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ОглавлениеKAPITEL 1
Der Zerstörer der Ernte
Heute kommt es uns so vor, als hätte es den Torwart schon immer gegeben. Für uns ist es das Normalste der Welt, dass eine Mannschaft aus zehn Feldspielern plus einem Torhüter besteht, dass hinter den in ihrem 4-4-2 oder 4-2-3-1 oder im 4-3-3 umherwuselnden Feldspielern noch jemand steht, der in dieser Zahlenreihe nicht genannt wird. Den man als so selbstverständlich betrachtet, dass niemand auch nur daran denkt, ihn in der Diskussion über taktische Formationen zu erwähnen. Trotzdem ist der Torhüter ein verhältnismäßig neues Phänomen. So etwas wie einen Torwart im heutigen Sinne gab es nämlich noch gar nicht, als 1863 mit der Gründung des englischen Fußballverbandes, der Football Association (FA), die Entwicklung des modernen Fußballs ihren Anfang nahm.
In der Frühform des Fußballs in Großbritannien ging es einzig und allein darum, zu dribbeln und Tore zu erzielen. Deren Verhinderung spielte höchstens am Rande eine Rolle. Als man sich Mitte des 19. Jahrhunderts daran machte, einen einheitlichen Regelkatalog zu erstellen, mit dessen Hilfe man Sportler unterschiedlicher Eliteinternate mit ihren jeweils eigenen Varianten des „Fußball“ genannten Spiels zusammenbringen konnte, war von einem Torwart nirgends die Rede.
Das erste Spiel nach den Regeln der FA bestritten Barnes und Richmond. Es endete mit einem torlosen Unentschieden, obwohl beide Mannschaften mit zwei Hintermännern und neun Angreifern aufs Feld gegangen waren, der damals üblichen taktischen Formation. Nach den frühen Regeln durfte jeder Spieler den Ball mittels eines „Fair Catch“, eines „regelkonformen Fangens“, in die Hand nehmen. Es gab dann Freistoß für den fangenden Spieler, sofern er unmittelbar nach dem Auffangen stehengeblieben war und mit dem Schuh einen sichtbaren Abdruck auf dem Platz hinterlassen hatte. Mit dem Ball in beiden Händen weiterzulaufen oder per Wurf ein Tor zu erzielen, war dagegen unzulässig.
Damit folgte die FA letztlich nur jahrhundertealten Traditionen. Die von der Shrewsbury School 1858 schriftlich fixierten Regeln und die Sheffielder Regeln von 1857 erlaubten jeweils „fair catches“, erwähnten aber keine Torhüter. Auch die Regeln von Harrow aus dem Jahr 1887 spiegeln wider, wie an dieser Schule seit vielen Jahren Fußball gespielt wurde. „Spiel mit der Hand“ war zulässig, jedoch nur, um den Ball sauber zu fangen. Unmittelbar danach hatte der Spieler „yards“ zu rufen. Damit bekam er das Recht, sich drei Yards, also knappe drei Meter, in eine beliebige Richtung zu bewegen, ohne dabei attackiert zu werden.
Keines der vielen Spiele, die als Vorläufer des Fußballs betrachtet werden, kannte einen Spieler, der allein ganz hinten blieb. Bei den meisten war es offenbar allen Spielern erlaubt, den Ball mit der Hand zu spielen oder zu fangen. Ihn dann aber weiterzutragen, war dagegen nur bei einigen wenigen zulässig. Bei sämtlichen Varianten lag der Schwerpunkt eindeutig auf dem Angriff und nicht auf der Verteidigung, auch wenn es Varianten gab, bei denen nur ganz selten überhaupt Tore fielen.
Trotzdem: So klein ihre Zahl und so gering ihre Bedeutung auch gewesen sein mag, es gab Abwehrspieler. Aus diesen muss der Torwart hervorgegangen sein. Beim phaininda und harpastum beispielsweise, also den antiken Spielen der Griechen und Römer mit einem kleinen Ball, die wesentlich mehr mit der aus Cornwall bekannten Variante des Hurling statt mit Fußball zu tun haben, positionierte man langsamere Spieler weiter hinten. Der griechisch-römische Arzt und Philosoph Galen nannte diese Zone den „locus stantium“ – den „Platz der Stehenden“.
Unser Wissen über beide Spiele ist jedoch begrenzt. Im späten 16. Jahrhundert allerdings hatte ein anderes Ballspiel in Italien und insbesondere in Florenz an Beliebtheit gewonnen, dessen Ursprünge man aus naheliegenden Gründen im harpastum vermuten kann: der calcio. Aus den Regeln, die der florentinische Adelige Giovanni de’ Bardi festgehalten hat, wissen wir, dass die Mannschaften aus 27 Spielern bestanden. Dem 1612 gedruckten Vocabolario della Crusca zufolge waren diese aufgereiht als „15 innanzi o corridori, 5 sconciatori, 4 datori e dietro“, also als 15-5-4-3-Formation, aber ohne Torhüter. Andererseits waren in einem Spiel, bei dem jeder den Ball mit der Hand spielen durfte, in gewissem Sinne natürlich alle Verteidiger Torhüter.
Calcio im Florenz des 17. Jahrhunderts
Bevor es überhaupt Torhüter geben konnte, brauchte man natürlich erst einmal Tore. In den Frühformen des Fußballs gab es nur sehr wenig Einhelligkeit darüber, was darunter zu verstehen war. Beim calcio beispielsweise erstreckte sich das Tor an beiden Enden über die komplette Breite des Platzes. Die britische Ausprägung, der direkte Vorläufer des modernen Fußballs, hat hingegen wohl einem kleineren, an beiden Enden jeweils extra abgegrenzten Bereich den Vorzug gegeben.
So beschrieb etwa Joseph Strutt in seinem 1801 erschienenen Buch Sports and Pastime of the People of England ein entsprechendes Spiel aus Yorkshire: „Spielt man eine Partie Fußball, so besetzt eine gleichmäßige Anzahl von Gegenspielern das Feld und steht zwischen zwei Zielen, welche in einem Abstand von 80 oder 100 Yards voneinander aufgestellt sind. Das Ziel ist für gewöhnlich aus zwei Stäben gemacht, die ungefähr zwei oder drei Fuß voneinander in den Boden gesteckt sind.“ Bei einem dermaßen kleinen Tor bestand natürlich überhaupt keine Notwendigkeit, extra einen Mann zwischen die Pfosten zu stellen. Ganz ähnlich war es beim Eton Wall Game, das auf einem 110 Meter langen und fünf Meter breiten Feld gespielt wurde. Dort waren die Tore extrem schmal: eine Tür am einen Ende und der markierte Bereich einer Ulme am anderen. Auch hier hätte es keinen Sinn ergeben, in den 18 oder 20 Mann starken Teams einen Torhüter zu bestimmen.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts reifte allmählich die Erkenntnis heran, dass die weit hinten verteidigenden Spieler eine besondere Rolle ausfüllten, selbst wenn sie nicht besonders hoch angesehen waren. Zu Zeiten der Römer mochten es die langsamsten Spieler gewesen sein, die hinten spielten. In der Schule des Viktorianischen Zeitalters waren Abwehrleute hingegen diejenigen, denen man weniger körperliche, sondern vielmehr moralische Defizite nachsagte.
In seinem Buch Football at Westminster School schrieb H. C. Benham über Partien, bei denen die Tore teils etwa elf Meter breit waren und einfach dem Zwischenraum zwischen zwei Bäumen an beiden Enden des Platzes entsprachen. „Die kleinen Jungen, die Nieten und die Schisshasen, das waren die Torleute, zwölf oder 15 an jedem Ende, und diese verteilten sich über jenen breiten Zwischenraum“, schrieb Benham. „Zeigte einer der Kameraden, die im Felde spielten, irgendein Anzeichen von ‚Schiss’ oder ließ es an Tüchtigkeit fehlen, so wurde er augenblicklich in das Tor geschickt, nicht bloß für einen Tag, sondern als dauerhafte Degradierung. Konnte andererseits einer der Torleute ein Tor gut abwehren, so wurde er aufgerufen, unverzüglich draußen zu spielen, und spielte von da an zu jeder Zeit draußen.“ Es ist natürlich alles andere als logisch, dass einer, sobald er sich als guter Torhüter erweist, von da an nicht mehr als Torhüter spielt. Wichtiger noch ist, dass es eine Stigmatisierung bedeutete, im Tor zu spielen. Diese Stigmatisierung gibt es auch heute noch, zumindest in Großbritannien, wenn auch eher unbewusst.
Die Schulen besaßen allesamt ihre eigenen Regeln, die stark von der Beschaffenheit ihres Platzes abhingen. Das Konzept mit mehreren Torhütern scheint dabei sehr verbreitet gewesen zu sein. Das Book of Rugby School enthält ein Kapitel, das offenbar aus der Feder von W. H. Arnold stammt, dem Bruder von Schuldirektor Thomas Arnold. Es bildete so gut wie sicher die Quelle für das berühmte Spiel, das Thomas Hughes in seinem Buch Tom Brown’s Schooldays beschrieben hat. Darin legt er detailliert dar, wie eine Mannschaft aus 40 Schülern der Oberstufe gegen 460 andere antrat. Davon spielten 260 im Tor.
Es war völlig klar, dass Torwart zu sein eine undankbare Aufgabe war. In seinen Recollections of Schooldays at Harrow, seinen Erinnerungen an die Schulzeit in Harrow, schrieb Reverend H. J. Torre: „Es fiel der Gruppe der kleinen Jungen zu, die ‚Grundlinie’ oder das Tor zu hüten, was eine ungewöhnlich kalte Tätigkeit war, und wenn der Ansturm kam, so fanden sie sich für gewöhnlich auf ihren Hinterteilen im Schmutze wieder.“ Der Schuldirektor Christopher Wordsworth (1836–44) führte die Regel ein, dass niemals mehr als vier Jungen „gleichzeitig ‚die Grundlinie hüten’ [durften], und dieses auch nicht länger als 30 Minuten“.
Womöglich noch gefährlicher war die Position in Charterhouse. Dort fand Fußball nicht auf einem Rasenplatz, sondern auf einem knapp vier Meter breiten und gut 60 Meter langen Klostergang statt. Auch hier oblag die Verteidigung oder das Hüten des Tores den Fags, den Jungen aus der niedrigsten Klassenstufe. „Recht bald geriet der Ball in einen der Strebepfeiler, woraufhin sich ein ungeheures Gedränge erhob, bei welchem ungefähr 50 oder 60 Jungens sich zusammendrängten und ganz energisch ‚roh einstiegen’, traten und rempelten, um den Ball wieder herauszubekommen“, schrieben E. P. Eardley-Wilmot und E. C. Streatfield in ihrem Werk Charterhouse Old and New. Und weiter:
„Ein geübter Mitspieler, der spürte, dass der Ball sich vor seinen Füßen befand, wartete geduldig den rechten Augenblick ab, bis er, die gute Gelegenheit erkennend, gewandt den Ball herausarbeitete und mit selbigem sodann in wildem Lauf auf dem Kreuzgang hinunter auf das begehrte Tor zueilte. Daraufhin löste sich das Gedränge sogleich auf, und alle jagten hinterdrein. Nun war es daran, den Schneid und das Urteil der Fags auf die Probe zu stellen.
Zu dem Zweck, den Ball vor dem Tore nicht in selbiges hineinzulassen, kam nun einer der ganz vorne stehenden Fags hervorgerannt, um den Angriff des dribbelnden Gegners zu parieren, wobei der für gewöhnlich Hals über Kopf vier Meter über die Steine geschickt wurde. Gleichwohl diente auch dieses einem Zweck, verschaffte es seiner Mannschaft nicht nur die Zeit, heranzukommen, sondern ermutigte seine Fags-Kameraden auch, mit einer dichten und unerschütterlichen Front aufzuwarten. Erfuhr der Junge mit dem Ball von seinem eigenen Haus aber Unterstützung, stürzte sich dieses sodann mitten unter die Fags, worauf ein fürchterliches Handgemenge losbrach. Die Fags gaben sich dabei jede Mühe, den Ball nicht durchkommen zu lassen, und ließen Fäuste und Hände niederprasseln, während sie sich, um besseren Halt zum Schieben zu erlangen, an die Kanten der Mauer klammerten. Eines dieser Handgemenge dauerte eine Dreiviertelstunde lang. Schienbeine wurden grün und blau getreten; Jacken und weitere Kleidungssachen fast gänzlich in Fetzen gerissen; und auf solche Fags getrampelt, die auf dem Boden sich befanden.“
Gegen Mitte des Jahrhunderts wurden Aspekte wie die Anzahl der Spieler pro Mannschaft und die Größe der Tore zunehmend einheitlicher. In seiner History of British Football zeigt der Schriftsteller Percy M. Young (1912–2004) anhand anekdotischer Quellen zwar, dass in den 1830er Jahren Elfer-Mannschaften in Harrow bereits üblich waren. Der erste gesicherte Bericht über ein Spiel mit Teams à elf Spielern erschien allerdings erst 1841. Bell’s Lifemagazine hielt damals fest, dass in Eton das sogenannte Field Game – das zwar nicht mit Fußball gleichzusetzen, diesem aber eindeutig sehr ähnlich war – zwischen zwei Elfer-Mannschaften ausgetragen wurde.
