Читать книгу Dracula junior - Jonathan Cole - Страница 6

Erstes Kapitel, in dem Dorian Reisepläne schmiedet und sein Erzfeind Costin einen wichtigen Auftrag erhält

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»Das ist nicht dein Ernst!« Dorian Dracula blickte seinen Vater ungläubig an. »Hast du Mama jetzt endgültig abgeschrieben?« Der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Vlad Dracula tat so, als gäbe es nichts Interessanteres auf der Welt als seine frisch polierten Schuhe aus feinstem Karpatenhirschleder.

»Sag etwas, Papa!«, forderte Dracula ihn auf.

Vlad hob den Kopf. »Deine Mutter Aida ist jetzt über drei Jahre verschwunden.« Er vermied es, seinem Sohn in die Augen zu sehen. »Wir machen uns etwas vor, wenn wir hoffen, dass sie noch am Leben ist. Sie hätte sich doch sonst längst gemeldet oder uns wenigstens ein Zeichen zukommen lassen …«

Dorian lag eine heftige Erwiderung auf der Zunge. Tief im Innern war er überzeugt, dass sich seine Mutter noch irgendwo aufhielt und es einen wichtigen Grund dafür gab, dass sie keine Nachricht geschickt hatte. Und jetzt, als frischgebackener Agent der höchst geheimen Akademie der Vampire, boten sich ihm neue Möglichkeiten, nach ihr zu suchen.

Leider konnte Dorian seinem Vater nicht auf die Nase binden, dass er neuerdings im Dienst des vampirischen Geheimdienstes stand, denn sonst wäre es ja nicht mehr geheim. Verzweifelt suchte Dorian nach einem Weg, wie er die Pläne seines Vaters durchkreuzen könnte.

Vlad Dracula hatte eine Reise auf dem Kreuzfahrtschiff OLD LADY gebucht. Dieses Schiff gehörte zur Steigenbeißer Hotelkette, die sich speziell den Bedürfnissen der Vampire widmete. Es war keine normale Kreuzfahrt, sondern eine Vergnügungsreise für Singles, die andere Singles treffen wollten. Und das bedeutete, dass sich Papa nach einer neuen Frau umgucken wollte. Was für ein schrecklicher Gedanke!

»Hast du Mama denn schon vergessen?«, fragte Dorian vorwurfsvoll.

»Dorian, du weißt ganz genau, dass ich deine Mutter niemals vergessen werde«, antwortete Vlad Dracula. »Sie wird immer einen Platz in meinem Herzen behalten. Aber ich muss jetzt nach vorne sehen. Ich habe jedenfalls nicht vor, die nächsten Jahrhunderte allein zu leben!«

Dorian wandte sich enttäuscht ab. Er verabscheute die Pläne seines Vaters, und er verabscheute fast noch mehr diesen Kahn namens OLD LADY, der Vampire miteinander verkuppelte. Was konnte man nur an so einer Reise finden? Tanztee um Mitternacht, Mondscheinpicknick auf Deck, Klaviergeklimper und schluchzende Geigen, Kürbis-Lampions und so weiter. Ganz zu schweigen von den erlesenen Köstlichkeiten wie aufgeschäumte Herzklößchensuppe mit geraspelten Markknochen, überbackene Herzbeutel von frischen Wildschweinen und, für die Veggis unter den Vampiren, gefüllte Brokkoli-Käseherzbomben nach Schloss-Ortranto-Art. Ja, Dorian hatte den Werbeflyer für die Kuppelreise gelesen und vor lauter Herzen fast das Würgen bekommen. Seine Urgroßcousine (oder so ähnlich) Sarina hatte einen ganzen Stapel davon im Foyer des Dracula-Schlosses liegen gelassen. Opa Andreji hatte sofort angefangen, aus den bunten Prospekten Schiffchen zu falten, bis Oma Stoica ihm die Blätter entrissen und in den Kamin geworfen hatte. Aber einige Flyer waren trotzdem übrig geblieben – leider.

Dorian verließ mit großen Schritten den Saal und eilte so schnell die Wendeltreppe in sein Zimmer hinauf, dass er sich fast den Hals gebrochen hätte. Sein sonst so kühles Blut schäumte vor Wut. Er riss seine Zimmertür so heftig auf, dass seine Ratte Merlin von der Sargkante purzelte. Merlin hatte gerade wieder einmal geübt, mit geschlossenen Augen auf der Kante entlangzubalancieren. Angeblich war das gut für die Konzentration und schärfte die Gedanken.


»Beim verflixten Blutmond, was ist los?«, fauchte Merlin und rappelte sich mühsam wieder auf. Seine Schnurrhaare waren beim Sturz außer Form geraten, und er beeilte sich, alles wieder in Ordnung zu bringen.

