Читать книгу Die Forsyte Saga - John Galsworthy - Страница 13
Ein Forsyte’scher Haushalt
ОглавлениеWie die tausend anderen Aufgeklärten seiner Klasse und Generation in dieser großen Stadt London, die nicht länger etwas von roten Samtstühlen hielten und wussten, dass Gruppenplastiken aus modernem italienischem Marmor hoffnungslos altmodisch waren, wohnte Soames Forsyte in einem Haus, das alles bot, was so ein Haus bieten konnte. Es hatte einen Kupfertürklopfer von außergewöhnlichem Design, Fenster, die umgeändert worden waren, sodass sie sich nach außen öffnen ließen, hängende Blumenkästen mit Fuchsien und auf der Rückseite (eine Besonderheit des Hauses) einen kleinen mit jadegrünen Platten gefliesten und rosa Hortensien in pfauenblauen Kübeln umrandeten Hof. Hier, unter einem pergamentfarbenen japanischen Sonnenschutz, der die komplette Seite überdachte, konnten Besucher vor neugierigen Blicken abgeschirmt Tee trinken und nach Belieben Soames neueste kleine Silberkästchen inspizieren.
Bei der Inneneinrichtung wurde bevorzugt auf den Stil des ersten britischen Empires und William Morris gesetzt. Für seine Größe hatte man in dem Haus gut Platz. Es gab zahllose Ecken, die etwas von Vogelnestern hatten und in denen kleine silberne Dinge wie Eier untergebracht waren.
In dieser allgemeinen Perfektion lagen zwei Arten des anspruchsvollen Geschmacks im Zwist. Es lebten hier eine Dame, die selbst auf einer einsamen Insel geschmackvoll gewohnt hätte, und ein Herr, dessen guter Geschmack gewissermaßen eine Investition war, die der Besitzer, entsprechend den Gesetzen des Wettbewerbs, kultivierte. Aufgrund dieses wettbewerbsbedingten guten Geschmacks hatte Soames zu seinen Marlborough-Zeiten im Sommer als erster Junge weiße Westen getragen und im Winter Cord-Westen. Er war auch der Grund, warum es niemals passieren würde, dass er sich in der Öffentlichkeit mit schlechtsitzender Krawatte zeigte, und warum er seine Lacklederschuhe putzte, bevor sich bei der Schulfeier ein zahlreiches Publikum versammelte, um seiner Rezitation von Molière zu lauschen.
Über Soames hatte sich, wie auch über viele andere Londoner, eine Makellosigkeit wie eine zweite Haut gelegt. Unvorstellbar, dass bei ihm einmal ein Haar nicht an der richtigen Stelle sitzen, die Krawatte auch nur einen Millimeter verrutschen oder sein Kragen nicht glatt und glänzend sein könnte! Um nichts in der Welt würde er auf sein Bad verzichten – zu baden war Mode, und wie sehr er doch jeden verachtete, der keine Bäder nahm!
Doch bei Irene konnte man sich vorstellen, dass sie wie eine Nymphe in einem nahegelegenen Fluss badete, aus Freude an der Erfrischung und dem Anblick ihres blassen Körpers.
In diesem das ganze Haus beherrschenden Konflikt hatte die Frau verloren. Wie in dem Kampf zwischen Sachsen und Kelten, der innerhalb der Nation noch immer andauerte, war dem beeindruckbareren und beeinflussbareren Charakter ein konventioneller Überbau aufgezwungen worden.
Und so ähnelte das Haus nun sehr den hunderten anderen Häusern mit den gleichen hohen Ambitionen. Es war nun »dieses ganz bezaubernde Häuschen von Soames Forsyte, sehr außergewöhnlich, meine Liebe – wirklich elegant«.
Statt Soames Forsyte könnte man auch James Peabody, Thomas Atkins oder Emmanuel Spagnoletti oder im Grunde den Namen eines jeden Engländers der gehobenen Mittelschicht in London, der Anspruch auf Geschmack erhob, einsetzen. Die Einrichtung mag sich zwar vielleicht etwas unterscheiden, doch mit dem Satz liegt man immer richtig.
Am Abend des 8. August, eine Woche nach dem kleinen Ausflug nach Robin Hill, saßen Soames und Irene im Esszimmer dieses Hauses – »sehr außergewöhnlich, meine Liebe – wirklich elegant« - und aßen zu Abend. Ein warmes Essen an Sonntagabenden war eine kleine besondere Erlesenheit dieses und vieler anderer Häuser. Soames hatte schon zu Beginn ihrer Ehe folgende Regel festgelegt: »Die Angestellten müssen uns sonntags ein heißes Abendessen servieren – sie haben doch nichts anderes zu tun, als Ziehharmonika zu spielen.«
Es hatte keinen Aufstand wegen dieser Vorschrift gegeben. Denn – und für Soames schien das recht bedauerlich ‒ die Angestellten waren Irene treu ergeben, die, ungeachtet aller gesicherten Traditionen, deren Recht auf ihren Anteil an den Schwächen der Menschheit anzuerkennen schien.
