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DER WEG NACH ASCOT

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Abgesehen von den großen Golfturnieren interessierte sich James Bond nicht sonderlich für jene Ereignisse, die nach wie vor das darstellten, was die Klatschkolumnisten – und die Schmarotzer, die Lippenbekenntnisse abgaben und ihnen Informationshappen zur Verfügung stellten – als »die Saison« bezeichneten. Ihn zog nichts nach Wimbleton, zur Henley-Regatta oder zum Royal Ascot. Die Tatsache, dass Bond ein standhafter Monarchist war, änderte nichts an den ernsten Bedenken, die er hegte, als er den Saab am Tag des Gold Cups in Richtung Ascot steuerte.

Sein Leben war seit dem Freitagabend der vergangenen Woche, an dem M beschlossen hatte, Bond ins Herz der Welt des Lairds von Murcaldy einzuschleusen, sehr betriebsam gewesen.

Im Inneren des Gebäudes am Regent’s Park stellte man keine Fragen, wenn ein plötzliches Verschwinden eines Mitarbeiters oder ein Ausbruch hektischer Aktivität die Tagesabläufe durcheinanderbrachten. Obwohl Bond gelegentlich auftauchte, wenn er von einer Besprechung zur nächsten eilte, hielt er sich nicht in der Nähe seines Büros auf.

Tatsächlich arbeitete Bond während dieser Vorbereitungsphase ganze siebzehn Stunden pro Tag. Für den Anfang gab es lange Besprechungen mit M in dessen großem Büro, das kürzlich renoviert worden war und nun von Coopers Gemälde von Admiral Jervis’ Flotte, die 1797 vor Cap St. Vincent über die Spanier triumphierte, dominiert wurde. Das Bild war eine Leihgabe des National Maritime Museum an den Secret Service.

Während der folgenden Wochen sollte sich Bond oft an diese Schlachtszene vor dem Hintergrund eines düsteren Himmels und die Darstellungen der britischen Krieger, der flatternden Flaggen und Banner erinnern, die durch die aufgewühlte See pflügten, die vom Glühen des Feuers und dem Rauch der Kanonen eingefärbt wurde.

Unter diesem Gemälde führte M Bond ruhig durch alle logischen Möglichkeiten der vor ihm liegenden Situation. Er eröffnete ihm das Ausmaß, in dem Anton Murik kürzlich in Unternehmen investiert hatte, die alle auf die ein oder andere Weise mit Atomenergie zusammenhingen, und verriet ihm seine schlimmsten insgeheimen Befürchtungen bezüglich möglicher Pläne, die der Laird von Murcaldy in diesem Augenblick aushecken mochte.

»Das Teuflische daran ist, James«, erklärte M ihm eines Abends, »dass dieser Murik seine Finger in einem Dutzend Märkten hat – in Europa, im Nahen Osten und sogar in Amerika.« Bisher hatte M die CIA noch nicht informiert, aber er hatte sich mit der Tatsache abgefunden, dass es nötig sein würde, falls sich Bond gezwungen sah – durch die Anstellung, die er bei Anton Murik zu ergattern hoffte –, innerhalb der streng behüteten Sphären des amerikanischen Einflussbereichs zu operieren.

In erster Linie bestand die Idee darin, Bond als eine Art wandelndes Abhörgerät in Muriks Gefolge unterzubringen. Natürlich musste er aus diesem Grund viel Zeit mit den Mitarbeitern der Q-Abteilung verbringen, den Experten für alle genialen technischen Spielereien. In der Vergangenheit hatten ihn die ernsthaften jungen Männer, die die dortigen Werkstätten und Testbereiche bevölkerten, oft gelangweilt, aber die Zeiten änderten sich. Innerhalb des vergangenen Jahrs hatte sich jeder im Hauptquartier über das Auftauchen eines neuen Gesichts unter den leitenden Mitarbeitern der Q-Abteilung gefreut: eine große, elegante, langbeinige junge Frau mit glattem und glänzendem strohblondem Haar, das sie in einer tadellosen, wenn auch strengen Hochsteckfrisur trug. Dies verlieh ihr in Kombination mit ihrer großen Brille ein gebieterisches, aber auch widersprüchliches Auftreten, denn sie strahlte sowohl Sexappeal als auch kühle Effizienz aus.

Innerhalb einer Woche nach ihrer Ankunft hatte die Q-Abteilung ihrer neuen leitenden Mitarbeiterin den Spitznamen Q’utie verpasst, denn sie war bereits in dieser kurzen Zeit zum Ziel zahlreicher Verführungsversuche durch unverheiratete Offiziere aller Altersstufen geworden. Bond war sie ebenfalls aufgefallen, und er hatte die Geschichten gehört. Es hieß, dass die kühlere Seite von Q’uties Persönlichkeit auch während der Stunden, in denen sie nicht im Dienst war, dominierte. Nun musste 007 plötzlich eng mit dieser jungen Frau zusammenarbeiten, denn sie war damit beauftragt worden, die Ausrüstung zusammenzustellen, die er mit auf seinen Auftrag nehmen würde, und ihm die Anwendung der einzelnen Geräte zu erklären.

