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Die Geister der Sklaven

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Vagho brach am folgenden Morgen sehr zeitig auf. Er nahm ein kräftiges Frühstück zu sich und ging dann zu Dämonicon. Der schwarze Zauberer schärfte ihm noch einmal ein, wie wichtig für ihn die drei Gorgoden waren. Dann ließ er Vagho zur Stadt Saphira ziehen.

Der Schattenalp stieg vor dem Eingang der Grotte auf seine Flugschale und erreichte schnell eine ordentliche Höhe. In dicke Felle gehüllt, spürte er die Kälte nicht so schnell. Vagho hoffte, dass es bald wärmer würde, wenn er das Drachengebirge erst einmal hinter sich gelassen hatte. Tatsächlich war in der Ebene von Banda der Wind nicht mehr so eisig. Trotzdem musste der Schattenalp in der Nähe eines Baches landen, denn seine Glieder waren völlig steif. Außerdem hatte er Angst, dass er sich nicht mehr lange auf seiner Flugschale halten konnte. Ein Sturz aus großer Höhe wäre sein Tod gewesen.

Nachdem es ihm gelungen war, ein Feuer zu entfachen und ein Stück geräuchertes Fleisch aufzutauen, aß er es hastig auf. Dabei schaute er sich immer wieder um, denn das Heulen eines Wolfes zeigte ihm die Gefahr an, die bereits auf ihn lauerte.

Vagho trank noch einen Schluck aus seiner Kürbisflasche und löschte dann das Feuer. Für den Wolf war dies wohl das Zeichen zum Angriff. Doch Vagho hatte keine Lust, dem grimmigen Tier mit seinem Zauberstab Manieren beizubringen. Er setzte sich auf seine Flugschale, hüllte sich in seine Felle und stieg schnell in eine sichere Höhe auf.

Ohne sich noch einmal umzusehen, flog der Schattenalp davon und der Wolf sah ihm erstaunt hinterher. Der Flug ging weiter zu dem Fluss Brag, der die Ebene von Braganda in zwei Teile spaltete. Um den Flug über das raue Meer zu vermeiden, flog Vagho im weiten Bogen zu der alten Festung Zandum. Er hielt einen großen Abstand zu diesem Ort, damit ihn die Wachen des Königs Core nicht entdecken konnten.

Nach dem der Schattenalp eine zweite Rast in den Wäldern des Tieflandes eingelegt hatte, flog er geradewegs nach Süden. Hinter den Wäldern des Tieflandes empfing ihn ein wohltuend warmer Wind. Vagho streifte seine Felle ab und band sie zu einem Bündel zusammen, das er sich auf den Rücken binden konnte. Dann hielt er nach den Bergen des Silbergebirges Ausschau.

Die Sonne ging jedoch langsam unter und so musste der Schattenalp seine dritte Rast einlegen. Zu seinem Glück fand er in dem weiten und flachen Steppenland, das nördlich des Silbergebirges lag, einen großen Baum. Vagho überlegte nicht lange und kletterte einfach auf einen seiner dicken Äste. Er war nicht sehr bequem, doch er bot genügend Schutz gegen die Wölfe und andere Jäger der Nacht. Mit einem festen Seil konnte sich der Schattenalp so an den Baum binden, dass er im Schlaf nicht herunterfiel.

Die Nacht war jedoch von den Schreien der Eulen und Käuze erfüllt und die Wölfe jaulten so laut, dass Vagho kaum ein Auge zubekam. Immer wieder sah er sich um und seine rechte Hand fuhr mehr als einmal zu seinem Zauberstab. Doch er brauchte ihn nicht aus seinem Gürtel ziehen. Die Tiere griffen ihn nicht an. Als er am nächsten Morgen doch noch ein wenig Schlaf fand, da kamen ihm im Traum die Zentauren entgegen. Sie zerrten an ihren Sklavenhalsbändern und schrien ihn an. Er konnte sie nicht verstehen, doch er sah ihre Waffen. Sie drohten ihm und Vagho wollte immer weiter zurückweichen. Doch er konnte es nicht und er schrie vor Angst auf.

Der Schattenalp erwachte und sah in das Licht der Sonne. Sie war schon längst aufgegangen und Vagho brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass er nur geträumt hatte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und löste das Seil vom Baum. Bevor er herunterkletterte, sah er sich die nähere Umgebung an. Es war weder ein Feind noch ein Tier zu sehen und so schaute der Schattenalp nach Süden. Dort standen in all ihrer majestätischen Schönheit die Berge des Silbergebirges.

Vagho stand auf dem dicken Ast des Baumes, hielt sich an der rauen Borke des Stammes fest und betrachtete für einen Moment diese Berge. Sie waren wirklich so beeindruckend, wie er es schon so oft gehört hatte. Der Schnee, der selbst im Sommer auf den höchsten Gipfeln lag, glänzte im Schein der Sonne wie reines Silber.