Das glückliche Paar saß sich an ihrem schönen Rosenholztisch, auf den keine Tischdecke aufgelegt war, eine besondere Erlesenheit, nicht gegenüber, sondern übers Eck und hatte bisher noch kein Wort gewechselt.
Soames redete beim Abendessen gerne über das Geschäft oder über jüngst getätigte Käufe, und solange er redete, beunruhigte ihn Irenes Schweigen nicht weiter. An diesem Abend war es ihm unmöglich gewesen, zu reden. Er hatte den Entschluss, zu bauen, die ganze Woche über mit sich herumgetragen und nun wollte er es ihr sagen.
Er ärgerte sich zutiefst, dass er wegen dieser Eröffnung nervös war; sie hatte kein Recht, ihm dieses Gefühl zu geben – eine Ehefrau und ihr Mann waren schließlich eins. Sie hatte ihn nicht einmal angesehen, seit sie sich gesetzt hatte, und er fragte sich, woran sie nur die ganze Zeit dachte. Es war hart, wenn ein Mann so viel arbeitete wie er, um Geld für sie zu verdienen – ja, und noch dazu mit schmerzendem Herzen -, dass sie dann dasaß und so schaute, als ob die Wände des Zimmers immer näher rücken würden. Das konnte einen wirklich dazu bringen, aufzustehen und den Tisch zu verlassen.
Das Licht der rosa beschirmten Lampe fiel auf ihren Hals und ihre Arme. Soames mochte es, wenn sie zum Abendessen ein tief ausgeschnittenes Kleid trug, es gab ihm ein unbeschreibliches Gefühl der Überlegenheit gegenüber den meisten seiner Bekannten, deren Frauen sich damit begnügten, ihre besten hochgeschlossenen Kleider oder ihre Nachmittagskleider zu tragen, wenn sie zu Hause zu Abend aßen. Unter dem zartrosa Licht bildeten ihre goldblonden Haare und ihre helle Haut einen seltsamen Kontrast zu ihren dunkelbraunen Augen.
Konnte ein Mann etwas Schöneres besitzen als diesen Esstisch mit seinem kräftigen dunklen Farbton, den leuchtenden, zartblättrigen Rosen, dem rubinfarbenen Glas und dem hübschen Silber? Konnte ein Mann etwas Schöneres besitzen als die Frau, die an diesem Tisch saß? Dankbarkeit war bei den Forsytes keine Tugend, von Konkurrenzdenken und Vernunft bestimmt, hatten sie keinen Anlass, dankbar zu sein. Soames empfand nur ein an Schmerz grenzendes Gefühl der Verbitterung darüber, dass er sie nicht besitzen konnte, wie es sein Recht war, sie zu besitzen. Dass er nicht seine Hand nach ihr wie nach jener Rose ausstrecken, sie pflücken und mit dem Duft die Geheimnisse ihres Herzen eratmen konnte.
All seine anderen Besitztümer, all die Dinge, die er angesammelt hatte, sein Silber, seine Häuser, seine Investitionen, gaben ihm ein Gefühl von Geheimnis und Intimität; sie jedoch gab ihm gar nichts.
Die Zeichen waren überall in diesem Haus zu sehen. Doch sein geschäftsmäßiges Wesen wehrte sich gegen eine seltsame Warnung, dass sie nicht die Richtige für ihn war. Er hatte diese Frau geheiratet, sie erobert, sie zu der Seinen gemacht, und es schien ihm gegen das grundlegendste aller Gesetze zu sein, das Gesetz des Besitzens, dass er nur ihren Körper besitzen konnte – wenn überhaupt das, daran begann er langsam zu zweifeln. Hätte ihn irgendwer gefragt, ob er ihre Seele besitzen wolle, so wäre ihm diese Frage sowohl lächerlich als auch zu emotional erschienen. Doch er wollte es wirklich und die Zeichen sagten ihm, dass er es nie würde.
Sie schwieg immerzu, war stets passiv, würdevoll abweisend, als ob sie Angst hätte, ihm durch Worte, eine Bewegung oder ein Zeichen Anlass zu geben, zu glauben, sie würde ihn lieben. Und er fragte sich: Muss ich für immer so leben?