Die Größe der Tore variierte noch stärker als die des Platzes. So gab es 1862 bei einem Spiel elf gegen elf zwischen Eton und Harrow beispielsweise sogenannte Bases, die gut dreieinhalb Meter auseinander standen und sechs Meter hoch waren. An ein Tor, das ein einzelner Mann halbwegs verteidigen konnte, dachte man offensichtlich noch nicht. Die ersten Regeln der FA, niedergelegt 1863, schrieben vor, dass die Tore 7,32 Meter breit sein mussten, also so wie heute auch. Sie stellten zugleich unmissverständlich klar, dass ein Tor dann erzielt war, wenn der Ball „den Zwischenraum zwischen den beiden Torpfosten“ überwunden hatte. In Sachen Höhe gab es keine Beschränkung.
Der Sheffield Football Club leistete dahingehend die Überzeugungsarbeit. Er war tonangebend unter den Vereinigungen aus dem Norden, die außerhalb der Privatinternate ihre eigene Version des Fußballs entwickelt hatten. 1866 wurde die Regel daraufhin geändert. Die maximale Höhe des Tores wurde nun auf 2,44 Meter festgelegt und durch ein Band markiert. Seitdem sind die Maße unverändert geblieben. Sheffield hatte außerdem eine Querlatte gefordert, und bald sah auch die FA deren Vorteile. Ab 1875 waren Querlatten zulässig, und 1882 wurden sie fest vorgeschrieben.
Fußball in der Public School Eton: Englische Privatschulen besaßen alle ihre eigenen Regeln.
Dass damals der Wunsch bestand, eine Maximalhöhe einzuführen, ergibt Sinn. Der Fußball in Englands Norden ist wesentlich weniger gut dokumentiert als der in den privaten Eliteinternaten. Es sieht gleichwohl so aus, dass es bereits einige Zeit vor der Festlegung einheitlicher Regeln in den 1860er Jahren zumindest in manchen Varianten des Spiels eine Art Torhüter gab. „Der Torwart“, so hieß es in den Regeln von Sheffield aus dem Jahr 1857, „ist der Spieler der verteidigenden Mannschaft, welcher sich augenblicklich gerade am nächsten zu seinem eigenen Tore befindet.“ Das klingt ganz nach dem fliegenden Torwart, wie er heute beim Bolzen im Park gern zum Einsatz kommt.
Bei den Eliteinternaten dagegen wird ein Torhüter erstmals in einem Bericht über ein Spiel zwischen der Uppingham School und ihren Alten Herren erwähnt. In der Schulzeitung vom 15. Dezember 1865 heißt es da:
„Nach einer gewissen Zeitspanne erzielten die Alten Herren ein Tor. Diesen Vorteil wollten sie sich offenbar unbedingt erhalten. Das Torwartspiel von Rawnsley [W. F. Rawnsley, 1845–1927, Page bei der Hochzeit des berühmten Schriftstellers Alfred Tennyson; sein jüngerer Bruder Canon H. D. Rawnsley war einer der Gründer des National Trust zum Schutz von Bau- und Naturdenkmälern, Anm. d. Verf.] auf Seiten unseres Gegners war von vorzüglicher Art und Weise; anders als jenes der Schule, welches nicht sehr eindeutig und unvollkommen in seiner Strategie war. […] Man hielt den Ball in nahem Abstand zum Tor der Alten Herren, und doch, Gott sei’s geklagt, zeigte dieser eine rechte Abneigung zu dem Raum zwischen den beiden Pfosten.
Währenddessen wurde die Zeit immer knapper, und die Alten Herren waren weiterhin um jenes beneidenswerte Tor voraus. ‚Zwei Minuten noch’, rief der Umpire. Nun ein letztes Bemühen. Die tapfer von [C.] Childs angeführte Schule kämpfte nun verbissen. Rawnsley blieb kühl und achtsam im Tor. Kein Ball passierte seine allgegenwärtigen Hände und Füße. Ließ sich denn überhaupt nichts mehr ausrichten? War nun aller Schneid fort, um noch einen verdienten Sieg zu erlangen? Jawohl. Doch nach einem unvermittelten Lauf, einem verzweifelten Ansturm, die Füße wohl nebeneinander, an einem Gegner nach dem anderen Gegner vorbei, demonstrierte Childs die weithin bekannte Redensart, „den rechten Fuß an der rechten Stelle zu haben“. Er täuschte Rawnsleys Auge, hemmte seine Schnelligkeit und erzielte das Tor.“
Bemerkenswert ist hier der veränderte Ton. Der Torhüter ist nun ein Held und alles andere als der „Schisshase“, der er 20 Jahre zuvor noch war. Dies ist ein Hinweis darauf, dass man zunehmend anerkannte, wie wichtig er war. Terence Delaney mutmaßte in seinem 1963 erschienenen Buch A Century of Soccer, dass man ab 1865 einen der Abwehrspieler zum „Torwart“ bestimmte und dass sich die zehn Feldspieler in einen „goal-cover“ („Tor-Decker“), einen Abwehrspieler und acht Angreifer unterteilten.
Doch erst 1871 erwähnten die Regeln dann ausdrücklich den „Torwart“ als denjenigen Spieler, „dem die Freiheit gegeben sei, zum Schutze seines Tores die Hände zu benutzen“. Im Endeffekt war er damit ein Abwehrspieler, dessen Position sich im Laufe der Zeit immer weiter nach hinten verschoben hatte und dem – in seiner eigenen Spielhälfte – das besondere Recht verblieben war, den Ball mit der Hand zu spielen, nachdem es allen übrigen Spielern aberkannt worden war.
Ursprünglich war dem Torhüter überall auf dem Feld Handspiel erlaubt. Dieses Vorrecht wurde erst 1887 eingeschränkt. Im FA Memorandum for the Guidance of Umpires and Referees, der „Richtlinie der FA zur Anleitung der Umpires und Schiedsrichter“, hieß es dazu: „Der Ausschuss sieht einen Torwart nicht als in der Verteidigung seines Tores begriffen an, wenn er sich in der gegnerischen Hälfte des Spielfeldes befindet, und demzufolge ist es einem Torwart verboten, seine Hände in der Hälfte des Gegners zu benutzen.“ Erst ab 1912 durfte der Torwart die Hände nur mehr in seinem eigenen Strafraum einsetzen. Da er seine Linie in der Praxis ohnehin nur selten verlassen hatte und die Spieler damals im Allgemeinen statisch auf ihren Positionen verharrten, war der Unterschied zum Fußball von heute aber vermutlich nicht so augenfällig gewesen, wie es zunächst klingen mag. Letztendlich wurde die Regel auch erst geändert, nachdem die Torhüter angefangen hatten, sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen. Aber dazu später mehr.
In den 1870er Jahren war die Rolle des Torwarts also anerkannt. „Eine Mannschaft bestand in der Regel aus sieben Stürmern und lediglich vier Spielern, um die drei Verteidigungslinien zu schützen. Die letzte Linie bildete naturgemäß der Torwart, und vor ihm befand sich nur ein Verteidiger, der wiederum vor sich nicht mehr als zwei Mittelläufer hatte, um sich den gegnerischen Stürmern entgegenzustellen“, schrieb Charles W. Alcock, der erste Sekretär der FA, Erfinder des FA-Pokals und treibende Kraft hinter dem ersten Länderspiel aller Zeiten.
Und damit war der Torwart geboren, jene seltsame Figur, die zwar Teil der Mannschaft ist, aber doch irgendwie anders. Allerdings auch nicht so viel anders: Bis 1909 trug er noch die gleiche Kleidung wie seine Mannschaftskameraden. Zudem war es für Feldspieler nichts Außergewöhnliches, bei Bedarf das Tor zu übernehmen oder zum Ende ihrer Karriere auf Torhüter umzuschulen. So hatte sich Major Sir Arthur Francis Mandarin beispielsweise einen guten Ruf als Verteidiger bei den Royal Engineers erworben, dem von ihm gegründeten Verein. Gleichzeitig stand er bei den Old Etonians im Tor. Als beide Mannschaften 1875 im Endspiel um den FA-Pokal aufeinandertrafen, entschied er, für keine von beiden aufzulaufen.
Zwei Jahre später standen die Wanderers aus London vor dem Pokalfinale gegen die Oxford University plötzlich ohne Torhüter da. Vielleicht ein Indiz dafür, dass man die Position noch immer nicht richtig ernst nahm oder zumindest nicht einsah, dass sie von einem Spezialisten besetzt werden sollte. Lord Arthur Fitzgerald Kinnaird, berühmt geworden als rotbärtiger, grimmiger Mann und eine der wichtigsten Persönlichkeiten im Fußball der viktorianischen Zeit, meldete sich freiwillig zur Stelle, auch wenn er eigentlich eher ein Mittelläufer war. Gleich zu Anfang probierte Evelyn Waddington es mit einem Distanzschuss. Kinnaird schien diesen zunächst halten zu können, fing den Ball auch sauber ab, nur um sich dann rückwärts über die Torlinie zu bewegen. Oxford reklamierte auf Tor, und die Umpires gaben den Treffer. Die Wanderers glichen trotzdem noch aus und gewannen die Partie schließlich in der Verlängerung. Kinnaird konnte die Peinlichkeit allerdings nur schwer ertragen. Er schrieb eine Petition an die FA, damit diese sein Eigentor aus ihren Aufzeichnungen strich. Bemerkenswerterweise nahm man die Petition sogar an. Mittlerweile ist das Tor wieder eingetragen, aber mehr als 100 Jahre wurde das Endspiel offiziell mit dem Ergebnis 2:0 aufgeführt.
Vielleicht ist es nur natürlich, dass der Torhüter als Kuriosität betrachtet wurde, seine Position nur widerwillig Anerkennung fand und ihm häufig Misstrauen begegnete. In seinem Buch Only the Goalkeeper to Beat betont Francis Hodgson, selbst Amateurtorwart, dass der Torwart ein Spielverderber sei. Schließlich ist er der einzige Mann auf dem Platz, der „alles daran setzt, genau das zu verhindern, was alle Anwesenden gerne hätten. […] Im Grunde genommen ist er ein Anti-Fußballer. Indem er sich der Verhinderung von Toren widmet, steht er genau dem entgegen, was Fußball im Kern ausmacht.“
Es gibt aber noch tiefer gehende Gründe für die oben genannten Vorbehalte. Die meisten Kulturanthropologen sind sich einig, dass Fußball, wie die meisten Sportarten, als ein gewissermaßen religiöser Ritus begann. Zusammenfassend schreibt Young dazu in seiner Geschichte des britischen Fußballs, die Ursprünge des Spiels lägen darin, dass man „den dunklen Gottheiten der Fruchtbarkeit durch Ballspielzeremonien gedient“ habe. „So wurde der Ball in Richtung einer Zielmarke getrieben – dem geheiligten Markstein in Form eines Baumes oder Wasserlaufes. Der Ball, das Sinnbild der Sonne, wurde nach Hause getragen, als Garant des Glückes.“ In dem jedes Jahr zu Fastnacht und Aschermittwoch in Ashbourne in Derbyshire ausgetragenen Shrovetide-Fußballspiel fänden sich beispielsweise noch, so Young, „die vorzeitlichen Beschwörungen der Gottheiten der Erde, der Luft und des Wassers“.
In einem Beitrag in The Contemporary Review von 1929 wies W. B. Johnson darauf hin, dass in vielen Fruchtbarkeitsriten ein scheibenoder kugelförmiges Objekt verwendet wird, um die Ankunft der Sonne zu symbolisieren und das Wachstum zu beflügeln. In manchen irischen Dörfern, so Johnson, würden am 1. Mai goldene und silberne Kugeln durch die Straßen getragen, die die Sonne und den Mond verkörperten, und in Oklahoma spielten amerikanische Ureinwohner eine Art Fußball, um die Ernte zu feiern. Dazu markierten sie das Spielfeld von Ost nach West, um den Durchgang der Sonne zu beschwören (ärgerlicherweise sagt Johnson aber nicht, welcher der 91 Stämme amerikanischer Ureinwohner in Oklahoma das Ritual zelebrierte). Der traditionelle Volksfußball in England folgt einem vergleichbaren Muster. Das Tor war häufig ein Baum, während bei manchen Spielen, so wie dem im schottischen Scone, der Ball mehrere Male in ein Loch im Boden gelangen musste (ein symbolisches Begräbnis), damit ein „Tor“ erzielt wurde.
Laut dem Glossary of Words used in the Neighbourhood of Whitby von F. K. Robinson, einem Lexikon der rund um die Stadt Whitby benutzten Begrifflichkeiten, glaubte man, dass es zwischen der Leistung eines Bauern beim Shrovetide-Fußballspiel in Whitby und seiner Ausbeute bei der nachfolgenden Ernte einen Zusammenhang gäbe. In der Normandie war man der Überzeugung, dass die siegreiche Mannschaft beim Volksfußball an Fastnacht einen besseren Ertrag an Cidre-Äpfeln erzielen würde als das unterlegene Team. Morris Marples konnte in seiner Geschichte des Fußballs zeigen, dass es etliche Beispiele von Gesellschaftsverbänden gibt, die daran glaubten, dass gute Ernten von einem geschickten Umgang mit dem symbolischen Ball abhingen.
