Читать книгу Die Forsyte Saga - John Galsworthy - Страница 12
Hausplanung
ОглавлениеDrei Tage nach dem Essen bei Swithin trat Soames Forsyte aus seiner grünen Haustür. Als er von der anderen Seite des Platzes aus zurückblickte, bestätigte sich sein Eindruck, dass das Haus einen neuen Anstrich brauchte.
Er hatte seine Frau auf dem Sofa im Empfangszimmer sitzend zurückgelassen, die Hände im Schoß gekreuzt, ganz offensichtlich hatte sie darauf gewartet, dass er ging. Das war nicht ungewöhnlich. Das lief eigentlich jeden Tag so.
Er konnte nicht verstehen, was ihr an ihm nicht passte. Es war ja nicht so, dass er trinken würde! Machte er etwa Schulden, spielte oder fluchte er, war er vielleicht gewalttätig, waren seine Freunde nur auf Partys aus, kam er etwa immer erst spät nachts nach Hause? Ganz im Gegenteil.
Die tiefe, unterdrückte Abneigung, die er bei seiner Frau spürte, war ihm ein Rätsel, und sie machte ihn schrecklich wütend. Dass sie einen Fehler gemacht hatte, dass sie ihn nicht liebte, versucht hatte ihn zu lieben, aber ihn nicht lieben konnte, das war ja wohl definitiv kein Grund.
Wer sich einen so abwegigen Grund für die Probleme seiner Frau mit ihm vorstellen konnte, war ganz gewiss kein Forsyte.
Folglich war Soames gezwungen, seiner Frau die ganze Schuld zu geben. Er kannte keine andere Frau, die so sehr Zuneigung erwecken konnte. Sie konnten nirgendwo hingehen, ohne dass er mit ansehen musste, wie alle Männer von ihr angezogen waren. Ihr Ausdruck, ihr Verhalten, ihre Stimmen verrieten es. Irenes Verhalten unter dieser Aufmerksamkeit war immer über jeden Verdacht erhaben gewesen. Dass sie eine dieser – in angelsächsischen Kreisen nicht allzu häufig vorkommenden - Frauen war, die dazu geboren waren, geliebt zu werden und zu lieben, die nur lebten, wenn sie liebten, war ihm sicherlich nie gekommen. Für ihn war ihre Anziehungskraft Teil ihres Wertes als sein Besitz. Sie ließ ihn aber doch vermuten, dass sie womöglich geben wie nehmen konnte, und ihm gab sie nichts! »Warum hat sie mich dann geheiratet?«, fragte er sich immerzu. Er hatte vergessen, wie er um sie geworben hatte; diese anderthalb Jahre, in denen er auf der Lauer gelegen, sie belagert, Pläne für ihre Unterhaltung entworfen, ihr Geschenke und regelmäßige Heiratsanträge gemacht und mit seiner ständigen Präsenz andere Verehrer ferngehalten hatte. Er hatte den Tag vergessen, an dem er geschickt ihre vorübergehende starke Abneigung gegen ihre häuslichen Verhältnisse ausgenutzt und so seine Mühen mit Erfolg gekrönt hatte. Wenn es überhaupt etwas gab, an das er sich erinnerte, dann war es die niedliche Launenhaftigkeit, die das goldblonde Mädchen mit den dunklen Augen ihm gegenüber gezeigt hatte. Er erinnerte sich ganz sicher nicht an den Ausdruck in ihrem Gesicht – seltsam, passiv, flehend –, als sie eines Tages nachgegeben und gesagt hatte, dass sie ihn heiraten wolle.
Es war eines jener wahrhaft hingebungsvollen Liebeswerben gewesen, wie die Bücher und die Menschen sie preisen, von der Art, bei der der Liebende zu guter Letzt dafür belohnt wird, dass er so lange auf das Eisen eingeschlagen hat, bis es weich war. Und wenn die Hochzeitsglocken läuten, müssen alle bis ans Ende ihrer Tage glücklich sein.