Während dieses Zeitraums hielt James Bond professionellen Abstand. Q’utie war eine attraktive Frau, doch wie so viele Frauen, die zu dieser Zeit für die Sicherheitsdienste arbeiteten, blieb sie zwar freundlich, war aber stets bemüht, ihren männlichen Kollegen klarzumachen, dass sie eine selbstbestimmte Frau und damit Bond gleichgestellt war. 007 sollte erst später erfahren, dass sie ein Jahr lang im Außeneinsatz gearbeitet hatte, bevor sie den zweijährigen Technikkurs belegte, der ihr schließlich eine Beförderung in eine leitende Position in der Q-Abteilung einbrachte.

Innerhalb von achtundvierzig Stunden hatte Q’uties Team eine Reihe von Gegenständen zusammengestellt, die sie als »personalisiertes zusammenpassendes Gepäck« bezeichnete. Es bestand aus einem Lederkoffer mit einer ähnlich konstruierten stahlverstärkten Aktentasche. Beide Gepäckstücke enthielten ausgetüftelte Fächer, die versteckt und so gut wie nicht aufzuspüren waren und dazu dienten, jede Menge elektronischer Abhörgeräte, Sabotageausrüstung und ein paar andere nützliche Gegenstände aufzubewahren. Unter anderem befanden sich darunter ein hoch entwickelter Verwanzungs- und Abhörapparat, ein VL-22H-Wanzendetektor und ein Alarmstift, der auf eine Frequenz eingestellt war, die ihn mit einer Langstreckenmodifikation des SAS-900-Alarmsystems verband. Wenn er ausgelöst wurde, würde dieser Alarmstift für Bond eine sofortige Telegrammkommunikation mit dem Hauptquartier am Regent’s Park herstellen, damit er Hilfe anfordern konnte. Der Stift enthielt außerdem Microchips, wodurch er als eine Art Peilsender fungierte. Sobald er aktiviert war, konnten die Leute im Hauptquartier jeden Schritt ihres Manns im Außeneinsatz verfolgen – ein persönliches Alarmsystem in der Brusttasche.

Zur weiteren Unterstützung gab es einen kleinen Ultraschalltransmitter, und während er sich auf dieser Mission befand, sollte Bond eine exakte Kopie seines eigenen Dunhill-Feuerzeugs bei sich tragen – eine Nachbildung, die besondere Eigenschaften besaß. Des Weiteren gab es eine sogenannte »Sicherheitstaschenlampe«, die einen enorm hellen Strahl aussandte, der stark genug war, um jedes Opfer, das in sein Licht blickte, so heftig zu blenden, dass es die Orientierung verlor. Und dann hatte Q’utie noch – fast als nachträglichen Einfall – eine TH70-Nachtsichtbrille für ihn besorgt. Bond hielt es für unklug, zu erwähnen, dass diese leichte Brillenart zur Standardausrüstung gehörte, mit der Communication Control Systems Inc. seinen Saab ausgestattet hatte. Er hatte sie persönlich getestet – auf einem alten, stillgelegten Flugplatz in einer besonders dunklen Nacht –, indem er den Saab ohne Scheinwerfer mit Höchstgeschwindigkeit gefahren hatte, während er die Nachtsichtbrille getragen hatte. Durch die kleinen Projektionslinsen hatte er die umliegende Landschaft und die rissige Rollbahn, über die er den Wagen fuhr, genauso klar und deutlich sehen können, wie es an einem Sommerabend kurz vor der Dämmerung der Fall gewesen wäre.

Doch Bond verbrachte nicht nur viel Zeit mit M und Q’utie, sondern auch einige Stunden mit Major Boothroyd, dem Waffenmeister des Secret Service, um mit ihm über seine Bewaffnung zu sprechen. Ms Anweisungen zufolge sollte 007 bewaffnet losziehen – etwas, das zu dieser Zeit kein leichtes Unterfangen darstellte.

Im Laufe der Jahre, in denen er sich einen besonderen Ruf in der alten Doppelnullabteilung gemacht hatte, hatte Bond viele Handfeuerwaffen benutzt: angefangen bei der .25 Beretta – die der Waffenmeister sarkastisch als »eine Damenwaffe« abgetan hatte –, über den .38 Colt Police Positive, den .45 Colt Automatik und den .38 Smith & Wesson Centennial Airweight, bis hin zu seiner Lieblingswaffe, der 7,65mm Walther PPK, die er in dem berühmten Berns-Martin-Holster bei sich trug.

Mittlerweile war die PPK allerdings nicht mehr in Gebrauch, da sie in entscheidenden Momenten zu Ladehemmungen neigte. Die Waffe hatte das einmal zu oft gemacht, in der Nacht des 20. März 1974, als ein geisteskranker Möchtegernentführer versucht hatte, Prinzessin Anne und ihren Mann, Captain Mark Phillips, zu entführen. Der Leibwächter des königlichen Paars, Inspector James Beaton, war dabei verletzt worden, und als er versucht hatte, das Feuer zu erwidern, hatte seine Walther Ladehemmungen gehabt. Das war das Ende dieser speziellen Waffe gewesen, soweit es die britische Polizei und die Sicherheitsdienste betraf.