E. K. Chambers legte in seinem 1903 erschienenen Werk The Medieval Stage eine etwas andere Variante des Ritus dar. Er war der Auffassung, dass der Ball nicht die Sonne darstellt, sondern den Kopf eines Opfertieres. So oder so, die Folgen für den Torhüter bleiben unverändert. Wenn Fußball ein Fruchtbarkeitsritus ist, bei dem man den Göttern dadurch seinen Dienst erweist, dass man den Ball in oder gegen eine geweihte Markierung zwingt, also ein Tor erzielt, kann der Torhüter – der natürlich erst deutlich später dazukam – nur eine Fehlentwicklung sein. Schließlich besteht seine Aufgabe ja darin, den Vollzug des Ritus zu verhindern. Demnach wäre der Torhüter gewissermaßen der Zerstörer der Ernte, der Überbringer des Hungers.
Das könnte einer der Gründe sein, weshalb die Figur des Torhüters Unbehagen hervorruft. Allerdings sind diese Ursprünge heute nicht mehr präsent, und man versteht sie höchstens unterbewusst, wenn man sie denn überhaupt versteht. Es gibt natürlich noch eine weitaus offensichtlichere Unstimmigkeit in der Rolle des Keepers. Er nämlich hat am wenigsten zu tun, wenn seine Mannschaft ihr Bestes gibt, und wird nur dann zur Bestform auflaufen, wenn die Mannschaft in gewisser Weise versagt. Darin gleicht er der Rettungswacht oder dem Feuerwehrmann, denen man dankbar ist in Zeiten der Not, auch wenn sich jeder fragt, weshalb es überhaupt zu dieser Not gekommen ist.
Tottenhams ehemaliger Torhüter Ted Ditchburn hat das Paradoxe dieser Situation 1951 in seinem Beitrag zu dem Sammelband My Greatest Game vielleicht am besten eingefangen:
„Ich komme nun zu den Augenblicken, in denen ein Keeper wahrlich glänzen kann. Diese Abschnitte kommen im Normalfall leider dann, wenn die eigene Mannschaft ein schlechtes Spiel abliefert, so dass man reichlich zu tun bekommt. Kein Keeper kann wirklich warm werden, solange er nicht hart zu arbeiten hat. Eine oder zwei gute Paraden zu machen, ist für die meisten Torhüter normalerweise die Regel. Um aber eine Vorstellung abzuliefern, bei der die Menge tobt und schreit, muss der arme Torwart einem Hagel an Schüssen und einem Sturm von Angriffen ausgesetzt sein. Das ist zugegebenermaßen wirklich traurig. Schließlich kann man nicht glänzen, solange die eigene Seite nicht überrannt wird. Obwohl es schon möglich ist, nach einer bravourösen Vorstellung auf der Seite der Sieger zu stehen, steht man in solchen Fällen meistens doch als Verlierer da.“
Immerhin sprach Ditchburn zu einer Zeit, als der Torwart und seine besondere Rolle bereits allgemein anerkannt waren. Diese Akzeptanz entwickelte sich erst während der 1870er und 1880er Jahre. Dazu beigetragen hatte bezeichnenderweise ein Spieler, der seine Karriere als Feldspieler begann. James McAulay, der als Erster den Titel „Prinz der Torhüter“ erhalten sollte, besaß als Mittelstürmer einen so guten Ruf, dass er auf dieser Position auch sein Länderspieldebüt gab. 1881 erzielte er für Dumbarton im schottischen Pokalfinale den Ehrentreffer gegen Queen’s Park. Das Spiel selbst ging 1:2 verloren (und ein Wiederholungsspiel nach Protest noch einmal 1:3). Auch ein Jahr später lief er als Mittelstürmer im Endspiel auf. Wieder unterlag Dumbarton, wieder gegen den gleichen Gegner. Dumbartons Torwart John Kennedy, der in beiden Finals gespielt hatte, verlor danach katastrophal an Form. So kam es, dass McAulay dessen Platz einnahm.
McAulay stand auch im Tor, als Dumbarton das schottische Pokalendspiel 1883 gegen Vale of Leven gewann. Insgesamt lief er noch achtmal als Torwart für Schottland auf, bis er von Berufs wegen – er war Ingenieur – 1887 nach Burma ziehen musste. „Erst als Torhüter wurde seine ganze Größe offenbar“, hieß es in einem Beitrag anlässlich seiner Auswanderung im Glasgow Herald. Als „unerschrocken, besonnen, ja geradezu lässig“ und „Vollbringer unzähliger Paraden mit Händen wie mit Füßen“ wird er dort außerdem beschrieben.
Der Eindruck, den McAulay hinterließ, wird in dem 1887 erschienenen Buch Athletics and Football aus der Feder von Montague Shearman deutlich. Shearman war Gründer des Leichtathletikverbandes Amateur Athletics Association und später Richter. „Die vielleicht bedeutendste Position auf dem gesamten Feld ist jene des Torwarts“, schrieb er in radikalem Gegensatz zur bis dahin vorherrschenden Meinung. „Er benötigt einen kühlen Kopf, ein schnelles Auge und eine schnelle Hand, und je weiter er mit seinen Armen reichen kann, desto besser. Obgleich er auch nur den Raum zwischen den Pfosten zu verteidigen hat und all seine Tätigkeit zwischen den Pfosten oder wenige Meter von diesen entfernt stattfindet, muss er doch bereit sein, innerhalb seines begrenzten Bereichs die größtmögliche Aktivität zu zeigen.“
Auch wenn nicht alle in ihrer Einschätzung des Torhüters so weit gingen wie Shearman, spiegelte er doch einen allgemeinen Trend wider. Mitte der 1880er Jahre besaß der Torhüter so viel Anerkennung, dass Unternehmen mit der Herstellung spezieller Torwartausrüstung begannen. Die Firma Geo. G. Bussey aus Peckham, Produzent von „Turngeräten und sämtlichen Bedarfs für britische Sportarten und Spiele drinnen und draußen“, bewarb in ihrem Katalog etwa neben „Schienbeinschützern“, „Fußball-Ohrschützern“, „Knöchelschützern“, „Fußball-Spielertaschen“ und „Fußballgürteln“ auch Torwarthandschuhe. Erhältlich waren sie entweder in „Büffelleder und schwarzem Gummi“ für fünf Schilling das Paar oder, wenn man sich nicht lumpen lassen wollte, in „weißem Leder und rotem Leder“ für fünf Schilling und neun Pence. Der Illustration nach zu urteilen, sahen sie bemerkenswert modern aus – auf jeden Fall moderner als die Dinger aus Baumwolle mit Noppengummi, die man in den 1970er Jahren bekam. Die Rückseite des Handschuhs, wahrscheinlich der lederne Teil, besaß Belüftungsöffnungen und erinnerte an einen Autofahrerhandschuh. Die Vorderseite, der Teil aus Gummi also, war zweifarbig: vier Finger in einer Farbe, Daumen sowie Handfläche in einer anderen. Shearman schrieb weiter:
„Mitunter grenzt es an ein Wunder, Torhüter wie Arthur von den Blackburn Rovers zu sehen oder McAulay, den schottischen Nationalspieler, wie sie Schuss um Schuss in schneller Folge aufhalten, von Seite zu Seite wechselnd, ohne jemals die Geistesgegenwart oder das körperliche Gleichgewicht zu verlieren. Keine leichte Aufgabe haben die Torwärter von heute, da die Angreifer gelernt haben, vor dem Tor Pässe von einem zum nächsten zu geben; und das Beste, was sich über Torwärter von heute sagen lässt, ist, dass sie sich dieser Aufgabe gänzlich gewachsen gezeigt haben. Ganz ohne Zweifel waren die Spieler auf dieser Position ebenso schneidig und mannhaft in den Zeiten, als Kirkpatrick eine halbe Stunde lang bis zum Ende eines Matches das Tor hütete, während ihm der eine Arm gebrochen von der Schulter herabhing; doch haben die Spieler von heute bessere Taktiken, mit denen sie kämpfen können, und haben ebenso großen Erfolg in ihrer Verteidigung.“
Kirkpatrick war eine der großen Persönlichkeiten in den frühen Fußballjahren. Sir James Kirkpatrick, achter Baronet von Closeburn, Dumfriesshire, war Privatsekretär von Lord George Francis Hamilton, dem Ersten Lord der Admiralität. Zugleich war er Torwart und Kapitän der schottischen Auswahl, die 1870 im Londoner Stadion The Oval auf England traf. Hier und da wird diese Begegnung als erstes Länderspiel gewertet, doch da sich die schottische Mannschaft nur aus in London wohnenden Schotten rekrutierte, wird sie offiziell nicht als vollwertiges Länderspiel anerkannt. Als Stammspieler bei den Wanderers und für sein Land beschrieb ihn das 1875er Football Annual als „einen stets hervorragenden Torwart, dem Surrey auf dieser Position vieles zu verdanken hat“. In der Ausgabe von 1879 hieß es, er sei „ein sehr patenter Torwart, gut auf dem Platz und [verlöre] niemals seinen Kopf “.
Obwohl er es in elf Jahren als Spieler auf 58 Einsätze für die Wanderers brachte, war er bei kaum einer Partie im FA-Pokal dabei. Immerhin fungierte er beim ersten Endspiel um den FA-Pokal im Jahr 1872 als Umpire. Außerdem stand er 1877/78, als die Wanderers ins Finale gegen die Royal Engineers einzogen, in sämtlichen Runden mit auf dem Platz. Das Endspiel besiegelte seinen Legendenstatus. Irgendwann in der zweiten Halbzeit hielt Kirkpatrick im Getümmel auf der Torlinie einen Ball und brach sich dabei den Arm. Da ein Wechsel ausgeschlossen war, weigerte er sich, den Platz zu verlassen oder auch nur mit einem anderen Spieler die Positionen zu tauschen und auf die Außenbahn zu gehen. Nein, er bestand aufs Weitermachen und sorgte dafür, dass die Wanderers mit 3:1 gewannen. Dass Kirkpatrick noch eine halbe Stunde mit gebrochenem Arm spielte, wie Shearman andeutet, wird von Keith Warsop in seinem 2004 erschienenen Buch über die ersten Endspiele des FA-Pokals allerdings angezweifelt. Er hält 15 Minuten für wahrscheinlicher. Auf jeden Fall war es der letzte Erfolg der Wanderers im FA-Pokal und Kirkpatricks letztes Spiel im Trikot der Wanderers.
Bei dem von Shearman erwähnten „Arthur“ handelt es sich um Herby Arthur, seines Zeichens siebenmaliger englischer Nationalspieler und von 1884 bis 1886 mit den Blackburn Rovers dreimaliger Sieger im FA-Pokal. Wie gut er auch zwischen den Pfosten gewesen sein mag, heute erinnert man sich an ihn vor allem wegen seiner Rolle im ersten großen Korruptionsfall im Fußball. 1898 berichtete ein Torhüter in einem Artikel in Football News von einem Vorfall, der sich ein paar Jahre zuvor ereignet hatte. Zwar schrieb er anonymisiert, allerdings gab er an, englischer Nationalspieler gewesen zu sein, für einen Verein aus Lancashire gespielt zu haben, der mit „B“ begänne, und dass sich das Ganze vor einem Pokal-Halbfinale in „einer für ihre Schneidwaren bekannten Stadt“ während des Trainings zugetragen habe. Der Torhüter behauptete, zehn Tage vor der Partie einen Brief erhalten zu haben, „der um meine Bedingungen nachsuchte, das Spiel hinzuwerfen“. Er habe die Sache dem Vereinssekretär gemeldet und danach so gut wie keinen Gedanken mehr daran verschwendet.
Einige Tage darauf sei er durch die Stadt gegangen und dort zufällig einem „sportbegeisterten Wirt“ begegnet. Zwar war unser Torhüter ein enthaltsamer Zeitgenosse, doch „er brachte mich dazu, in ein Wirtshaus am Wegesrande zu gehen und auf ein erfolgreiches Spiel zu trinken, und nachdem ich eine Limonade getrunken hatte, war meine Erinnerung vollkommen fort.“ Als er wieder zu sich gekommen sei, habe er sich in einer kleinen Kammer befunden, „zusammen mit zwei kräftig aussehenden Männern“. Durch das Fenster habe er nichts als raues Moorland sehen können. Nachdem sie ihn verlassen und die Tür abgeschlossen hätten, habe er sein „stabiles Taschenmesser“ herausgeholt und den Mörtel am Fenster abgemeißelt, bis er es abnehmen und die Flucht ergreifen konnte.
Irgendwann habe er in der Dunkelheit den Lärm eines Zuges gehört und sich auf das Geräusch zubewegt. So sei er an eine kleine Bahnstation gelangt. Dort angekommen, habe er den Stationsvorsteher geweckt und ein Sofa zum Schlafen bekommen. Am nächsten Morgen habe er ein Telegramm an den Klubsekretär geschickt, der daraufhin gekommen sei, um ihn abzuholen. Da nun sei einer der Entführer aufgetaucht. Der Stationsvorsteher habe diesen überwältigt und der Entführer in seiner Panik das Komplott gestanden. Demnach sei der Mittelstürmer von B bereits bestochen gewesen; zudem war der zweite Torhüter verletzt. Der Wirt nun habe eine größere Summe des Geldes auf B gesetzt – und zwar auf eine Niederlage. Damit dieses Ergebnis auch wirklich eintrat, hätte er nur noch den ersten Torhüter aus dem Weg räumen müssen. Der Wirt habe später, konfrontiert mit den Beweisen, alles zugegeben und sich aus B abgesetzt, nach Zahlung von 20 Pfund für eine wohltätige Organisation und zehn Pfund an den Klub für dessen Auslagen. Der Torhüter habe den Verein dringend gebeten, Erbarmen mit dem Mittelstürmer zu haben. Der habe danach natürlich glänzend gespielt und der Verein sowohl Halbfinale wie auch Finale gewonnen.
