Читать книгу STRANGERS IN THE NIGHT - Jon Pan - Страница 9

Überlebenspraktiken

Оглавление

Herbert Rehbein war 27 Jahre alt, als er aus der Kriegsgefangenschaft in Deutschland ankam. Nach einigen Tagen Aufenthalt im Flüchtlings-Durchgangslager »Friedland-Leine« wurde er nach Hause entlassen. In Hamburg angekommen, suchte er sofort seine Eltern an ihrem neuen Wohnort auf. Das Haus, in dem sie früher gelebt hatten, stand nicht mehr.

Rehbein war in Jugoslawien Kriegsgefangener, aber auch Konzertmeister bei Radio Belgrad gewesen. In Deutschland war er nichts. Das störte ihn aber nicht. Schließlich hätte er einen anderen Weg gehen können. Dass er das nicht tat, hing nicht nur mit der Krankheit seiner Mutter zusammen. Er dachte daran, das Studium der klassischen Musik wieder aufzunehmen. Das setzte er in die Tat um und suchte seinen alten Lehrer, Professor Gerstekamp, auf.

Es fehlte an Geld. Um weiterstudieren zu können, musste Rehbein bei Gerstekamp Privatstunden nehmen. Die konnte er sich aber kaum leisten. Es mangelte dazu an vielem. Rehbein hatte in Belgrad kein schlechtes Leben gehabt. Er kannte aber auch schlimme Zeiten, die ihm fast das Leben gekostet hätten. So schnell warf ihn daher nichts um. Rehbein hatte in Jugoslawien gelernt, wie mit Musik Geld zu verdienen war. In Deutschland sah die Situation allerdings anders aus.

Was sollte er machen? Das Studium bei Gerstekamp war ihm wichtig. Ein Studium, das Geld kostete! Oder eben Geldverdienen? Diese Frage entschied sich schnell. Für Rehbein war klar, dass er seine praktischen Fähigkeiten einsetzen musste. Rasch lernte Rehbein andere Musiker kennen, die wie er auf der Suche nach einer Verdienstmöglichkeit waren. Mit diesen Leuten fing er an, aufs Land zu fahren, um dort aufzutreten. Sie nannten das »Mucke machen«. Meistens waren noch einige Artisten dabei, die ihre Kunststücke vorführten.

Viel Geld brachte das natürlich nicht. Doch Rehbein lernte so weitere Musiker kennen. In Deutschland war er als Musiker ja völlig unbekannt. Täglich übte er Geige. Die Leidenschaft zu diesem Instrument hatte ihn erneut voll im Griff. Wenn es ihm möglich war, besuchte er ein bis zweimal in der Woche Gerstekamp. Zu einem richtigen Studium kam er aber immer weniger. Dabei wünschte er sich so sehr, den Anschluss an die klassische Musik zu finden.

Zum Geld sparen, legte er die Wege, soweit möglich, zu Fuß zurück. Oft war er mit seinem Geigenkasten Stunden unterwegs, um bei irgendeinem Engagement ein paar Mark zu verdienen.

Was Rehbein damals beschäftigte, lässt sich aus einer Unterhaltung ableiten, die er 1950 in Hamburg mit Schubert geführt hat.

»Ihm schwebte wohl vor, mit der Geige eine ähnliche Sache wie Helmut Zacharias aufzuziehen. Vielleicht nicht ganz so wie Zacharias, sondern mehr auf Konzert ausgerichtet. Er studierte noch bei diesem Professor. Und der meinte, Herbert sei für die Ausbildung und spätere Ausübung als klassischer Solist schon ein bisschen alt. Da lagen eben die ganzen Kriegsjahre dazwischen, die das verhindert hatten. Deshalb schwenkte Herbert immer mehr auf Unterhaltungsmusik um. Er sah sich dabei aber schon als Solist. Das mit dem professionellen Arrangieren hat sich erst später durch Kaempfert ergeben.«

Schubert, der zu dieser Zeit öfters von Berlin nach Hamburg reiste und dort auch Rehbein besuchte, staunte über die Beziehungen, die dieser dort so schnell aufgebaut hatte. »Er hatte bereits mit Verlegern zu tun. Wir waren – zusammen mit Koetscher – bei Sikorski. Herbert kannte die wichtigen Leute. In den Fachkreisen im Raum Hamburg wusste man offensichtlich, wer Rehbein war – zumindest vermittelte er mir diesen Eindruck.«

Während dieser ganzen Zeit wohnte Rehbein bei seinen Eltern. Das war sicher einmal aus wirtschaftlichen Gründen vorteilhaft. Aber er hatte auch eine gute Beziehung zu seiner Mutter, der es nach wie vor gesundheitlich schlecht ging. Sie hing sehr an ihrem Sohn.

