Читать книгу Der Brandkiller - Jonas Brix - Страница 7
III
Оглавление„Wir müssen uns mal unterhalten, Michael“, sagte Marion Bergfeld zu ihrem Mann. „Wir sehen uns ja kaum noch.“
Sie kam mit einer Tasse frischen Kaffees aus der Küche und setzte sich an den von ihrem Mann gedeckten Tisch. Ihr Bademantel glitt auseinander und zeigte am Ende ihrer vollen Oberschenkel den freien Unterleib und einen dichten Haarpelz. Sofort spürte Bergfeld Leben in seinem Glied, es begann sich kribbelnd aufzupumpen, obwohl sie gestern Abend noch miteinander geschlafen hatten. Es war ziemlich heftig, recht schnell und vielleicht gerade wegen einer langen, abstinenten Zeit wieder einmal sehr schön gewesen. Sie hatten die Fickerei in letzter Zeit zu sehr vernachlässigt; irgendetwas war immer dazwischen gekommen, entweder fühlte sich Marion unpässlich oder er war oft zu müde und ausgelaugt. Aber das waren vielleicht nur vorgeschobene Gründe. Sicher, im Moment machte ihm der Fall mit dem erschossenen jungen Mann und dazu der verschwundene Müller Kopfzerbrechen, dazu die Sorgen mit dem ererbten Haus. Das alles hatte sich aber nicht auf die Strandfestigkeit seines Schwanzes ausgewirkt – im Gegenteil, er könnte jetzt schon wieder. Er sollte freundlicher auf Marion zugehen, sich mehr Zeit für sie nehmen.
Bergfeld legte die Hand auf den Oberschenkel seiner Frau und schob sie sanft der dunklen Haarfülle entgegen. Sie setzte mit einer unwilligen Bewegung die Tasse ab, schob brüsk seine Hand zurück und zog den Bademantel über die Knie.
„O, entschuldige“, sagte Bergfeld ironisch. „Dann war das gestern Abend wohl nur ein Ausrutscher?“
Sie ging nicht drauf ein und Bergfeld überlegte, wie er die Situation am besten wieder in den Griff bekam. Er konnte nicht dafür, doch immer wenn Marion seine sexuellen Annäherungsversuche mit so deutlichen Widerwillen zurückwies, schämte er sich wie ein vor seiner Klasse blamiertes Kind. Es war wie die Erinnerung an kindliche Abhängigkeit von seiner Mutter, die seine Hand -- allerdings mit einer gewissen Nachsicht -- zurückgeschoben hatte, wenn er sich noch einen Nachschlag Pudding auffüllen wollte, bevor Vater und der große Bruder fertig waren. Das hieß: Du hast genug, sei zufrieden!
Ja, sei zufrieden! Sie hatte ihre Pflicht erfüllt, schließlich erduldete sie diese Bumserei nicht zu ihrem Vergnügen -- das etwa sollte es wohl bedeuten, wenn sie seine Hand wie eine lästige Kröte abstreifte. Natürlich spürte er nicht mehr die prickelnde Neugier und Leidenschaft der ersten Ehejahre, doch so durfte sie ihn nicht behandeln. Ihm ging durch den Kopf, dass sie seit etwa einem Jahr nicht mehr zu ihm ins Bett gekommen war und keine Andeutung gemacht hatte, dass ihr Sex fehle. Im Gegenteil, seit vier, fünf Monaten hatte sie sich immer sofort abgedreht, wenn er ins Bett kam. Und seit dieser Zeit hatte sie angeblich oft Migräne, Bauchschmerzen oder ihre Regel gehabt, sobald er nur die Hand an ihren Busen gelegt hatte. Und sie war in letzter Zeit entweder sehr spät nach Hause gekommen oder hatte bereits geschlafen, wenn er später kam. Wenn das nicht eigenartig war.
Sollte er als Kriminalist in der eigenen Ehe etwas übersehen, das andere vielleicht schon wussten?
An diesem Sonnabendmorgen war er mit seinen Gedanken schon wieder bei dem Mordfall gewesen, als er gegen sieben Uhr aufgewacht und leise aus dem Schlafzimmer geschlichen war. Er hatte seine Notizen durchgesehen und sich überlegt, was sie ermittelt hatten und was noch offen blieb. Dann hatte er sich aufs Rad geschwungen, war mit Bully zum Bäcker gefahren und hatte den Tisch für sie beide gedeckt. Und sie setzte sich nun so aufreizend geil an den Tisch und ließ ihn nicht mal ihren Unterleib streicheln. Nein, sie schob ihn einfach beiseite. Beschämend.
„Und was wolltest du mit mir besprechen?“ fragte er ironisch. „Dass du jetzt ständig Spätschicht hast?“
Sie warf ihm einen kurzen, verunsicherten Blick zu. „Lenk nicht ab. Ich wollte mit dir über das Haus reden. Du wirst doch diese Bruchbude nicht etwa renovieren wollen.“
„Das wird nicht reichen“, sagte Bergfeld und fühlte eine heimliche, befriedigende Aggressivität in sich aufsteigen. „Ich werde es wohl sogar rekonstruieren müssen: Dach, Wasserrohre, Fenster ...“
„Und wie? Wer soll das bezahlen und wo willst du das Material her bekommen?“
„Ja, dann werde ich die Mittel eben beim Parteiprogramm ‘Schöner unsere Dörfer und Gemeinden’ beantragen müssen. Vielleicht haben die ein paar Dachziegel übrig.“ Es war boshaft, ihr die Mängel der sozialistischen Planwirtschaft so unter die Nase zu reiben, doch es machte Spaß.