Diese Geschichte klingt zugegebenermaßen nicht sonderlich überzeugend. Eigentlich liest sie sich eher wie eine der weniger plausiblen Geschichten von Enid Blyton als ein Tatsachenbericht. Der Versuch, anonym zu bleiben, ist außerdem lächerlich durchschaubar. Bis 1898 hatten nur zwei Klubs mit dem Anfangsbuchstaben B den FA-Pokal gewonnen: 1883 Blackburn Olympic und 1884, 1885, 1886, 1890 und 1891 die Blackburn Rovers. Für England hatte aber nur ein Torwart der beiden Mannschaften gespielt: Herby Arthur. Nähme man diese Geschichte für bare Münze, bliebe noch die Frage, welches von den drei Endspielen, in denen er antrat, gemeint ist. Am wahrscheinlichsten ist das Finale 1885. Damals schlug Blackburn im Halbfinale in Nottingham die Old Carthusians mit 5:1. Möglich wäre auch das Endspiel 1886, als man in Derby 2:1 gegen die Slough Swifts gewann. Es scheint plausibel, dass das Training für Spiele in den East Midlands in Sheffield stattfand – vorausgesetzt, Sheffield war die besagte „Stadt der Schneidwaren“. Vor einem Match in Birmingham, Spielort des Halbfinales 1884, hätte das hingegen kaum Sinn ergeben.
Unabhängig davon, ob die Anekdote stimmt oder nicht, zeigt sie einen weiteren Grund, warum Torhütern mit Misstrauen begegnet wurde: Sie galten als bestechlich. Wollte man ein Spiel manipulieren und dabei nur einen einzigen Spieler bestechen, konnte das natürlich nur der Torhüter sein. Wer sonst hat schließlich einen so großen und unmittelbaren Einfluss darauf, ob Tore fallen oder eben nicht? Wer versteht das Torhüterspiel schon so gut, dass er genau sagen kann, wann ein kurzes Zögern bei der Hereingabe einer Flanke, ein Fallenlassen des Balles nach dem Fangen oder ein zu später Hechtsprung falsches oder einfach schlechtes Spiel waren? Torhüter sind daher immer auch Ziel von Wettbetrügern gewesen.
Schon lange vor seinem Geständnis hatte Arthur wegen eines Vorfalls in einer Partie gegen Burnley im Dezember 1891 traurige Berühmtheit erlangt. Das Wetter war furchtbar, und Burnley führte zur Pause mit 3:0. Daran änderten auch Arthurs Versuche nichts, den Schiedsrichter hinters Licht zu führen und so zu tun, als ob der Ball beim dritten Tor knapp danebengegangen sei. Arthur hatte den Ball einfach von außerhalb des Netzes wieder auf den Platz gelöffelt und vorgegeben, nun den Abstoß ausführen zu wollen. Blackburn bot daraufhin an, das Spiel kampflos aufzugeben, aber Burnley bestand auf Weiterspielen. Das tat Blackburn derart widerwillig, dass vier seiner Spieler den Wiederanpfiff verpassten, weil sie noch in der Umkleidekabine herumgammelten. Später gerieten noch Joseph Lofthouse von Blackburn und Alexander Stewart von Burnley aneinander und wurden beide des Feldes verwiesen. Die restliche Mannschaft Blackburns beschloss daraufhin, ebenfalls den Platz zu verlassen.
Das heißt: nicht die ganze restliche Mannschaft. Arthur nämlich harrte in Kälte und Regen aus und nahm es alleine mit Burnley auf. „Der ganzen Sache fehlte es nicht an einer gewissen Komik“, schrieb Rambler im Lancashire Evening Express. „Der Schiedsrichter blies zur Fortsetzung des Matches in seine Pfeife, und Burnley warf den Ball von der Seitenlinie her ein, also von dort, wo sich die Rauferei zugetragen hatte. Arthur rannte in die Richtung seines Tores, umgeben von Gegnern, und ich fragte mich, was er wohl zu tun gedachte. Wenige Meter vor dem Kasten hielt er an und reklamierte ganz gelassen ein Abseits. Von allen Seiten des Spielfeldes grüßte darauf stürmisches Gelächter.“ Der Schiedsrichter, ein gewisser Mr Clegg, gab den Freistoß. Die Absurdität des Ganzen tauchte Arthur dann in grelles Licht, als er diesen in das eigene Netz rollte. Daraufhin wurde das Spiel abgebrochen. Lofthouse und Stewart bekamen von der FA Sperren aufgebrummt, außerdem wurden neue Regularien eingeführt. Fortan war es den Spielern nicht mehr erlaubt, ohne Einverständnis des Schiedsrichters den Platz zu verlassen.
An Shearmans Darstellung des Torhüters fällt auf, dass er Hechten mit keinem Wort erwähnt. Offenbar glaubte er, dass es für einen Torhüter nichts Bewundernswerteres gäbe, als das Gleichgewicht zu halten. Da sich die Position des Torhüters am spätesten entwickelte, ist es durchaus verständlich, dass es ein wenig dauerte, bis er Hechtsprünge und Ähnliches in seinem Tor vollbrachte. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Kennedy – der Mann, den McAulay im Tor von Dumbarton ersetzte – den Spitznamen „Diver“ hatte. Man kann also davon ausgehen, dass er sich nach dem Ball warf und dass dies gleichzeitig so ungewöhnlich war, dass es ihn besonders charakterisierte.
Der große österreichische Journalist Willy Meisl, selbst ein recht angesehener Torhüter, schrieb in seinem 1956 erschienenen Buch Soccer Revolution, dass er 1899 zum ersten Mal Torhüter mit Absicht habe hechten sehen. „In dem Jahr kamen die ersten englischen Profis herüber [nach Österreich], der FC Southampton. Sie schlugen eine Wiener Stadtauswahl mit 6:0, und ihr Goalie, [Jack] Robinson, demonstrierte zum ersten Male, wie man niedrig fliegenden Schüssen begegnete, indem er mit größter Leichtigkeit durch die Luft flog.“ Infolgedessen wurde diese Art der Abwehr in Österreich – zumindest in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – als Robinsonade bekannt. „Nach dem Match bot Robinson noch eine Showeinlage. Sein Tor wurde gleichzeitig mit sechs Bällen bombardiert, und er hielt die meisten der Schüsse.“
Meisl verfasste sein Buch als Antwort auf Englands „Verfall und Untergang“ als Fußballnation – eine Entwicklung, die die 3:6-Niederlage gegen Ungarn 1953 unmissverständlich klargemacht hatte. Es war die erste Niederlage, die England gegen einen Gegner vom Kontinent hatte einstecken müssen. Der Torwart jener ungarischen Mannschaft war Gyula Grosics. Er war einer der ersten Torhüter, die nicht nur ihre Linie, sondern sogar den Sechzehner verließen. Für Grosics war Robinson eines von zwei prägenden englischen Vorbildern: „Moon von den Corinthians, Robinson und viele weitere weltberühmte englische Tormänner waren ja die Pioniere dieser Kunst. Sie wiesen allen europäischen Tormännern den Weg“, schrieb Grosics. „Die Tatsache, dass die Ungarn ihnen gute Schüler gewesen sind, haben sie vielfach unter Beweis gestellt. Man kann es an den Erfolgen ihrer Tormänner ablesen. Ich möchte unter meinen ausgezeichneten Vorgängern nur die Namen Ferenc Zsák und Ferenc Plattkó erwähnen, die den Bewegungsstil der englischen Tormänner nicht nur beherrscht haben, sondern ihn teilweise auch weiterentwickelten.“
Moon war nie auf Tournee gegangen, folglich kann er auch nur aufgrund seines Rufs bekannt gewesen sein. F. N. S. Creek schrieb in seiner History of the Corinthian Football Club aus dem Jahr 1932: „Das Niveau des Torwartspiels [in den 1880er Jahren] war allgemein schlecht, insbesondere auf nassem Rasen, wo Schüsse aus der Distanz regelmäßig ‚den Torwarten durch die Finger glitten’. Die einzige Ausnahme von dieser Regel war W. R. Moon. […] Moon war ursprünglich ein Verteidiger, doch als die Casuals einmal gegen Cambridge spielten, fehlte ihnen ein Torwart, und Moon hütete sein Tor so gut, dass Cambridge nicht traf und Englands zukünftiger Torwart entdeckt wurde.“
Jack Robinson selbst verfasste einen längeren Artikel für Gibsons und Pickfords vierbändiges Geschichtswerk Association Football and the Men who Made It von 1905. Darin legte er die aus seiner Sicht wichtigsten Eigenschaften des Torhüters dar. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erschienen noch einige weitere Werke zur Fußballtheorie – ein Zeichen dafür, dass der Sport inzwischen ernst genommen wurde.
Wie viele andere Abhandlungen über den Torhüter begann auch Robinson mit einer Erörterung der Körpergröße:
„Man sagt, dass ein gutes großes Pferd besser sei als ein gutes kleines Pferd. Viele solcher Redeweisen sind bloß zur Hälfte wahr. Und die gerade genannte trifft auf den Fußball nicht zu. Mir sind in der heutigen Zeit einige gute große Tormänner bekannt, welche aus meiner Sicht dem guten kleinen Tormann von Middlesbrough, [Tim] Williamson, die Hand reichen müssten. Ungeachtet dessen bringt die alte lateinische Wendung in medio stat virtus, „in der Mitte liegt die Tugend“, meine Ansichten über die Größe des guten Torhüters am besten auf den Punkt. Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, dass der kleine Mann sich in einem großen Nachteil befindet, sofern er es mit hohen Schüssen zu tun bekommt. Auf der anderen Seite wird der über die Maßen große Mann erhebliche Schwierigkeiten haben, die flach über die Grasnarbe zischenden Bälle aufhalten zu können. Ich kenne einen Tormann, der hervorragend Schüsse jeder Art in Höhe oberhalb seines Knie pariert. Dennoch hat er nicht weniger als fünf Tore in einem Spiele kassiert, weil die Stürmer des Gegners ‚Halte ihn flach’ zu ihrem Motto machten. Die ideale Größe für einen Torwart liegt nach meiner Ansicht zwischen 1,75 Meter und 1,80 Meter.“
Die Debatte hat bis heute Bedeutung, auch wenn die vermeintliche Idealgröße eines Torhüters gestiegen ist. „Man muss außerdem robust sein“, fuhr Robinson fort. „Aus nur allzu schmerzhafter eigener Erfahrung weiß ich, dass der Mann im Tor aus Stahl und Guttapercha geformt sein muss. Man mag auf anderen Positionen auf dem Feld auch als Schwächling jeder Beschädigung entfliehen können, im Tor aber wartet man nur so darauf und sieht ihr zu jeder Zeit entgegen – und man erleidet sie nicht selten auch.“
Robinson führt noch weitere Attribute auf – gute Augen, gute und rasche Entscheidungsfähigkeit, „Mut und Schneid“ – und kommt schließlich zur Intuition, die er sehr ausführlich erläutert.
„Auch wenn du nicht im eigentlichen Sinn verteidigst, solltest du nicht herumlaufen wie ein Bär mit schmerzenden Füßen. Betrachte deine Gegner und studiere sie. Dir werden die Eigenarten auffallen, mit welchen die Linksaußen oder die Rechtsaußen spielen, die Taktiken, welche sie zur Überwindung deiner Läufer anwenden, an welchen Mann der Mittelstürmer meistens abgibt, und die zig Geschehnisse, welche im Spiel auftreten können. Dein Urteilsvermögen fügt diese Kleinigkeiten zusammen und formt daraus die Erkenntnis, was sich aus verschiedenen Eventualitäten ergeben könnte. Doch all dies ist nur die unbewusste Vorstufe der Intuition, und Intuition wird deine Rettung in der Not sein, wenn ein Abwägen auf langsamen Füßen daherkäme. Man liest über Torhüter, welche die gegnerischen Stürmer hypnotisieren; tatsächlich hat man auch mir selbst einen gewissen hypnotischen Einfluss zugeschrieben. Dem Stürmer wird die Schuld gegeben, sollte er wie durch einen Zauber direkt in die Hände des Torwarts schießen. Führe ein solches Resultat nicht auf Hypnose zurück. Es war lediglich das intuitive Wissen auf Seiten des Torhüters. Er wusste, dass der Ball auf einer bestimmten Bahn kommen würde, und er stand dort, um ihn zu empfangen.“
Auch wenn Robinson sich mit Verachtung über angebliche „Hypnose“ äußert, war er doch abergläubisch. Er bestand darauf, dass man auf die Rückseite jedes Torgebälks einen Nagel einschlug, damit er seine Taschenuhr daran aufhängen konnte.
Robinsons Empfehlungen beinhalteten im Wesentlichen die Praxis der Antizipation, die Harry Rennie, der für den FC Morton und die schottische Nationalmannschaft das Tor hütete, bereits einige Jahre vor Robinson entwickelt hatte. Sie sind in einem breiteren Kontext zu sehen: Ursprünglich hatte der Torhüter ja als Teil der Mannschaft gespielt, als einer der Hinterleute, dann wurde er von ihnen getrennt. Robinson war jedoch der Meinung, dass der Torhüter sich nicht als abgeschnitten vom übrigen Spiel verstehen durfte. Er sollte nicht einfach abseits vom Geschehen herumlungern und nur dann reagieren, wenn der Ball in seine Richtung kam.