Soames ging Richtung Osten, wobei er beharrlich auf der Schattenseite entlangschlich.
Das Haus musste hergerichtet werden, wenn er nicht entschied, aufs Land zu ziehen, um dort ein Haus zu bauen.
Zum hundertsten Mal kaute er dieses Problem in diesem Monat durch. Es brachte nichts, irgendetwas zu überstürzen! Er war sehr gut situiert, sein Einkommen wuchs stetig und bewegte sich auf dreitausend pro Jahr zu. Doch sein investiertes Kapital war unter Umständen nicht so groß, wie sein Vater dachte – James neigte dazu, davon auszugehen, dass seine Kinder besser dran sein mussten, als sie es tatsächlich waren. Achttausend könne er leicht aufbringen, ohne dass er sich an Robertson oder Nicholl wenden müsse, dachte er.
Er war stehen geblieben, um einen Blick in einen Bilderladen zu werfen. Soames war nämlich ein Kunstliebhaber und hatte am Montpellier Square 62 ein kleines Zimmer voll mit an der Wand gestapelten Leinwänden, für die ihm ein Platz zum Aufhängen fehlte. Er brachte sie von seinem Rückweg von der City mit nach Hause, für gewöhnlich nach Einbruch der Dunkelheit, und kam dann sonntagnachmittags in dieses Zimmer, um Stunden damit zu verbringen, die Gemälde im Licht zu betrachten, die Angaben auf der Rückseite zu studieren und sich gelegentlich Notizen dazu zu machen.
Es waren fast ausschließlich Landschaften mit Personen im Vordergrund, Ausdruck irgendeiner seltsamen Auflehnung gegen London, gegen seine hohen Häuser, seine endlosen Straßen, wo er und seinesgleichen ihr Leben verbrachten. Hin und wieder nahm er ein oder zwei der Bilder in einer Droschke mit und machte auf seinem Weg in die City bei Jobson Halt.
Er zeigte sie nur selten irgendwem. Irene, deren Meinung er insgeheim schätzte und vielleicht aus dem Grund nie erfragte, war erst einige wenige Male in dem Zimmer gewesen, um ihren Pflichten als Ehefrau nachzugehen. Sie wurde nicht darum gebeten, sich die Bilder anzusehen, und sie tat es auch nie. Er hasste ihren Stolz, und insgeheim fürchtete er ihn.
In dem spiegelgläsernen Schaufenster des Bilderladens stand sein Abbild und sah ihn an. Sein glattes Haar unter der Krempe seines hohen Hutes glänzte wie der Hut selbst. Seine Wangen, blass und schmal, die Linie seiner glattrasierten Lippen, sein festes Kinn mit der leichten Graufärbung des Rasurschattens und die zugeknöpfte Strenge seines schwarzen Cutaways verliehen ihm ein reserviertes und geheimnisvolles Aussehen und vermittelten den Eindruck einer unerschütterlichen, erzwungenen Beherrschung. Seine Augen jedoch – kalt, grau, mit angestrengtem Blick und einer Falte zwischen den Brauen - musterten ihn schwermütig, als ob sie von einer verborgenen Schwäche wüssten.
Er notierte die Motive der Bilder und die Namen der Maler und berechnete ihre Werte. Doch im Gegensatz zu sonst erfüllte ihn diese innere Beurteilung der Werke nicht mit Zufriedenheit, und so ging er weiter.
Das Zimmer am Montpellier Square würde noch ganz gut ein weiteres Jahr reichen, wenn er sich entschied, zu bauen! Es waren gute Zeiten, um zu bauen, der Geldwert war seit Jahren nicht mehr so hoch gewesen. Und das Grundstück, das er bei Robin Hill gesehen hatte, als er im Frühling dort unten gewesen war, um Nicholls Hypothek zu überprüfen – besser
ging es gar nicht! Keine zwanzig Kilometer von Hyde Park Corner entfernt, der Grundstückswert würde bestimmt noch steigen, es würde ihm immer mehr einbringen, als er dafür zahlte. Da wäre ein Haus, wenn es in einem wirklich guten Stil gebaut war, eine erstklassige Investition.
