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MESSER ZUM ABENDESSEN

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Nach einer warmen Dusche und einer Rasur zog sich Bond an. Es war angenehm, sich wieder in einen gut geschnittenen grauen Kammgarnanzug, ein einfaches blaues Hemd und eine seiner liebsten Strickkrawatten von Jacques Fath kleiden zu können. Selbst im tiefsten Winter zogen die Hotels und guten Restaurants in Helsinki es vor, wenn Herren Krawatten trugen.

Die Heckler & Koch P7, die die schwerere VP70 ersetzte, ruhte bequem in ihrem Klemmfederholster unter seiner linken Achselhöhle, und um die beißende Kälte abzuwehren, trug Bond beim Betreten des Hotelfoyers seinen warmen Mantel von Crombie. Er verlieh ihm ein militärisches Aussehen – besonders mit der Fellkapuze –, aber das erwies sich in skandinavischen Ländern stets als Vorteil.

Das Taxi fuhr mit gleichmäßiger Geschwindigkeit über die Mannerheimintie nach Süden. Der Schnee war ordentlich zur Seite geräumt worden und lag nun in kleinen Bergen neben den Gehwegen. Die Bäume bogen sich unter seinem Gewicht. Ein paar von ihnen waren mit langen Eiszapfen geschmückt, die von den Ästen hingen – als hätten sie sich für Weihnachten herausgeputzt. In der Nähe des Nationalmuseums, dessen hoher Turm in den Himmel aufragte, schien ein Baum wie ein weiß verhüllter Mönch zu kauern, der einen funkelnden Dolch umklammert hielt.

Über allem konnte Bond im klaren Frost die beeindruckenden, von Flutlichtern angestrahlten Kuppeln der Uspenski-Kathedrale sehen, und er wusste sofort, warum Filmemacher in Helsinki drehten, wenn sie eine Kulisse brauchten, die wie Moskau aussah.

Eigentlich waren sich die beiden Städte so ähnlich wie eine Wüste und ein Dschungel – die modernen Gebäude der finnischen Hauptstadt waren voller Flair und Schönheit und stellten einen deutlichen Kontrast zu Moskaus hässlichen, einheitlichen Ungetümen dar. Doch in den älteren Teilen beider Städte wurde das Spiegelbild unheimlich – in den Seitenstraßen und auf den kleinen Plätzen, wo die Häuser aneinanderzulehnen schienen und die verzierten Fassaden an das erinnerten, was Moskau einst gewesen war, in der guten schlechten alten Zeit der Zaren und Prinzen und der Ungleichheit. Nun, dachte Bond, hatten sie stattdessen einfach das Politbüro, Kommissare, den KGB und … Ungleichheit.

Paula lebte in einem Wohngebäude am Esplanade Park am südöstlichen Ende der Mannerheimintie. Es war ein Teil der Stadt, den Bond noch nie zuvor besucht hatte, daher war er bei seiner Ankunft sowohl überrascht als auch erfreut.

Der Park selbst war ein langer, landschaftlich gestalteter Streifen, der zwischen den Häusern entlang verlief. Es gab Anzeichen dafür, dass es im Sommer mit den Bäumen, den Steingärten und den Wegen ein sehr idyllisches Plätzchen sein dürfte. Jetzt, mitten im Winter, erfüllte der Esplanade Park eine neue, originelle Funktion. Künstler aller Altersstufen und Fähigkeiten hatten den Ort in eine Freiluftgalerie mit Schneeskulpturen verwandelt. Aus dem frischen Schnee der vergangenen Tage erhoben sich liebevoll gestaltete Formen und Figuren: abstrakte Gebilde, Kunstwerke von solcher Feinheit, dass man glauben könnte, sie seien aus Holz geschnitzt oder mit viel Geduld aus Metall hergestellt worden. Gezackte aggressive Formen standen neben nachdenklichen runden, friedlichen Kunstwerken, während sich Tiere – naturalistisch oder nur in kantigen Blöcken angedeutet – aneinanderdrückten oder den vorbeieilenden Passanten, die sich unter ihren warmen Pelzmänteln zusammenkauerten, ihre leeren winterlichen Mäuler entgegenreckten.

Das Taxi hielt fast direkt gegenüber einer lebensgroßen Skulptur eines Mannes und einer Frau, die sich in einer innigen Umarmung umschlungen hielten, aus der sie nur die Wärme des Frühlings befreien konnte.