Robinson empfahl zudem, sich gut zu ernähren. „Iss ordentlich, aber sei niemals gefräßig“, schrieb er. „Verschwende weder Zeit noch Geld in den zahlreichen kleinen Restaurants, die in unseren Städten florieren, zum Ruin der guten Verdauung von vielen. Süßigkeiten, Eiscremes, Gebäck und derlei Kehricht sind keine natürliche Nahrung, und ihr Verzehr ist verbunden mit einer Verstopfung der Muskeln und der Erzeugung von Kurzatmigkeit.“ Andererseits liebte er Milchreis über alles und pflegte den Grundsatz „Kein Milchreis, keine Punkte“, sobald ihm jemand den Rat gab, vor dem Spiel auf sein Lieblingsessen zu verzichten. Beim einzigen Mal, als er es doch tat, bekam er gegen Sunderland elf Stück eingeschenkt.
Für Robinson mochte Mäßigung ein zentraler Punkt gewesen sein, doch es war das Letzte, was man mit dem berühmtesten Torhüter jener Zeit verbunden hätte, mit William „Fatty“ Foulke. Er war ein Mann, der aufgrund seiner Stämmigkeit bis heute eine Legende ist. „Ein Torhüter“, so schrieb Woolwich Arsenals Keeper James Ashcroft, „darf nicht zu viel Fleisch an sich tragen. Man mag nun den großen Foulke als Einwand gegen meine Behauptung vorbringen. Es muss jedoch daran erinnert werden, dass der alte Recke von Sheffield United ein Fall für sich ist. Man könnte 1.000 Männer von Foulkes Fülle nehmen und würde doch nicht einen finden, der sich auch nur einen Augenblick lang mit ihm vergleichen ließe, was Beweglichkeit und schnelles Handeln betrifft.“
Ganz so einzigartig war Foulke aber gar nicht. Er hatte einen Vorgänger in der (mächtigen) Gestalt Mordecai Sherwins, im Sommer Wicket-Keeper beim Nottinghamshire County Cricket Club und im Winter Torhüter bei Notts County. Sherwin war 1,75 Meter groß und wog etwas mehr als zwei Zentner. Trotzdem beschrieb James Catton ihn in der Athletic News als „sehr behände, ein ebenso schneller Torhüter wie Wicket-Keeper“. Rechtsaußen Joseph Lofthouse von den Blackburn Rovers – obwohl „robust und gewandt“ – wollte es Sherwin mal in einem Spiel so richtig zeigen: „Er rannte gegen ihn und prallte einfach ab. Sherwin sagte: ‚Junger Mann, du wirst dir selbst weh tun, wenn du das noch mal versuchst.’ Lofthouse ließ sich davon nicht abschrecken und ging erneut zum Angriff über. Doch Sherwin wich mit der Schnelligkeit eines Tänzers einen Schritt zur Seite, und der Kamerad aus Lancashire musste erfahren, wie hart der Torpfosten und wie spitz dessen Kanten waren.“
Trotzdem war es Foulke, der das Bild des übergewichtigen Torwarts prägen sollte. Foulke kam im April 1874 als der uneheliche Sohn von Mary Ann Foulke zur Welt. Er wuchs bei seinen Großeltern in Blackwell in Derbyshire auf und begann sein Arbeitsleben wie die meisten in der Gegend in der Kohlegrube. Bei Blackwell spielte er im Tor. Der Durchbruch gelang ihm in einem Freundschaftsspiel gegen Derby County, bei dem er eine tolle Leistung zeigte, auch wenn er sich bei einer Faustabwehr verschätzte: Er traf Derbys Stürmer John Goodall mitten im Gesicht und schlug ihm dabei beide Schneidezähne aus.
Derby bot ihm gleich einen Vertrag an. Auf Anraten seines Bruders allerdings, der darauf pochte, dass Foulke sich zieren sollte, um sich so ein besseres Gehalt zu sichern, lehnte er das Angebot ab. Und siehe da: Nachdem Foulkes Talent auch einem Schiedsrichter aufgefallen war, der ein anderes Spiel Blackwells gepfiffen hatte, trat nun Sheffield United an ihn heran. Man bot Foulke fünf Pfund Handgeld und Blackwell für jeden noch verbleibenden Tag der Saison ein Pfund – damals eine enorme Summe Geld. Als Sheffield Uniteds Unterhändler Joseph Tomlinson aus dem Zimmer kam, in dem Foulke den Vertrag unterschrieben hatte, lief er direkt an den Vertretern von Derby County vorbei, die mit einem verbesserten Angebot zurückgekehrt waren.
Dass er nun Profi war, dämpfte Foulkes Appetit in keiner Weise. 1896 brachte er 95 Kilogramm auf die Waage. 1899 wog er 124 Kilogramm, bis 1902 waren es 143 Kilogramm. Bei seinem Karriereende sollen es fast 178 Kilogramm gewesen sein. Auf Fotografien kann man seinen Wandel von einem strammen Athleten von 1,93 Metern hin zu einem massigen Koloss gut erkennen. Auf Schwarzweißaufnahmen wirkt sein zusammen mit riesigen kurzen Hosen getragenes gestreiftes Trikot von Sheffield United, als wenn er Latzhosen trägt, ganz wie ein grotesk übergroßer Tweedledum, eine dicke englische Cartoonfigur aus jener Zeit. In seinem Bericht über das FA-Pokal-Endspiel 1899, das Sheffield United am Crystal Palace mit 4:1 gegen Derby gewann, beschrieb der Sheffield and Rotherham Independent detailliert „das amüsierte Staunen, als die Londoner die Maße des Mammuts von United begutachteten, während dieses majestätisch auf seinen Platz zwischen den Torpfosten stolzierte“.
Foulke war vielleicht nicht sonderlich beweglich, dafür aber mit scharfen Reflexen und gewaltiger Kraft gesegnet. So konnte er den Ball weiter fausten und abwerfen, als die meisten Spieler ihn zu schießen vermochten. Außerdem war er ein charismatischer Exzentriker. Die Zuschauer liebten ihn wegen seiner Unberechenbarkeit und weil er ihnen das Gefühl vermittelte, dass er Fußball nicht allzu große Bedeutung beimaß. Sich selbst schien er hingegen schon ernst zu nehmen. Nach dem Finale bekam er von Arthur James Balfour, Sprecher des Unterhauses und bald darauf Premierminister, seine Medaille und erklärte ihm, dass er ihn für ungeeignet für seinen Posten halte.
Das „Mammut von United“: William „Fatty“ Foulke
Heiterkeit und Kontroversen folgten ihm auf dem Fuß und taten das ihre für seinen Legendenstatus. Im Februar 1897 beispielsweise trat Sheffield United an der Bramall Lane zu einem Freundschaftsspiel gegen Sheffield Wednesday an. Die Partie lockte etwa 6.000 Zuschauer an. Kurz nach der Halbzeit, so berichtete der Sheffield Daily Telegraph, „schickte Brush einen langen Schuss los, der direkt in Richtung des Tores flog, und Foulke sprang in die Luft, um ihn zu halten. Er verfehlte den Ball und umgriff die Querlatte, wobei er sie sauber in zwei Teile spaltete.“ Foulke blieb ausgestreckt auf dem Boden liegen, verheddert im Tornetz. „Eine neue Querlatte musste angefordert werden“, fuhr der Bericht fort, „[…] sehr zur Heiterkeit des Publikums, das sich in sarkastischen Bemerkungen über die zimmermännischen Versuche erging. […] Die erste Querlatte, die man anschleppte, stellte sich als zu kurz bemessen heraus, und eine zweite musste gebracht werden, die man unter lauten Jubelrufen einbaute.“
Zwei Jahre darauf, während des Burenkriegs, spielte Sheffield United gegen eine Mannschaft aus schwarzen Südafrikanern, die sich auf Tour befanden. Gelangweilt vom fehlenden Betrieb in seiner eigenen Hälfte, stürmte Foulke nach vorne und erzielte zwei Treffer. Und nachdem man in einer Partie gegen Chelsea im Jahr 1905 entschieden hatte, dass die Farben seines Trikots denen der Heimmannschaft zu sehr glichen, lief er in ein weißes Badehandtuch gewickelt auf. 1907 erklärte er in einem Interview mit der London Evening News:
„Niemand mag Scherze oder Blödsinn lieber als ich. Ich gebe gerne zu, dass ich davon in meiner Fußballkarriere so viel hatte wie die meisten Männer. Aus meiner Sicht gibt es kaum einen besseren Moment für einen Witz als nach einer Niederlage der Mannschaft.
Hatten wir gewonnen, so konnte ich ebenso gut im Eisenbahnwagen schlafen wie alle anderen auch. Dann war alles ruhig und friedlich! Hatten wir aber verloren, dann machte ich es mir zur Aufgabe, den Clown zu spielen. Als wir einmal sehr niedergeschlagen waren, erbat ich vom Lokomotivführer ein wenig von dem schwarzen Zeug und rieb es mir über mein Gesicht. Da saß ich nun am Tisch und spielte irgendein albernes Spielchen, während die gesamte Mannschaft mich umgab und lachte wie die Kinderchen beim Kasperletheater, bis ein griesgrämiger Vorstandsmann hereinschaute. Fragen Sie mal die alte Mannschaft, wie sehr ihr ein bisschen von Little Willies Albernheiten dabei geholfen hat, vor einer wichtigen Partie ihre Heiterkeit zurückzubekommen.“
Foulke hatte allerdings auch Temperament. So saß er mal in der Eisenbahn und spachtelte Brot und Käse mit Gemüsezwiebeln in sich hinein, als ein gegenüber sitzender Hilfspfarrer mit ihm ins Gespräch kommen wollte. „Mein Freund, wie ich sehe, bist du ein Genießer“, sagte er. „Oh, bin ich das? Dann bist du ein ….“ „Das letzte Wort“, so berichtete die Athletic News, „war unparlamentarischer als jenes, das Mr Bernard Shaw dereinst in Pygmalion and Galatea verwendete“.
Man darf annehmen, dass Foulke ihn einfach nicht verstanden hatte. Denn bei anderen Gelegenheiten machte er sich über seine Essgewohnheiten auch gerne mal lustig. Als er bei Chelsea spielte, verspeiste er zum Beispiel einmal sein eigenes Frühstück plus das jedes einzelnen Mannschaftskameraden, bevor diese von ihren Zimmern gekommen waren. „Ist mir egal, was ihr mich ruft“, sagte er ohne den Hauch einer Entschuldigung, „solange ihr mich nicht zu spät zum Essen ruft“.
Nun mochte Foulke ein großartiger Possenreißer gewesen sein, trotzdem sorgten seine schnell durchbrennenden Sicherungen auch für Zoff. So warf man ihm 1897 nach einem 4:1-Sieg von Sheffield United gegen Everton vor, er habe sich auf Evertons Mittelstürmer Laurie Bell fallen gelassen und dessen Gesicht in den Dreck gerieben. Als der Trainer auf den Platz kam, hievte er ihn wieder hoch. Foulke meinte dazu, dass er aus Versehen auf Bell gefallen sei. Da er gefürchtet habe, dass die Gewalt des Aufschlags ihn umgebracht hätte, habe er ihn „zärtlich wie ein Baby“ hochgehoben.
Weitere Kontroversen blieben nicht aus. Im September des darauffolgenden Jahres schlug er in einem Spiel an der Trent Bridge nach einem Flügelstürmer von Notts County. Das sorgte für einen Platzsturm, dessentwegen das Spiel mehrere Minuten lang unterbrochen werden musste. Einen Monat später geriet er mit Liverpools Mittelstürmer George Allan aneinander, der vor dem Spiel angeblich gesagt haben soll, dass er Foulke „voll in die Maschen dreschen“ wolle. Foulke, zunehmend gereizt wegen Allans durchgängig robuster Spielweise, rastete schließlich aus, als Allan ihn nach einem gehaltenen Schuss von Tom Robertson anrempelte. Das Liverpool Football Echo berichtete, dass „der große Mann seine Beherrschung verlor, Allan gänzlich gegen die Regeln packte und ihn einmal umdrehte“, worauf er ihn mit dem Kopf voran in den Dreck setzte. Der Schiedsrichter verhängte einen Strafstoß für Liverpool. Andrew McCowie traf zum Ausgleich, und Liverpool gewann am Ende auch das Spiel.
Foulke und Allan führten daraufhin eine langfristige Fehde gegeneinander, jedenfalls wenn man den Zeitungen von damals glaubt. Sie verlieh Begegnungen zwischen Sheffield United und dem FC Liverpool zusätzliche Brisanz. Foulke behauptete, dass die Sache über die Maßen aufgeblasen worden sei, und er verlegte sich sogar darauf, dass Allan über ihn gestolpert sei. Dass er mit dem Gesicht voran im Dreck gelandet war, sei ein Unfall gewesen.
Der vielleicht berüchtigtste Vorfall ereignete sich nach dem FA-Pokal-Finale 1902. Sheffield United führte mit 1:0 gegen Southampton, als Harry Wood wenige Sekunden vor Abpfiff zum Ausgleich traf. Es sah aus, als hätte er im Abseits gestanden. Doch nach Rücksprache mit seinem Linienrichter entschied der Unparteiische Tom Kirkham, dass der Ball von einem United-Spieler gekommen sei und Wood folglich nicht abseits gestanden hatte. United war erbost, ebenso die Fans. Als die Spieler vom Platz gingen, gab es eine kleine Meinungsverschiedenheit, und die Polizei musste den Weg zu den Umkleidekabinen freimachen.