»Mein Dad will sich mit Frauen treffen«, murmelte Dorian nur und griff nach seinem Smartphone, das auf dem Kopfkissen im Sarg lag. Er musste unbedingt mit jemandem sprechen, und niemand konnte ihm besser zuhören als Lilith, seine Freundin. Genau genommen war Lilith nicht seine Freundin, sondern eine Freundin, und zwar die beste. Eine Art weiblicher Kumpel, mit dem man durch dick und dünn gehen konnte.

»Hallo, Dorian«, meldete sich Lilith mit leicht verschlafener Stimme, aber trotzdem erfreut. »Was gibt’s denn so Wichtiges, dass du mich um diese Uhrzeit anrufst?«

Lilith war nämlich Halbvampirin, deswegen war sie nachts nicht ganz so wach wie Dorian. Im Gegensatz zu ihm war für sie das Sonnenlicht des Tages nicht tödlich, und das nutzte sie weidlich aus. Sie war sehr neugierig oder besser informationsbedürftig, wie sie es nannte.

Das Holz des Sarges knarrte, als sich Dorian auf die Kante setzte. »Tut mir leid, wenn ich dich aus dem Schlaf gerissen habe.«

»Macht nichts«, alberte Lilith. »Ich musste sowieso aufstehen, weil mein Handy geklingelt hat.« Sie kicherte.

Dorian erzählte ihr voller Empörung von den Plänen seines Vaters.

»Ist doch nicht so schlimm«, meinte Lilith. »Im Gegenteil, ich finde es gut, dass dein Vater mal was von der Welt sieht, anstatt sich immer nur in eurem düsteren Schloss zu vergraben.«

»Aber es ist eine Kuppelreise, verstehst du das nicht?«, klagte Dorian. »Papa hat vor, sich zu verlieben – wahrscheinlich in irgendeine hundertjährige Schnalle, die ihm schöne Augen macht, weil sie hinter seinem Geld her ist.«

»Du siehst das zu schwarz, Dorian«, meinte Lilith. »Du weißt doch gar nicht, ob dein Vater wirklich Frauen daten will. Und selbst wenn, na und? Du wirst sicher verhindern können, dass er ins Klo greift.«

»Häh?« Dorian verstand Liliths Logik nicht ganz.

»Willst du deinen Vater denn nicht begleiten, um ein Auge auf ihn zu haben?«, fragte Lilith und kicherte leise. »Ich an deiner Stelle würde ihm die Auswahl nicht allein überlassen.«

Dorian schluckte.

»Und außerdem hast du so die Gelegenheit, ihm die Dates tüchtig zu vermasseln«, plapperte Lilith munter weiter.

Auf Dorians Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. »Du bist unbezahlbar, Lilith!«

»Das stimmt nicht«, sagte Lilith schnell. »Du kannst dich für meinen Rat gerne revanchieren – und zwar, indem du mich mitnimmst! Ich habe noch so wenig von der Welt gesehen! Während du auf deinen Vater aufpasst, gucke ich mir die Städte und Sehenswürdigkeiten an! Außerdem wäre so eine Kreuzfahrt für dich weniger langweilig, wenn ich dabei wäre, stimmt’s?«

Wo sie recht hatte, hatte sie recht.

»Stimmt«, musste Dorian zugeben.

»Dann frag deinen Vater, ob wir mitkommen dürfen«, sagte Lilith. »Aber mach schnell, sonst sind schon alle Plätze weg!«

Fast zur gleichen Zeit fand zwei Meilen weiter eine wichtige Besprechung statt.

Das Schloss, in dem die Akademie der Vampire ihren Sitz hatte, befand sich hoch oben auf einem Felsen. Es sah aus, als würde es auf Wolken schweben.

Als Costin Lupo an das eichene Portal klopfte, war er so nervös, dass seine Baumwollhandschuhe auf der Innenseite feuchte Flecken bekamen.

Er knurrte einen Fluch. Cool sein ging anders.

Wie von Geisterhand bewegt schwangen die beiden Türflügel vor ihm auf. Niemand war zu sehen. Costin betrat die Eingangshalle. An den Wänden brannten Fackeln, und ihr Flackern machte Costin noch nervöser.

»Hallo, ist hier jemand?«, rief er mit belegter Stimme.

Zwei Männer, beide ganz in Schwarz und mit verspiegelten Sonnenbrillen, kamen nebeneinander die breite Marmortreppe herunter. Kein Laut war zu hören. Es schien Costin, als schwebten sie. Nur die besten Geheimagenten beherrschten die hohe Kunst der Lautlosigkeit.

Die Männer kamen einen halben Meter vor Costin zum Stehen. Jetzt erkannte Costin deutlich, dass sie tatsächlich fünf Zentimeter über dem Boden schwebten. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken.

»Costin Lupo?«, fragte der rechte. Seine Stimme hatte den Klang raschelnder Silberdisteln und war zugleich so scharf wie ein japanisches Schwert.

»Genau der bin ich«, rutschte es Costin heraus und bereute gleich darauf seine Worte. Ein knappes »Ja« hätte genügt.

»Sie wissen, warum Sie hier sind?«, wollte der andere wissen, ebenfalls mit einem Zischeln, das an eine Giftviper denken ließ.