Wie konkret sich Rehbein damals für eine bestimmte musikalische Laufbahn einsetzte, ist schwer zu beurteilen. Sicher beeinflusste ihn die wirtschaftliche Situation im Nachkriegsdeutschland. Der konnte sich niemand entziehen. Die Präsenz der Amerikaner und Engländer gab aber gerade der Musikbranche so etwas wie Entwicklungshilfe und dadurch manch neue Chance.

Dass Rehbein sein Geld als Musiker zu verdienen hatte, war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er hatte nichts anderes gelernt. Irgendwann in dieser Zeit wird er vermutlich den Wunsch, klassischer Geiger zu werden, ganz aufgegeben haben. Die Ausbildung, die er trotzdem gemacht hat, diente ihm ein ganzes Leben lang. Sie war und blieb der handwerkliche Grundstein seines Könnens. Das Akademische blieb ihm aber immer fremd. Als Praktiker wollte er sich das wohl nicht leisten. Er verstieg sich nie, blieb stets am Boden. Musik musste den Menschen, dem Publikum gefallen. Rehbein hatte das »Geschäft« von der Pike auf gelernt. Jetzt musste er sich daraus eine eigene Existenz aufbauen. Er spielte, wirkte mit, kannte viele, lief stundenlang mit dem Geigenkasten von einem Engagement zum anderen, lebte sparsam, kümmerte sich um seine Mutter, übte und übte ...

Es ist vielleicht interessant, in diesem Zusammenhang kurz zu streifen, was sich – natürlich nebst vielem Unerwähnten – damals in Sachen Musik in Deutschland abgespielt hat. Durch die amerikanischen Besatzer bekam der Swing, von den Nazis als »verniggerte und verjudete, plutokratisch, entartete Jazzmusik« verteufelt, neuen Auftrieb. Es waren vor allem Musiker erwünscht, die mit dem Jazz umgehen konnten, die also die Entwicklung im Ausland zwischen 1933 und 1945 nicht verschlafen hatten.

Carola Zinner-Frühbeis zitiert in ihrem Buch »Wir waren ja die Größten« einen Unterhaltungsmusiker, der die Situation im Münchner Raum folgendermaßen schildert:

»Und dann is der Amerikaner kumma mit seine üblichen Haussuchungen, und da hat er bei uns eben aa gschaut und hat gsagt: Was ist da drinnen? Da hab i gsagt: Ja, da werst du staunen, was da drin is, da san nämlich lauter amerikanische Platten drin. – Jaa, wo hastn du die Platten her? Sag i: Ja, mein Gott, die hab ich gerettet, sozusagen. Tommy Dorsey, Glenn Miller, alle möglichen Platten. Und zugleich in der Kiste sind auch die Noten dringlegn, die Heftln, wo mir ghabt ham und auch andere Noten. Naja, sagt er, is ja alles amerikanisch! Na, sag i, sicher – spuist du denn das alles? Sag i: Ja, des hamma gespuit, so langs ganga is und so. Ja, des is fabelhaft, du musst a Kapelle zusammenstelln, du musst sofort bei uns im Club spuin. Und ich sage dir: Der Krieg war, glaub ich, am 8. Mai aus. Und des war Ende April. Hab ich bereits im Club gespuit, da war der Krieg no gar net aus!«

Und Charly Tabor, der später bei Kaempfert gespielt hat, erzählt:

»Sagt der Sergeant zu mir: You need money und a car! An BMW zwoa Liter! An amerikanischen mit Hoheitszeichen! Und: You need money! How much do you need? Hmm, i hab nix gsagt, dann hat er die Hunderter rausgnomma, alliierte Hunderter, da hätt i halb München dafür kaufen können! Hat er zehn, zwanzig, dreissig, vierzig, eins, zwei, drei – bei dreiundvierzig sag ich: Oh, thats enough! Da hat er no hinblättert vier Stück – siebenundvierzig: viertausendsiebenhundert alliierte Mark hab i ghabt. Und i hab am nächsten Tag scho kommen können, wenn ich nur mit vier, fünf Mann spiel, ich soll einfach kommen, egal wie.«

In Hamburg erging es Rehbein nicht so. In seinem Nachlass habe ich ein kleines Büchlein gefunden, in dem er die Termine jeweils mit einem kurzen Vermerk (meistens in Form der Gage) eintrug.