Lord Kinnaird, damaliger Präsident der FA, hielt eine Rede, in der er Foulke lobend hervorhob. Doch er war noch nicht fertig, da soll Foulke, jedenfalls der Legende nach, splitternackt durch die Umkleiden spaziert sein und den Schiedsrichter gejagt haben. Kirkham, so heißt es, hatte bereits Schutzmaßnahmen getroffen und sich in einer Besenkammer eingeschlossen. Er entkam erst, als eine Gruppe Außenstehender, darunter der Sekretär der FA, Foulke wegzog. Da Kirkham allerdings eine Woche später das Wiederholungsspiel pfiff, als wäre nichts gewesen, dürfte diese Geschichte wohl zumindest etwas ausgeschmückt gewesen sein.
Trotzdem gab es weiterhin böses Blut. James Catton, Autorenname „Tityrus“ und einer der ersten großen Sportjournalisten, sah sich plötzlich Sheffield Uniteds Verteidiger Peter Boyle gegenüber, der schon auf ihn wartete. Boyle wollte wissen, ob Catton ihn für Southamptons Ausgleichstreffer verantwortlich gemacht hatte, was Catton bejahte. Boyle hob die Fäuste. „Mitten in dieser Krise“, so schrieb Catton, „wer sollte da anderes aus seiner Umkleidekabine schreiten als der gute Meister Foulke, 124 Kilogramm, wie Gott ihn schuf. Er sah auf mich hinunter und sagte mit seiner kernigen Stimme und einem Lächeln, das selbst ein Quäkertreffen hätte aufschreien lassen: ‚Ich bin dein Mann für ein Kämpfchen. Du liegst ungefähr in meiner Gewichtsklasse.’ Angesichts meiner gerade mal 1,50 Metern und nicht mal 70 Kilogramm, die ich im Türkischen Bad auf die Waage bringe, kann sich der Leser wohl vorstellen, dass diese Szene der Wiederherstellung der guten Stimmung äußerst dienlich war.“ Nach dem entscheidenden Treffer von Billy Barnes elf Minuten vor dem Ende gewann Sheffield United das Wiederholungsspiel im Finale des FA-Pokals mit 2:1.
Foulke hatte den Eindruck, dass ihn seine Größe und sein Leibesumfang zu einer Zielscheibe machten. So sagte er: „Man hätte glauben können, dass die Stürmer an einem solch großen Burschen lieber vorbeisteuerten. Manche taten das, aber andere wurden richtig wild, wenn sie den Ball nicht ins Tor bekamen. Ich musste eine Menge Tritte aushalten, die es immer dann gab, wenn der Schiedsrichter nicht hinsah.“
Seine Größe und sein Gewicht lenken auch gern davon ab, was für ein guter Torwart er gewesen sein muss. Foulke spielte nur ein einziges Mal für England, bei einem 4:0-Sieg über Wales im Jahr 1897. Es war ein Spiel, in dem er kaum Gelegenheit bekam, sein Können zu zeigen. Sheffield United kassierte aber 1896/97 gerade mal 29 Tore in 30 Spielen, und in der Saison danach nur 31. Das waren die niedrigste und die drittniedrigste Ausbeute im Jahrzehnt nach der Erweiterung der Liga von zwölf auf 16 Mannschaften.
Als Foulkes Form jenseits der 30 zu schwinden begann, verkaufte Sheffield United ihn 1905 für 50 Pfund an Chelsea, die damals zweitklassig spielten. Es dauerte nicht lange, da wurde Foulke in London zum Promi. Besuchte er Veranstaltungen in einer Music Hall, wurde dies von der Bühne verkündet, und von Einladungen zu gesellschaftlichen Anlässen wurde er geradezu überschwemmt. Er war zweifellos sehr beliebt und hatte durchaus auch kulturellen Einfluss.
Etwa um die Zeit von Foulkes Transfer zu Chelsea fing die Amalgamated Press an, Fußballgeschichten für ihre wöchentlich erscheinenden Jungenzeitschriften zu produzieren. Einige der bekanntesten stammten aus der Feder von Arthur Joseph Steffens unter dem Pseudonym A. S. Hardy. Dessen fiktive Erzählungen fußten eindeutig auf Personen des Zeitgeschehens. Die erste Mannschaft, über die er in seinen Fußballgeschichten schrieb, hieß Blue Crusaders. Es ist nicht schwer zu erraten, wer das Vorbild für ihren Torhüter war, den großen, stämmigen, fröhlichen, aber auch jähzornigen William Fowke.
Foulke lieferte auch die Idee für Stiffy, den Torhüter, eine von Harry Weldon gespielte Music-Hall-Figur. Stiffy war der populärste fiktive Fußballcharakter vor dem Ersten Weltkrieg. Seinen ersten Auftritt hatte er im Dezember 1906 im Palace Theatre in Manchester. Dort war er Teil eines Sketches namens „The Football Match“. Geschrieben hatten diesen Sketch Theaterdirektor Fred Karno – der Mann, der den Sahnetorte-ins-Gesicht-Gag erfunden haben soll – sowie sein Koautor Fred Kitchen.
In einer der ersten Besprechungen hieß es über diesen Sketch: „Mehrere Spieler sollen bestochen werden, ein Spiel zu verlieren. Dieser Bestechungsversuch wird von einem Kriminalbeamten beobachtet, der keinem Kriminalbeamten gleicht, den man jemals bei Scotland Yard gesehen hat. Sein Plan zur Ermittlung der Delinquenten sieht vor, die Tat von den wohlriechenden Räumlichkeiten des Raucherzimmers aus nächster Nähe zu beobachten. Die wichtigste Person, die bestochen werden soll, ist Stiffy, der Torhüter, der jedoch gegen alle Versuchungen gefeit ist, auch wenn er sich manchmal seltsam verhält. Seine Fähigkeiten auf dem Platz spielen nicht wirklich eine Rolle; wichtiger für das Publikum ist sein komödiantisches Talent, und wie sehr er für die Bühne geeignet ist, wird eindrucksvoll von Mr Harry Wilson demonstriert.“
Der Torhüter war also mal wieder der Spieler, den man als besonders korruptionsanfällig betrachtete. Doch Stiffys Charakter wurde mit der Zeit komplexer und wuchs über den eigentlichen Sketch hinaus. Weldon war Everton-Fan, und Karno und er fügten Elemente des wahren Lebens hinzu. „Stiffy war eine Charakterstudie – möglicherweise burlesk, jedoch niemals satirisch“, schrieb der Kritiker Hannen Swaffer. „Ein schlechterer Komödiant als Harry Weldon wäre bei der Umsetzung dieses Charakters gescheitert, und anstelle zu applaudieren, hätten ihn die Götter ausgepfiffen.“
John Harding wies in Ausgabe sieben des Blizzard darauf hin, dass Stiffy alles andere als eine Heldenfigur war und häufig kaum etwas anderes tat, als zu essen und zu trinken. „Stiffy’s Song“ erfasst perfekt seinen skurrilen und unglücklichen Charakter. Ins Deutsche übersetzt heißt es da:
„So hör doch die Rufe, Stiffy ist der Mann, dem sie zujubeln. Stiffy ist der beste Torwart, der jemals einen Ball durchließ. Sie sagten heute morgen, dass sie mich um 100 Tore schlagen, doch da kannten sie nicht den Mann, mit dem sie’s aufnahmen, denn wir verloren nur mit 42 Toren Unterschied.“
Obwohl er sie eigentlich verspottete, gewann Stiffy auch zahlreiche Anhänger unter den Fußballspielern. Sie saßen bei seinen Auftritten in den ersten Reihen. Schließlich bekam Stiffy die größte Auszeichnung überhaupt: Foulke stiftete ein Paar seiner Hosen, damit Weldon sie auf der Bühne anziehen konnte. Stiffy war die vielleicht erste bedeutende kulturelle Darstellung des Torhüters und seines Charakters. Der allerdings wurde als lächerlich, verfressen und bestechlich gezeichnet: kein verheißungsvoller Anfang.
Mit wachsendem Ruhm wurde Foulke immer launischer. So ging er schon mal vom Platz, wenn seine Verteidiger aus seiner Sicht nicht ihr Bestes gaben. Außerdem suchte er regelmäßig die körperliche Konfrontation mit Stürmern. Nicht wenige hob er plötzlich hoch und ließ sie dann auf den Boden fallen. Dennoch spielte Foulke in seiner ersten Saison bei Chelsea neunmal in Folge zu null und hielt zehn Strafstöße. Letzteres hatte er vielleicht auch seinem Trick zu verdanken, dass er links und rechts von sich einen Balljungen hinter das Tor stellte. So wollte er vorgaukeln, dass das Tor noch voller war als ohnehin schon. Chelsea verpasste dennoch den Aufstieg, und Foulke wurde an Bradford City abgegeben.
Sein Trainer dort war Peter O’Rourke. Der ließ ihn seinen Lohn durch eine schmale Pforte abholen, als ob er sich über seine Statur lustig machen wollte. Foulke blieb nur eine Saison und beendete 1907 mit 33 Jahren seine Karriere. Er litt an Rheuma, und da er einen Großteil seines Einkommens bereits wieder ausgegeben hatte, musste er sich seinen Lebensunterhalt schließlich kläglich am Strand von Blackpool verdienen, wo sich Urlauber für einen Penny vom Elfmeterpunkt aus mit ihm messen konnten. Angeblich soll er sich dabei eine Lungenentzündung eingefangen haben. Vielleicht hatte sich ja wirklich eine Erkältung, die er sich in einem Regenschauer auf der Sheffielder Rennbahn geholt hatte, zu einer Lungenentzündung ausgeweitet. Der Hauptgrund für seinen Tod war jedoch ein weiterer Job. Foulke war Wirt des Duke Inn auf der Matilda Street in Sheffield. Dort begann er, exzessiv zu trinken. Er starb am 1. Mai 1916 – in der gleichen Woche, in der man die Wehrpflicht einführte – an einer Leberzirrhose und Herzverfettung. Foulke wurde 42 Jahre alt.
Materielle Not, die oft zum vorzeitigen Ableben führte, gab es häufig unter den ersten Torhütern. Brian Cloughs späterer Mentor Harry Stover sagte einmal, dass einem im Fußball nichts gedankt würde. Aber Fußball war schon von Anfang an ein undankbares Spiel. James Trainer gehörte wohl zu den begabtesten Torhütern der 1880er Jahre, und trotzdem schien er dem Fußball stets zu misstrauen. Er arbeitete in Wrexham als Wagenbauer, bis man ihn mit 19 Jahren schließlich doch überredete, beim Verein in seiner Heimat mitzuspielen.
Seine Qualität war offensichtlich, doch noch vor Jahresfrist musste er nach einem hitzigen Spiel im FA-Pokal gegen Oswestry Town eine Sperre abbrummen. Angeblich soll er den Schiedsrichter beleidigt haben. Der Verband schloss Wrexham vom Wettbewerb aus und forderte vom Verein Disziplinarmaßnahmen gegen Trainer. Noch bevor man dem nachkommen konnte, hatte Trainer ein Vertragsangebot von Great Lever in Lancashire über 30 Schilling pro Woche während der Saison und 13 Schilling im Sommer angenommen. Zwei Spielzeiten darauf bot Bolton 50 Schilling pro Woche, gab ihm fünf Pfund Handgeld für die Unterschrift und schickte ihn und seine Freundin bis zum Beginn der Saison 1885/86 auf die Isle of Man. Great Lever zeigte sich wenig begeistert. „Ich hoffe, dass sein Boot sinkt, wenn er nach Hause kommt“, sagte Great Levers Vorsitzender, „und dass alle gerettet werden, bis auf ihn“.
Trainers Boot blieb trotz dieses Fluches unbeschadet, und er spielte zwei Jahre für Bolton. Dann hinterließ er beim großen Preston North End in einem Freundschaftsspiel (bei dem er unglaubliche zwölf Treffer kassierte) einen derart großen Eindruck, dass man ihn dort verpflichtete. Man beschrieb ihn als „so sicher wie ein Sandsack“. Folgerichtig stand Trainer in der Saison 1888/89 bei Preston im Tor, ließ nur 15 Tore in 22 Partien zu, und Preston konnte sich ohne Niederlage die erstmals ausgespielte englische Fußballmeisterschaft sichern.
Im weiteren Verlauf lief er noch 20-mal für Wales auf und wurde später Vorstandsmitglied bei Bolton. Doch wie bei so vielen Torhütern lastete auch auf seiner Seele ein Schatten. 1904 trennte er sich von seiner Frau, mit der er zehn Kinder hatte, und engagierte sich in einem Wirtschaftsunternehmen, das Fußballschaukämpfe bei den Olympischen Spielen in London 1908 organisieren wollte. Als dieses Unternehmen scheiterte, wurde er von der FA gesperrt. In seinen letzten Lebensjahren lungerte er vor walisischen Länderspielen im Mannschaftshotel herum und versuchte, etwas Geld zu erbetteln. Er starb verarmt 1915, im Alter von 52 Jahren.
Auch der wahrscheinlich beste Torhüter vor dem Ersten Weltkrieg starb ein Jahr darauf entsetzlich jung, allerdings nicht in Armut, sondern in der Schlacht an der Somme. Leigh Richmond Roose war nicht nur ein ausgezeichneter Torhüter. Er hob die Position auf ein neues Level, sowohl was das Ansehen betrifft als auch die Spielweise.
