Читать книгу Shannon und der Falke von Chihuahua: Shannon 20 - John F. Beck - Страница 8
3
ОглавлениеShannon beobachtete von einer schmalen Felsleiste aus, wie kurz darauf die Soldados das zurückgelassene lahmende Pferd fanden. Er lag wie hingeklebt dort oben. Ortega, der wieder mit von der Partie war, gab ahnungslos genau unter ihm mit einer Handbewegung das Signal zum Halten. Er thronte wie ein siegreicher Feldherr im Sattel, dabei krampfhaft bemüht, sich nichts von der Nachwirkung des Hiebes anmerken zu lassen, den Shannon ihm verpasst hatte. Sein junger uniformierter Diener war sofort zur Stelle, um mit einem Rosshaarwedel eifrig den Staub von Ortegas Jacke zu putzen. Bei anderer Gelegenheit hätte Shannon vielleicht über diese Szene gegrinst, nicht jetzt. Wenn einer von den Soldados ihn hier oben entdeckte. dann nützte ihm auch der Revolver nichts mehr, den der ,Falke von Chihuahua' ihm großzügigerweise gelassen hatte.
Shannon war nicht scharf darauf, den Heldentod auf der heißen Erde von Mexiko zu sterben. Er spürte seinen Herzschlag bis in die Kehle. Schweißbäche sickerten über sein schmales, sonnengebräuntes Gesicht. Die Schussnarbe an seiner rechten Schläfe juckte verdammt unangenehm. Das Durcheinander der rauen Stimmen drang deutlich zu ihm herauf. Es war nicht sein erster Abstecher über die Grenze. Er beherrschte die Sprache dieses Landes wie seine eigene.
„Sieh dir die Spuren an. Valdez!“, befall Ortega einem sichelbärtigen, lederhäutigen Soldado, dessen dunkle Hautfarbe mindestens Dreiviertel Indianerblut verriet. Valdez bewies gleich darauf, dass er ein Mann vom Fach war. Vielleicht konnte er sich auch deshalb die ziemlich lässige Ehrenbezeigung und das piratenhafte Grinsen gegenüber dem Capitan leisten.
„Nur ein Mann ist auf dem Pferd geflohen, Señor Capitan, sonst müssten die Hufabdrücke tiefer sein. Ich wette, es ist Santillo. Denn da drüben sind Stiefelspuren, die sich auf dem Felsboden verlieren. Sie stammen von dem Gringo, der sich Shannon nennt.“
Ortega lachte. Es hörte sich an wie das Brechen von Glas.
„Dann haben wir ihn bereits! Ein Mann zu Fuß in der Sierra! Das ist ungefähr so, als würde ein Käfer hilflos in einem Steinbecken herumkrabbeln. Dabei hat er nicht mal die Wasserflasche mitgenommen!“
„Aber die Landkarte in der Satteltasche fehlt, Señor Capitan!“, meldete ein anderer Soldat hastig.
„Um so besser!“, triumphierte Ortega.
„Dann weiß er, dass es die einzige Wasserstelle weit und breit sechs Meilen nördlich von hier gibt. Dann brauchen nur ein paar Mann hinzureiten und dort auf ihn zu warten. Lopez, Alvaro, Carranza! Ihr übernehmt das! Bringt mir den Gringohund lebend, wenn es geht, aber zögert nicht, ihn voll Blei zu pumpen, wenn er sich widersetzt.“
„Zu Befehl, Señor Capitan! Drei Hände zuckten militärisch hoch. Drei schwarze Augenpaare blitzten entschlossen. Es waren gefährlich aussehende Burschen, die ihre struppigen Kavalleriepferde aus der Gruppe lösten und nach Norden davonsprengten. Ortega winkte herrisch.
„Ihr anderen, mir nach! Wir werden diesmal nicht ruhen, bis wir den verfluchten Rebellenschuft zur Strecke gebracht haben!“
„Und das Pferd, Señor Capitan?“
„Erschießt es! Es lahmt ja. Wir haben noch zwei Reservetiere, und wir werden auch Santillos Pferd bekommen. Er ahnt nicht, dass noch andere Militärpatrouillen die Berge zwischen hier und dem Rebellenschlupfwinkel durchkämmen. Sie werden ihn uns direkt in die Arme treiben. Ich sehe ihn schon vor den Gewehren meines Erschießungskommandos auf dem Hof des Gouverneurspalastes.“
Shannon juckte es in den Fingern, dem uniformierten Menschenjäger einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen. Seine Faust schloss sich fester um den Knauf des Armeerevolvers, den er dem Capitan abgenommen hatte. Aber Shannon war kein Mann, der aus dem Hinterhalt auf einen Gegner feuerte.
Und im Grunde wollte er nur eines: mit heiler Haut aus der Sache herauskommen und über die Grenze verschwinden.