Die Gebäude um den Park herum waren fast alle alt. Die wenigen neuen Bauwerke sahen wie neu erschaffene Pufferstaaten aus, die die Lücken in der lebendigen Geschichte überbrücken sollten.

Aus keinem logischen Grund heraus hatte sich Bond vorgestellt, dass Paula in einem neuen und schicken Wohnblock leben würde. Stattdessen musste er feststellen, dass ihre Adresse zu einem vierstöckigen Haus mit frisch gestrichenen grünen Fensterläden gehörte. Eisblumen zierten die Fassade wie hängende Blumenkästen und schmückten mit ihren frostigen Spuren das Schweifwerk und die Dachrinnen, als wären im Dezember Vandalen eingefallen, um die leicht zu erreichenden Stellen mit Sprühfarbe zu bearbeiten.

Zwei geschwungene, halb mit Holz gedeckte Giebel teilten das Haus, das einen einzigen verglasten und unverschlossenen Eingang hatte. Direkt hinter der Tür zeigte eine Reihe metallener Briefkästen an, wer hier lebte. Die Namensschilder befanden sich in winzigen Fenstern. Im Flur und auf der Treppe lag kein Teppich, und der Geruch guter Politur vermischte sich mit verlockenden Küchendüften.

Paula wohnte im dritten Stock – 3A –, und Bond öffnete die Knöpfe seines dicken Mantels und machte sich daran, die Treppe zu erklimmen. Auf jedem Treppenabsatz entdeckte er zwei Türen, eine rechts, eine links. Sie waren solide gebaut, mit Klingelknöpfen versehen und wiesen die gleichen kleinen Namensschilder wie die Briefkästen im Erdgeschoss auf.

Auf dem dritten Treppenabsatz sah er Paula Vackers Namen, der in eleganter Schrift auf einem Schild unter der Klingel von Wohnung 3A stand. Aus Neugier warf Bond einen Blick zu Wohnung 3B. Der Bewohner war ein gewisser Major A. Nyblin. Er stellte sich einen Militär im Ruhestand vor, der umgeben von Militärgemälden, Büchern über Strategie und Kriegsromanen – ein enorm gut gehendes Geschäft für finnische Verleger – lebte und die Erinnerungen an jene drei Unabhängigkeitskriege der Nation gegen Russland am Leben hielt: zuerst gegen die Revolution, dann gegen die Invasion und schließlich Seite an Seite mit der Wehrmacht.

Bond drückte hart und lang auf Paulas Klingel. Dann stellte er sich direkt vor den kleinen Türspion im mittleren Teil der Tür. Im Inneren erklang das Rasseln von Ketten, dann wurde die Tür geöffnet und da war sie. Sie trug einen langen seidenen Morgenmantel, der locker mit einem Band zugebunden war. Sie war dieselbe Paula, so einladend und attraktiv wie immer.

Er sah, wie sich ihre Lippen bewegten, als wollte sie ihn willkommen heißen. In diesem Augenblick erkannte er, dass dies nicht dieselbe Paula war. Ihre Wangen waren blutleer und weiß, die Hand an der Tür zitterte. Und tief in den grau gefleckten Augen saß das unmissverständliche Flackern der Angst.

Intuition, so lehrte man es in der Ausbildung des Service, war etwas, das man durch Erfahrung lernte: Man wurde nicht damit geboren, als wäre es ein zusätzlicher Sinn.

Laut sagte Bond: »Ich bin’s nur, der Mann von der anderen Seite des Meeres.« Gleichzeitig schob er einen Fuß vor und drückte die Seite seines Schuhs gegen die Tür. »Freust du dich, dass ich gekommen bin?« Während er sprach, packte Bond Paulas Schulter mit der linken Hand, wirbelte sie herum und zerrte sie auf den Treppenabsatz. Mit der rechten Hand hatte er bereits die Automatik gezogen. In weniger als drei Sekunden stand Paula an der Wand neben Major Nyblins Tür und Bond betrat ihre Wohnung mit der gezückten Heckler & Koch.