Marion funkelte ihn wütend an. „Du brauchst gar nicht zynisch zu werden, ich werde jedenfalls keinen Handschlag für diese Bruchbude tun – und von meinem Geld geht da nicht ein Pfennig rein.“
„Von deinem Geld?“ fragte Bergfeld gedehnt. „Ich dachte immer, wir haben als Ehepartner eine gemeinsame Kasse.“
„Ja, aber nicht für unnötige Ausgaben.“
„Seit wann ist ein Haus etwas Unnötiges! Es ist sogar im Sozialismus eine gute Wertanlage.“
„Wenn man dich so reden hört, denkt man, das Rad der Geschichte dreht sich zurück.“ Sie merkte selbst, wie geschwollen das Schlagwort aus dem Parteilehrjahr klang und lenkte ein. „Sieh mal, das hat doch keine Zukunft – hier im Haus gibt es eine Verwaltung, die sich um alles kümmert, sie schickt Handwerker zum Reparieren, ohne dass wir alles extra bezahlen müssen. Und vielleicht entspannt sich die Wohnungssituation in den nächsten Jahren und wir kriegen eine etwas größere Wohnung.“
„Aber in einem Haus ist man unabhängig, man hat mehr Platz und kann mit jeder Wand und jedem Zimmer machen, was man will. Wenn es nun Glasnost und Perestroika gibt, wird sich vielleicht auch wirtschaftlich einiges ändern, ich meine damit bessere Angebote an Baustoffen...“ Wie sollte er ihr das Haus denn noch schmackhaft machen. Mehr als die Hälfte der Klosterwalder Einwohner, einst überwiegend wohlhabende Bauern, besaßen eigene Wohnhäuser. In kleineren Orten traf dies sogar auf fast alle Einwohner zu. Es gehörte zum Leben auf dem Land, und auch von Hause aus war er so gewohnt. Mieter wurden als arme Schlucker angesehen. Allerdings hatten die Schwierigkeiten mit dem Baumaterial und damit der Werterhaltung der Einzelhäuser. Und so hatten über vierzig Jahre Sozialismus bei vielen Leuten einen gewissen, ideologisch begründeten Sinneswandel herbeigeführt. Angeblich seien große Mietshäuser nicht nur rationeller zu bauen und zu unterhalten und damit auch ökonomischer als Einzelhäuser, sie förderten auch das Zusammenwachsen der sozialistischen Gemeinschaft und die kollektive Verantwortung.
Marion aber hatte andere Gründe. Sie scheute sich vor der in einem Haus und natürlich auch in dem dazu gehörenden Garten anfallenden Arbeit. Deshalb hatte sie sich auch so angestrengt, ihre körperlich schwere, doch gut bezahlte Tätigkeit in der Plattenleimabteilung des Möbelwerkes gegen eine Bürotätigkeit einzutauschen. Da ihr fachliche und rechnerische Voraussetzungen für die Buchhaltung fehlten, hatte sie den Weg in das Büro des Parteisekretärs gefunden. Oder war es nicht nur das Büro, vielleicht auch das Bett gewesen?
Erst jetzt wurde Bergfeld klar, was ihn seit Wochen noch beunruhigte. Er wollte es nicht wahrhaben, doch es saß in seinem Hinterkopf, und eigentlich war schon seine Frage nach ihrem Spätdienst diesem Verdacht entsprungen. „Außerdem habe ich dich auch etwas gefragt: Schiebt ihr im Parteibüro jetzt andauernd Spätdienst?“ kam er auf seine Frage zurück und zuckte innerlich zusammen. Hatte es nicht so geklungen wie: Schiebt ihr im Parteibüro jetzt dauernd Spätnummern?
Marion sah ihn kurz an und wich dann seinem Blick aus. Trotz seiner Wut konnte er die Augen nicht von ihren langsam auseinandergehenden Beinen reißen. Der Morgenrock rutschte wieder zur Seite und der behaarte Unterleib schien ihn wie ein wollüstiges Tier anzusaugen. War er so geil, dass seine Hirnwindungen sich schon bei der Vorstellung ihres feuchten, pulsierenden Geschlechtsteils nur darauf konzentrierten, wie er sich da hinein schieben konnte?
Sie kannte ihre sexuelle Anziehungskraft auf ihn und lächelte. Hätte sich in diesem Moment nicht ein leicht überheblicher Zug um ihre Mundwinkel gezogen, während sie scheinbar ganz intensiv ein Brötchen mit Konfitüre bestrich, wäre er wohl wieder zu Kreuze gekrochen. Er hätte es noch einmal versucht, sie hätte diesmal seine Hand gewähren lassen, ihre Schenkel noch weiter geöffnet und dann die Schamlippen gegen seine Finger gedrückt. Und dann hätte sie sich erhoben, den Bademantel abgestreift und ihn nackt und mit wiegender Hüfte ins Schlafzimmer gelockt...
Michael Bergfeld konnte nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken. Diese verdammte Geilheit, diese Eifersucht und Leidenschaft, diese drängende Gier im Schwanz des Mannes. Der Grund für mehr als die Hälfte aller Kapitalverbrechen in ihrem Landkreis war der Sexualtrieb. Und der Suff. Meistens beides zusammen. Das vereinfachte ihre Arbeit enorm – Motive wie Geld oder Erbschaft waren die Ausnahmen Wer wollte schon einen Mord begehen für Geld, mit dem sich nur wenig kaufen ließ.