Wie bei den meisten Romanlesern seiner Generation (und Soames war ein großer Romanleser) war sein Weltbild von Literatur beeinflusst, und so hatte er die Überzeugung gewonnen, dass es nur eine Frage der Zeit war.
Am Ende gewann der Ehemann immer die Liebe seiner Frau. Selbst in den Geschichten, die in einer Tragödie endeten – eine Buchgattung, die er nicht besonders mochte –, starb die Ehefrau immer mit Beteuerungen tiefster Reue auf den Lippen. Oder wenn es der Ehemann war, der starb – ein unschöner Gedanke -, dann warf sie sich von Schuldgefühlen gequält auf seinen toten Körper.
Er führte Irene oft ins Theater aus, wobei er instinktiv die modernen Gesellschaftsstücke mit den Eheproblemen der modernen Gesellschaft wählte, die sich erfreulicherweise so von allen Eheproblemen des echten Lebens unterschieden. Er fand, dass auch sie immer gleich endeten, selbst wenn ein Liebhaber mit im Spiel war. Während er das Stück verfolgte, sympathisierte Soames oft mit dem Liebhaber, aber wenn er dann mit Irene in einer Kutsche saß, war er noch ehe er wieder zu Hause war doch froh, dass das Stück so geendet hatte, wie es eben geendet hatte. Es gab eine neue Art Ehemann, die damals gerade in Mode gekommen war, den starken, eher groben, aber äußerst soliden Mann, der am Ende des Stückes besonders erfolgreich war. Für diesen Charakter empfand Soames definitiv keine Sympathie, und hätte er seine eigene Stellung außen vor lassen können, hätte er seine Abscheu gegenüber diesem Kerl geäußert. Doch ihm war zu sehr bewusst, von welch entscheidender Bedeutung es für ihn selbst war, erfolgreich, ja sogar selbst ein starker Ehemann zu sein, als dass er jemals über eine Abneigung gesprochen hätte, die womöglich durch die Abwege der Natur einer geheimen Quelle der Brutalität in ihm selbst entsprungen war.
Doch an diesem Abend war Irenes Schweigen anders als sonst. Er hatte nie zuvor einen solchen Ausdruck in ihrem Gesicht gesehen. Und da Ungewöhnliches stets als alarmierend empfunden wird, war Soames alarmiert. Soames aß seinen Nachtisch und trieb das Hausmädchen zur Eile an, als sie die Krümel mit einem Silberkehrbesen wegwischte. Als sie den Raum verlassen hatte, schenkte er sich Wein ein und sagte: »War heute Nachmittag irgendwer hier?«
»June.«
»Was wollte sie?« Bei den Forsytes ging man grundsätzlich nirgendwo hin, wenn man nicht etwas wollte. »Wahrscheinlich über ihren Verlobten sprechen, oder?«
Irene antwortete nicht.
»Ich habe den Eindruck«, fuhr Soames fort, »dass sie mehr in ihn vernarrt ist als er in sie. Sie hängt ihm immerzu an den Fersen.«
Irenes Blick machte ihn unsicher.
»Du hast kein Recht, so was zu sagen!«, rief sie.
»Warum nicht? Jeder kann es sehen.«
»Überhaupt nicht. Und wenn es jeder sehen könnte, es ist trotzdem eine Schande, es zu sagen.«
Soames verlor die Fassung.
»Du bist mir ja eine tolle Frau!«, sagte er. Doch insgeheim verwunderte ihn ihre hitzige Antwort, das war sonst gar nicht ihre Art. »Du bist ja regelrecht verrückt nach June! Aber eins sage ich dir: Jetzt, wo sie sich den Piraten geangelt hat, bist du ihr vollkommen egal, das wirst du schon noch merken. Aber du wirst sie in Zukunft ohnehin nicht mehr so oft sehen, wir ziehen nämlich aufs Land.«
Er war froh gewesen, die Neuigkeit getarnt in diesem wütenden Ausbruch hervorbringen zu können. Er hatte einen Aufschrei des Entsetzens erwartet ‒ dass sie seine Verkündung schweigend zur Kenntnis nahm, beunruhigte ihn.
»Das scheint dich gar nicht zu interessieren«, musste er gezwungenermaßen hinzufügen.
»Ich wusste es schon.«
Er sah sie scharf an.
»Von wem?«
»Von June.«
»Woher wusste sie das?«
Irene antwortete nicht.