Sie waren zu zweit. Ein kleiner Wicht mit einem dünnen, pockennarbigen Gesicht versteckte sich links von Bond. Er drückte sich flach gegen die Wand, wo er Paula mit einem Revolver bedroht hatte, der wie ein Charter Arms Undercover .38 Special aussah. Am anderen Ende des Raums – es gab keinen Flur – hatte sich ein großer Mann mit gewaltigen Händen und dem Gesicht eines gescheiterten Boxers neben einer schönen, in Leder und Chrom gehaltenen Wohnzimmergarnitur aus Sessel und Sofa aufgebaut. Zu seinen auffälligen Gesichtsmerkmalen zählte eine Nase, die wie ein Karbunkel in fortgeschrittenem Stadium aussah. Er trug keine sichtbare Waffe bei sich.

Links von Bond hob der Wicht seine Waffe, und der Boxer setzte sich in Bewegung. Bond setzte seine Waffe ein. Die große Heckler & Koch schien sich in Bonds Hand nur minimal zu bewegen, als sie mit voller Kraft auf das Handgelenk des Wichts hinabsauste. Der Revolver wurde aus seiner Hand geschleudert, und ein schmerzerfüllter Aufschrei begleitete das laute Knacken der Knochen.

Bond hielt die Heckler & Koch auf den größeren Mann gerichtet und benutzte seinen linken Arm, um den Wicht wie einen Schutzschild vor sich zu zerren. Gleichzeitig rammte Bond sein Knie hart nach oben. Der kleine Schütze sackte zusammen, seine unverletzte Hand tatschte halbherzig umher, um seine Leistengegend zu schützen. Er quiekte wie ein Schwein und wand sich zu Bonds Füßen.

Den größeren der beiden schien die Waffe nicht zu beeindrucken, was entweder für großen Mut oder einen Mangel an geistiger Gesundheit sprach. Eine Heckler & Koch konnte auf diese Entfernung ein großes Loch in einen menschlichen Körper reißen.

Bond stieg über den Körper des Wichts und trat noch einmal mit seiner rechten Hacke zu. Dann hob er mit ausgestreckten Armen die Automatik und rief seinem näher kommenden Gegner zu: »Stehen bleiben oder Sie sind ein toter Mann.« Es war eher ein Befehl als eine Warnung, denn Bonds Finger spannte sich bereits am Abzug.

Der Mann mit der Karbunkelnase kam der Aufforderung nicht nach. Stattdessen schlug er in schlechtem Russisch vor, dass Bond Inzest mit seinem weiblichen Elternteil begehen solle.

Bond nahm die Bewegung seines Gegners kaum wahr. Der Mann war besser, als er vermutet hatte, und sehr schnell. Als er sich herumdrehte, setzte sich Bond in Bewegung, um ihm mit der Automatik zu folgen. Erst dann verspürte er den heftigen, unnatürlichen Schmerz in seiner rechten Schulter.

Für eine Sekunde brachte die plötzliche Pein Bond aus dem Gleichgewicht. Seine Arme sackten nach unten, Karbunkelnases Fuß hob sich. Bond wurde klar, dass man mit seiner Einschätzung nicht immer bei allen Menschen richtigliegen konnte. Dieser hier war eine echte Bedrohung – ein Mörder, ausgebildet, präzise und erfahren.

Zu dieser Erkenntnis gesellten sich gleichzeitig drei andere Dinge: der Schmerz in Bonds Schulter, dass ihm die Waffe aus der Hand getreten wurde – die davonflog und gegen die Wand knallte – und hinter ihm das leiser werdende Jammern des Wichts, der die Treppe hinunterrannte und floh.

Karbunkelnase kam schnell näher. Er hatte eine Schulter gesenkt und hielt den Körper seitlich.

Bond machte einen schnellen Schritt zurück und nach rechts zur Wand. Als er sich bewegte, entdeckte er, was den Schmerz in seiner Schulter verursacht hatte. Im Türsturz steckte ein zwanzig Zentimeter langes Messer mit einem Horngriff und einer Klinge, die sich zur Spitze hin krümmte. Es war ein Häutungsmesser, wie jene, die die Lappen einsetzten, um das Fell vom Kadaver eines Rentiers zu trennen.

Bond griff nach oben und schloss die Finger um den Griff. Seine Schulter war mittlerweile taub vor Schmerz. Er kroch schnell zu einer Seite und hielt das Messer fest in der rechten Hand. Die Klinge hatte er nach oben gerichtet, und Daumen und Zeigefinger ruhten in Kampfhaltung ganz weit vorne am Griff. Man musste immer, so hieß es in der Ausbildung, eine Position zum Zustoßen einnehmen und das Messer niemals in einer abwärts zustechenden Bewegung halten. Wenn man ein Messer hatte, durfte man nie in Verteidigungshaltung gehen, sondern musste immer angreifen.

