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Des alten Jolyon lässliche Sünde
ОглавлениеAn demselben Nachmittag verließ der alte Jolyon Lords Kricketplatz in der Absicht, nach Hause zu gehen. Aber bevor er Hamilton Terrace erreicht hatte, wurde er anderen Sinnes, rief eine Droschke heran und nannte dem Kutscher eine Adresse in der Wistaria Avenue. Er hatte einen Entschluss gefasst.
June war die ganze Woche hindurch kaum zu Hause gewesen, sie hatte ihm seit langem nicht mehr Gesellschaft geleistet, eigentlich seit ihrer Verlobung mit Bosinney. Er bat sie nie um ihre Gesellschaft. Es war nicht seine Art, jemanden um etwas zu bitten! Sie hatte jetzt nur den einen Gedanken – Bosinney und seine Angelegenheiten – und ließ ihn mit einer Handvoll Dienstboten in dem großen Hause allein, wo er vom Morgen bis zum Abend keine Seele hatte, mit der er ein Wort hätte wechseln können. Sein Klub war der Reinigung wegen geschlossen; die Sitzungen im Aufsichtsrat hatten aufgehört; es gab also nichts, das ihn in die City führte. June hatte ihm zugeredet zu verreisen; sie selbst wollte nicht fort, weil Bosinney in London blieb.
Aber wo sollte er allein hin? Er konnte nicht allein ins Ausland reisen; die See war nichts für seine Leber, und Hotels waren ihm verhasst. Roger ging in eine Wasserheilanstalt – in seinem Alter wollte er damit nicht mehr anfangen, diese neumodischen Orte waren doch alle Humbug!
Mit solchen Sätzen machte er seiner seelischen Niedergeschlagenheit Luft, aber die Linien in seinem Gesicht vertieften sich, und seine Augen blickten von Tag zu Tag melancholischer, eine Melancholie, die so seltsam auf einem Gesicht berührt, das man immer stark und heiter zu sehen gewohnt ist.
Und daher machte er heute in dem goldenen Licht, das in verstreuten Flecken auf den runden grünen Kugelakazien vor den kleinen Häuschen lag, im Sommersonnenschein, der festlich über den kleinen Gärtchen glänzte, diese Fahrt durch den St. John’s Wood. Er schaute sich mit Interesse um, denn dies war eine Gegend, die kein Forsyte ohne offene Missbilligung und geheime Neugierde betrat.
Sein Wagen hielt vor einem kleinen Haus von jener gelbbraunen Farbe, die auf einen seit langem nicht erneuten Anstrich schließen lässt. Es hatte eine Gartenpforte und einen ländlichen Eingang.
Mit außerordentlicher Gefasstheit stieg er aus; der massive Kopf mit dem hängenden Schnurrbart und dem flügelartig wehenden weißen Haar war hochaufgerichtet unter einem übermäßig großen Zylinder; sein Blick fest, ein wenig finster. Dahin hatte er sich also treiben lassen!
»Ist Mr Jolyon Forsyte zu Hause?«
»Ja, Sir – wen darf ich melden, Sir?«
Der alte Jolyon konnte sich nicht erwehren, dem kleinen Dienstmädchen zuzublinzeln, als er seinen Namen nannte. Es war eine so komische kleine Kröte!
Er folgte ihr durch den dunklen Flur in einen kleinen Salon, dessen Möbel mit Chintz bezogen waren, und das kleine Dienstmädchen bot ihm einen Sitz an.
»Es sind alle im Garten, Sir; wenn Sie freundlichst Platz nehmen würden, ich melde Sie.«
Der alte Jolyon setzte sich in den mit Chintz bezogenen Sessel und sah sich um. Das ganze Haus kam ihm, wie er es ausgedrückt haben würde, dürftig vor; es hatte alles einen gewissen – er wusste nicht recht, wie er es nennen sollte –, einen Anstrich von Schäbigkeit oder vielmehr von großer Einschränkung. So viel er sehen konnte, war kein einziges Möbelstück auch nur fünf Pfund wert. Die vor ziemlich langer Zeit getünchten Wände waren mit Aquarellskizzen geschmückt; quer über der Decke klaffte ein langer Riss.
Diese kleinen Häuser waren sämtlich alt, Sachen zweiten Ranges. Hoffentlich betrug die Miete weniger als hundert Pfund das Jahr; der Gedanke, dass ein Forsyte – sein eigener Sohn – in einem solchen Hause wohnte, kränkte ihn mehr, als er sagen konnte.