Ein Schuss krachte, ein letztes klägliches Wiehern, dann jagten Ortega und seine Soldados zwischen den Felsen davon. Shannon wartete zehn Minuten, bis er sicher war, dass keiner zurückkam, dann kletterte er hinab. Es war heiß und still. Shannon nahm die Wasserflasche vom Sattel des toten Pferdes. Dann kramte er die Armeekarte hervor und suchte auf ihr die Wasserstelle, zu der Ortega drei seiner Leute geschickt hatte. Sechs Meilen Luftlinie. Das bedeutete in diesem Gewirr von Felsmassiven, Schluchten. Arroyos mindestens die doppelte, wenn nicht dreifache Entfernung für einen Mann, der zu Fuß dorthin wollte.
Shannon zögerte nicht lange. Er marschierte entschlossen los, so verrückt das auch sein mochte. Aber Revolver und Wasserflasche nützten ihm nicht viel, solange er kein Pferd hatte, das ihn aus dieser Todeszone heraustrug. Es gab nur eine Lösung: er musste es sich von Ortegas Soldaten holen. Also biss Shannon die Zähne zusammen, als ihm nach ein paar Stunden die Knie weich wurden und die mörderische Sonne jede Feuchtigkeit aus seinem Körper herauszubrennen schien. Kein Mann des Sattels wäre von so einem Marsch begeistert gewesen. Zum Glück trug Shannon nicht die üblichen hochhackigen Cowboyboots, sondern Weichlederstiefel mit flachen Absätzen, in denen er verhältnismäßig gut vorankam.
Die Hitze war wie ein Bleipanzer, der ihm die Brust zusammendrückte. Felsen. Felsen. Felsen! Dazwischen Sandstreifen, Dornbüsche, Kakteen. In dieser gottverlassenen Gegend war nichts von dem Mexiko zu spüren, das Shannon mochte: Das Mexiko der grünen Täler, weißen Häuser, der Palmen und Olivenhaine, aus deren Dämmerschatten weiche Marimbaklänge drangen. Shannon zog eine saure Grimasse, als er an den im Steinbecken herumkrabbelnden Käfer dachte, den Ortega erwähnt hatte. Ein nur zu passender Vergleich! Denn nach ein, zwei weiteren Stunden deutete noch immer nichts darauf hin, dass dieser verlorene Punkt namens Shannon jemals wieder aus diesem gigantischen Steinhaufen herauskommen würde. Aber wenn Shannon sich einmal an einem Ziel festgebissen hatte, dann konnte ihn höchstens noch eine gut gezielte Revolverkugel stoppen.
Er gab nicht auf!
Er wusste nicht, wie viele Meilen und Stunden hinter ihm lagen, als er von einer felsigen Höhe aus die blinkende Oberfläche des Tümpels in einer schüssellförmigen Senke sah. Rasch duckte er sich in den Schatten. Die Sonne stand schon weit im Westen. Abgrundtiefe Stille ringsum. Kein Lebewesen weit und breit.
Aber Shannon zweifelte nicht daran, dass sie da waren, auf ihn warteten. Auf einen ihrer Meinung nach ahnungslosen Mann, der sich mit letzter Kraft zum Rand der Wasserstelle schleppen würde, ein wehrloses, todgeweihtes Wild vor ihren schussbereiten Gewehren.
Shannon lächelte grimmig. Er trank den brackigen Rest aus der lederüberzogenen Feldflasche und ließ sie zwischen den Felsen liegen. Sollten die Kerle ruhig glauben, dass er auf dem ganzen langen Weg keinen Tropfen Flüssigkeit über die Lippen gebracht hatte! Er kroch vorsichtig den Hang hinab, lautlos, wendig wie eine Schlange. Kein Apache hätte es besser gekonnt. Die Strapazen waren vergessen. Er war wieder der Mann mit Muskeln und Sehnen wie aus Stahl, mit der Geduld und Kaltblütigkeit des erfahrenen Kämpfers, der schon durch hundert Gefahren und Abenteuer gegangen war. Ein Mann, der eins zu werden schien mit den langen Schatten der Felsblöcke und Dornbüsche, als ein Stein vor ihm klirrte.
Fünf Minuten geschah nichts. Dann tauchte die spitze Krone eines Sombreros für einen Moment über einem Felsen auf.
Einer von Ortegas Gewehrschützen! Wo steckten die beiden anderen? Und vor allem: wo waren die Pferde?
Shannon blieb nicht mehr viel Zeit. Bald würde die Sonne untergehen. Er musste die Sache wieder mal auf seine ganz spezielle Weise lösen: Revolverpoker!