Bond drehte sich herum und stellte sich Karbunkelnase entgegen. Er hatte die Knie gebeugt und einen Fuß in der klassischen Messerkampfpose nach vorn verlagert, um das Gleichgewicht zu halten.

Karbunkelnase war mit den Regeln vertraut, doch er zögerte. Bond vermutete, dass er ein Messerkämpfer war, der nicht viel von Schusswaffen verstand. Er hatte zweifellos weitere Messer an seinem Körper versteckt, denn nun befand sich wie von Zauberhand eine ähnliche Waffe in seiner großen rechten Hand.

»Was haben Sie da über meine Mutter gesagt?«, knurrte Bond in besserem Russisch als sein Gegner.

Karbunkelnase grinste und zeigte fleckige Zähne. »Jetzt werden wir sehen, Mr Bond.«

Sie umkreisten einander, und Bond trat einen kleinen Stuhl beiseite, um ihnen eine größere Kampffläche zu verschaffen. Karbunkelnase fing an, sein Messer von einer Hand in die andere zu werfen. Er war leichtfüßig, bewegte sich die ganze Zeit und zog den Kreis enger. Es war eine bestens bekannte Verwirrungstaktik: Man ließ den Gegner im Ungewissen, lockte ihn näher und schlug dann zu.

Komm schon, dachte Bond, Komm schon. Komm her, näher, komm zu mir. Karbunkelnase tat genau das, ohne die Gefahr zu bemerken, in die er sich begab, indem er den Abstand verringerte. Bond hielt unablässig den Blick des großen Mannes, seine Sinne richteten sich auf das Messer seines Feindes, während es funkelnd hin- und hergeworfen wurde und der Griff bei jedem Wechsel mit einem festen Klatschen auf die Handfläche schlug.

Das Ende kam plötzlich und schnell.

Karbunkelnase rückte ein Stück näher an Bond heran und warf das Messer weiterhin zwischen seinen Händen hin und her. Bond trat abrupt vor, sein rechtes Bein schnellte in einem Ausfallschritt vor, der Fuß kam mitten zwischen den Füßen des Gegners auf. Im selben Augenblick warf Bond sein Messer von rechts nach links. Dann täuschte er an, das Messer wieder in die rechte Hand zu werfen, wie sein Gegner es erwarten würde.

Der Moment war gekommen. Bond sah, wie sich die Augen des großen Mannes leicht in die Richtung bewegten, in die das Messer fliegen sollte. Es folgte ein Sekundenbruchteil, in dem Karbunkelnase unsicher war. Bonds linke Hand schnellte fünf Zentimeter nach oben, schoss dann nach vorn und nach unten. Das klirrende Krachen von aufeinandertreffendem Stahl erklang.

Karbunkelnase hatte das Messer gerade erneut in die andere Hand geworfen. Bonds Klinge hatte die Waffe mitten in der Luft abgefangen und sie zu Boden geschleudert. Aus einem automatischen Reflex heraus bewegte sich der große Mann nach unten und streckte eine Hand aus, um nach dem Messer zu greifen. Bonds Messer schnellte nach oben.

Der große Mann richtete sich sehr schnell wieder auf und gab ein Ächzen von sich. Seine Hand zuckte zu seiner Wange, der Bond mit seinem Messer einen hässlichen, blutenden und klaffenden Schnitt verpasst hatte, der vom Ohr bis zur Kieferpartie reichte. Mit einem weiteren schnellen Stoß nach oben schnitt Bond mit dem Messer in die abwehrende Hand. Dieses Mal stieß Karbunkelnase ein Brüllen aus, in dem sich Schmerz und Wut vermischten.

Bond wollte niemanden töten – nicht in Finnland, nicht unter diesen Umständen. Aber er konnte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Der große Mann riss die Augen ungläubig und ängstlich auf, als Bond erneut angriff. Das Messer blitzte wieder zwei Mal auf, hinterließ eine ausgefranste Wunde auf der anderen Wange und schnitt das Ohrläppchen ab.