Die Vorstellung, der Einzige in der Familie mit einem Landhaus zu sein, war für ihn von wenig Gewicht. Denn für einen wahren Forsyte waren Gefühle, sogar das Gefühl des sozialen Status, ein Luxus, dem man sich nur hingab, wenn der Durst auf noch mehr materielle Freuden gestillt war.
Irene aus London wegzubringen, weg von all den Möglichkeiten, auszugehen und andere Leute zu treffen, weg von ihren Freunden und all denen, die ihr Dinge in den Kopf setzten – das war, was zählte! Sie war zu eng mit June! June mochte ihn nicht. Er konnte dieses Gefühl nur erwidern. Sie waren vom selben Blut.
Es würde alles bedeuten, Irene aus der Stadt zu schaffen. Das Haus würde ihr gefallen und es würde ihr Freude machen, sich bei der Innenausstattung auszutoben, sie war ein sehr künstlerischer Mensch!
Das Haus musste in einem guten Stil gebaut sein, so, dass man sich darauf verlassen konnte, dass es immer einen hohen Preis erzielte. Es musste einzigartig sein, wie das neueste Haus von Parkes, das einen Turm hatte. Aber Parkes hatte selbst gesagt, dass sein Architekt ungeheure Preise verlangte. Man wusste bei diesen Typen nie, woran man war: Hatten sie einen Namen, hatte man Kosten ohne Ende, und sie bildeten sich auch noch etwas darauf ein.
Und ein Durchschnittsarchitekt taugte nichts – der Gedanke an Parkes’ Turm machte es unmöglich, einen Durchschnittsarchitekten zu engagieren.
Deshalb hatte er an Bosinney gedacht. Seit dem Abendessen bei Swithin hatte er Nachforschungen angestellt, deren Ergebnis zwar mager war, ihn aber dennoch zuversichtlich stimmte: »Einer der neuen Schule.«
»Hat er Köpfchen?«
»So viel, wie Sie mögen – ein wenig … ein wenig verstiegen!«
Er hatte nicht ausfindig machen können, welche Häuser Bosinney bereits gebaut hatte oder wie viel er verlangte. Sein Eindruck war, dass er seine eigenen Bedingungen aufstellen könnte. Je mehr er über die Idee nachdachte, desto mehr gefiel sie ihm. Das Ganze würde in der Familie bleiben, was bei den Forsytes fast schon ein Instinkt war, und er würde Meistbegünstigung erhalten, wenn er nicht gar nur den Nominalpreis zahlen musste - was nur fair war, wenn man bedachte, welche Chance das für Bosinney war, sein Talent zu zeigen, denn dieses Haus durfte keinesfalls ein gewöhnliches Gebäude sein.
Soames dachte selbstzufrieden an die Aufträge, die das dem jungen Mann sicherlich einbringen würde. Wie jeder Forsyte konnte er ein echter Optimist sein, wenn er in irgendeiner Form davon profitieren konnte.
Bosinneys Büro lag in der Sloane Street, ganz in der Nähe also, sodass er die Pläne immer im Blick haben könnte.
Außerdem würde Irene wohl kaum etwas dagegen haben, London zu verlassen, wenn der Verlobte ihrer besten Freundin den Auftrag bekommen würde. Junes Heirat könnte davon abhängen. Der Anstand würde ihr verbieten, Junes Heirat im Wege zu stehen; das würde sie niemals tun, dazu kannte er sie zu gut. Und es würde June gefallen, darin sah er seinen Vorteil.