Er erhob sich und schaltete den Fernseher an. Irgendwie musste er sich jetzt ablenken. Es war fast Mittag und das DDR-Fernsehen brachte eine Übertragung vom Berliner Alexanderplatz. Als er das Bild vom Hubschrauber sah, wollte er seinen Augen nicht trauen. Das waren Hunderttausende, die über die Liebknechtstraße, vor dem Palast der Republik durch die Breite Straße zurück zum Alex alle Straßen füllten. Stefan Heym redete und ein Beifallssturm dröhnte aus dem Apparat. Bergfeld schaltete das Westfernsehen an, das gleiche Bild. Seine Frau sagte nichts. Als er sich beruhigt hatte und sie prüfend musterte, bemerkte er ihre ungläubig geweiteten Augen. Der Reporter sprach von einer halben Million Demonstranten.
„Endlich kommt Bewegung in diese verkrustete Gesellschaft“, sagte Bergfeld fast gegen seinen Willen. Es waren Wagners Worte und sie kamen ihm rechtzeitig in den Sinn – ein kleiner Rachepfeil in Richtung Marion, der Parteisekretärin.
„Was wollen die Leute denn bloß“, empörte sie sich.
„Vielleicht wollen sie, dass nicht nur die Bonzen Baumaterial kriegen, sondern alle“, erwiderte Bergfeld boshaft.
Marion Bergfeld hielt ihre Beine wieder eng aneinander gepresst, sie hatte den Mantel bis über die Knie gezogen und das halbe Brötchen auf das Frühstücksbrettchen gelegt. „Das ist es übrigens auch, was uns abends oft beschäftigt hat: Die ganze politische Situation“, sagte seine Frau und deutete auf das Fernsehbild. „Darüber haben wir diskutiert. Die Partei... ich meine die Basis, weiß schon lange, das sich einiges ändern muss. Aber den Sozialismus werden wir deshalb nie aufgeben.“
„Davon spricht ja auch keiner.“ Er war milder gestimmt, denn auch sie musste mit ausbaden, was die Politbüromitglieder an Korruption, an Unterdrückung, an Bevormundung und an Repressalien zu verantworten hatten. Sie kam aus Wandlitz und war auf der FDJ-Schule Bogensee als Hausangestellte beschäftigt gewesen und später durch zwei Lehrgänge zur FDJ-Kreissekretärin ausgebildet worden. Danach ihre Heirat, die Arbeit in der Möbelfabrik und dann die Parteilaufbahn. Sie war vom Sozialismus überzeugt und hatte, wie es jung Verheiratete oder Verliebte meist bei ihrem Partner tun, seine kleinen Fehler und Mängel auf ideologischem Gebiet übersehen. Inzwischen war die Zeit der ersten Leidenschaft vorüber, und so hätte es bei ihr nach den vielen Fehlern der alten Genossen eigentlich auch in der Beziehung zur Partei sein müssen. Jetzt war sie einundvierzig Jahre, doch sie wollte nicht zugeben, was andere schon lange erkannt hatten.
Sie erhob sich, öffnete lässig den Gürtel, so dass der Mantel auseinander klaffte und ihre vollen, immer noch fest abstehenden Brüste freigab, schaltete den Fernseher ab und drehte sich ihm zu. „Heute schlaf ich mich richtig aus - ich geh’ noch mal ins Bett.“
Bully, der neben dem Sessel lag, hob seinen mächtigen Kopf und richtete die bernsteinfarbenen Augen interessiert auf seinen Herrn und Meister. Es sah aus, als warte er darauf, ob der das deutliche Angebot annehmen würde. Eigenartigerweise rührte sich nichts mehr in Bergfelds Hose. Sein drängendes Verlangen war verflogen. Bergfeld fühlte fast so etwas wie Erleichterung darüber.
„Vielleicht täte mir das auch ganz gut“, sagte er. „Aber im Augenblick finde ich keine Ruhe. Wir haben zwei schwere Fälle und noch keine Spur.“ Er sah aus dem Fenster und schüttelte den Kopf. „Scheiß’ Wetter. Ich lauf mal zur Meliorations-Datsche und seh’ mich dort um. Vielleicht fällt mir dabei doch noch was auf.“
Er machte eine kleine Handbewegung, und sofort sprang der Rottweiler auf. „Meinetwegen brauchst du kein Mittagessen zu machen“, sagte er und drehte sich seiner Frau zu. Sie stand mit leicht geöffnetem Mund an der Tür zum Schlafzimmer. Ihr Gesichtsausdruck ließ an einen Parteisekretär denken, der gerade erfuhr, dass Karl Marx gerade auferstanden war und das ganze Experiment Sozialismus als Scherz bezeichnet hätte. Ihre Brüste ragten ihm immer noch entgegen, und erst jetzt schien sie es zu bemerken. Sie schloss den Morgenrock, errötete leicht und drehte sich ab. Dieser Kleinkrieg war nicht seine Sache, und ein wenig tat sie ihm schon wieder leid. „Ich geh nachher zu Pohlke in die Gaststätte am Rottschesee“, sagte er, „Du könntest mit dem Trabi in etwa drei Stunden nachkommen, dann treffen wir uns da zum Essen.“
Sie verschwand im Schlafzimmer. Ehe sie die Tür zuzog, sagte sie: „Nein, ich fühle mich nicht gut.“
Diesmal glaubte Bergfeld ihr. Er zuckte die Achseln, legte den Kopf schief und zwinkerte Bully zu. Wie sie wollte.