Karbunkelnase hatte offensichtlich genug. Er taumelte zur Seite und hielt keuchend auf die Tür zu. Bond kam zu dem Schluss, dass der Mann über mehr Intelligenz verfügte, als er ihm zugetraut hätte.

Der Schmerz kehrte in Bonds Schulter zurück und brachte ein Schwindelgefühl mit sich. Er hatte nicht vor, seinem mutmaßlichen Angreifer zu folgen, dessen stolpernde, unsichere Schritte er auf der Holztreppe poltern hörte.

»James?« Paula war ins Zimmer zurückgekehrt. »Was soll ich tun? Die Polizei rufen oder …?« Sie sah verängstigt aus, ihr Gesicht war vor Schreck ganz blass. Bond vermutete, dass er ebenfalls nicht sehr gut aussah.

»Nein. Nein, die Polizei können wir hier nicht gebrauchen, Paula.« Er ließ sich auf den nächstgelegenen Stuhl sinken. »Schließ die Tür, schieb die Kette vor und wirf einen Blick aus dem Fenster.«

Alles um ihn herum schien sich zurückzuziehen. Überraschenderweise, dachte er vage, tat Paula, was er verlangt hatte. Normalerweise hinterfragte sie ihn immer. Frauen wie Paula gab man für gewöhnlich keine Befehle.

»Siehst du etwas?« Für Bond klang seine Stimme, als käme sie von weit weg.

»Ein Auto fährt davon. Weitere Autos parken da unten. Ich kann keine Menschen sehen …«

Das Zimmer kippte zur Seite und wurde dann wieder scharf.

»… James, deine Schulter.« Er konnte sie neben sich riechen. »Erzähl mir einfach, was passiert ist, Paula. Das ist wichtig. Wie sind sie reingekommen? Was haben sie gemacht?«

»Deine Schulter, James.«

Er warf einen Blick darauf. Der dicke Stoff seines warmen Wintermantels hatte ihn vor einer ernsthaften Verletzung bewahrt. Doch das Messer hatte sich durch das Schulterstück gebohrt. Blut sickerte durch den Stoff und hinterließ einen dunklen feuchten Fleck.

»Erzähl mir, was passiert ist«, wiederholte Bond.

»Du bist verletzt. Ich muss mir die Wunde ansehen.«

Sie schlossen einen Kompromiss, und Bond zog sich obenherum aus. Ein hässlicher Schnitt verlief diagonal über seine Schulter, wo sich das Messer gut einen Zentimeter tief in sein Fleisch gebohrt hatte. Paula benutzte ein Antiseptikum, heißes Wasser, Pflaster und Mullbinden, um die Wunde zu säubern und zu verbinden, während sie ihm ihre Geschichte erzählte. Nach außen hin wirkte sie ruhig, doch Bond bemerkte, dass ihre Hände leicht zitterten, als sie berichtete, was passiert war.

Die beiden Mörder waren nur ein paar Minuten vor seiner Ankunft vor ihrer Tür aufgetaucht. »Ich war ein wenig spät dran.« Sie vollführte eine vage Geste und deutete auf ihren seidenen Morgenmantel. »Ich war dumm. Ich hatte die Kette nicht vorgehängt und dachte einfach, dass du es wärst. Ich habe nicht mal durch den Türspion geschaut.« Die Eindringlinge hatten sich gewaltsam Zutritt zur Wohnung verschafft, sie zurück ins Zimmer gedrängt und ihr gesagt, was sie tun sollte. Außerdem hatten sie recht ausführlich erklärt, was sie mit ihr anstellen würden, falls sie ihren Anweisungen nicht nachkam.

Bond kam zu dem Schluss, dass sie unter den Umständen das einzig Richtige getan hatte. Was ihn betraf, gab es allerdings einige Fragen, die nur über die Kanäle des Service beantwortet werden konnten, was bedeutete, dass er nach London zurückmusste, auch wenn er gerne noch in Finnland geblieben wäre. Die Tatsache, dass die beiden Männer nur ein paar Minuten vor seiner Ankunft in Paulas Wohnung gewesen waren, ließ ihn vermuten, dass sie gewartet hatten, bis sein Taxi am Esplanade Park angehalten hatte.

»Tja, danke, dass du mich an der Tür gewarnt hast«, sagte Bond und entspannte seine verpflasterte und verbundene Schulter.