Das kleine Dienstmädchen kam zurück. Ob er die Güte haben wollte, in den Garten zu kommen?
Der alte Jolyon trat durch die Glastür hinaus. Als er die Stufen hinabstieg, fiel ihm auf, dass sie eines neuen Anstrichs bedurften.
Der junge Jolyon, seine Frau, die beiden Kinder und sein Hund Balthasar saßen alle unter einem Birnbaum.
Dieser Gang ihnen entgegen war die mutigste Tat im Leben des alten Jolyon; aber kein Muskel seines Gesichts zuckte, keine unruhige Gebärde verriet ihn. Er richtete seine tiefliegenden Augen fest auf den Feind.
In diesen zwei Minuten lieferte er einen vollkommenen Beweis für die unbewusste Vernunft, Ausgeglichenheit und innere Lebenskraft, die ihn wie viele andere seines Standes zum Kern der Nation machten. In der unostentativen Leitung ihrer eigenen Geschäfte, worüber sie alles andere vernachlässigten, waren sie das Urbild des ausgeprägten, den Briten in der natürlichen Isolation ihres Landes angeborenen Individualismus.
Der Hund Balthasar beschnupperte den Saum seiner Beinkleider; dieser zutrauliche und zynische Mischling – der Sprössling einer Liaison zwischen einem russischen Pudel und einem Foxterrier – hatte eine Nase für das Ungewöhnliche.
Als die seltsame Begrüßung vorüber war, setzte sich der alte Jolyon in einen Korbstuhl, und seine beiden Enkelkinder, jedes an einem Knie, schauten ihn schweigend an, denn sie hatten noch nie einen so alten Mann gesehen.
Als wären sie sich der ungleichen Umstände ihrer Geburt bewusst, sahen sie sich gar nicht ähnlich. Jolly, das Kind der Sünde, pausbäckig, das flachsfarbene Haar aus der Stirn gebürstet, mit einem Grübchen am Kinn, hatte die beharrliche Liebenswürdigkeit und die Augen eines Forsyte; die kleine dunkle Holly, das Kind der Ehe, war ein ernstes Seelchen mit den grauen nachdenklichen Augen der Mutter.
Nachdem der Hund Balthasar um die drei kleinen Blumenbeete herumgegangen war, um seine Verachtung im Allgemeinen kundzugeben, hatte er sich ebenfalls vor dem alten Jolyon niedergelassen, wedelte mit dem dicht über dem Rücken von Natur aus buschigen Schwanz und starrte ihn an, ohne zu blinzeln.
Sogar in diesem Garten überschlich den alten Jolyon das Gefühl, dass alles schäbig war. Der Korbstuhl knarrte unter seinem Gewicht, die Gartenbeete sahen ›ruppig‹ aus, und drüben unter den rußgefleckten Mauern hatten sich die Katzen einen Weg gebahnt.
Während er und seine Enkelkinder sich gegenseitig eigentümlich prüfend, voll Neugierde und doch mit Vertrauen anschauten, wie sehr junge und sehr alte Menschen es zu tun pflegen, beobachtete der junge Jolyon seine Frau.
Die Röte in ihrem zarten ovalen Gesicht mit den geraden Brauen und den großen grauen Augen hatte sich vertieft. Ihr Haar, in schönen kühnen Linien aus der Stirn gekämmt, begann zu ergrauen wie das seine, und dieses Grau erhöhte den peinlich rührenden Eindruck ihres plötzlichen Errötens.
Der Ausdruck ihres Gesichts verriet, was er früher niemals bemerkt, was sie immer vor ihm verborgen hatte, geheimen Groll, Sehnsucht und Furcht. Ihre Augen unter den zuckenden Brauen starrten kummervoll. Sie schwieg.
Jolly allein hielt die Unterhaltung aufrecht. Er besaß viele Schätze und wünschte sehnlichst, dass sein unbekannter Freund mit dem ungeheuren Schnurrbart und den ganz von blauen Adern bedeckten Händen, der mit übergeschlagenen Beinen dasaß wie sein eigener Vater (eine Gewohnheit, die er sich anzueignen suchte), sie kennen lernen sollte; aber als echter Forsyte, wenn auch noch keine acht Jahre alt, erwähnte er nichts von dem, was ihm augenblicklich am meisten am Herzen lag – eine Armee Soldaten in einem Schaufenster, die ihm sein Vater zu kaufen versprochen hatte. Wahrscheinlich schien es ihm zu köstlich, hieß die Vorsehung versuchen, schon davon zu sprechen.