Am Sonntag traf sich die halbe Kriminalabteilung im Kreisamt Bernau. Hauptmann Braatz und ein Hauptmeister hatten ihren letzten Dauerdienst, Wagner arbeitete im kriminaltechnischen Labor und neben einem weiteren Kriminalobermeister kam schließlich am späten Nachmittag auch noch Windisch. Er schien von Bergfelds Anwesenheit nicht überrascht zu sein.
Im Kreisamt herrschte eine eigenartige Stimmung; über allem lag eine gewisse Spannung, trotzdem wirkte jedes Gespräch irgendwie emotionslos, wie nebensächlich und als warte man auf andere, wichtigere Informationen. Bergfeld war zu dem Schluss gekommen, dass es mit der großen Berliner Demonstration am Vortag zusammen hing. Natürlich hatten sie schon vorher über Zeitungsberichte zu den beschämenden Ereignissen im Umfeld zu Gorbatschows Besuch und dem 40. Geburtstag der Republik diskutiert. Nun forderten Bürgergruppierungen und die neuen Parteien, die verantwortlichen Polizisten und die Schläger der Stasikommandos vor Gericht zu bringen und für ihre Prügeleien zu verurteilen. Wann hatte es in der DDR schon mal solche offenen Diskussionen gegeben? Die neue Regierung unter Krenz hatte sogar Aufklärung versprochen und viele der Bernauer Polizisten waren sich sicher, dass vieles auch an ihnen hängen bleiben würde. Diesmal schien es Ernst zu sein mit dem Willen nach Veränderungen. Und nun die Demonstration gestern -- über eine halbe Million Menschen. Alle wollten mit dem Parteistaat aufräumen. Das ganze Land war in Aufregung. Würde sich die Wut nun auch direkt gegen sie richten?
Bergfeld hätte sich gewünscht, dass einer der führenden Genossen ihrer Dienststelle ein paar klärende Worte finden würde. Er hatte Neuburger zwar schon gesehen, doch nichts von ihm gehört. Dafür sagte Windisch: „Wir könnten ja mal mit Wagner durchgehen, was wir bisher so zusammengetragen haben. Was hältst du davon?“
„Eine gute Idee, ich wollte eben das gleiche vorschlagen.“ Das stimmte zwar nicht, aber irgendwie mussten sie System in ihre Arbeit bringen, zumal er für den Dauerdienst der nächsten Woche eingeteilt war. „Ich dachte nur, wir machen es diesmal vielleicht umgekehrt und laden auch den Chef dazu ein.“
Windisch sah ihn überrascht an. Der Dienstweg hieß, Major Neuburger oder sein Stellvertreter Hauptmann Koppelt setzte die Besprechungen an und sie hatten zu folgen. „Jetzt ist ja vieles im Umbruch“, grinste Windisch, „wir könnten es also versuchen.“
Bergfeld ging zu Wagner, und auf dem Rückweg kehrte er bei Neuburger ein. Da keine Sekretärin im Vorraum saß, ging er durch und trat nach einem kurzen Klopfen gegen die halb offene Tür in das Zimmer des Majors. Der hatte aus dem Fenster gesehen und ihn wohl zu spät gehört, er drehte sich hastig auf dem Drehstuhl seinem Schreibtisch zu und griff zu einer Mappe. Sie lag dort offensichtlich nur, damit es nach Arbeite aussah. Major Neuburger deutete auf den Stuhl, hob eine Tasse und trank. „Was gibt es, Genosse Bergfeld.“
„Entschuldigen Sie, Genosse Major, wenn ich Sie frage, ob Sie an einer etwas außerplanmäßigen Besprechung teilnehmen möchten. Es ist ja heute alles ein wenig, wie soll ich sagen, ein wenig...“ Er suchte nach einem Fremdwort für den Major. „Ein wenig operativ verlaufen...“
„Ja, gern“, sagte Neuburger und musterte ihn misstrauisch. „Und worum geht es konkret ?“
„Wir wollten die Fälle Herbstmord und Vermisstenanzeige Müller durchsprechen.“
„Gut.“ Er suchte eine neue Akte aus einem Schubfach und Bergfeld warf einen schnellen Blick auf den vor ihm liegenden Ordner. Es handelte sich um eine Personalakte und soweit er den handgeschriebenen Namen erkennen konnte, begann er mit Wi... Wahrscheinlich Windisch, denn er kannte nur noch einen anderen Namen mit diesen Anfangsbuchstaben: Winderling. Oder war es dieser Unterleutnant, das sture Gewissen der Partei, der Stasi-Zuträger? Neuburger verschloss das Schriftstück im Tresor.
Neuburger taute in ihrer Runde richtig auf, und so verlief die Besprechung locker und trotzdem sehr konzentriert. Vielleicht lag es auch daran, dass er bei den ihn verunsichernden gesellschaftlichen Turbulenzen hier auf etwas positivere Gedanken kam, obwohl Mord und Verschwinden nicht gerade zu den heiteren Seiten des Lebens gehörten. Oder weil es an diesem Sonntag eine freiwillige und damit weitgehend von Ideologie und Vorschriften freie Runde war? Bergfeld hätte nichts dagegen, wenn es schon der neue Arbeitsstil war, der sich da ankündigte. Jedenfalls vermied der Major bis auf sein „relevant“ und zum Abschluss, dies sei eine sehr effektive Arbeitsbesprechung gewesen, sogar eine Häufung der von ihm geliebten Fremdwörter.