Seitdem hatte Bond den Großteil seiner Schießübungen entweder mit dem .45 Colt absolviert – der für einen verdeckten Einsatz viel zu schwer und unhandlich war – oder mit dem alten .38 Cobra, dem seit Langem beliebten kurzläufigen Revolver von Colt, den man für verdeckte Operationen benutzte. Bond verkündete natürlich nicht öffentlich, dass er einen nicht genehmigten .44 Magnum Ruger Super Blackhawk in einem geheimen Fach seines Saabs versteckt hatte.

Nun mussten sie sich einig werden und eine Entscheidung bezüglich Bonds Bewaffnung für den Einsatz treffen. Dadurch brach ein langwieriger, zeitraubender und manchmal recht heftiger Kampf zwischen Bond und dem Waffenmeister aus, bei dem es um die jeweiligen Vorzüge der Waffen ging.

Sie hatten die grundlegende Auseinandersetzung bereits tausend Mal geführt: Ein Revolver war immer verlässlicher als eine Automatikpistole, und zwar aus dem einfachen Grund, dass bei der Benutzung weniger schiefgehen konnte. Der Revolver hatte allerdings den doppelten Nachteil, dass man länger zum Nachladen brauchte und normalerweise nur sechs Patronen Munition in der Trommel hatte. Außerdem war seine Mündungsgeschwindigkeit und damit seine Mannstoppwirkung geringer – es sei denn, man entschied sich für ein größeres, unhandlicheres Modell.

Die Automatikpistole bot andererseits sehr viel einfachere Lademöglichkeiten (die schnelle Entfernung und Ersetzung eines Magazins im Griff), eine größere Patronenanzahl pro Magazin und sie hatte im Allgemeinen eine effektivere Mannstoppwirkung. Allerdings konnte aufgrund der vielen Einzelteile eben auch mehr schiefgehen.

Schließlich war Bond derjenige, der das letzte Wort hatte. Unter ein paar murrenden Bemerkungen von Major Boothroyd entschied er sich für eine alte, aber gut erprobte und treue Freundin: die frühe Browning 9mm, die ursprünglich von Fabrique Nationale-De Guerre in Belgien unter Anwendung der Browning-Patente hergestellt worden war. Trotz ihres Alters besaß diese Browning eine zielgenaue Mannstoppwirkung. Für Bond lag der Vorteil in ihrer Verlässlichkeit. Sie war insgesamt etwa zwanzig Zentimeter lang und hatte einen gut zwölf Zentimeter langen Lauf. Die frühe Browning war eine flache, tödliche Waffe, die von ihrer Bauweise her dem .32 Colt ähnelte, etwa neunhundert Gramm wog und in ihrem Magazin Platz für sieben 9mm-Patronen bot. Sie wurde mit Browning-Long-Patronen geladen, und es gab die Möglichkeit, eine zusätzliche Kugel in der Kammer aufzubewahren.

Bond war mit der Waffe zufrieden, kannte ihre Grenzen und hatte jegliche Gedanken an exotischere Handfeuerwaffen von modernerer Bauweise schnell beiseitegeschoben.

In dem erstaunlichen schatzkammerartigen Lagerraum des Waffenmeisters befanden sich unbenutzte Waffen aller Bauweisen, Sorten und Größen, und er holte eine der alten Brownings heraus, die noch immer in ihrer Originalverpackung lag. Sie war voller Schmierfett und in gelbes Wachspapier eingewickelt. Das war eine beachtliche Leistung, wenn man bedachte, dass diese spezielle Waffe schon seit Langem nicht mehr hergestellt wurde.

Der Waffenmeister kannte 007 gut genug, um dafür zu sorgen, dass kein Mitglied seiner Belegschaft die Waffe berührte. Er rief Bond zu sich nach unten in den Büchsenmacherraum, damit der Mann, der sie letztendlich benutzen würde, die Waffe reinigen, auseinanderbauen, überprüfen und ausgiebig ausprobieren konnte. Wenn Bond einen Fallschirmsprung hätte absolvieren müssen, hätten sowohl der Waffenmeister als auch die Q-Abteilung dafür gesorgt, dass 007 seinen Fallschirm selbst zusammenpackte. Und auch für Bond war das die einzig mögliche Vorgehensweise. Das Gleiche galt für die Vorbereitung der Schusswaffen.

An einem späten Nachmittag fand sich Bond im leeren Büchsenmacherraum ein. Er hatte den Bereich und den unterirdischen Schießstand ganz für sich allein, während er der anspruchsvollen Aufgabe nachging, von der sein Leben abhängen mochte.

Daher war er überrascht, als sich genau in dem Moment, als er sich daranmachte, das Schmierfett von der Browning zu wischen, die Tür öffnete und Q’utie eintrat. Sie trug braunen Samt und sah darin besonders begehrenswert aus. Major Boothroyd, teilte sie Bond mit, habe vorgeschlagen, dass sie herkommen solle, um die Reinigung und Vorbereitung der Waffe zu beaufsichtigen.