Vagho kletterte geschickt vom Baum und suchte sich ein wenig Holz für ein Feuer. Er bereitete sich ein Frühstück vor und aß es dieses Mal in aller Ruhe auf. Nach dem der Schattenalp sich noch einmal umgesehen hatte, holte er seine Flugschale hervor und flog weiter nach Süden.

Die Landschaft veränderte sich schnell und Vagho betrachtete sie mit größter Aufmerksamkeit. Wie immer, wenn er einen gefährlichen Auftrag zu erfüllen hatte, musste er sich auch dieses Mal zu Ruhe zwingen. Der Schattenalp wollte nicht, dass der Reiz des gefährlichen Abenteuers ihm zu Kopf stieg.

Als die Hügel, die am nördlichen Rande des Silbergebirges lagen, immer größer wurden, entdeckte Vagho eine alte Straße. Er folgte ihr eine halbe Stunde, denn er ahnte gleich, dass sie ihn ein gutes Stück zu seinem Ziel führen würde.

Die Berge wurden immer höher und Vagho stieg mit seiner Flugschale immer weiter auf. Doch die Straße, die sich zwischen den Bergen wie ein Band hindurchschlängelte, führte ihn in die Nähe der Stadt Saphira. Immer wieder blockierten große Haufen von Steinen und Geröll diesen alten Weg der Wüstenzwerge. Hier und da war kaum noch etwas zu erkennen, doch als Vagho die erstaunlich gut erhaltenen Türme und die Stadtmauer von Saphira sah, da schlug ihm das Herz bis zum Hals hinauf. In seinen Ohren dröhnte jeder einzelne Schlag.

Eine halbe Meile vor dem großen Stadttor landete der Schattenalp. Er sah sich sogleich die nähere Umgebung an. Die Stadt lag vor ihm auf einer erstaunlich weiten Hochebene. In großem Abstand umsäumten riesige Berge ihre Mauern und das Sonnenlicht konnte die meiste Zeit des Tages auf die löchrigen Dächer der verlassenen Häuser fallen. Nirgendwo stand ein Baum und nur wenige Büsche wuchsen auf dem Boden vor der Stadt. Selbst das Gras war nur spärlich vorhanden. Ein kühler Wind zog von der Stadt zu dem Schattenalp.

Vagho war ein Meisterdieb und er konnte sehr leicht wittern, wenn sich ihm jemand näherte. Er hielt die Nase in den Wind und er bemerkte sofort, dass eine große Gefahr in der Stadt lauerte. Der Geruch war eine unerklärliche Mischung aus Magie und den Tränen der Wut und Verzweiflung.

Hinter einem großen Felsen, der irgendwann von den Bergen ins Tal gestürzt war, versteckte sich der Schattenalp. Er hatte beschlossen, die Dunkelheit der Nacht zu nutzen. Doch das schaurige Schauspiel, das sich ihm im nächsten Augenblick bot, musste er sich ansehen.

Mit einem fürchterlichen Rumpeln und Quietschen öffneten sich langsam die beiden mächtigen Torflügel des Stadttores. Eine Horde Janus-Elfen kam heraus und ihre krächzenden Schreie jagten dem sonst so hart gesottenen Schattenalp einen eiskalten Schauer über den Rücken. Er duckte sich unwillkürlich noch dichter an den Felsen und schien mit ihm verschmelzen zu wollen.

Was er nun sah, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. Die Janus-Elfen sahen in ihren zerlumpten Kleidern schon sehr heruntergekommen aus. Doch die langen Krallen an ihren Händen, die großen Zähne und ihr grimmiger Blick zeigten Vagho, das mit ihnen nicht zu spaßen war.

Auf einer alten Kutsche, die schon längst keine Räder mehr hatte, flog eine unerwartet schöne Frau durch das Tor. Sie hatte drei ihrer hässlichen Dienerinnen davor gespannt und trieb sie mit einer Peitsche unbarmherzig zu Eile an. Die Schreie dieser Dienerinnen ließen Vagho das Blut in den Adern gefrieren. Sie selbst glich eher einer weißen Elfe, ohne die langen Krallen und die großen Zähne. Doch ihre zerrissenen Kleider zeigten dem Schattenalp, dass sie seit langer Zeit die Königin der Janus-Elfen war. Sie musste die sagenhafte Opyhra sein. Von ihr hatte Vagho schon so viele Geschichten gehört, doch er hatte niemals geglaubt, dieser Frau und ihren Dienerinnen zu begegnen.