Verwirrt und verunsichert sagte er: »Es ist eine gute Sache für Bosinney, damit kann er sich einen Namen machen. Sie hat dir wahrscheinlich schon alles darüber erzählt, oder?«
»Ja.«
Wieder folgte eine Pause, dann sagte Soames:
»Ich nehme an, du willst nicht gehen?«
Irene antwortete nicht.
»Ach, was weiß ich, was du willst. Du wirkst hier nie zufrieden.«
»Haben meine Wünsche irgendetwas damit zu tun?«
Sie nahm die Vase mit den Rosen und ging aus dem Zimmer. Soames blieb sitzen. Hatte er dafür etwa den Vertrag unterschrieben? Wollte er dafür mehrere zehntausend Pfund ausgeben? Er erinnerte sich wieder an Bosinneys Worte: »Frauen sind der Teufel!«
Doch er beruhigte sich schnell wieder. Es hätte schlimmer laufen können. Sie hätte ausrasten können. Er hatte mit mehr gerechnet. Letztlich war es ein Glück gewesen, dass June das Eis für ihn gebrochen hatte. Sie musste es irgendwie aus Bosinney herausgequetscht haben. Er hätte sich denken können, dass sie das tun würde.
Er zündete sich eine Zigarette an. Immerhin hatte ihm Irene keine Szene gemacht! Sie würde sich schon wieder beruhigen – das war das Beste an ihr. Sie war kalt, aber sie schmollte nie lange. Er blies den Zigarettenrauch nach einem Marienkäfer auf dem glänzenden Tisch und versank in seinen Gedanken über das Haus. Es brachte nichts, sich Sorgen zu machen; er würde das gleich mit ihr klären. Sie würde dort draußen in der Dunkelheit unter dem japanischen Sonnenschutz sitzen und stricken. Eine wundervolle warme Nacht …
Tatsächlich war June an jenem Nachmittag mit leuchtenden Augen gekommen und hatte gesagt: »Soames ist ein Schatz! Es ist einfach großartig für Phil – genau das Richtige für ihn!«
Als Irenes Miene unverändert finster und verwirrt blieb, fuhr sie fort: »Euer neues Haus in Robin Hill natürlich. Wie? Weißt du gar nichts davon?«
Irene wusste nichts davon.
»Oh, dann hätte ich dir wohl nichts davon sagen sollen!« Sie sah ihre Freundin ungeduldig an und rief: »Du schaust, als wäre dir das vollkommen egal. Verstehst du denn nicht, das ist genau das, worauf ich immer gehofft habe – genau die Chance, die er sich die ganze Zeit gewünscht hat. Jetzt könnt ihr endlich sehen, was er draufhat.«
Und dann erzählte sie die ganze Geschichte.
Seit ihrer eigenen Verlobung schien sie sich kaum noch dafür interessiert zu haben, wie es ihrer Freundin ging. In den Stunden, die sie mit Irene verbrachte, ging es stets um ihre eigenen Gefühle und Probleme. Und hin und wieder konnte sie trotz ihres Mitgefühls als liebende Freundin nicht verhindern, dass sich in ihr Lächeln eine Spur von mitleidiger Verachtung einschlich für die Frau, die einen so großen Fehler in ihrem Leben begangen hatte – einen so riesigen, lächerlichen Fehler.
»Er soll auch für die gesamte Inneneinrichtung zuständig sein – er wird freie Hand haben. Es ist perfekt …« June brach in Lachen aus, ihr kleiner Körper schüttelte sich vor Freude. Sie hob ihre Hand und schlug gegen einen Musselinvorhang. »Weißt du, ich habe sogar Onkel James gefragt …« Doch es widerstrebte ihr plötzlich, über diese Sache zu reden, und so brach sie ab. Und da sie fand, ihre Freundin zeige nicht genug Interesse, ging sie auch schnell wieder. Sie blickte vom Gehweg aus zurück, Irene stand noch immer in der Tür. In Erwiderung ihres Winkens nahm Irene ihre Hand an die Stirn und drehte sich dann langsam um und schloss die Tür …
Kurz darauf ging Soames ins Empfangszimmer und warf durchs Fenster einen Blick zu ihr.
Sie saß still draußen im Schatten des japanischen Sonnenschutzes, nur die Spitze auf ihren weißen Schultern bewegte sich mit dem sanften Heben und Senken ihres Busens.
Doch dieses stille Wesen, das da so regungslos in der Dunkelheit saß, schien von einer Wärme umgeben zu sein, einer verborgenen Leidenschaft, als ob ihr ganzes Sein in Aufruhr versetzt worden wäre und tief in ihr irgendeine Veränderung stattfände.
Er stahl sich unbemerkt wieder zurück ins Esszimmer.