»Warum sollte er das tun?« Bond schaute kaum zu der jungen Frau auf, ihm war zum ersten Mal bewusst, dass ihre kühle Art eine direkte Herausforderung darstellte. Er hatte im Verlauf der vergangenen Tage hart gearbeitet und nun regte sich eine sinnliche Schlange in einer verborgenen Ecke seines Geistes. Q’utie würde eine entspannende Gesellschaft für den Abend darstellen. Q’utie schwang sich auf die hölzerne Werkbank, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass die von ihr ausgewählte Stelle sauber war. »Der Waffenmeister gibt mir einen Schusswaffenkurs, wenn ich nicht im Dienst bin«, erklärte sie ihm. Zum ersten Mal bemerkte Bond, dass Q’uties Stimme ein wenig rau klang. »Ich bin nicht sehr gut im Umgang mit Handfeuerwaffen, und er meinte, Sie wären es. Er erwähnte, dass die Waffe außerdem ein altes Modell sei. Ich dachte nur, es wäre eine gute Idee, wenn Sie nichts dagegen haben.«

Bonds starke, sichere Hände bewegten sich gekonnt, fast schon liebevoll über die Pistole, während er sie in stummer Routine auseinandernahm.

»Also, haben Sie?«, fragte Q’utie.

»Habe ich was?«

»Etwas dagegen, dass ich zusehe?«

»Keineswegs.« Er schaute zu der jungen Frau hoch, deren hübsches Gesicht hinter der großen Brille ungerührt blieb. »Es ist immer am besten, Waffen sorgfältig und sanft zu behandeln«, fuhr er lächelnd fort, während die Bewegungen seiner Hände an den Mechanismen zunehmend erotisch wurden.

»Sorgfältig, natürlich.« In Q’uties Stimme schlich sich ein Hauch Sarkasmus. Dann wiederholte sie wie ein Papagei eine Stelle aus dem Ausbildungshandbuch des Secret Service: »›Waffen jeglicher Beschreibung sollten mit großer Sorgfalt und Respekt behandelt werden.‹ Treiben Sie es damit nicht ein wenig zu weit, Commander Bond?«

Verdammt, dachte er. Q’utie war ein guter Spitzname für sie. Bond verlangsamte seine Handbewegungen und ließ dadurch zu, dass der Arbeitsvorgang an der Waffe noch ein wenig offensichtlicher wurde, während er stumm die Anweisungen wiederholte:

»Kopf der Schließfederführung greifen, in Richtung Mündung drücken, um den Kopf der Führung zu lösen. Lauf vom Bodenstück abheben. Griff entfernen, um Zugang zum Hahn zu erhalten. Verschluß abnehmen, mit dem Schlagbolzen anfangen und dann normal weitermachen …«

»Oh, ich bitte Sie, Commander Bond. Ein bisschen kenne ich mich mit Waffen schon aus. Außerdem glaubt heutzutage niemand mehr diesen Quatsch, dass Waffen Phallussymbole sind.« Sie warf den Kopf zurück und lachte kurz auf. »Hören Sie auf, bei dieser Waffe so zu tun, als würden Sie eine Frau ausziehen, falls Sie das meinetwegen tun. Ich habe nichts für diese Schundromane übrig, auf deren Covern Frauen auf riesigen Waffen sitzen oder sogar rittlings darauf reiten.«

»Worauf stehen Sie denn dann, Q’utie?«, fragte Bond lachend.

»Mein Name lautet Ann Reilly«, schnauzte sie. »Diesen albernen Spitznamen, den hier alle benutzen, kann ich nicht leiden.« Sie schaute ihm volle zwanzig Sekunden lang direkt in die Augen. »Und auf die Frage, was ich mag oder nicht mag – worauf ich stehe, wie Sie es ausdrücken –, kann ich nur antworten, dass Sie es vielleicht eines Tages herausfinden werden.« Sie lächelte nicht. »Ich bin eher daran interessiert, wie diese Automatikpistole funktioniert, warum Sie sie ausgewählt haben und woher dieses weiße Mal auf Ihrer Hand stammt.«

Bond schaute ruckartig auf, jeglicher Humor wich aus seinen Augen und sein Blick wurde so eisig, dass er Q’utie beinahe Angst einjagte. »Jemand versuchte vor langer Zeit, clever zu sein«, sagte er langsam. Tief in seinem Geist erinnerte er sich sehr deutlich an all die Umstände, die zu der kosmetischen Operation geführt hatten, von der nur noch ein weißer Fleck zu sehen war, nachdem SMERSCH ihm den kyrillischen Buchstaben für SCH in den Handrücken geritzt hatte, um ihn als Spion zu kennzeichnen. Das war vor langer Zeit gewesen, aber die Erinnerung war noch so klar, als wäre es gestern geschehen. Er bemerkte die Kerbe, die er mit seiner scharfen Grausamkeit in Q’uties Abwehr geschlagen hatte. Es war vor so langer Zeit gewesen, dachte er: diese Sache mit Le Chiffre in Royale-les-Eaux, eine Frau namens Vesper – sie war etwa im gleichen Alter gewesen wie diese junge Frau, die auf der Werkbank saß und ihm ihre wohlgeformten Knie und Waden präsentierte – hatte nach dem Tod durch eine Überdosis Medikamente vor ihm gelegen, und ihr Körper unter den Laken hatte dem steinernen Abbild auf einem Grab geglichen.