Bosinney sah clever aus, aber er wirkte auch so – und das war einer seiner großen Vorzüge -, als ob er sich nicht recht auf seinen Vorteil verstünde. Geldgeschäfte sollten bei ihm eine leichte Sache sein. Soames dachte dies nicht mit der Absicht, ihn übers Ohr zu hauen, es war einfach seine angeborene Geisteshaltung – die Geisteshaltung eines jeden guten Geschäftsmannes, eines jeden jener tausenden guten Geschäftsmänner, durch die er sich seinen Weg hoch nach Ludgate Hill bahnte.
Und so folgte er nur den unerklärlichen Gesetzen seiner großen Klasse – der Menschheit selbst -, als er mit Genugtuung daran dachte, dass bei Bosinney Geldgeschäfte eine leichte Sache sein würden.
Während er weiterging, zog es seinen Blick, der normalerweise stets auf den Boden vor seinen Füßen gerichtet war, nach oben zur Kuppel von St. Paul’s. Sie übte eine besondere Faszination auf ihn aus, diese alte Kuppel. Er machte dort mindestens zwei- oder dreimal die Woche auf seiner täglichen Route Halt, um einzutreten und für fünf oder zehn Minuten in den Seitenschiffen zu stehen und die Namen und Inschriften auf den Grabmälern zu studieren. Die Anziehung, die diese alte Kirche auf ihn hatte, war nur dadurch zu erklären, dass sie ihm half, seine Gedanken auf das Tagesgeschäft zu fokussieren. Wann immer ihm eine besonders wichtige Angelegenheit auf der Seele lag oder eine, die besonderen Scharfsinn erforderte, ging er dort hinein, um mit ängstlich-verstohlener Aufmerksamkeit von Grabmal zu Grabmal zu wandern. Dann zog er sich auf dieselbe lautlose Weise wieder zurück und ging zielstrebig Richtung Cheapside, wobei sein Gang ein wenig mehr Nachdruck hatte, als ob er etwas gesehen hätte, das er nun kaufen wollte.
Er ging an jenem Morgen hinein, doch anstatt von Grabmal zu Grabmal zu huschen, hob er seinen Blick hoch zu den Säulen und den Bogenöffnungen und verharrte bewegungslos.
Sein nach oben gerichtetes Gesicht, auf dem jener ehrfurchtsvolle und ernste Ausdruck lag, den Gesichter in Kirchen annehmen, war in dem riesigen Gebäude kreidebleich geworden. Seine in Handschuhen steckenden Hände umklammerten den Griff seines Regenschirms. Er hob sie nach oben. Vielleicht hatte er eine göttliche Eingebung gehabt.
»Ja«, dachte er, »ich brauche einen Platz, wo ich meine Bilder aufhängen kann.«
Am Abend ging er auf seinem Rückweg von der City zu Bosinneys Büro. Als er eintraf, zeichnete der Architekt gerade hemdsärmelig und Pfeife rauchend Linien auf einem Plan ein. Soames lehnte einen Drink ab und kam gleich zur Sache.
»Wenn Sie am Sonntag noch nichts Besseres vorhaben, dann kommen Sie doch mit mir runter nach Robin Hill. Ich möchte Ihre Meinung zu einem Baugrundstück dort wissen.«
»Haben Sie vor, zu bauen?«
»Vielleicht«, sagte Soames. »Aber sagen Sie zu niemanden etwas darüber, ich möchte nur Ihre Meinung dazu.«
»Selbstverständlich«, sagte der Architekt.
Soames sah sich in dem Zimmer um.
»Sie wohnen hier ja recht weit oben«, sagte er.
Er konnte jede Information über Art und Umfang von Bosinneys Arbeit gebrauchen.
»Für mich reicht es soweit vollkommen«, erwiderte der Architekt. »Sie sind die hohen Tiere gewohnt.«
Er klopfte seine Pfeife aus, steckte sie dann jedoch leer wieder zwischen seine Zähne. Vielleicht half sie ihm, die Unterhaltung fortzuführen. Soames bemerkte eine Vertiefung in beiden Wangen, offenbar durch das Saugen an der Pfeife.
»Was zahlen Sie denn für so ein Büro?«, fragte er.