Und die Sonnenstrahlen spielten durch die Blätter auf die kleine schweigsame Gesellschaft von drei Generationen unter dem Birnbaum, der seit langem keine Früchte mehr getragen hatte.
Das gefurchte Gesicht des alten Jolyon war fleckig, rot geworden, wie die Gesichter alter Leute in der Sonne werden. Er ergriff eine von Jollys Händen, und der Knabe kletterte auf sein Knie, worauf Klein-Holly, von diesem Anblick magnetisiert, ebenfalls hinaufkroch; und dazu ertönte das rhythmische Kratzen des Hundes Balthasar.
Plötzlich erhob sich die junge Mrs Jolyon und eilte ins Haus. Eine Minute darauf stotterte ihr Mann eine Entschuldigung und folgte ihr. Der alte Jolyon blieb mit seinen Enkeln allein.
Und die Natur mit ihrer wunderbaren Ironie brachte eine ihrer seltsamsten Umwandlungen in ihm hervor, indem sie die Gesetze ihres Kreislaufs tief in sein Herz hinein verfolgte. Seine Zärtlichkeit für kleine Kinder, seine Leidenschaft für die Anfänge des Lebens, die ihn einst dazu bewegt hatten, seinen Sohn zu verlassen und June zu folgen, trieben ihn jetzt dazu, June zu verlassen und diesen kleinen Wesen zu folgen. Die Jugend brannte noch immer wie eine Flamme in seiner Brust, und an der Jugend hielt er fest, an den kleinen runden Gliedern, die so sorglos und der Fürsorge so bedürftig waren, an den kleinen runden, so grundlos feierlichen oder strahlenden Gesichtchen, an den hohen Stimmchen und dem hellen kichernden Lachen, den unaufhörlich zerrenden Händchen und dem Gefühl der kleinen Körper an seinen Beinen, an allem, was jung war, jung und abermals jung. Und seine Augen wurden sanft, sanft seine Stimme, die dünnen, geäderten Hände, und sanft das Herz in ihm. Und für die kleinen Wesen wurde er alsbald eine Quelle des Vergnügens, eine Zuflucht, wo sie sicher waren, wo sie plaudern und lachen und spielen konnten, bis die höchste Fröhlichkeit dreier Herzen von seinem Platz im Korbstuhl wie Sonnenschein erstrahlte.
Anders aber stand es mit dem jungen Jolyon, der seiner Frau in ihr Zimmer nachgefolgt war.
Er fand sie auf einem Stuhl vor ihrem Toilettenspiegel sitzend, das Gesicht in den Händen geborgen.
Ihre Schultern zuckten vor Schluchzen. Diese Leidenschaftlichkeit ihres Schmerzes war ihm unbegreiflich. Er hatte diese Stimmungen schon hundertmal erlebt; wie er sie ertragen hatte, wusste er selbst nicht, denn er konnte nie glauben, dass es wirklich nur Stimmungen waren und dass die letzte Stunde seines Ehebundes noch nicht geschlagen hatte.
In der Nacht würde sie sicherlich die Arme um seinen Hals schlingen und sagen: »Oh, Jo, was musst du durch mich leiden!« Wie sie es schon hundertmal getan hatte.
Er streckte die Hand aus und ließ das Rasieretui unbemerkt in seine Tasche gleiten.
›Ich kann hier nicht länger bleiben‹, dachte er, ›ich muss wieder hinunter!‹ Er verließ das Zimmer ohne ein Wort und ging zurück in den Garten.
Sein Vater hielt Klein-Holly, die sich seiner Uhr bemächtigt hatte, auf den Knien, und Jolly, ganz rot im Gesicht, versuchte zu zeigen, dass er auf dem Kopfe stehen könne. Dem Teetisch so nahe, wie es möglich war, hielt der Hund Balthasar die Augen fest auf den Kuchen gerichtet.
Der junge Jolyon hatte ein boshaftes Verlangen, ihrem Vergnügen ein Ende zu machen.