Die Kälte in Bonds Ausdruck verging. Er lächelte Q’utie an und richtete den Blick wieder auf seine Hände. »Ein kleiner Unfall – ich war unvorsichtig. Ich benötigte eine kleine Operation, das ist alles.« Dann machte er sich wieder daran, das Schmierfett von der Browning zu entfernen. Sämtliche Gedanken an einen kleinen Flirt mit der leitenden Mitarbeiterin der Q-Abteilung namens Ann Reilly waren verschwunden. Sie war relativ jung und musste die Gepflogenheiten der Geheimdienstwelt trotz ihrer elektronischen Effizienz erst noch lernen, entschied er.

Als wollte sie die Stimmung aufbrechen, fragte sie ihn zaghaft: »Wie fühlt es sich an, wenn man jemanden tötet? Die Kollegen sagen, Sie hätten während Ihrer Zeit beim Service eine Menge Menschen töten müssen.«

»Dann sollten die Kollegen nicht so viel reden.« Nun war es an Bond, patzig zu reagieren. Er setzte die Waffe jetzt wieder zusammen. »Beim Service gilt die Regel, dass jeder immer nur das Nötigste erfahren muss, um seine Arbeit erledigen zu können. Gerade Sie sollten wissen, dass man derartige Fragen besser nicht stellt.«

»Aber ich muss es wissen.« Sie war nun ruhiger, legte aber eine Sturheit an den Tag, die Bond schon zuvor in ihren Augen wahrgenommen hatte. »Immerhin habe ich mit einem Teil der wichtigen technischen Spielereien zu tun. Sie sollten wissen, dass das auch geheime Tode einschließt – Tötungsmethoden, die sich nicht nachvollziehen lassen. In dieser Branche kommen Leute ums Leben. Ich sollte über das Endprodukt Bescheid wissen.«

Bond hatte die Waffe wieder zusammengesetzt, bewegte den Mechanismus ein paar Mal vor und zurück und griff dann nach einem der Magazine, in dem sich sieben 9mm Browning-Long-Patronen befanden, die auf sechs Meter Entfernung ein gut zwölf Zentimeter dickes Brett aus Kiefernholz durchschlagen konnten.

Er betrachtete das schlanke Magazin, dachte an seinen tödlichen Zweck und daran, was jedes der kleinen umhüllten Metallstücke darin einem Mann oder einer Frau antun konnte. Ja, überlegte er, Q’utie – Ann Reilly – hatte ein Recht darauf, es zu wissen. »Würden Sie mir behilflich sein?« Er nickte in Richtung einer Kiste auf der Werkbank. »Bringen Sie ein paar Reservemagazine mit. Wir müssen dieses kleine Spielzeug am Schießstand ausprobieren und dann können wir für heute Feierabend machen.«

Sie nahm die Magazine und ließ sich von der Werkbank gleiten, wobei sie die Frage wiederholte: »Wie fühlt es sich an, einen Menschen zu töten?«

»Während es passiert, denkt man nicht sehr ausgiebig darüber nach«, antwortete Bond tonlos. »Es ist ein Reflex. Man tut es, ohne zu zögern. Wenn man klug ist und weiterleben will, denkt man auch danach nicht darüber nach. Ich habe Männer gekannt, die Zusammenbrüche erlitten haben – und dann bei halber Rente in den Frühruhestand gehen mussten –, weil sie danach darüber nachgedacht haben. Es gibt nichts zu erzählen, meine liebe Q’u… Ann. Ich versuche, mich nicht daran zu erinnern. Auf diese Weise bleibe ich von der Realität des Tötens losgelöst.«

»Und ist das der Grund dafür, dass Sie Ihre Pistole vor jemandem wie mir reinigen – sie ausziehen, als wäre sie eine Frau?«

Er antwortete nicht darauf, und sie folgte Bond schweigend durch den Korridor, der zum Schießstand führte.

Bond brauchte fast eine Stunde und sechs Reservemagazine, bevor er mit der Browning vollkommen zufrieden war. Als sie am Schießstand fertig waren, kehrte er dicht gefolgt von Q’utie in den Büchsenmacherraum zurück und nahm die Waffe wieder auseinander, um sie nach dem Schießen zu reinigen. Während er diese letzte Aufgabe erledigte, sah Bond zu ihr auf. »Tja, jetzt haben Sie alles gesehen, was es zu sehen gibt. Die Show ist vorbei. Sie können nun nach Hause gehen.«

»Dann benötigen Sie meine Dienste also nicht länger?«

Sie lächelte. Das hatte Bond nicht erwartet. »Tja«, sagte er vorsichtig. »Wenn Sie Lust auf ein Abendessen hätten …«

»Liebend gern«, erwiderte sie grinsend.

Bond nahm sie im Saab mit. Sie fuhren nach Kensington, zum Trattoo in der Abingdon Road, wo Carlo erfreut war, seinen alten Gast wiederzusehen. Bond war seit einer ganzen Weile nicht mehr hier gewesen und wurde mit großem Respekt behandelt. Er bestellte für sie beide – ein einfaches Mahl: die zuppa di verdura gefolgt von fegato Bacchus und dazu ein leichter, junger Bardolino zum Nachspülen (ein ’79er, denn einen Bardolino sollte man immer jung und gekühlt trinken, selbst wenn er rot ist, so wie die Franzosen ihre Roséweine jung genießen, erklärte Bond). Danach machte ihnen Carlo einfache Crêpes mit Zitrone und Zucker, und sie tranken Kaffee an der Bar, wo Alan Clare am Klavier saß und spielte.