Die ersten Torhüter befanden sich in einer paradoxen Position. Zunächst einmal waren sie ständig körperlichen Attacken ausgeliefert, praktisch ohne Schutz durch die Fußballregeln. Gibson und Pickford schrieben 1905 über den Fußball im frühen 19. Jahrhundert:
„In Eton befolgte man eine höchst delikate Regel, in der Folgendes zu lesen war: ‚Sollte ein Spieler auf den Ball fallen oder auf Händen und Füßen kriechen und den Ball zwischen seinen Beinen festhalten, so muss der Umpire ihn, wenn möglich, unter Zwang zum Aufstehen anhalten oder den Filou aufhalten.’ Welches Bild möchte man sich da ausmalen von einem Spieler nach alter Schule, erfüllt von einem brennenden Eifer, die Linien des Gegners zu durchbrechen, sowie gleichmütig gegenüber der Gefahr, wie er schmerzlich vorwärts kriecht, mit dem Ball zwischen seinen Füßen, das Opfer von zahllosen Tritten und Stürzen, und wie er mit der allerhöchsten Kraft nicht nur den regelwidrigen Versuchen des Gegners sich erwehret, ihn vom Wege abzubringen, sondern ebenso den regelgerechten Kräften des Umpire, dessen Grenzen so treffend beschrieben sind durch die Worte ‚wenn möglich’. Nähme man die Regeln in solchen Fällen zur Hand, so wären ein Foulke oder ein [Jack] Hillman eindrucksvolle Angriffsmaschinen gewesen, und zugleich gäbe es keinen Schiedsrichter in unserer Zeit, dessen Größe und Kraft ihm auch nur im Mindesten erlaubten, einen athletischen Spieler von gut 120 Kilogramm mit Gewalt auf die Füße zu heben. In späteren Zeiten ist die Kriechmethode öfter von Torhütern adaptiert worden, und es ist nachzulesen, wie [Ned] Doig, ein Champion des Klubs aus Sunderland, in einem bedeutsamen Spiel den Ball auf diese Weise von den Grenzen seines Tores fernhielt und einige Minuten lang erfolgreich all den Versuchen der geübten Schar von Kontrahenten widerstand, ihm diesen zu rauben, bis er schließlich mit diesem bis vor den Torpfosten sich rollte und sich ganz sicher seiner Verantwortung entledigte, indem er ihn über die Torlinie schob.“
Auch Gibsons und Pickfords Beschreibung des Torhüters hat einen negativen Beiklang und erinnert darin an Galens Hinweis auf die lahmen Männer in der Verteidigung und Benhams Erwähnung der Schisshasen von Westminster. In allen Fällen wird impliziert, dass nur diejenigen das Tor hüteten, die nicht den Schneid oder das Nötigste mitbrachten, um Feldspieler zu werden. Die Torhüter selbst halfen aber auch nicht immer, dieses Bild zu revidieren. In J. A. McWeeneys 1906 erschienenem Band Football Guide, or How to Play Soccer verwies James Ashcroft, der Torhüter von Woolwich Arsenal, zunächst ganz vernünftig auf die nötigen „Nerven aus Stahl“. Dann schrieb er jedoch, der Torwart müsse „recht regelmäßig auf feuchtkaltem Rasen stehen, in der Kälte zittern und lädt einen Großangriff durch Lungenentzündung oder den Grippeteufel geradezu ein. Besitzt man aber eine starke Veranlagung, so kann man über feuchte Kälte, Schnupfen und stechenden Rheumatismus nur lachen.“ Das mutet schon etwas seltsam an: Klar, nimm dich in Acht vor hohen Füßen und verirrten Ellenbogen, aber sieh vorweg schon zu, dass du dich auch warm einpackst. In Ashcrofts Worten klingt Schwächlichkeit durch. Roose räumte mit all dem endgültig auf: Die Leute warfen ihm zwar so manches vor, Schwächlichkeit aber ganz sicher nicht.
Geboren am 26. November 1877 im nordwalisischen Holt als vierter Sohn eines Pfarrers, begab sich Roose im Alter von 17 Jahren nach Aberystwyth, um Medizin zu studieren. Dort wurde er Torwart der Universitätsmannschaft und fiel sofort durch seine besondere Spielweise auf: Er kam immer wieder aus seinem Tor und fungierte beinahe als Hilfsverteidiger. So etwas hatte es nicht mehr gegeben, seit in den 1860er Jahren einer der Verteidiger zum Torhüter geworden war. George Holley, sein Mannschaftskamerad bei Sunderland, sagte später: „Alle anderen wurden später nach seinem Vorbild geformt.“
Roose machte es sich auch zur Angewohnheit, den Ball bis zur Mittellinie zu prellen. Das bedeutete zugleich, dass er den Attacken gegnerischer Stürmer entging, die damals noch wesentlich härter waren und eher an Rugby als an modernen Fußball erinnerten. Von der Mittellinie aus schoss Roose dann auf das Tor des Gegners. Ihm kam dabei die Regel zugute, dass er den Ball überall in der eigenen Hälfte mit der Hand spielen durfte. Der Torhüter schlug also zurück: Erst 1892 waren die Regeln dahingehend geändert worden, dass Spieler den Torwart nur dann attackieren durften, „wenn er den Ball spielt oder während er einen Gegner behindert“. Vorher konnte einfach Jagd auf ihn gemacht werden, egal ob mit oder ohne Ball – ganz so, als ob man ihn, weil er den Ball mit der Hand spielen durfte, als Rugbyspieler einstufte und folgerichtig nach Rugbyregeln behandelte.
„Den Torhüter anzugehen, war eine durchaus gängige Angriffsform“, schrieb F. N. S. Creek in seiner Geschichte über den Corinthian Club. „Sie war zulässig, solange die Angreifer beim letzten Abspiel nicht im Abseits gestanden hatten. Folglich erfahren wir, dass ‚Prail nach einem feinen Ball in die Mitte ein herrliches Tor erzielte, nachdem Dewhurst zuvor den Torwart aus dem Weg geräumt hatte’. Einige Mannschaften, vor allem Preston North End, reizten diese Regel voll aus. Einer der Läufer wartete exakt auf den richtigen Zeitpunkt für den Pass und schoss den Ball dann durch die Luft in Richtung des Torwarts, der sofort von zwei Halbstürmern attackiert wurde. Der dritte versuchte, sich an den Verteidigern vorbeizustehlen und ins leere Tor einzuschieben. Eckbälle waren eine noch ernstere Sache. Der Torwart musste sich zwei Stürmern entziehen (die er dabei gelegentlich ‚zu Boden streckte’), und gleichzeitig wurde von ihm erwartet, dass er den Ball aus der Gefahrenzone bekam. Folgerichtig wurden viele Tore im ‚Gedränge’ erzielt, und da es damals noch keine Netze gab, waren viele davon auch noch zweifelhaft.“
Diese Körperbetontheit mag vielleicht erklären, warum es, grob gesagt, zwei Typen von Torhütern gab: die Stoiker, die still und leise die Prügel erduldeten, und die Extrovertierten. Roose gehörte ganz eindeutig zur zweiten Kategorie. Die Gefahren, die diese Position mit sich brachte, sind vielleicht auch der Grund dafür, weshalb Torhüter damals so abergläubisch waren. Liverpools großer Keeper Elisha Scott beispielsweise kam stets zwei Stunden vor Spielbeginn, zog sich alleine um und warf eine Stunde lang einen Ball gegen eine Mauer. Dann streifte er sich wenige Minuten vor dem Anpfiff, unabhängig vom Wetter, noch zwei Hemden und ein Extrapaar Socken über.
Ashcroft nannte den Nordiren Scott „einen der Unsterblichen“. Er schrieb: „Ein wenig grob aus Granit gehauen, war Scott nichts für Ästheten. Er war von eisernem Willen. Unnachgiebig, wie es für seine Heimatprovinz typisch ist, gab es für ihn nur eine Gewissheit – nämlich die, dass der Feind seine Verteidigung nicht durchbrechen durfte. Das gelang dem Feind auch eher selten. Recht häufig hieß es Scott gegen England oder Wales oder Schottland, und er hielt sie fern, komme, was wolle. Und in Liverpool war es das Gleiche. Scott war ein Spieler vom alten Schlag, der brav seine Aufgabe erfüllte und stets bereit war, sich für die Sache zu opfern. Und so entsagte er den feinen Sitten und den unziemlichen Träumen, der billigen Publicity und dem öffentlichen Beifall, und war die Konzentration selbst.“
Doch es gab auch solche, die in der öffentlichen Aufmerksamkeit richtiggehend aufgingen und die es genossen, dass sich das Spiel ganz und gar um sie drehte – und dazu gehörte auch Leigh Richmond Roose. Ein anderes Beispiel ist „Happy“ Jack Hillman, der bei Burnley und Manchester City aktiv war. Er gewann mal eine Wette über fünf Pfund, dass er auch mit auf den Rücken gebundenem Arm zu null spielen könne.
Albert Iremonger war mit seinen 1,98 Metern wohl der größte Spieler in der englischen Profiliga vor dem Ersten Weltkrieg und außerdem ein geborener Streithahn. 1912 spielte er in einer Begegnung für Notts County gegen Arsenal auf Zeit, indem er sich auf den Ball setzte. Der Schiedsrichter versuchte, ihn zum Weiterspielen zu bewegen, und war bald so frustriert, dass er Iremonger mit einem Böller drohte. Als Iremonger sich weiterhin weigerte, wurde das Spiel abgebrochen. Außerdem war er regelmäßig in Diskussionen mit den Schiedsrichtern verwickelt. Seine Aufmüpfigkeit bescherte ihm 1925, nach 564 Einsätzen, schließlich die Entlassung bei Notts County. Mit seinen nun 42 Jahren ging er zu Lincoln City. Als Lincoln bei einem seiner ersten Einsätze einen Strafstoß bekam, wollte er diesen unbedingt selbst treten. Er nahm einen gewaltigen Anlauf und setzte den Ball so hart an die Latte, dass er bis zur Mittellinie zurückflog. Bei seinem Rettungsversuch drosch er den Ball am Ende schließlich ins eigene Tor.
Roose wurde, wenngleich in einem etwas kleineren Rahmen, in der Universitätsauswahl von Aberystwyth ebenfalls zu einer Attraktion. Er lief stets mit erhobenem Arm auf den Platz, um die Zuschauer zu grüßen. Danach schritt er sein Tor ab, während er vor sich hin murmelte, als ob er ein Mantra rezitierte. Das gehörte zu seinem Ritual vor dem Anpfiff. Bald kamen immer mehr Fans, um die Unimannschaft zu sehen, darunter eine nie dagewesene Anzahl Frauen, die von Rooses Ausstrahlung und Aussehen angezogen wurden.
Bald darauf brauchte Aberystwyth Town einen neuen Torhüter, nachdem man Jack Jones an Liverpool abgegeben hatte. Im Herbst 1898 holte man Roose. Er hinterließ Eindruck und blieb nach Abschluss seines Studiums noch ein weiteres Jahr. Sein guter Ruf wuchs dermaßen schnell, dass er schon im Februar 1900 in einem Länderspiel gegen Irland im walisischen Llandudno sein Debüt in der Nationalmannschaft gab. Wales gewann mit 2:0. Denkwürdig blieb das Spiel aber vor allem wegen einer Attacke Rooses Mitte der zweiten Halbzeit, als er Harry O’Reilly ins Aus schubste und ihn dabei gleich noch bewusstlos schlug. Roose ließ sich nichts gefallen und ließ andere spüren, was er als Torhüter selbst Dutzende Male hatte spüren müssen. So umstritten die Szene auch gewesen sein mochte, der Schiedsrichter jedenfalls gab noch nicht einmal einen Freistoß.
Die Saison war die erfolgreichste in der Geschichte von Aberystwyth. Man holte das Triple aus Towyn Cup, South Wales Cup und Welsh Cup. Doch Roose fühlte sich in dem kleinen Provinzstädtchen eingeengt und ging nach London. Dort wurde er Assistenzarzt am King’s College Hospital und begann, für London Welsh zu spielen. Wie bereits in Aberystwyth stiegen daraufhin die Zuschauerzahlen sprunghaft an, sein Ansehen wuchs, und er wurde Stammspieler der walisischen Nationalmannschaft. Mehrere Vereine versuchten, ihn zu verpflichten. Doch Roose sträubte sich dagegen, Profi zu werden. Das hätte nämlich bedeutet, dass er seine Karriere als Mediziner hätte aufgeben müssen.
Im darauffolgenden Sommer fand Stoke City eine Lösung. Man bot ihm einen Vertrag als Amateur und erklärte sich einverstanden, dass er in London blieb. Stoke zahlte Roose die Fahrten erster Klasse, Luxushotels und weitere Leistungen wie etwa Anzüge, Schuhe und einen Mietzuschuss. Im Grunde genommen war Roose damit Profi, und die FA-Regeln zum Amateurstatus wurden bis aufs Äußerste ausgereizt.
Doch nicht nur hier ging er bis an die Grenzen. Roose war durch und durch ein Showman. So bestellte er sich stets ein Hansom Cab, ein kleines Kutschentaxi, das ihn am Bahnhof in Stoke abholte, wenn er mit dem Zug aus London-Euston kam. Diese Droschke fuhr er dann selbst, mit Höchstgeschwindigkeit und etlichen Fans und Bewunderern im Schlepptau.