»Fünfzig zu viel«, antwortete Bosinney.
Soames war sehr beeindruckt von dieser Antwort.
»Ist bestimmt teuer«, sagte er. »Ich hole Sie dann ab – am Sonntag, so gegen elf.«
Und so holte er am folgenden Sonntag Bosinney in einer Kutsche ab, die sie zum Bahnhof brachte. Bei ihrer Ankunft in Robin Hill fanden sie keine Droschke und so machten sie sich zu Fuß auf den gut zwei Kilometer langen Weg zu dem Grundstück.
Es war der 1. August – ein perfekter Tag, die Sonne schien, der Himmel war wolkenlos – und ihre Füße wirbelten auf dem geraden, engen Weg hoch auf den Hügel gelben Staub auf.
»Schotterboden«, bemerkte Soames und warf einen seitlichen Blick auf Bosinneys Mantel. In die Seitentaschen waren Papierrollen gestopft und unter dem Arm trug er einen seltsam aussehenden Stecken. Soames fielen diese und andere Eigenheiten auf.
Nur ein Mann mit Köpfchen, oder eben tatsächlich ein Pirat, würde sich solche Freiheiten bei seinem Aussehen herausnehmen. Und obwohl diese Exzentrizität Soames zuwider war, verschaffte sie ihm doch eine gewisse Genugtuung, war sie doch Zeichen von Eigenschaften, von denen er unweigerlich profitieren musste. Wen interessierte schon die Kleidung, wenn der Kerl bauen konnte?
»Ich habe Ihnen ja erzählt«, sagte er, »dass das Haus eine Überraschung sein soll, also sagen Sie niemandem etwas davon. Ich spreche nie über Geschäfte, ehe sie erledigt sind.«
Bosinney nickte.
»Lass Frauen an deinen Plänen teilhaben«, fuhr Soames fort, »und du weißt nie, wo es enden wird.«
»Oh ja!«, sagte Bosinney, »Frauen sind der Teufel!«
Tief in seinem Herzen hatte Soames dieses Gefühl schon lange gehabt, er hatte es jedoch nie ausgesprochen.
»Oh«, murmelte er, »Sie fangen also an …« Er hielt inne, fügte dann aber in einem unkontrollierbaren Ausbruch von Gehässigkeit hinzu: »June ist schrecklich temperamentvoll – war sie schon immer.«
»Temperament ist nichts Schlechtes bei einem Engel.«
Soames hatte Irene nie als Engel bezeichnet. Er hätte nicht so wider seinen Instinkt handeln können, dass er andere in das Geheimnis ihres Wertes einweihte und sich selbst Blöße gab. Er antwortete nicht darauf.
Sie waren in einen halbfertigen Weg durch ein Gehege eingebogen. Eine Wagenspur führte im rechten Winkel zu einer Schottergrube, hinter der die Schornsteine eines Cottage über eine Baumgruppe am Rande eines dichten Waldes emporragten. Federige Grasbüschel bedeckten den rauen Boden, und Lerchen stiegen daraus empor in den Dunst des Sonnenlichts. Fern am Horizont, hinter zahllosen Feldern und Hecken, erhob sich eine Hügelkette.
Soames ging voran, bis sie auf der anderen Seite waren, dort blieben sie stehen. Es war das besagte auserwählte Grundstück. Doch nun, wo er im Begriff war, es einem anderen zu zeigen, war er unsicher geworden.
»Der Grundstücksagent wohnt in diesem Cottage«, sagte er. »Wir können bei ihm zu Mittag essen – wir sollten vorher besser etwas essen.«
Er ging erneut voran, als sie zu dem Cottage gingen, wo sie der Grundstücksagent, ein großer Mann namens Oliver mit groben Gesichtszügen und graumeliertem Bart, empfing. Während des Mittagessens, das Soames kaum anrührte, beobachtete er Bosinney unentwegt, und ein-, zweimal wischte er sich verstohlen mit seinem Taschentuch über die Stirn. Schließlich nahm das Essen endlich ein Ende und Bosinney stand auf.