Ann Reilly war entzückt und sagte, dass sie für immer dasitzen und Clares flüssigem, leichtem Spiel lauschen könne. Doch das Restaurant wurde bald voller. Ein paar Schauspieler kamen herein, ein bekannter Filmregisseur mit krausem grauem Haar und ein berühmter Komiker. Alan spielte noch ein letztes Stück für Ann – sie hatte sich »As Time Goes By«, den sentimentalen Oldie aus Casablanca gewünscht.

Bond fuhr den Saab auf Ann Reillys Bitte hin zurück in Richtung Chelsea. Während sie ihm die Richtung angab, lachte sie viel und sagte, sie habe sich seit Langem nicht mehr so gut amüsiert. Schließlich hielten sie vor einem Reihenhaus im georgianischen Stil an und Q’utie verkündete, dass ihr der gesamte zweite Stock als Wohnung zur Verfügung stehe.

»Wollen Sie mit reinkommen und sich meine Apparate ansehen?«, fragte sie. Bond konnte ihr Lächeln in der Dunkelheit des Autos nicht sehen, aber er wusste, dass es vorhanden war.

»Das ist mal was anderes«, erwiderte er amüsiert. »Ich halte mich immer noch an die Briefmarkensammlung.«

Sie hatte die Beifahrertür geöffnet. »Oh, aber ich habe wirklich Apparate«, sagte sie und lachte wieder. »Ich bin eine leitende Angestellte der Q-Abteilung, erinnern Sie sich? Ich nehme meine Arbeit gern mit nach Hause.«

Bond schloss den Wagen ab, folgte ihr die Stufen hinauf und in den kleinen Aufzug, der im Zuge einer – wie Immobilienmakler es bezeichnen würden – »ausgiebigen Modernisierung« eingebaut worden war.

Vom kleinen Eingangsbereich in Q’uties Wohnung aus konnte Bond die Küche und das Bad sehen. Sie öffnete die Haupttür, und sie betraten den restlichen Teil der Wohnung – einen riesigen Raum. An den Wänden hingen zwei große zueinander passende Spiegel mit Goldrahmen, ein echter Hockney und ein ebenso echter Bratby, das Porträt eines Komponisten, dessen Musicals vor fünfzehn oder zwanzig Jahren ihre besten Zeiten gefeiert hatten. Die Ausstattung bestand hauptsächlich aus Designermöbeln der späten 1960er, und die Beleuchtung war passend dazu ausgewählt – schwedisches Design und auf erhöhten Leisten angebracht, die sich in ausgeklügelten Winkeln in den Zimmerecken befanden.

»Ah, Retrodekor«, kommentierte Bond mit einem Grinsen.

Ann Reilly erwiderte das Lächeln. »Es ist nicht alles so, wie es scheint«, sagte sie schmunzelnd, und für einen Augenblick fragte sich Bond, ob sie nicht daran gewöhnt war, Alkohol zu trinken. Vielleicht war ihr der Wein zu Kopf gestiegen. Dann sah er, wie sich ihre Hand auf eine kleine Konsole mit Tasten in der Nähe der Lichtschalter zubewegte. Ihre Finger tippten auf die Tasten, und innerhalb der nächsten paar Sekunden konnte Bond nur noch an die Verwandlungsszenen aus den Zirkusattraktionen seiner Kindheit denken.

Das Licht wurde gedimmt, und der Raum wurde in ein sanftes rotes Glühen getaucht, das von den Fußleisten ausging. Der große runde Milchglastisch, der den Mittelpunkt des Zimmers bildete, schien im Teppich zu versinken. Plötzlich ertönte das Plätschern von Wasser, und der Tisch glühte auf, um zu einem kleinen Teich mit sprudelndem Springbrunnen in der Mitte zu werden. Der Hockney, der Bratby und beide Spiegel schienen zu beschlagen, wurden dann wieder klar und verwandelten sich in Bilder, die Bond in ihrer Deutlichkeit beinahe schockierten.

Er nahm einen Geruch wahr: Ein moschusartiger Duft war um ihn herum aufgestiegen, während die Klänge von Klaviermusik sanft an Lautstärke zunahmen – ein langsames, sinnliches Saxophonsolo, so nah und natürlich, dass Bond umherstarrte, da er dachte, die junge Frau säße tatsächlich irgendwo an einem Instrument. Der Duft und die Musik begannen, seine Sinne zu verwirren. Dann trat er einen Schritt zurück und ließ den Blick zu einer Wand zu seiner Rechten wandern. Die Wand hatte angefangen sich zu öffnen, und von dahinter glitt ein großes hohes Wasserbett lautlos in den Raum herein – darüber hing ein verspiegelter Baldachin an scharlachroten Seidenkordeln.

Ann Reilly war verschwunden. Für eine Sekunde war Bond desorientiert, stand mit dem Rücken zur Wand und ließ die Augen über den außergewöhnlichen Anblick wandern. Dann entdeckte er sie hinter dem Springbrunnen. Ein kleines dämmriges Licht wurde stärker, um sie zu beleuchten, während sie nackt bis auf ein dünnes durchsichtiges Nachthemd dastand. Ihr Haar war offen und fiel bis zu ihrer Taille – das Haar und der dünne Stoff wehten und tanzten, als würde sie ein unsichtbarer Zephyr umspielen.