Paula zog einen kleinen Schmollmund. »Ich wollte dich gar nicht warnen. Ich hatte einfach nur echte Angst.«

»Ach was, du hast doch nur so getan, als ob du Angst hättest.« Bond lächelte sie an. »Ich kann beurteilen, ob Leute wirklich Angst haben oder nicht.«

Sie beugte sich vor, küsste ihn und runzelte dann leicht die Stirn. »James, ich habe immer noch Angst. Ich bin ganz starr vor Schreck, wenn du es unbedingt wissen musst. Was hat es mit dieser Waffe auf sich, und wie konntest du auf diese Weise reagieren? Ich dachte, du wärst nur ein hohes Tier der Regierung.«

»Das bin ich. Hochgewachsen und manchmal werde ich zum Tier.« Er hielt inne, bereit, die wichtigen Fragen zu stellen, doch Paula ging durch den Raum, um die Automatikpistole aufzuheben und sie ihm nervös zurückzugeben.

»Werden sie wiederkommen?«, wollte Paula wissen. »Ist es wahrscheinlich, dass sie mich noch mal angreifen werden?«

»Hör zu«, sagte Bond und breitete die Hände aus, »aus irgendeinem Grund waren ein paar Gangster hinter mir her. Ich weiß wirklich nicht, warum. Ja, manchmal führe ich etwas gefährliche Aufträge aus – daher die Waffe. Aber mir fällt kein Grund ein, warum mich diese beiden hier in Helsinki angreifen sollten.«

Er erklärte, dass er die wahre Antwort in London finden mochte und das Gefühl habe, dass Paula sicher sein werde, sobald er aus dem Weg sei. An diesem Abend war es bereits zu spät, um noch einen British-Airways-Flug nach Hause zu erwischen, also musste er auf die reguläre Finnair-Maschine am nächsten Morgen um kurz nach neun warten.

»Das war’s wohl mit unserem Abendessen.« Sein Lächeln sollte entschuldigend wirken.

Paula sagte, sie habe Lebensmittel im Haus. Sie könnten hier essen. Ihre Stimme zitterte. Bond beschloss, dass es am besten wäre, seine Befragung von der positiven Seite aus anzufangen, bevor er das wirklich große Problem in Angriff nahm: Woher wussten die mutmaßlichen Auftragsmörder, dass er in Helsinki war, und – noch wichtiger – woher wussten sie, dass er Paula besuchen wollte?

»Hast du hier ein Auto, Paula?«, begann er.

Sie hatte draußen ein Auto inklusive Parkplatz.

»Kann gut sein, dass ich dich später um einen Gefallen bitte.«

»Das hoffe ich.« Sie schenkte ihm ein tapferes Lächeln.

»Okay. Bevor wir uns darum kümmern, gibt es noch wichtigere Dinge.« Bond bombardierte sie in schneller Abfolge mit den offensichtlichen Fragen und verlangte schnelle Antworten. Er ließ ihr keine Zeit, irgendetwas zu umgehen oder über die Erwiderungen nachzudenken.

Hatte sie seit ihrer ersten Begegnung je mit ihren Freunden oder Kollegen hier in Finnland über ihn geredet? Natürlich. Hatte sie das auch in einem anderen Land getan? Ja. Konnte sie sich an die Anzahl der Leute erinnern, mit denen sie geredet hatte? Sie nannte ein paar offensichtliche Namen – enge Freunde und Personen, mit denen sie arbeitete. Konnte sie sich daran erinnern, ob andere Leute in der Nähe gewesen waren, als sie über Bond gesprochen hatte? Leute, die sie nicht kannte? Das sei durchaus möglich, doch Paula konnte ihm keine Einzelheiten nennen.

Bond machte mit den aktuelleren Ereignissen weiter. War jemand bei ihr im Büro gewesen, als er sie aus dem Inter-Continental angerufen hatte? Nein. Gab es irgendeine Möglichkeit, dass jemand den Anruf mitgehört haben könnte? Möglicherweise. Jemand hätte über die Schaltzentrale mithören können. Hatte sie nach dem Telefonat mit jemandem gesprochen – irgendjemandem erzählt, dass er in Helsinki sei und sie um halb sieben abholen würde? Nur einer Person. »Ich habe mich mit einer Frau getroffen – einer Kollegin aus einer anderen Abteilung. Wir hatten uns verabredet, um beim Abendessen über die Arbeit zu sprechen.«

Der Name dieser Frau lautete Anni Tudeer, und Bond nahm sich sehr viel Zeit, um alle Fakten über sie in Erfahrung zu bringen. Schließlich verfiel er in Schweigen, stand auf, ging zum Fenster hinüber, schob den Vorhang zurück und starrte hinaus.