Er schob sich lautlos auf dem Bauch weiter. Zoll für Zoll, unendlich geduldig, bis er den Atem des Soldados hinter dem Felsen hören konnte. Shannon richtete sich geduckt auf. Der Sechsschüsser lag in seiner Rechten. Aber alles war verloren, wenn er jetzt schießen musste. Er lehnte sich an den Felsen, hielt eine Hand schräg vor den Mund.
„He, Compadre!“, raunte er mit verstellter Stimme. Prompt tauchte der Kopf des Soldado hinter dem Felsklotz auf. Shannon packte ihn blitzschnell am Kragen und riss ihn zu sich heran. Der spitzkronige Sombrero dämpfte den Schlag mit dem Revolverlauf. Sachte ließ Shannon den Bewusstlosen auf die Erde sinken. Er lauschte. Nichts! Kein Schnauben, kein Hufestampfen! Und kein Schatten einer Bewegung von den beiden anderen lauernden Mexikanern!
Shannon kroch ein Stück von der Stelle weg, wo er den einen erwischt hatte, schob Ortegas Revolver vorn in den Hosenbund und richtete sich aus seiner Deckung auf. Die beiden übrigen, zwischen den Felsen versteckten Soldaten sahen eine staubbedeckte, schwankende Gestalt, die sich offenbar mit letzter Kraft auf den von einer unterirdischen Quelle gespeisten Tümpel zubewegte. Shannon spielte seine Rolle mit der Hingabe eines Mannes, der weiß, dass zwei Karabinermündungen jeden Schritt von ihm verfolgten. Er keuchte, stolperte, schien besessen von der Gier nach dem Nass.
Ein halbes Dutzend Yard vor dem Tümpel kippte er um. Er wartete darauf, dass Ortegas Männer diese einmalige Chance beim Schopf packen würden, aber diese gerissenen Kerle rührten sich nicht. Sie ließen ihn seelenruhig weitermachen, als hätten sie Spaß daran, einem halb Verdursteten zuzuschauen.
Oder wussten sie bereits Bescheid? Hatten sie ihn beobachtet, etwa gar ihren bewusstlosen Partner gefunden?
Nicht daran denken! Shannon krallte die Finger in den heißen Sand, kroch keuchend auf das Wasser zu.
Jetzt! Sporen klirrten, Sand malmte unter Stiefelsohlen; Shannon tat, als höre er nichts. Er tauchte die Hände in den Tümpel.
»Bleib so liegen, Hombre! Das Schnappen von Gewehrschlössern folgte dem scharfen Befehl.
Shannon zuckte zusammen, bewegte sich nicht mehr. Schritte kamen hinter ihm durch die Senke. Zwei Männer. Das beklemmende Gefühl, dass zwei Gewehre auf seinen Rücken zielten! Shannons Muskeln spannten sich. Gleich musste er schneller als der Tod sein!
Eine kehlige Stimme rief: „He, Carranza, zum Teufel, wo steckst du? Schläfst du? Siehst du nicht, dass wir ihn haben?“
Shannon schnellte herum. Sein Revolver flog hoch. Die beiden verblüfften Soldados waren acht Schritte vor ihm. Nahe genug für Shannon, zwei Meisterschüsse zu riskieren. Schüsse, die so rasch hintereinander blitzten, dass ihr Knall verschmolz. Die Kugeln prellten den Mexikanern die Karabiner aus den Händen. Fassungslos starrten sie den Gringo an, der sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit erhob und sie angrinste.
„Buenas Dias. Señores! Nun seid mal so nett und schnallt eure Gürtelkanonen ab! Wartet nicht auf euren Freund Carranza. Der schläft tief und fest.“
Zähneknirschend gehorchten sie.
„Bring die Pferde her!“, befahl Shannon dem Mann, der eine Messernarbe über dem rechten Auge hatte. Vergiss das Wiederkommen nicht! Ich hab deinen Amigo als Faustpfand.“
Der Kerl spuckte Shannon vor die Füße, tauschte einen Blick mit seinem Gefährten und wandte sich achselzuckend ab. Der andere schwitzte. Shannons Waffe zielte auf ihn, aber sein flackernder Blick folgte dem Narbigen. Seine Mundwinkel begannen immer heftiger zu zucken, je weiter sich der andere Mexikaner entfernte. Dann blickte er ängstlich auf Shannons Revolver.
„Bei der heiligen Mutter von Guadalupe, schießen Sie nicht, Señor!“, flüsterte er atemlos. Er wird keine Rücksicht auf mich nehmen, sondern versuchen Sie zu töten, um nicht selbst von Capitan Ortega an die Wand gestellt zu ...“
Er kam mit dem Satz nicht zu Ende. Wenige Schritte vor den Felsen am Senkenrand wirbelte der mit der Messernarbe herum und hatte plötzlich wie durch Zauberei einen Revolver in der Faust, der unter seiner Uniformjacke versteckt gewesen sein musste. Shannon schleuderte sich zur Seite, stieß den Six-Shooter hoch.