Was musste sein Vater heute auch hierher kommen und seine Frau aus der Fassung bringen? Es erschreckte sie nach all diesen Jahren! Er hätte es wissen können, hätte sie darauf vorbereiten sollen. Aber wann hätte ein Forsyte sich je vorgestellt, dass sein Verhalten jemanden außer Fassung bringen konnte! Und in Gedanken tat er seinem Vater unrecht.
Er sprach streng zu den Kindern und wies sie, zum Tee hinaufzugehen. Sehr erstaunt, denn sie hatten ihren Vater noch niemals so streng gesehen, gingen sie Hand in Hand davon, und Klein-Holly blickte über ihre Schulter zurück.
Der junge Jolyon schenkte den Tee ein.
»Meine Frau ist heute nicht ganz auf dem Posten«, sagte er, wusste jedoch sehr wohl, dass sein Vater die Ursache ihres plötzlichen Rückzugs durchschaut hatte, und hasste den alten Mann beinah dafür, dass er so ruhig sitzen blieb.
»Du hast hier ein hübsches kleines Haus«, sagte der alte Jolyon mit einem schlauen Blick, »du hast es wohl gemietet?«
Der junge Jolyon nickte.
»Die Nachbarschaft gefällt mir nicht«, sagte sein Vater, »ein heruntergekommener Haufen.«
»Ja«, erwiderte der junge Jolyon, »wir sind ein heruntergekommener Haufen.«
Die Stille wurde jetzt nur durch das Kratzen des Hundes unterbrochen.
»Ich hätte vielleicht nicht herkommen sollen, Jo«, sagte der alte Jolyon einfach, »aber ich bin jetzt so einsam!«
Bei diesen Worten stand der junge Jolyon auf und legte die Hand auf die Schulter seines Vaters.
Im Nebenhause spielte jemand unaufhörlich ›La donna è mobile‹18 auf einem verstimmten Klavier; der kleine Garten lag jetzt im Schatten, die Sonne erreichte nur noch den Rand der Mauer, wo eine Katze lag und sich wärmte, die gelben Augen träge auf den Hund Balthasar gerichtet. Man hörte von fern das schläfrige Gesumm des Straßenverkehrs; der mit Kletterpflanzen überwachsene Gartenzaun versperrte die Aussicht auf alles, bis auf den Himmel, das Haus und den Birnbaum, dessen oberste Zweige die Sonne noch vergoldete.
Eine Weile saßen sie da, ohne viel zu sprechen. Dann erhob sich der alte Jolyon, um zu gehen, und kein Wort von Wiederkommen wurde gesagt.
Er ging sehr traurig fort. Was für ein elender, armseliger Ort. Und er dachte an das große leere Haus in Stanhope Gate, ein Domizil, wie es einem Forsyte zukam, mit seinem großen Billardraum und dem Salon, den von einer Woche zur anderen niemand betrat.
Die Frau, deren Gesicht er ganz gern mochte, war viel zu zart besaitet; sie machte Jo sicher das Leben schwer! Und diese süßen Kinder! Ach, welch furchtbare Torheit!
Er ging Richtung Edgware Road, zwischen Reihen kleiner Häuser, hinter all denen er (wahrscheinlich ganz unberechtigt, aber die Vorurteile eines Forsyte sind geheiligt) irgendeine dunkle Geschichte vermutete.
Die Gesellschaft, fürwahr, die schwätzenden Hexen und Affen, hatten sich über sein Fleisch und Blut zu Gericht gesetzt! Ein Haufen alter Weiber! Er stieß seinen Schirm auf den Boden, als wolle er ihn jenem erbärmlichen Körper ins Herz bohren, der es gewagt hatte, seinen Sohn und seines Sohnes Sohn, in dem er wieder hätte aufleben können, zu ächten!
Er stieß heftig mit dem Schirm auf; und doch hatte er selbst sich vor fünfzehn Jahren dem Urteil der Gesellschaft angeschlossen – war ihm erst heute untreu geworden!
Mit all der alten Bitterkeit dachte er an June, ihre tote Mutter und die ganze Vergangenheit. Eine unselige Geschichte!
Er brauchte lange Zeit, bis er nach Stanhope Gate kam, denn obwohl er äußerst müde war, ging er aus angeborenem Eigensinn den ganzen Weg zu Fuß.
Nachdem er sich unten in der Toilette die Hände gewaschen hatte, begab er sich in den Speisesaal, der einzige Raum, den er benutzte, wenn June fort war – es war ihm dann weniger einsam. Das Abendblatt war noch nicht gekommen, die Times hatte er gelesen, er hatte also nichts zu tun.