Vor allem die Jazzer hatten während der Besatzungszeit gute Chancen, um etwas zu verdienen. Konservative Unterhaltungsmusik war weniger gefragt. Viele Kaffeehäuser und Unterhaltungslokale waren zerbombt und wurden so nicht wieder aufgebaut. Es blieben die Clubs der Besatzer, oder die Musiker mussten den Stil wechseln, etwa in die Unterhaltungsorchester der Rundfunkanstalten gehen.

Als ehemaliger Konzertmeister von Radio Beograd konnte Rehbein in der Unterhaltungsmusik mithalten. Er war ohnehin kein Jazzer. Aber die Möglichkeiten wurden dadurch schon eingeschränkt. In Berlin gab es zum Beispiel die »Berlin All Stars«, bei denen – nebst Walter Dobschinsky (Posaune), Hans Berry und Mäcki Kaspar (Trompeten), Detlev Lais (Tenorsaxophon), Omar Lamparter (Klarinette), Erwin Lehn (Piano), Coco Schuhmann (Gitarre), Teddy Lenz (Bass), Lester Young (Schlagzeug) – auch Helmut Zacharias mitspielte. Und der spielte damals noch Jazz und hat dann – wie Rehbein aus der Klassik – in den Bereich der leichten Muse gewechselt. Er war sogar »der Jazzgeiger in Europa«, schreibt Joachim Ernst Berendt über ihn, »nicht etwa der ›so genannte‹ Jazzgeiger, wie man ihn später tituliert hat und titulieren musste. Kein Zweifel: Wenn Helmut Zacharias damals ein Publikum für seine Musik gefunden hätte, wenn er auch selbst die Kraft gehabt hätte, durchzuhalten, dann hätte er viele Dinge vorausgenommen, die erst zwanzig Jahre später durch den geigenden Franzosen Jean-Luc Ponty ins Bewusstsein der Jazz-Szene drangen. Wer alte Platten von Helmut Zacharias – etwa Helmys Bebop No. 2 aus den ersten Nachkriegsjahren (auch zunächst noch in Ost-Berlin auf Amiga) oder aus den Kriegsjahren (auf der alten Odeon) hört, der kann daran keinen Zweifel haben«.

Grundsätzlich existierten damals folgende Formationsmöglichkeiten:

Das Salonorchester (Rehbein hatte auf Kreta eine solche Formation bevorzugt), bei dem zwischen 3 bis 15 Musiker mitwirken können, mit Arrangements, die – nebst dem als Basis dienenden Klaviertrio – beliebig viele Instrumente (vor allem Bläser) berücksichtigen können. In dieser Formation wurde Musik aus der Klassik, der Operette und die natürlich übliche Tanzmusik gespielt. Dies wurde nicht selten in zwei Blöcken dargeboten. Die Jazzband mit ihrer Besetzung aus Trompete, Posaune, Saxophon, Klarinette, Gitarre, Banjo, Klavier, Schlagzeug und Kontrabass. Die Big Band, in den Dreißigerjahren in den USA entstanden, mit 3 bis 5 Saxophonen, 2 bis 4 Trompeten, l bis 3 Posaunen, Gitarre, Piano, Kontrabass und Schlagzeug. Es gibt auch die »Band within the Band«, das heißt, die Reduktion innerhalb einer Big Band zur Jazzband für bestimmte Auftritte (z.B. Benny-Goodmann-Quartett). Die Big Band spielt Jazz. Dann gibt es noch das Tanzorchester, das aus einer Big Band plus Streichersatz besteht. In dieser Formation wird eher softe Tanzmusik mit leichtem Jazzrhythmus gespielt. Und zum Schluss bleibt noch das Blasorchester, das Märsche, Lieder, Schlager bis hin zur Bearbeitung von symphonischer Musik zum Besten gibt.

Es gab bereits das »Max Gregor Orchester«, das Titel wie Harlem-Jump oder Night Train spielte, Nummern, die die schwarzen GIs von den Stühlen rissen. Charlie Tabor spielte ebenfalls bei Max Gregor. »Und Kurt Edelhagen erschien uns von Anfang an als die deutsche Antwort auf die amerikanische Herausforderung durch Sten Kenton«

(Berendt)

STRANGERS IN THE NIGHT

Подняться наверх