Dann veränderte sich der Raum plötzlich genauso schnell, wie die erste Verwandlung begonnen hatte. Das Licht kehrte zu seiner normalen Stärke zurück, der Tisch erhob sich aus dem Brunnen, der Hockney, der Bratby und die Spiegel waren wieder da, und Q’uties Abbild verblasste. Nur das Bett blieb, wo es war.

Hinter ihm ertönte ein Kichern, und Bond drehte sich herum, um Q’utie zu sehen, die immer noch ihre Kleidung aus braunem Samt trug und deren Haar nach wie vor ordentlich und streng frisiert war. Sie lehnte sich gegen die Wand und lachte. »Gefällt es Ihnen?«, fragte sie.

Bond runzelte die Stirn. »Aber …?«

»Oh, ich bitte Sie, James. Die Verwandlung ist leicht: Mikrotechnik und Elektronik, son et lumière. Ich habe das alles selbst gebaut.«

»Aber Sie …?«

»Ja.« Sie zog die Brauen zusammen. »Das ist das kostspieligste Element, aber ich habe auch das zum größten Teil selbst zusammengebastelt. Und das Modell bin ich. Ein Hologramm. Sehr effektiv, nicht? Alles 3D. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Einzelheiten …«

Sie wollte sich gerade in Bewegung setzen, als Bond sie packte, nah zu sich heranzog und stürmisch küsste. Sie ließ ihre Hände auf seine Schultern gleiten und schob ihn sanft von sich weg. »Mal sehen.« Sie sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. »Ich dachte, Sie hätten verstanden, worum es geht. Sie sagten, das hier sei Retrodekor – 1960er. Alles, was ich getan habe – und ich habe viele glückliche Stunden damit verbracht, es richtig hinzubekommen –, war das Zusammenstellen einer Fantasie aus den Sechzigern: Musik, Beleuchtung, das Wasserbett, der Duft und eine willige, sehr leicht bekleidete Dame. Ich dachte, dass gerade Sie, James Bond, die Botschaft verstehen würden. Fantasien sollten sich mit der Zeit ändern. Zweifellos sind wir heutzutage alle realistischer. Besonders was Beziehungen angeht. Das Wort, das darauf zutrifft, ist, glaube ich, Reife.«

Ja, dachte Bond, während sie umherhuschte, und ihm die ganzen elektronischen Spielereien ihres Fantasiezimmers zeigte, Q’utie war ein guter Name für Ann Reilly. »Es mag eine Illusion sein«, sagte er, »aber es hat trotzdem eine tödliche Wirkung.«

Sie drehte sich zu ihm um. »Tja, James, das Bett ist noch da. Das ist es für gewöhnlich immer. Wir sollten Kaffee trinken und einander ein wenig besser kennenlernen.«

Bond wachte am nächsten Morgen vor halb sieben in seiner eigenen Wohnung auf. Ich wurde mit meinen eigenen Waffen geschlagen, dachte er mit einem ironischen Lächeln. Wenn jemals jemand den Bluff eines Mannes durchschaut hatte, dann war es die geniale Q’utie. Er machte sich gut gelaunt an seine Fitnessübungen, nahm ein heißes Bad und eine kalte Dusche, rasierte sich, zog sich an und war in seinem Esszimmer, als die treue May mit der Morgenausgabe der Times und seinem üblichen Frühstück hereinkam. Es war seine Lieblingsmahlzeit: zwei große Tassen schwarzer Kaffee von De Bry ohne Zucker, ein einzelnes »perfekt gekochtes« Ei (Bond beharrte immer noch darauf, ausschließlich braune Eier zu mögen, und hielt an seiner Meinung fest, dass die ideale Kochzeit dreieindrittel Minuten betrug), dann zwei Scheiben Vollkornweizentoast mit Jersey-Butter und »Little Scarlet«-Erdbeermarmelade von Tiptree, »Cooper’s Vintage Oxford«-Konfitüre oder norwegischem Heidehonig.

Regierungen konnten kommen und gehen, Krisen konnten ausbrechen, die Inflation mochte durch die Decke schießen, aber wenn er in London war, änderte sich Bonds Frühstücksroutine selten. In diesem Punkt verkörperte er das Schlimmste, was ein Mann in seiner Branche sein konnte: ein Mann der Gewohnheit, der den Tag gern auf eine ganz bestimmte Weise begann, aus dem dunkelblauen Eierbecher mit dem goldenen Ring um den Rand aß, der zum Rest seines Minton-Geschirrs passte, und sich freute, die silberne Kaffeekanne im Queen-Anne-Stil und die dazugehörigen Utensilien auf dem Tisch zu sehen. Diese Eigenart wirkte sicher sehr wählerisch, aber Bond wäre empört gewesen, wenn ihn deswegen irgendjemand als snobistisch bezeichnet hätte. In James Bonds Augen war Snobismus etwas für andere in allen Gesellschaftsschichten. Ein Mann hatte ein Recht auf gewisse angenehme Eigenarten – mehr als nur ein Recht, wenn sie seinen Geist und seinen Magen beruhigten und ihn auf den vor ihm liegenden Tag vorbereiteten.