Langsam flogen die Janus-Elfen an dem Felsen vorbei, hinter dem sich der Schattenalp versteckte. Immer wieder stießen diese Kreaturen ihre Schreie aus, und Vagho wagte es nicht mehr, zu atmen. In ihrer Mitte stand stolz die Königin auf der Kutsche und schwang die Peitsche. Bei jedem Knall, den die Peitsche machte, zuckte der Schattenalp zusammen.

Als sich der schaurige Tross entfernt hatte, kam Vagho langsam hinter dem Felsen hervor. Er atmete tief durch und sah, wie die Janus-Elfen in der Ferne verschwanden. Ein Haufen Gedanken jagte durch seinen Kopf und ihm war klar, dass er sich niemals mit der Königin Opyhra und ihrem Gefolge anlegen durfte. Das wäre sein Ende gewesen und der Schattenalp wollte noch ein Weilchen leben.

Er sah zu dem Stadttor, das sich langsam wieder schloss. Er wusste nicht warum, aber eine Idee schoss durch seinen Kopf und er holte seine Flugschale hervor. Vagho sprang auf und flog auf das Tor zu. Er hätte auch versuchen können, über das Tor zu hinwegfliegen, doch irgendetwas sagte ihm, dass er lieber durch das Tor fliegen sollte. Der Schattenalp schaffte es gerade so, zwischen den beiden hölzernen Torflügeln hindurchzuschlüpfen. Dann schloss sich das Tor und ein riesiger Balken schob sich in zwei eiserne Ringe, die an den beiden Torflügeln angebracht worden waren.

Vagho schaute sich um und versuchte zu wittern, ob sich jemand in seiner Nähe befand. Der Wind strich sanft über den großen Platz, der hinter dem Tor war. Er trieb einen Knäul trockener Grashalme vor sich hin und der Schattenalp konnte wittern, dass er im Augenblick allein in der Stadt war. Er schaute zum Tor und zu der Mauer, die rechts und links vom Tor wegführte. Nun wurde ihm klar, warum er plötzlich die Idee zum Flug durch das Tor hatte. Über der Stadt lag ein magischer Fluch. Wer über die Mauern kam, dem würde etwas Schreckliches widerfahren. Vagho konnte die Magie dieses Fluches wittern. Er kannte diese Elfenmagie nur zu gut. Sie war so alt, wie es die Elfen selbst waren.

Eine Tür, die eben noch weit offen stand, wurde plötzlich vom Wind zugeschlagen. Vagho sah zu ihr und er zog sofort seinen Zauberstab. Doch niemand griff ihn an und er hörte sein Herz in seiner Brust schlagen. Langsam sah er sich um und ging auf ein bestimmtes Haus zu, es war größer als die Häuser, die rechts und links danebenstanden. Vorsichtig ging der Schattenalp die Stufen hoch, die zum großen Portal des Hauses führten. Er versuchte, die Tür zu öffnen, doch sie war fest verschlossen. Vagho trat einen Schritt zurück und schaute nach oben. Über der Tür war eine Reihe Fenster, die alle mit hölzernen Fensterläden verschlossen waren.

Der Schattenalp holte seine Flugschale hervor und umkreiste langsam mit ihr das Haus. Es musste einst einem reichen und mächtigen Wüstenzwerg gehört haben, denn es war noch immer prächtig anzuschauen. Im Dach zeigte sich ein großes Loch, durch das Vagho mit Leichtigkeit eindringen konnte. Er landete auf dem Dachboden und sah sich um. Der Staub von Jahrhunderten lag dick auf den Dielen und er überdeckte auch eine Menge Kisten und Truhen. Überall lagen zerrissene Säcke und zerbrochene Krüge herum. Das war ein sicheres Zeichen, dass hier jemand etwas gesucht hatte.

Vagho öffnete die einzige Tür, die er fand. Ein hässliches Quietschen war zu hören und er zog wieder seinen Zauberstab. Mit ihm konnte er die nähere Umgebung gut erhellen. Hinter der Tür war eine Treppe, die in das Stockwerk unter dem Dachboden führte. Vorsichtig schlich der Schattenalp diese Treppe hinunter. Dann sah er sich in dem Stockwerk um. Er befand sich nun in einem geräumigen Flur. Vier Türen und eine weitere Treppe waren im Lichtschein des Zauberstabs zu erkennen.

Vagho öffnete die erste Tür und sah in das Zimmer hinein. Er fand ein Schlafgemach vor, so wie es sich nur wohlhabende Kaufleute leisten konnten. Die Verzierungen an den Schränken und an dem großen Bett, das in der Mitte des Raumes stand, zeigten deutlich den einstigen Reichtum eines Kaufmanns. Der Schattenalp verließ das Gemach und sah in das zweite Zimmer hinein. Das war für ihn schon viel interessanter, denn er hatte das Arbeitszimmer des Kaufmanns gefunden. In der Mitte dieses Zimmers stand ein mit Pergamenten überhäufter Tisch. Daneben lag ein umgestoßener Stuhl. Noch immer war an dem abgeschabten Lederpolster gut zu erkennen, dass hier ein Zwerg viel Zeit mit seinen Briefen und Rechnungen verbracht hatte. Er musste viele Tage und Nächte an diesem Tisch gearbeitet haben.