Der Raum lag abseits vom Straßenverkehr und war sehr ruhig. Er mochte keine Hunde, aber selbst ein Hund wäre jetzt eine Gesellschaft gewesen. Sein Blick wanderte an den Wänden entlang und blieb auf einem Bilde mit dem Titel ›Holländische Fischerboote bei Sonnenuntergang‹ haften; es war das Meisterstück seiner Sammlung. Aber es machte ihm keine Freude. Er schloss die Augen. Er fühlte sich einsam! Er durfte sich nicht beklagen, das wusste er, aber er konnte nicht anders: Er war ein armer Wicht – war es immer gewesen – er hatte keinen Mut! Das ging ihm durch den Kopf.
Der Butler kam, um den Tisch zu decken, und da er glaubte, dass sein Herr schlief, befleißigte er sich der äußersten Vorsicht in seinen Bewegungen. Dieser bärtige Mann trug einen Schnurrbart, der vielen Familienmitgliedern, besonders denen, die wie Soames eine öffentliche Schule besucht hatten und in solchen Dingen auf das Vorschriftsmäßige sahen, Anlass zu ernsten Bedenken gegeben hatte. War er denn wirklich ein Butler? Mutwillige Geister nannten ihn: ›Onkel Jolyons Nonkonformist‹, und George, der anerkannte Witzbold, hatte ihm den Namen ›Sankey‹19 gegeben.
Der Butler bewegte sich mit unnachahmlicher Gewandtheit leise zwischen dem großen polierten Büfett und dem großen polierten Tisch hin und her.
Der alte Jolyon, der sich schlafend stellte, beobachtete ihn. Der Mensch war ein Schleicher – es war ihm immer so vorgekommen –, der keinen anderen Gedanken hatte, als schnell mit seiner Arbeit fertig zu werden und dann zu seinen Wetten oder seinem Schatz oder der Himmel weiß was hinauszukommen. Ein Faulenzer! Auch noch dick dazu! Und er machte sich nicht das Geringste aus seinem Herrn!
Aber dann kam wieder einer jener philosophischen Augenblicke, die den alten Jolyon von anderen Forsytes unterschieden:
Warum sollte der Mann sich schließlich etwas aus ihm machen? Dafür wurde er nicht bezahlt, also weshalb es dann erwarten? Man konnte in dieser Welt nicht auf Anhänglichkeit rechnen, wenn man nicht dafür zahlte. In einer anderen war es vielleicht nicht so – vielleicht, wer weiß? Und wieder schloss er die Augen.
Unentwegt und vorsichtig fuhr der Diener in seiner Arbeit fort, während er aus verschiedenen Fächern des Büfetts die Sachen nahm. Sein Rücken schien stets seinem Herrn zugewandt; auf diese Weise nahm er seinen Verrichtungen in dessen Gegenwart das Ungeziemende. Ab und zu hauchte er verstohlen auf das Silber und rieb es mit einem Stück gämsfarbenen Leder ab. Es sah aus, als wären seine Gedanken ausschließlich auf die Menge des Weins in den Karaffen gerichtet, die er vorsichtig und ziemlich hoch herbeitrug, wobei er seinen Bart schützend über sie niederhängen ließ. Als er fertig war, blieb er eine Minute lang stehen und beobachtete seinen Herrn mit einem verächtlichen Blick in den grünlichen Augen:
Der war doch eigentlich nur ein sonderbarer alter Kauz, mit dem nicht viel mehr anzufangen war!
Leise wie ein Kater ging er quer durch den Raum, um zu klingeln. Ihm war angesagt: »Dinner um sieben Uhr.« Wenn sein Herr nun auch schlief, das wollte er ihm bald vertreiben; zum Schlafen war die Nacht doch da! Er hatte an sich selbst zu denken, denn um halb neun musste er in seinem Klub sein!
Auf das Klingeln erschien ein Knabe in Livree mit einer silbernen Suppenterrine. Der Butler nahm sie ihm ab und setzte sie auf den Tisch, dann stellte er sich an die offene Tür, als wären Gäste hereinzulassen, und sagte mit feierlicher Stimme:
»Es ist angerichtet, Sir!«
Langsam erhob sich der alte Jolyon von seinem Sessel und setzte sich an den Tisch, um seine Mahlzeit zu sich zu nehmen.
Achtes Kapitel