine Leute sind ohne mich ein wilder, zügelloser Haufen, der keine Chance hat, Delgado von seinem selbsterrichteten Thron zu stürzen. Glaub mir, Gringo, ich spaße nicht: Es gibt nur einen Mann, der diesen Schurken und Ausbeuter stürzen kann, und der bin ich.“
Er prahlte nicht, er war felsenfest von dieser Behauptung überzeugt. Sein Handeln war typisch für den Mann, den Leute wie Delgado und Ortega in den tiefsten Höllenschlund verdammten, während die Peones, die Dörfler, die Armen und Unterdrückten ihn als Befreier bejubelten. Zu Recht? Eins war sicher: Santillo mochte viele Fehler haben, aber er war keiner von den vielen Bandenhäuptlingen, die vorgaben, für die Freiheit zu kämpfen und in Wahrheit nur an Beute dachten.
Nachdenklich runzelte Shannon die Stirn.
„Und danach? Auch wenn du es schaffst, die Regierung wird einen anderen Mann schicken, der Delgados Platz einnimmt ...“
„Vielleicht einen besseren. Wenn nicht, dann werden meine Amigos und ich eben weiterkämpfen. Aber ich habe jetzt keine Zeit, mit dir darüber zu streiten, Gringo. Steig ab! Ich brauch dein Pferd. Du kannst dir vielleicht gegen die Soldados eine Chance ausrechnen, nicht gegen mich. Ich warne dich. Ich werde sofort schießen.“