Da krachte ein Gewehr, Der Narbige krümmte sich wie unter einem Peitschenschlag. Der Revolver entfiel ihm. Er brach über der Waffe zusammen.
Shannon rollte über den Sand, hörte nochmals das Schmettern des Gewehrs und sah auch den zweiten Mexikaner fallen, ebenfalls mit einem Revolver in der Faust, den er blitzschnell unter der Uniform hervorgebracht hatte. Ein deutlicher Beweis dafür, wie hartgesotten und gerissen die Kerle waren, die Ortega in seine Rebellenjäger-Truppe versammelt hatte. Aber Shannon fühlte keinen Groll mehr gegen diese wilden Burschen. Bitterkeit schnürte seine Kehle zu, als er die weit aufgerissenen Augen sah, die blicklos in den allmählich verblassenden Himmel Mexikos starrten.
Hufe klapperten zwischen den Felsen über der Senke. Müde wandte sich Shannon dem Reiter zu, der mit einem zweiten Pferd im Schlepp den steinigen Hang herabkam. Ein großer, sehniger Mann, dessen Kleidung den Nordamerikaner verriet. Ein scharfgeschnittenes, von einem blonden Bart umrahmtes Gesicht mit durchdringenden blauen Augen. Augen, in denen es keinen Schimmer Bedauern gab. Die beiden Toten in der Senke schienen für den lässig Heranreitenden schon nicht mehr zu existieren. Der Fremde stützte den Kolben einer siebenschüssigen Spencer auf den rechten Oberschenkel, als er beide Pferde vor Shannon zum Stehen brachte.
Shannon brauchte gar nicht erst auf den tiefhängenden Colt des Sehnigen zu blicken, um zu erkennen, dass er einen gefährlichen Gunman vor sich hatte. Die kalten blauen Augen, die ihn abschätzend musterten, verrieten genug. Der Blondbärtige schob mit dem Gewehrlauf lässig den Stetson aus der Stirn.
„Lew Ryman“, stellte er sich vor.
„Schätze, ich bin da gerade zur rechten Zeit gekommen. Da steht ein Gaul für dich, Amigo. Steig auf. Verschwinden wir lieber, bevor noch mehr von Ortegas Leuten kommen.“
Shannons Gedanken wirbelten, aber seine Miene war ausdruckslos.
„Das ist keines von den Pferden der Soldados“, sagte er ruhig.
Der Blonde grinste.
„Ich hab den Gaul extra für dich mitgebracht, sozusagen als Geschenk von meinem Boss, Elam Franklin.“
Shannon runzelte die Stirn. „Bist du sicher, dass ich der richtige Mann dafür bin? Mein Name ist Shannon. Ich kenne niemand, der ...“
„Red nicht lange! Glaub mir, du bist der richtige Mann, egal, wie du heißt, wer du bist, wo du herkommst. Wir haben beobachtet, wie du mit Santillo vor den Soldados geflohen bist, das genügt.“
Shannon kniff die Augen zusammen.
„Das heißt also, du treibst dich schon die ganze Zeit in meiner Nähe herum, ohne es für nötig zu halten, mir dieses Pferd als Geschenk deines Bosses zu überlassen.“
Ryman lachte hart. „Na und.“ Ich wollte sehen, wie du mit den Soldados fertig wirst.“
„Du wolltest, dass sie sterben, damit es kein Zurück mehr für mich gibt! Du meinst, nun hab ich keine andere Wahl, als mit dir zu deinem Boss zu reiten.“
„Ist es nicht so? Aber keine Sorge, ich rechne nicht auf deine Dankbarkeit. Ich bin auch sicher, dass du ohne mich mit ihnen fertig geworden wärst. Ich sagte ja, du bist genau der richtige Mann.“
„Was will dein Boss von mir?“
„Er will dich reich machen“, grinste der blondbärtige Revolvermann spöttisch. „Natürlich musst du auch ein bisschen was dazu tun. Aber das wird dir Franklin selbst sagen. Er wartet im Camp auf dich.“
„Von mir aus kann er Warten.“
„Das klingt nun wirklich nicht sehr nach Dankbarkeit“, meinte Lew Ryman schleppend.
Shannon lächelte grimmig.
„Ob du’s glaubst oder nicht, Ryman, ich hab gar nicht den Wunsch, reich zu werden, zumindest nicht auf die Weise, wie sich dein Boss das sicherlich vorstellt.“
„Ich führe nur Befehle aus. Und mein Befehl lautet, dich zu ihm zu bringen. Ich lasse dir keine Wahl, Shannon. Steig auf!“
Die Mündung des Spencergewehrs zielte auf Shannons Herz.