Die Gegend unter ihm wirkte trostlos und ein wenig feindselig. Die weißen gefrorenen Figuren warfen Schatten über die Frostschicht auf dem Boden. Zwei kleine Fellbündel schlurften den gegenüberliegenden Gehweg entlang. In der Straße parkten mehrere Autos. Zwei davon wären ideal für eine Überwachung gewesen: Der Winkel, in dem sie standen, bot eine gute Sicht auf die Vordertür. Bond glaubte, eine Bewegung in einem von ihnen wahrzunehmen, beschloss aber, die Sache erst einmal zu verdrängen, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war. Er kehrte zu seinem Stuhl zurück.

»Ist das Verhör vorbei?«, fragte Paula.

»Das war kein Verhör.« Bond zog sein altbewährtes Zigarettenetui hervor und bot ihr eine seiner speziellen Simmons-Zigaretten an. »Eines Tages werde ich dir vielleicht mal zeigen, wie ein Verhör abläuft. Weißt du noch, wie ich sagte, ich würde dich vielleicht um einen Gefallen bitten müssen?«

»Bitte und er wird gewährt.«

Sein Gepäck sei im Hotel, erklärte Bond ihr, und er müsse zum Flughafen. Ob er wohl bis vier Uhr morgens in ihrer Wohnung bleiben und dann mit ihrem Auto zum Hotel fahren könne, um dort die Rechnung zu bezahlen und auszuchecken, bevor er weiter zum Flughafen fahren würde? »Ich kann dafür sorgen, dass man dein Auto hierher zurückbringt.«

»Du fährst nirgendwo hin, James.« Sie klang furchtbar ernst und stur. »Du hast eine scheußliche Wunde an deiner Schulter. Sie wird früher oder später weitere Behandlung benötigen. Ja, du bleibst bis vier Uhr früh hier, dann werde ich dich zu deinem Hotel und zum Flughafen fahren. Aber warum so früh? Der Flug geht doch erst nach neun. Du könntest von hier aus buchen.«

Einmal mehr wiederholte Bond, dass sie nicht wirklich sicher sein würde, bis sie nicht mehr in seiner Gesellschaft war. »Wenn ich in den frühen Morgenstunden am Flughafen eintreffe, wirst du mich los sein. Außerdem werde ich einen Vorteil haben. In der Wartehalle eines Flughafens kann man sich so positionieren, dass einem niemand eine unangenehme Überraschung bereiten kann. Und dein Telefon werde ich aus offensichtlichen Gründen nicht benutzen.«

Sie stimmte zu, bestand jedoch weiterhin darauf, ihn zu fahren. Und da Paula eben Paula war, willigte Bond ein.

»Du siehst besser aus.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Willst du einen Drink?«

»Du weißt ja, was ich mag.«

Sie ging in die Küche und mixte einen Krug mit seinem liebsten Martini. Er hatte ihr vor über drei Jahren in London das Rezept beigebracht – ein Rezept, das aufgrund gewisser Veröffentlichungen bei vielen Leuten zum Standard geworden war. Nach dem ersten Drink schien das Pochen in seiner Schulter an Heftigkeit zu verlieren. Beim zweiten hatte Bond das Gefühl, fast wieder im Normalzustand zu sein. »Ich liebe diesen Morgenmantel.« Sein Verstand fing an, Dinge zu seinem Körper zu sagen, und sein Körper reagierte darauf – Wunde oder nicht.

»Tja«, erwiderte sie mit einem scheuen Lächeln, »um die Wahrheit zu sagen, ich hatte das Abendessen hier schon vorbereitet. Ich hatte nicht vor, auszugehen. Ich war fertig, als diese … diese Grobiane auftauchten. Wie geht es deiner Schulter?«

»Sie würde mich nicht von einer Partie Schach abhalten, oder jeder anderen beliebigen Sportart, die man drinnen ausüben kann.«

Mit einer einzigen Bewegung zog sie den Bindegürtel auf, und der Morgenmantel öffnete sich. »Du sagtest, ich wisse, was dir gefalle«, bemerkte sie leichthin und fügte dann hinzu: »Das heißt, sofern du dich dazu in der Lage fühlst.«

»Ich fühle mich durchaus dazu in der Lage«, entgegnete Bond.