Am wichtigsten für Bergfeld war die Entscheidung, eine andere Gruppe für den Dauerdienst der nächsten Woche einzusetzen und ihm offiziell die Leitung der Untersuchung zu übertragen. Beide Fälle wurden zusammen gezogen, da durch den Autoschlüssel ganz offensichtlich ein Zusammenhang bestand. Weiter würde ihnen ab morgen ein junger Wachtmeister zugeteilt, und bei weiterem Bedarf bekäme er zusätzliche Leute. Wahrscheinlich hatte Neuburger sich Wagners Ansicht angeschlossen, denn er deutete mit keinem Wort an, dass man sich an den Kommandeur des sowjetischen Panzerregiments wenden würde.
Als der Major den Raum verlassen hatte, zog Wagner die Augenbrauen hoch und nickte anerkennend. Dann sagte er: „Also nochmal: das Blut aus dem Bungalow stammt nach der Blutgruppenüberprüfung wahrscheinlich von Müller. Eine genaue Analyse wird in Berlin gemacht, es gibt jetzt eine neue genetische Prüfmethode mit neunundneunzig Komma neunundneunzig prozentiger Sicherheit. Gehen wir also mal davon aus, es ist von Müller. Dann wurde Müller wahrscheinlich verletzt durch einen Schlag oder Stich oder Schnitt. Für eine schwere Verletzung war es zu wenig Blut. Es kann aber auch von einer früheren Verletzung stammen.“ Er blätterte in seiner Akte. „Diese Reifenspur am Bungalow hilft uns leider nicht weiter. Sie stammt von einem Motorrad, sehr wahrscheinlich mit Beiwagen. In Klosterwalde sind bei rund dreitausend Einwohnern dreiundzwanzig Motorräder gemeldet, mit den umliegenden Dörfern zusammen kommen wir auf dreihundertsiebzig. Wer davon mit Beiwagen fährt, ist nicht erfasst. Und euch brauche ich ja nicht zu erzählen, wie viele alte Motorräder gar nicht angemeldet sind und trotzdem noch zum Transport auf Äckern verwendet werden und, und, und... Allein bei uns in Rüdnitz kenne ich vier, die mit Beiwagen oder kleinen Anhängern Wege und Felder abklappern, um für ihre Kaninchen, Ziegen oder Schafe Grünzeug zu holen. Und dazu noch die Mofas...“ Er stöhnte laut.
„Hast du mein Motorrad bei den gemeldeten mitgezählt?“ fragte Windisch und grinste.
„Du stehst bei mir ganz oben“, brummte Wagner.
„Die Gäste im Eichkater – das war bisher auch ein Schlag ins Wasser“, fuhr Windisch fort. „Ich habe allerdings noch zwei offen, den Berliner und seine Freundin. Ich bin vorhin schon in der Siedlung vorbei gefahren, die mir die Wirtin vom Waldkater beschrieben hat. Die zwei Ehepaare, die draußen waren, wussten mit der Beschreibung nicht viel anzufangen. Sie hätte auf jeden zweiten zutreffen können. Glück wäre aber, wenn das mit dem Westauto stimmt: also der Mann soll einen älteren Golf gefahren haben. Davon gibt es nur einen in der Siedlung, und der war heute schon da. Den Namen habe ich, doch keine Adresse. Ich bin gespannt ob er zugibt, dass er fremd gegangen ist...“ Windisch grinste.
„Finde ich gar nicht lustig“, sagte Bergfeld. Er sah in sein Notizbuch und verkündete, dass er heute bei Holbrecht vorbei fahren und morgen nach der Frühbesprechung noch einmal in Müllers Betrieb ermitteln werde. „Danach müssen wir in Müllers Wohnung“, sagte er zu Wagner, der seltsam abwesend aus dem Fenster starrte.
„Weißt du, dieser Einbruch in der Datsche in Biesenthal, da hat Konrad ähnliche Reifenspuren gesichert.“ Er neigte den Kopf in Richtung seines Kollegen. „Wir haben sie noch nicht abschließend ausgewertet, doch sie stammen auch von einem Motorrad. Ich werde mir diese Sache morgen früh gleich vornehmen.“
Mit Konrad Pogalla, dem zweiten Kriminaltechniker, einem etwas trägen, doch ungemein gründlichen Unterleutnant, arbeitete Wagner schon seit acht Jahren zusammen. Sie ergänzten sich gut, Wagner als Motoren-, Auto- und Reifenspezialist und Pogalla, zu dessen hagerer Figur und dem schütteren Haar über einem vogelhaften Gesicht die fast penetrante Ruhe gar nicht passen wollte, als ausgesprochener Experte für knifflige und komplizierte elektronische oder mechanische Geräte. Er hatte erst mit einunddreißig Jahren durch verschiedene Umstände, über die er nie sprach, seinen Beruf als Elektriker in einer LPG aufgegeben und war dann zur Polizei gekommen. Diesen späten Einstieg hatte er wahrscheinlich genauso seinem Können als Brandursachen-Ermittler der Freiwilligen Feuerwehr wie der Tatsache zu verdanken, dass zu jener Zeit die Polizei mit Nachwuchssorgen zu kämpfen hatte.