Für einen Mediziner war er erstaunlich abergläubisch. „Roose gehört zu den besten Torhütern, die wir haben“, hieß es in einem Artikel in Cricket and Football Field. „Doch ganz offensichtlich ist er ein wenig abergläubisch bei seiner Fußballkleidung. Jedenfalls scheint er seine Aufwartefrau nur selten mit dieser zu behelligen.“ Bei Partien für Wales und wichtigen Spielen für Stoke trug er stets ein altes Oberteil von Aberystwyth Town, das seit dem Sieg über die Druids im walisischen Pokalfinale nicht mehr gewaschen worden war.
Ein Exzentriker auf und neben dem Platz: Leigh Richmond Roose
Er plauderte auch gern mit den Zuschauern. Im Victoria Ground steigerte das noch seine Beliebtheit, bei Auswärtsspielen machte es ihn jedoch zur Zielscheibe. An der Bramall Lane traf ihn eine Münze, nachdem er zum Besten gegeben hatte, dass Sheffield United „sich deutlich steigern muss“, um ihn zu bezwingen. Bei Manchester City wackelte er vor einem gehaltenen Strafstoß mit den Beinen, ganz so, wie es viele Jahre später der Liverpooler Torwart Bruce Grobbelaar tat. Danach drehte Roose sich mit einem breiten Grinsen in Richtung der Zuschauer, woraufhin ein wütender Fan einen Apfel nach ihm warf.
Ein Torhüter, so sagte Roose, „muss das Tor doch nicht nach den üblichen Klischeevorstellungen hüten. Es steht ihm frei, seinen eigenen Stil zu entwickeln. Wenn er verschiedene Methoden zur Verfügung hat, den Ball zu parieren und wieder loszuwerden, wird er die angreifenden Stürmer oft durcheinanderbringen und verwirren. Hat ein Torwart Erfolg mit seinen Paraden, ist sein Triumph groß. Versagt er, ist Nichtbeachtung sein Los.“ Hin und wieder versagte auch Roose. So wurde er beispielsweise gegen Sheffield Wednesday mit dem Ball am Fuß vor seinem Strafraum kalt erwischt und überließ dem gegnerischen Mittelstürmer ein leeres Tor. Doch unter dem Strich spielte er so erfolgreich, dass seine Mannschaftskameraden ihm schnell verziehen. „Er spielt, wie kein anderer Torwart im Lande zu spielen sich traut“, sagte Verteidiger Sam Ashworth. „Darum ist er ja der Mann, der er ist.“
Stoke entging 1901/02 zwar knapp dem Abstieg, geriet jedoch durch die Rückzahlung eines Kredits für die Renovierung des Stadions in Geldprobleme. Folgerichtig musste der Verein die Ausgaben für Roose kürzen. Am letzten Spieltag der Saison 1903/04 gegen Derby County rannte Roose aus seinem Strafraum, verschätzte sich bei einem aufprallenden Ball, ging zu Boden und schenkte Steve Bloomer das Tor. Frustriert und ernüchtert saß Roose am Abend im Zug zurück nach London und beschloss, Schluss mit dem Ligafußball zu machen. Stattdessen wollte er – endlich – seinen zurückgestellten Abschluss in Medizin in Angriff nehmen, den er drei Jahre lang aufgeschoben hatte. Er schrieb an Stoke und den walisischen Fußballverband und teilte beiden seinen Rücktritt mit. Doch erst im August, als die Athletic News ihre Saisonvorschau druckte, kam die Nachricht auch an die Öffentlichkeit.
Aber schon im November vermisste Roose den Fußball. Da er nach wie vor sein Medizinstudium weiterführen wollte, begann er nach Klubs Ausschau zu halten, die einen in London ansässigen Amateur nehmen würden. Als Everton aufgrund einer Schulterverletzung Bill Scott verlor und dessen Ersatzmann George Kitchen gleichzeitig von einer Grippe niedergestreckt wurde, bekam Roose seine Chance. Er sagte zu, für Everton zu spielen, bis Scott wieder gesund war.
Roose gab sein Debüt gegen Sunderland. Vielleicht lag es an seiner fehlenden Spielpraxis, jedenfalls entglitt ihm fünf Minuten vor Schluss eine Flanke, und Arthur Bridgett bedankte sich für den Siegtreffer. Vor der nächsten Partie, zu Hause gegen Derby, schüttelte Roose eine Viertelstunde lang die Hände von Fans und entschuldigte sich für seinen Lapsus. Sein Ansehen stieg dadurch, und es sollte noch weiter steigen, da er ein gutes Spiel machte und das Publikum dadurch unterhielt, dass er sich während einer Verletzungsunterbrechung auf die Querlatte schwang und darauf sitzen blieb. Gegen Stoke, ein 4:1-Erfolg, hielt Roose dann einen Strafstoß und war so gut in Form, dass man ihn fragte, ob er nicht auch nach Scotts Genesung bleiben wollte.
Everton schied erst im Halbfinale des FA-Pokals aus und landete in der Liga am Ende auf Platz zwei. An diesen Erfolgen hatte Roose bedeutenden Anteil. Doch er zerstritt sich mit Trainer William C. Cuff, nachdem er sich wegen des vollen Spielplans zum Saisonende beschwert hatte. Als er beim letzten Saisonspiel nicht berücksichtigt wurde, verweigerte er die Anreise. Damit war seine Zeit bei Everton vorbei, und ab dem folgenden September war er wieder für Stoke City im Einsatz. Er gab sein zweites Debüt bei einem 3:0-Sieg gegen Notts County. „Keiner ist so geschickt wie er, wenn er sich nach einem Flachschuss hinwirft, der eigentlich unhaltbar schien“, bestätigte der Spielbericht in der Athletic News.
Im November stand Stoke auf dem dritten Tabellenplatz. Die Daily Mail nominierte Roose für ihre Weltauswahl gegen eine Mannschaft von einem anderen Stern. Und ein Reporter der Bristol Times schrieb über ihn:
„Kaum ein Mann stellt seine Persönlichkeit in seinem Spiel so lebhaft zur Schau wie L. R. Roose. Man kann keine fünf Minuten zusammen mit ihm verbringen, ohne dass seine Lebhaftigkeit, seine Verwegenheit, seine Kenntnis von Menschen und Dingen Eindruck hinterlassen – ganz gewiss ein schlauer Mann, aber vollkommen ungehemmt in Wort oder Tat. Nur höchst selten steht er lustlos am Torpfosten, selbst wenn sich der Ball am anderen Ende des Rasenvierecks befindet. Stattdessen folgt er dem Spiel aufmerksam und genau. Sobald sein Schutzobjekt in Gefahr ist, bewegt er sich auch schon. Er denkt sich nichts dabei, zehn oder 15 Meter hinauszulaufen, selbst wenn seine Verteidiger eine ebenso gute Gelegenheit zur Bereinigung haben wie er selbst. Auch wird er die Seitenlinie entlangstürmen, den Ball auf dem Platz spielen und selbst ein Schüsschen wagen, um die Partie munter zu erhalten.“
Diese Beschreibung sagt viel über den sonst üblichen Torwartstil jener Zeit aus: Offensichtlich lehnten sich viele Torhüter leger an ihren Torpfosten, und dass ein Keeper zehn oder 15 Meter herauskam, war ganz eindeutig etwas Außergewöhnliches
Roose verhalf Wales auch zum ersten Gewinn der British Home Championship. Bei Stoke liefen die Dinge weniger erfreulich. Als dem Verein das Geld ausging, musste Roose seinen Vertrag neu aushandeln. Nachdem Stoke abgestiegen war, ließ es Einzelheiten über einen „in London ansässigen Spieler“ durchsickern, der eine Spesenabrechnung für einen Aufpasser für seinen Hund geschrieben hatte, obwohl er gar keinen Hund besaß. Vermutlich stand dahinter der Versuch, Rooses Forderungen zu zügeln. Wie nicht anders zu erwarten, reagierte er wütend, und sein Verhältnis zum Verein kühlte sich merklich ab. Obwohl er die Saison 1907/08 im Victoria Ground begann, war sein Wechsel nur noch eine Frage der Zeit. Als Sunderland ihm ein Angebot machte, nahm er ohne langes Zögern an.
An der Wearside verbrachte er zwei schöne Jahre, und auch dort verließ er bei jeder Gelegenheit sein Tor und seinen Strafraum. „Die Regel besagt, dass jeder Torwart über seine Hälfte des Spielfeldes laufen darf, bevor er sich des Balles entledigt“, erklärte er. „Das trägt nicht nur dazu bei, die angreifenden Stürmer zu verwirren, sondern bildet auch das Fundament für ein schnelles, präzises Konterspiel. Warum bloß nutzen das so wenige aus?“ George Holley, sein bereits erwähnter Mannschaftskamerad aus Sunderland, erklärte das damit, „dass er der Einzige war, der einen Ball derart genau über große Distanzen schießen oder werfen konnte, was ihm genügend Zeit verschaffte, ohne Sorge um einen Gegentreffer in sein Tor zurückzukehren“.
Trotzdem ging die Sache ab und zu auch schief. Sheffield Uniteds Torwart Ernest Needham beispielsweise war mit einem Abschlag gegen Roose erfolgreich, der über dessen Kopf hinweg ins Tor segelte. Doch Roose grübelte nie lange über seine wenigen Fehler nach. Er gab Needham an dem Abend einfach einen aus und markierte ansonsten weiterhin den dicken Max. Als er gegen Aston Villa einen Schuss über den Querbalken lenkte, berührte er mit den Händen die Latte. Also umgriff er sie einfach, schwang sich hoch, setzte sich auf sein Tor und genoss den Beifall. Gegen Woolwich Arsenal stoppte er einen Schuss mit der Brust, ließ das Leder auf seinen Fuß tropfen, hielt es ein paar Mal hoch und schoss es dann weg.
Abseits des Platzes war sein Leben nicht weniger extravagant. Unter anderem hatte er eine Affäre mit Marie Lloyd, einem Music-Hall-Star, wodurch sein Ruhm noch weiter stieg. Als er sich im November 1910 in einem Spiel gegen Newcastle das Handgelenk brach, war sein Karriereende jedoch im Grunde besiegelt. Er spielte zwar noch für ein paar andere Klubs – Celtic, Port Vale, Huddersfield Town, Aston Villa und Arsenal –, konnte aber nie wieder an seine alten Leistungen anknüpfen. Der endgültige Genickschlag kam 1912, als man seine Art des Torhütens praktisch unmöglich machte. Zwei Mitglieder des Regelkontrollausschusses waren in London Augenzeugen einer Partie von Roose für Sunderland geworden. Ihrer Meinung nach ruinierte er den Unterhaltungswert des Spiels, wenn er den Ball bei jeder Gelegenheit bis zur Mittellinie prellte und damit jegliche Möglichkeit kreativen Spiels zunichte machte. Mit Beginn der Saison 1912/13 durften Torhüter den Ball deshalb nur noch innerhalb ihres eigenen Strafraums mit der Hand spielen.
Roose beendete seine Karriere und widmete sich ganz der Medizin. Ansonsten beschränkte er sich auf einmalige Kicks für Dörfer und Schlag-den-Torwart-Wettbewerbe bei öffentlichen Veranstaltungen. Außerdem wurde er ein beliebter Tischredner. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete er sich freiwillig. In seiner Familie glaubte man, dass er 1915 bei der Schlacht von Gallipoli ums Leben gekommen war. Die wahre Geschichte kam 2007 ans Licht, dank einer beachtlichen Rechercheleistung des Journalisten Spencer Vignes für seine Roose-Biografie Lost in France.
Eine nebenbei fallengelassene Bemerkung des Sportkarikaturisten Tom Webster, dass er nach der Evakuierung von Gallipoli in Ägypten Cricket mit Roose gespielt habe, hatte die Familie schon immer irritiert. Doch alle Versuche, ihn ausfindig zu machen, kamen nicht über Hinweise hinaus, dass er 1916 zu den Royal Fusiliers gestoßen sein könnte. In deren Aufzeichnungen gab es jedoch keinen Roose. Aber Vignes fand heraus, dass das wohl an einem Schreibfehler lag (auch wenn es denkbar ist, dass Roose seine wahre Identität verschleiern wollte): Zwar gab es keinen Roose, dafür aber einen Leigh Richmond Rouse. Nun war alles klar.
Roose erhielt am 28. August 1916 das Military Cross und wurde aufgrund seiner Leistungen in einem Gefecht in der Nähe von Agny, wo ihm ein Flammenwerferangriff die Kleidung verbrannt und die Lungen beschädigt hatte, zum Obergefreiten befördert. Die angebotene medizinische Behandlung lehnte er ab und kämpfte weiter. Am 13. November nahm er an einem Angriff bei Gueudecourt an der Somme teil. Das Sperrfeuer der Artillerie hätte die deutschen Stellungen eigentlich ausschalten sollen, doch eine Maschinengewehrstellung auf der linken Flanke war unversehrt geblieben. Die Fusiliers hatten keine Chance. Die meisten von ihnen wurden innerhalb der ersten Minuten des Angriffs zusammengeschossen. Ein Sergeant Quinell berichtete, er habe Roose in einem Krater gesichtet, könne aber nicht sagen, ob Roose tot oder verwundet gewesen sei oder nur Deckung gesucht habe. Seine Leiche wurde nie gefunden.