Als sie aßen, war es fast Mitternacht. Paula dekorierte den Tisch mit Kerzen und servierte ein wahrhaft denkwürdiges Mahl: Schneehuhn in Aspik, flambierter Lachs und eine köstliche Schokoladenmousse. Dann, um vier Uhr morgens und mit der entsprechenden Kleidung, um sich der beißenden Kälte der Dämmerung zu stellen, gestattete sie Bond, die Treppe hinunter voranzugehen.

Mit der P7 in der Hand nutzte Bond die Schatten, um auf die Straße zu schleichen und sich seinen Weg über die eisglatte Fahrbahn zu bahnen, zuerst zu einem Volvo, dann zu einem Audi. Im Volvo saß ein schlafender Mann. Er hatte den Kopf zurückgelehnt, den Mund offen stehen und war tief in Träumen versunken, denen Überwachungsmänner im Laufe der Nacht anheimfielen. Der Audi war leer.

Bond gab Paula ein Zeichen, und sie kam sicheren Schrittes über die Straße zu ihrem Auto. Es startete beim ersten Versuch. Der Auspuff schickte dichte Wolken in die eisige Luft hinaus, und Paula fuhr mit dem Können einer Person, die daran gewöhnt war, ihr Auto jedes Jahr aufs Neue für lange Zeitspannen durch Schnee und Eis zu steuern. Im Hotel verliefen das Abholen des Gepäcks und das Auschecken problemlos. Als Paula dann nach Norden Richtung Vantaa fuhr, folgte ihnen niemand.

Offiziell öffnete der Vantaa-Flughafen nicht vor sieben Uhr, aber es waren trotzdem immer Leute dort. Um fünf Uhr morgens hatte der Ort diese Atmosphäre, die man überall auf der Welt mit dem säuerlichen Geschmack von zu vielen Zigaretten, ständigem Kaffeekonsum und der Müdigkeit beim Warten auf Nachtzüge oder Flugzeuge in Verbindung bringt.

Bond ließ nicht zu, dass Paula mit ihm wartete. Er versicherte ihr, dass er sie so bald wie möglich aus London anrufen würde, und sie küssten sich zum Abschied liebevoll.

In der Hauptwartehalle für den Abflugbereich, wo Bond Position bezog, waren Reinigungskräfte beschäftigt. Seine Schulter fing wieder an zu pochen. Mehrere gestrandete Passagiere versuchten, auf den tiefen, bequemen Stühlen zu schlafen, und eine nicht gerade geringe Anzahl an Polizisten marschierte in Paaren umher und hielt nach Problemen Ausschau, die sich nie ereigneten.

Pünktlich um sieben erwachte der Ort zum Leben. Bond hatte sich bereits am Finnair-Schalter angestellt, damit er der Erste in der Schlange war. Auf dem Finnair-Flug 831 um zehn nach neun gab es noch jede Menge freie Plätze.

Der Schneefall setzte gegen acht Uhr ein. Er war recht heftig geworden, als die große DC9-50 um zwölf nach neun unter lautem Getöse von der Rollbahn abhob. Helsinki verschwand schnell in einem Sturm aus weißem Konfetti, der schon bald einer aufgetürmten Wolkenlandschaft unter einem strahlend blauen Himmel wich.

Um genau zehn nach zehn Londoner Zeit brauste dasselbe Flugzeug über die Schwelle von Rollbahn 28 Links in Heathrow. Die Störklappen wurden aktiviert, als sie sich dem Boden näherten, und die jaulenden Turboturbinen von Tratt & Whitney stellten auf Rückwärtsgang, woraufhin sich die Geschwindigkeit des Flugzeugs langsam verringerte, nachdem die Maschine aufgesetzt hatte.

Eine Stunde später kam James Bond an dem hohen Gebäude am Regent’s Park an, in dem sich das Hauptquartier des Service befand. Mittlerweile pochte seine Schulter wie ein örtlich versetzter Zahnschmerz, Schweiß tropfte von seiner Stirn, und er fühlte sich krank.

James Bond 18: Eisbrecher

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