„Na, dann los, ehe es dunkel wird“, sagte Bergfeld und trank seinen Rest Kaffee aus. Er sah Wagner fragend an, dessen Gedanken immer noch irgend wo weit außerhalb des Zimmers kreisten. „Oder macht dir noch etwas Kummer, Siegfried?“
„Kummer...“ Er zuckte die Schultern, „nicht direkt Kummer, aber man macht sich so seine Gedanken.“ Er erhob sich, drückte die Schultern nach hinten und deutete ein paar gymnastische Bewegungen an. „Mit fünfundfünfzig sind die Knochen schon ganz schön müde, ihr jungschen Burschen könnt euch das bestimmt noch nicht vorstellen. Ich hoffe bloß, wir werden nicht mit den Ledermänteln von Mielke in einen Topf geworfen.“ Mit diesem etwas unlogischen Abschluss seiner Altersbetrachtung verließ er mit Pogalla das Zimmer.
Windisch holte Luft und einen Moment schien es, als wolle er etwas wichtiges von sich geben. Dann nickte er und sagte: „Kommst du erst mit zum Eichkater?“
Vor der Gaststätte, einem einstöckigen Holzgebäude, hatten sie unter den sieben Autos und drei Motorrädern auch einen VW Golf mit Berliner Nummer entdeckt. Es war die Farbe, die das Auto des älteren Berliners hatte. Doch das bedeutete noch nichts, denn von den rund siebentausend Golf, die Ende der siebziger Jahre einmalig in die DDR importiert worden waren, sollten etwa sechstausend in diesem lehmartigen Ton und nur eintausend in rot und blau geliefert worden sein.
Als sie in den Gastraum traten, umfing sie ein Schwall von durcheinander dringenden Stimmen und rauchgeschwängerter, warmer Luft. Fast alle Plätze waren besetzt. Windisch und Bergfeld stellten sich an die Theke und warteten eine kleine Pause ab, um die mit rot erhitzten Wangen hin und her eilende Wirtin anzusprechen. Unter den etwa zwanzig Gästen hatte der Hauptmeister die drei jungen Wachsoldaten und noch vier andere von der Gästeliste des Mordabends entdeckt. „Ist der Berliner Gast von dem Abend neulich auch hier?“ fragte Windisch.
Die Wirtin ließ sich beim Abfüllen des Bieres nicht stören. „Möchten Sie auch eines?“ fragte sie. Als Windisch abwehrte, deutete sie mit dem Kopf auf einen Tisch am Fenster. „Der Dicke mit dem Norwegerpullover. Aber diesmal ist er wohl mit seiner Frau hier.“ Sie lächelte kurz und stellte die Gläser auf ein Tablett.
„Frau Diekmann, Sie sollten mich doch anrufen, wenn der Mann auftaucht“, sagte Windisch ärgerlich.
Die Frau stöhnte leise auf. „Tut mir leid, das hatte ich vergessen. Eine meiner Kellnerinnen ist nicht gekommen, und heute ist der letzte Öffnungstag im Jahr. Sie sehen ja, was los ist. Dafür habe ich vielleicht etwas gehört, was Sie interessiert.“ Sie verteilte die Biere, rief einige Bestellungen durch eine Luke in die Küche und eilte gleich wieder mit mehreren Tellern Kartoffelsalat, Buletten und Bockwürsten davon.
„Man traut sich ja gar nicht, sie jetzt zu stören“, sagte Bergfeld.
Windisch nickte. „Ich kriege richtig Appetit, wenn ich die Würste sehe.“
Bergfeld wusste, dass der junge Kollege eine Einzimmer-Neubauwohnung und eine Freundin in Bernau hatte, die noch bei den Eltern wohnte. Wahrscheinlich kam sie sonntags zu ihm, doch sicherlich nicht, um zu kochen. Marion jedenfalls hatte sich heute besondere Mühe gegeben. Bevor Bergfeld zur Dienststelle gefahren war, hatten sie gut und reichlich Mittag gegessen und sich nach der Diskussion des Vortages sachlich unterhalten. Allerdings waren dabei die Themen Haus, ihr Spätdienst und die politischen Kommentare über die Sonnabend-Demonstration sowie die Vermutungen über das, was noch folgen könnte, nicht angeschnitten worden. Für einen Streit war also nicht viel übrig geblieben.
„Hörst du, hier scheint die Demonstration ja auch Hauptthema zu sein“, sagte Windisch und neigte den Kopf zu den Tischen.
Bergfeld nickte und bemerkte, wie der Berliner bei der Wirtin bezahlte. Sie schaute ein wenig hilfesuchend zu ihnen her und wirkte erleichtert, als Bergfeld ihr zublinzelte. Er stieß seinen Kollegen an und sagte: „Unser Zeuge zahlt, gehen wir raus.“ Sie stellten sich vor den Eingang und Bergfeld meinte, man könne erst einmal im Auto mit ihm reden. Einen Moment schwankte er, ob er Windisch darauf hinweisen sollte, ihn nicht im Beisein seiner Frau zu befragen. Er unterließ es; so viel Fingerspitzengefühl musste man eigentlich voraussetzen. Die beiden kamen heraus und sie zückten ihre Dienstausweise.
„Bitte zeigen Sie uns Ihre Personalpapiere“, sagte Windisch.
Der Mann wurde blass und sah seine Frau hilfesuchend an.