Der Q’utie-Zwischenfall hinderte Bond keineswegs in seinen Vorbereitung auf das, was er im Geiste inzwischen als Verabredung mit Anton Murik am Tag des Gold Cups bezeichnete.

In letzter Zeit war er an den meisten Abenden direkt in seine Wohnung gefahren und hatte ein Buch gelesen, dass er zwischen seinen Ausgaben von Scarne’s Complete Guide to Gambling und einer Ausgabe des Klassikers Sharps and Flats von John Nevil Maskelyne aus dem Jahr 1895, in dem es um Kartenbetrug ging, aufbewahrte. Das Buch, in dem er eifrig jede Nacht las, war zur Zeit der Jahrhundertwende privat herausgebracht worden. Bond hatte es vor einigen Jahren in Paris entdeckt und hatte es von einem Drucker, der oft für den Service arbeitete, neu in Pappe und Rindsleder binden lassen. Es war von einem Mann geschrieben worden, der das Pseudonym Cutpurse benutzte, und hieß The Skills, Arts and Secrets of the Dip. Es handelte sich um eine umfangreiche Abhandlung über die alte Kunst des Taschendiebstahls und des Langfingergewerbes.

Bond benutzte Möbel, alte Mäntel – und sogar eine Stehlampe –, um die zahlreichen Tricks einzuüben, die er bereits recht gut beherrschte. Seine Besprechungen mit M, bei denen es darum ging, wie er sich dem Laird von Murcaldy und dessen Gefolge vorstellen sollte, hatten zu einem Plan geführt, der nach der geschicktesten Anwendung einiger Tricks verlangte, die Cutpurse in seinem Buch beschrieb. Bond wusste, dass er diese Bewegungen immer wieder üben musste, damit er sie nicht wieder verlernte – wie ein Kartenbetrüger oder auch ein Zauberkünstler, der seine harmlosen Taschenspielertricks ausschließlich zu Unterhaltungszwecken anwandte. Deswegen fing er noch einmal ganz von vorne an und lernte die einzelnen Griffe und Bewegungen von Neuem.

Ein Taschendieb arbeitete selten allein. Banden aus drei bis zehn Personen waren normalerweise die Regel, also würde Bonds Plan doppelt kompliziert sein: Erstens musste er die Sache ganz allein durchziehen und zweitens ging es hier nicht um einen einfachen Taschendiebstahl. Er arbeitete sich langsam zum schwierigsten Trick in dem Buch vor und trainierte seine Fähigkeiten, um ihn ausführen zu können: die Halskettenmasche. Dieser Trick ging auf das frühe neunzehnte Jahrhundert zurück, als er für gewöhnlich benutzt wurde, um einer Person die Taschenuhr zu stehlen. Gegen Ende der Vorbereitungsphase verbrachte Bond mehrere Stunden pro Nacht damit, die Bewegungen der Halskettenmasche zu perfektionieren. Er konnte nur hoffen, dass sich Ms Informationen, die er während der langen Stunden unter dem Cooper-Gemälde von Admiral Jervis’ Sieg erhalten hatte, als zutreffend herausstellen würden.

Nun verkündete ein Wegweiser ASCOT 6,5 KILOMETER, und Bond ordnete sich in eine Reihe Bentleys, Rolls-Royces, Daimler und so weiter ein, die alle zur Rennstrecke wollten. Er saß ruhig hinterm Steuer, hatte seine Browning samt Holster im Handschuhfach verstaut, und Q’uties personalisiertes Gepäck befand sich im Kofferraum. Er selbst trug ein Hemd, hatte den grauen Cutaway ordentlich gefaltet auf den Rücksitz gelegt, und der dazu passende Zylinder ruhte daneben. Bevor er aufgebrochen war, hatte Bond überlegt, dass er es Q’utie durchaus zugetraut hätte, irgendeine Art von Apparatur in den Zylinder einzubauen. Sie war sehr umgänglich gewesen und hatte ihm jede nur mögliche Unterstützung im Einsatz zugesichert – »Geben Sie mir einfach Bescheid, und ich werde Ihnen bringen, was immer Sie brauchen, 007«, hatte sie mit dem Hauch eines Augenzwinkerns versprochen.

Bond hatte darauf mit einem kaum merklichen Zucken einer Augenbraue reagiert.

Jetzt sah er wie jeder andere Mann aus, der im Royal Enclosure Eindruck schinden wollte. Tatsächlich war sein Verstand jedoch nur auf eine einzige Sache konzentriert – Dr. Anton Murik, Laird von Murcaldy, und seine Verbindung zu dem Terroristen Franco.

Die sorgfältige, wenn auch schnell geplante Vorbereitung auf den Auftrag war abgeschlossen. James Bond war auf sich allein gestellt und würde nur Hilfe rufen, wenn die Situation es erforderte.

Als er sich der Rennbahn näherte, fühlte sich Bond ein klein wenig freudig erregt, doch ein winziger Knoten in seiner Magengegend verriet ihm, dass der Geruch von Gefahr oder vielleicht sogar Katastrophe in der Luft lag.

James Bond 16: Kernschmelze

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