»Ich denke mal, Sie haben Geschäftliches zu besprechen«, sagte er. »Ich sehe mich einfach schon mal ein bisschen um.« Ohne auf eine Antwort zu warten, schlenderte er hinaus.
Soames war Anwalt für diesen Grundbesitz und sah sich mit dem Agenten fast eine Stunde lang Grundrisse an und sprach mit ihm über die Hypotheken von Nicholl und einigen anderen. Es war wie ein nachträglicher Einfall, als er schließlich das Baugrundstück zur Sprache brachte.
»Ihre Leute«, meinte er, »sollten mir mit dem Preis mehr entgegenkommen, schließlich bin ich der Erste, der hier baut.«
Oliver schüttelte den Kopf.
»Das Grundstück, für das Sie sich interessieren, Sir«, erwiderte er, »ist das billigste, das wir haben. Grundstücke oben auf dem Hügel sind ein ganzes Stück teurer.«
»Vergessen Sie nicht«, sagte Soames, »dass ich mich noch nicht endgültig entschieden habe. Es ist gut möglich, dass ich überhaupt nicht baue. Der Erbbauzins ist recht hoch.«
»Nun, Mr Forsyte, es würde mir leidtun, wenn Sie abspringen würden, und ich denke, es wäre ein Fehler, Sir. Es gibt in der Nähe von London kein anderes Stück Land mit einer solchen Aussicht und auch kein billigeres, wenn man alle Aspekte in Betracht zieht. Wir müssen nur ein bisschen Werbung machen, und schon stehen die Leute Schlange dafür.«
Sie sahen sich an. Aus ihren Gesichtern konnte man ganz offensichtlich lesen: »Ich respektiere Sie als Geschäftsmann und Sie können nicht von mir erwarten, dass ich auch nur ein Wort von dem, was Sie mir erzählen, glaube.«
»Nun«, wiederholte Soames, »ich habe mich noch nicht entschieden. Sehr wahrscheinlich wird nichts aus der Sache!« Mit diesen Worten nahm er seinen Schirm, legte seine kalte Hand in die des Agenten, zog sie drucklos wieder zurück und ging hinaus in die Sonne.
Tief in Gedanken versunken ging er langsam zurück in Richtung des Grundstücks. Sein Instinkt sagte ihm, dass der Agent die Wahrheit gesagt hatte. Ein billiges Grundstück. Und das Schöne daran war, dass er wusste, dass der Agent nicht wirklich der Meinung war, es sei billig. Somit siegte sein eigenes intuitives Wissen über das des Grundstücksagenten.
Billig oder nicht, ich will es haben, dachte er.
Die Lerchen flogen vor seinen Füßen auf, die Luft war voller Schmetterlinge, die Wildgräser verströmten einen süßen Duft. Der kräftig frische Geruch des Farnkrauts zog aus dem Wald herüber, in dessen Tiefen versteckt Tauben gurrten, und von weit her wehte die warme Luft das rhythmische Läuten von Kirchenglocken herbei.
Soames lief mit nach unten gesenktem Blick, sein Mund schloss und öffnete sich, wie in freudiger Erwartung eines leckeren Happens. Als er jedoch das Grundstück erreichte, war Bosinney weit und breit nicht zu sehen. Nachdem er eine Weile gewartet hatte, überquerte er das Gehege in Richtung des Hügels. Er hätte ja nach ihm gerufen, aber er fürchtete den Klang seiner eigenen Stimme.
Das Gehege war einsam und verlassen wie eine Prärie, seine Stille wurde nur von dem Geraschel der Kaninchen durchbrochen, die in ihre Löcher davonhoppelten, und vom Zwitschern der Lerchen.
Soames, der Pionier der großen Forsyte-Armee, die anrückte, um Zivilisation in diese Wildnis zu bringen, fühlte sich eingeschüchtert durch die Einsamkeit, das Zwitschern unsichtbarer Vögel und die warme, süßliche Luft. Er war schon in Begriff, wieder umzukehren, als er endlich Bosinney erblickte.