„Es tut mir leid“, sagte er hastig und suchte mit zitternden Fingern in seiner fellgefütterten Wildlederjacke. „Ich habe nur ein Bier getrunken, wirklich nur eines. Stimmt’s Liesel?“
Die Frau nickte. Sie wirkte ruhiger und auch sicherer als ihr Mann, dessen glatte, rosige Wangen im Gegensatz zu ihrem stark mit Make up bearbeiteten faltigen Gesicht einen gewissen kindlichen Zug trugen. Irgendwie passte dazu seine voluminöse Fellmütze, die bei den zwei, drei Grad plus zwar ein wenig lächerlich wirkte, doch anscheinend dem Beruf oder seiner Stellung geschuldet war. Irgendjemand hatte diese Mode vor einigen Jahrzehnten aus Russland importiert. Dort signalisierte die sogenannte Schapka, möglichst aus Zobel oder Nerz, schon immer eine hohe Stellung oder noch früher, zur Zarenzeit, großen Wohlstand. Und je beflissener die DDR-Parteifunktionäre alles kopierten, was in der mächtigen Sowjetunion vorgemacht wurde, um so mehr hatte sich über das im Winter bei jeder Temperatur pelzbehütete Politbüro die russische Schapka zu einem äußeren Signal der Verbundenheit mit dem großen Bruder gewandelt. Bergfeld musste grinsen -- auf dem Lande waren die meist hellblau oder grau gefärbten Kunstwolle- oder mullgefütterten Mützen, deren Seiten man bei Frostgraden einfach herunter klappte, ideale Ohrenschützer. Aber eben nur bei Frostgraden und Leuten, die nichts mit Parteiposten zu tun hatten.
„Und außerdem wollte ich fahren“, sagte die Frau. „Wir haben hier in der Nähe, nur zwei Kilometer entfernt ein Wochenendhaus.“
„Und wie viel haben Sie getrunken?“ fragte Windisch.
„Ein Glas Wein und eine Selters. Vor einer Stunde etwa. Stimmt’s, Peter. Sie haben doch sicherlich ein Alkoholmessgerät dabei.“
Ihr Mann hatte den Ausweis endlich heraus gekramt. Windisch blätterte ihn durch und schüttelte den Kopf. „Nein, wir haben kein solches Messgerät dabei, sehr verehrte Frau Kornbacher. Sie sind doch Frau Kornbacher ?“
Die Frau nickte irritiert. „Ich würde Sie bitten, für ein paar Minuten in Ihrem Wagen Platz zu nehmen oder in der Gaststätte zu warten. Wir müssen allein mit Ihrem Mann sprechen, es geht um eine Zeugenbefragung.“
„Aber ich bin mit meinem Mann zusammen hergekommen...“
„Frau Kornbacher, wir sind von der Mordkommission und es geht nicht um heute. Wenn Sie noch etwas zu sagen haben, können wir anschließend gern darüber reden. Ebenfalls allein.“
Kornbacher gab ihr die Autoschlüssel, die Frau ging zögernd zu ihrem Golf und sah noch einmal zu ihnen herüber, ehe sie einstieg.
„Ich denke, wir setzen uns auch ins Auto, dann kann ich besser mitschreiben“, sagte Windisch. Er kletterte auf den Hintersitz, während der Zeuge sich so ungeschickt vorn in Bergfelds Trabant quetschte, dass sofort klar wurde, dies war nicht die Sorte Auto, die der Herr Kornbacher benutzte. Er stieß sich in dem niedrigen Fahrgastraum seine Pelzmütze vom Kopf und strich mit hastigen Bewegungen einen dünnen Haarkranz über die Glatze. Nachdem er die Adresse notiert hatte, gab Windisch den Ausweis zurück. „Wie hieß Ihre Begleiterin am Dienstagabend hier im Eichkater?“ begann er.
„Sabine... Sabine Kastler. Woher wissen Sie?“
„Wie stehen Sie zu ihr?“
„Sie ist eine Bekannte, ein persönliche... eine Bekannte...“
„Kennt Ihre Frau sie auch?“
„Meine Frau, ja, aber... Sie kennt sie.“
Windisch ließ ihm keine Atempause und Bergfeld musste anerkennen, dass er seine Sache gut machte. „Dann könnten wir Sie also auch in Anwesenheit Ihrer Frau befragen, was Sie am Mittwoch mit Sabine Kastler hier draußen machten?“
„Nein, nein, sie könnte das falsch ...“
„Haben Sie ein Verhältnis mit ihr?“
Kornbacher räusperte sich und schien damit gar nicht mehr aufhören zu können. „Wenn Sie mich so direkt fragen, also wir waren, das heißt wir sind ... also, also ja, wenn man es so nimmt.“
„Ich frage Sie direkt. Es ist wichtig.“
„Ja, wir sind liiert. Ein wenig.“
„Ein wenig?“ fragte Windisch süffisant. „Also vögeln Sie Frau Sabine oder nicht?“
Kornbacher litt plötzlich an Atemnot. Er holte pfeifend Luft. „Ja, wir haben auch im Bett... ja, auch vögeln.“
Bergfeld drehte sich ruckartig weg und beobachtete den Ausgang des Lokals. Kornbacher musste nicht unbedingt mitbekommen, dass er grinste. Der Mann gab seinen Widerstand auf und erzählte, dass er im Ministerium für Außenhandel Abteilungsleiter sei und Sabine Kastler Sachbearbeiterin für Ungarn-Rumänien-Bulgarien. Bergfeld nickte unmerklich vor sich hin; die Pelzmütze passte dazu. Seine Frau kenne die Kollegin von Betriebsvergnügen und sei sehr eifersüchtig. Dann erzählte Kornbacher, dass sie seit etwa drei Jahren ein festes Verhältnis hätten und wie es begann. „Natürlich auch mit Vögeln“, fügte er jetzt von allein hinzu. Das Wort schien ihm inzwischen zu gefallen, und nun, da die Kriminalisten ja alles wussten, konnte er ruhig ein wenig auf cool tun. Er sah Windisch an, als erwarte er ein Lob für seine sexuelle Potenz.