Costin fühlte sich unwohl. Die Männer standen viel zu nah bei ihm. Außerdem hatte er keine Ahnung, warum man ihn so plötzlich zur Akademie der Vampire gerufen hatte.

»Sie werden es mir sicher gleich sagen«, entgegnete er und verzog seine Lippen zu einem Lächeln. Sogleich rutschten seine Reißzähne ein Stück heraus. Peinlich!

»Lupo«, sagte der zweite Mann, und sein Säuseln drang in Costins Ohren wie Schlangen, »Sie waren bereit, für die Akademie zu arbeiten. Deswegen werden Sie sich in Kürze auf eine weite Reise begeben. Nicht zu Ihrem eigenen Vergnügen, sondern als Bodyguard für ein Mädchen namens Raphaela del Monte.«

Costin konnte sich nicht erinnern, diesen Namen je gehört zu haben. »Müsste es bei mir klingeln?«, fragte er scherzhaft.

»Lupo!« Die Schlangen schienen sein Trommelfell zu durchbohren. »Lorenzo del Monte ist einer der reichsten und mächtigsten Vampire. Raphaela ist seine Tochter.«

Jetzt machte es bei Costin endlich klick! Natürlich! Lorenzo del Monte, besser bekannt unter dem Spitznamen Money-Monte, sorgte mindestens einmal pro Woche für Schlagzeilen. Er lebte in einer riesigen Villa in Südafrika und pflegte dort einen ausschweifenden Lebensstil. Im Augenblick war er mit einer blutjungen Blondine namens Bella Borg zusammen. »Und was soll ich genau tun?«, fragte Costin neugierig.

»Sie werden nicht von Raphaelas Seite weichen und dafür sorgen, dass sie heil bei ihrem Vater ankommt«, fuhr der Mann mit der Schlangenstimme fort. »Raphaela besucht ein Internat in Europa, aber jetzt wird es Zeit, dass sie zu ihrem Vater zurückkehrt.«

Aha. So ein Babysitter-Job war nicht gerade etwas, wonach sich Costin sehnte. Aber immerhin handelte es sich um die Tochter eines schwerreichen Mannes, und das machte es doch spannend. Lorenzo del Monte besaß mehrere Diamantenminen und hatte damit sein riesiges Vermögen verdient. Man munkelte, dass sich auch einige Diamanten in seinem Besitz befanden, die nicht nur sehr groß waren, sondern auch magische Eigenschaften haben sollten.

»Buchen Sie einen Flug nach Port Louis«, befahl der Mann. »Dort werden Sie Raphaela del Monte treffen und mit ihr auf dem Kreuzfahrtschiff OLD LADY einchecken. Sie haben eine Kabine in ihrer Nähe. Sorgen Sie dafür, dass Raphaela del Monte heil in Kapstadt ankommt, wo ihr Vater sie abholen wird.«

»Warum fliegt sie nicht direkt nach Kapstadt?«, wandte Costin ein. »Das wäre doch viel praktischer und würde auch schneller gehen.«

»Bei der OLD LADY handelt es sich um ein Kreuzfahrtschiff, das speziell auf die Bedürfnisse von Vampiren eingerichtet ist und allerlei Komfort bietet«, erklärte der erste Mann. »Die Fluglinien können da nicht mithalten, obwohl wir daran arbeiten. Ich bin sicher, in einigen Jahren wird es mindestens eine Fluggesellschaft geben, die sich auf Vampire einstellt. – Sie werden hoffentlich nicht seekrank?«

»Nein«, beteuerte Costin und rang sich wieder ein Lächeln ab.

Der zweite Mann zog etwas aus der Innentasche seines Anzugs. »Hier sind Ihre Reisepapiere und Ihr Geld. Wenn Sie Ihren Auftrag erledigt haben, dann fliegen Sie von Kapstadt aus zurück. Es steht Ihnen frei, ob Sie in einem Sarg im Frachtraum reisen oder als normaler Flugpassagier per Nachtflug.«

Costin nahm das Papierbündel entgegen. »Aber wie erkenne ich Raphaela?«

»Registrieren Sie sich bei Vampinstagram, falls Sie es nicht schon getan haben«, erhielt er zur Antwort. »Dort finden Sie genügend Fotos von ihr.«

»Fotos?« Costin zog die Augenbrauen hoch. »Echte Fotos? Warum lässt sie sich fotografieren?«

Vampire besaßen kein Spiegelbild und ließen sich weder filmen noch fotografieren. Obwohl schon lange eifrig geforscht wurde, hatte noch niemand eine Lösung für dieses Handicap gefunden.

»Echte Fotos«, bestätigte der erste Mann mit einem Nicken. Sein Partner nickte synchron mit.

»Aber wie kann das gehen?«, wunderte sich Costin.

»Sie werden es herausfinden und uns mitteilen«, sagte der erste Mann. »Das ist nämlich der zweite Teil Ihres Auftrags.«

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