Der Architekt lümmelte unter einer großen Eiche, deren von den vielen Jahren zerfurchter Stamm mit einer riesigen Krone aus Geäst und Blattwerk ganz oben auf der Anhöhe stand.
Soames musste ihn an der Schulter berühren, ehe er aufsah.
»Hallo, Forsyte!«, sagte er. »Ich habe den perfekten Ort für Ihr Haus gefunden! Schauen Sie nur!«
Soames stand da und schaute, dann sagte er kühl: »Sie mögen ja vielleicht Köpfchen haben, aber dieses Grundstück würde mich die Hälfte mehr kosten.«
»Ach, zum Henker mit den Kosten! Schauen Sie sich doch mal diese Aussicht an!«
Fast unmittelbar vor ihren Füßen breitete sich reifes Korn aus, das auf der anderen Seite in einem kleinen dunklen Wäldchen endete. Eine Ebene aus Feldern und Hecken erstreckte sich bis zu den Hügeln in der Ferne. Ein silberner Streif auf der rechten Seite ließ den Verlauf des Flusses erkennen.
Der Himmel war so blau und die Sonne so hell, dass es schien, als herrsche ewiger Sommer über diesen Ausblick. Um sie herum flog Distelwolle, wie durch die Heiterkeit des Äthers verzückt, und über dem Korn tanzte die Hitze. Und über all dem schwebte ein sanftes, unmerkliches Summen, wie das Gemurmel ausgelassener Minuten, die ein Fest zwischen Himmel und Erde feierten.
Soames schaute. Unwillkürlich ließ etwas seine Brust anschwellen. Hier zu leben, mit Blick auf all das, es seinen Freunden zeigen zu können, es zu besitzen! Seine Wangen erröteten. Die Wärme, das Strahlen, das Leuchten erfüllten seine Sinne, wie einst vor vielen Jahren Irenes Schönheit seine Sinne erfüllt und ihn sie begehren lassen hatte. Er blickte verstohlen zu Bosinney, dessen Augen, die Augen des, wie der Kutscher ihn nannte, »halbzahmen Leoparden«, die Landschaft regelrecht aufzusaugen schienen. Das Sonnenlicht hatte seine kantig hervorstehenden Gesichtszüge eingefangen, die höckerartigen Wangenknochen, die Spitze seines Kinns, den Augenbrauenbogen, und Soames betrachtete dieses raue, enthusiastische, unbekümmerte Gesicht mit einem unguten Gefühl.
Ein langer, sanfter Windzug blies über das Korn und wehte ihnen warme Luft ins Gesicht.
»Ich könnte Ihnen hier ein echtes Schmuckstück von Haus hinbauen«, brach Bosinney schließlich das Schweigen.
»Sicher«, erwiderte Soames trocken. »Sie müssen es ja auch nicht bezahlen.«
»Für um die achttausend könnte ich Ihnen einen Palast bauen.«
Soames war sehr blass geworden – er rang innerlich mit sich. Er senkte den Blick und sagte stur: »Ich kann es mir nicht leisten.«
Und langsam ging er wieder mit seinem huschenden Gang voran, zurück zum ersten Grundstück.
Sie verbrachten dort einige Zeit und gingen die Details des geplanten Hauses durch, dann kehrte Soames zurück zum Cottage des Grundstücksagenten.
Nach etwa einer halben Stunde kam er wieder heraus und machte sich zusammen mit Bosinney auf den Weg zum Bahnhof.
»Nun«, sagte er und öffnete dabei kaum seinen Mund, »ich habe mich jetzt letztlich doch für Ihr Grundstück entschieden.«
Und dann schwieg er wieder und überlegte verwirrt, wie es sein konnte, dass die Meinung dieses Kerls, den er aus reiner Gewohnheit verachtete, über seine eigene Entscheidung gesiegt hatte.