Der Kriminalhauptmeister betrachtete seine Notizen und nickte versonnen vor sich hin. Schließlich sagte er: „Herr Kornbacher, damit Sie Ihre Situation richtig einschätzen, wir bearbeiten ein Tötungsverbrechen. Ein junger Mann wurde an jenem Abend etwa um die Zeit in der Nähe erschossen, als Sie und Ihre Freundin hier aufbrachen.“
Kornbacher riss seine in Fettpölsterchen gebetteten Augen auf. „Ein Mord? Hier!“ Er warf einen hastigen Blick auf den kleinen Parkplatz, dessen Konturen in der einbrechenden Dunkelheit langsam verschwammen. „Ich habe gar nichts in der Presse gelesen.“
„So weit sind wir noch nicht“, sagte Bergfeld und ließ offen, wie er das meinte. „Ist Ihnen bei Ihrer Abfahrt etwas aufgefallen?“
„Aufgefallen -- gar nichts.“ Er schüttelte den Kopf, überlegte aber trotzdem weiter. „Das übliche. Nach uns kamen noch drei oder vier Mann raus. Ich glaube, drei davon hatten sich vorher im Lokal gestritten, vielleicht ging es noch um dieselbe Sache. Aber sie waren kaum zu verstehen, ich meine, sie versuchten leise zu streiten, so, als sollte das keiner mitkriegen...“
„Worum ging es?“
„Geld, irgend eine Abrechnung stimmte wohl nicht. Vor allem der Dicke versuchte immer zu erklären, warum sie noch etwas warten müssten.“
Windisch ließ sich die Beschreibung des Dicken geben, sie traf auf Kurt Müller zu. „Haben Sie auch einen jüngeren Mann mit Brandnarben bemerkt?“ fragte Bergfeld.
„Ja, der hatte die Männer schon im Lokal beruhigt.“
„War er draußen mit dabei?“
Es bummerte gegen die Scheibe und die drei Männer zuckten zusammen. Frau Kornbacher stand neben dem Auto und rief wütend: „Peter, was ist nun, ist alles in Ordnung? Mir wird kalt.“
„Ja, Liesel, alles in Ordnung.“ Er öffnete die Tür. „Einen Moment dauert es noch. Ich erzähl’ dir nachher alles.“ Er drehte sich zu Windisch zurück und fragte erschrocken: „Ich darf doch darüber sprechen, oder nicht?“
„Wie Sie wollen. Aber nur zu Ihrer Frau“, sagte Windisch.
Kornbacher nickte eifrig und zog die Tür wieder zu. Es wurde jetzt wirklich ungemütlich, und zu sehen war auch kaum etwas. Bergfeld schaltete die schwache Innenbeleuchtung ein.
„Hat sich der junge Mann mit den Brandnarben auch draußen wieder eingemischt?“
„Nein, ich glaube nicht. Er stand so ein, zwei Meter abseits und hat nur zugehört. Jedenfalls, soweit ich es mitbekommen habe. Man achtet ja nicht auf solche Dinge.“
„Gut, wir klären das. Vielleicht müssen wir dazu noch Ihre Bekannte befragen“, sagte Windisch. „Geben Sie uns bitte die Adresse ihrer Wohnung und Arbeitsstelle. Auch die Telefonnummern.“
Einen Augenblick musterte Kornbacher ihn wieder mit ängstlichen Augen. „Im Dienst – das wird doch nicht offiziell, oder?“
Windisch beruhigte ihn und machte den etwas unpassenden Scherz: „Keine Sorge, wir behandeln die Sache diskret. Vorausgesetzt Sie sind nicht die Mörder.“ Kornbacher fand das witzig und meinte, dann hätte er ja nichts zu befürchten.
Bergfeld hatte auch eine Frage: „Wie viele Gäste waren an diesem Abend im Lokal?“ Kornbacher begann mit den Fingern abzuzählen und kam auf zehn. Zwei weniger, als sie ermittelt hatten. Sicherlich hatten ihn an dem Abend andere Dinge interessiert.
Sie begleiteten Kornbacher zu seinem Wagen, in dem seine Frau mit verbissenem Gesicht vor sich hin starrte. Er verabschiedete sich freundlich von den beiden Kriminalisten und beeilte sich, wegzukommen. Als die Rücklichter in Richtung Berlin verschwanden, meinte Windisch: „Jetzt möchte ich mal hören, was Kornbacher seiner Liesel erzählt.“ Dann sah er seinen Kollegen an: „Ich musste die ganze Zeit an Kartoffelsalat und Bratwürste denken und gehe erst mal essen. Kommst du mit auf ein Bier?“
Bergfeld schaute auf die Uhr. „Nein, ich will noch zu Holbrecht nach Schönwalde fahren. Mal hören, was der erzählt. Und spätestens um zwanzig Uhr möchte ich zu Hause sein.“