An der Wand, rechts neben dem Tisch befand sich eine große eingerahmte Karte der Stadt und der näheren Umgebung. Sie war vergilbt und hatte einige Löcher von den Holzwürmern, die sich überall durch die Balken und die Möbel fraßen. Doch es war noch gut zu erkennen, wo sich der einstige Sitz des Königs befand. Deutlich war auf der Karte das Abbild einer Burg zu sehen, die auf einem Felsen stand. Darunter war ein Tor eingezeichnet und daneben stand etwas geschrieben. Vagho sah sich die Schrift genauer an und las sie sich vor. »Das Bergwerk von Saphira ist unser heiligster Besitz. Es befindet sich unter dem Thron unseres geliebten Königs. Lang möge er leben, sodass wir ihm dienen können.«

Der Schattenalp lächelte vor sich hin. Bestimmt gab es da noch etwas für ihn, das sich lohnen würde. Er drehte sich zum Tisch um und sah sich die Pergamente an, die auf ihm lagen. Bei all dem Durcheinander war ihm sofort klar, dass auch hier schon jemand vor ihm nach etwas bestimmten gesucht hatte. Die meisten Schriften erwiesen sich als Rechnungen und Bestellungen. Langweilige Briefe und Berichte waren auch dabei und Vagho verlor bei der Durchsicht der Pergamente schnell das Interesse. Doch ein Brief erregte seine Aufmerksamkeit. Er war nicht in der üblichen Schriftform verfasst und las sich eher wie eine flüchtige Notiz.

Leise flüsterte der Schattenalp die Worte vor sich hin, die auf dem Brief standen. »Mein Freund Anzel. Ich habe ihn versteckt und man kann ihn nicht so leicht finden. Er ist in unserem geheiligten Bergwerk. Er wird bewacht und sie ruhen nie – die Wachen, die ich rief. Wir werden wiederkommen und nur wir können ihn nehmen. Nur mit ihm kann man die Truhe öffnen. Wir werden die Kreaturen beherrschen und ihre Kraft wird unsere Feinde zerschmettern. Ich versichere Dir, mein Freund, wir werden dann über unsere Feinde herrschen. Dein Freund Saltar.«

Obwohl das Wort ‚Schlüssel‘ in diesem Brief nicht stand, konnte sich Vagho denken, dass nur so etwas gemeint sein konnte. Ihm war auch sofort klar, dass er in diesem Bergwerk den Schlüssel finden musste, wenn er die Gorgoden haben wollte.

Der Schattenalp sah sich ein wenig um, doch es gab nichts Wichtiges zu entdecken. Er wollte das Zimmer schon wieder verlassen, da fiel sein Blick auf ein Buch. Es lag unter dem Tisch und war völlig verstaubt. Vorsichtig hob Vagho das Buch vom Boden auf und legte es auf den Tisch. Dann schlug er es auf und las die erste Seite durch. Er hatte das Tagebuch des Kaufmanns Anzel gefunden. Die meisten Eintragungen, die darin standen, waren für den Schattenalp nicht weiter wichtig. In seinem Tagebuch beschrieb Anzel, wie er seine Geschäfte erledigte und seine Kunden belieferte. Einige von ihnen musste dieser Anzel ordentlich über den Tisch gezogen haben, denn er verlieh auch Geld zu erstaunlich hohen Zinsen. Die letzten Seiten waren jedoch sehr interessant. Anzel beschrieb, wie er sich mit dem Magier Saltar verbündete. Sie hatten die Absicht gehabt, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen und das alte Königtum wieder aufzubauen.

Vagho las sich die letzte Seite leise vor. »Saltar hat also den Schlüssel in unserem heiligen Bergwerk versteckt. Die Sklaven, die ich gekauft habe, sind alle an diesem Ort umgekommen. Wie hat dieser Magier das nur geschafft? Jetzt tanzen ihre Seelen als Geister durch unser Heiligtum und bewachen den größten Schatz, den wir je besaßen. Nur dieser Magier und ich, wir beide wissen, wie man sich den Schlüssel holen kann. Es war nur ein Zufall, dass wir die wahre Bedeutung der Gorgoden erkannten. Jedoch wird es kein Zufall sein, wenn wir sie einsetzen. Saltar weiß, wie man sie beschwört, diese drei wunderbaren Bestien. Ich hoffe nur, das mein neuer Trick mit der Tinte …«

Vagho sah sich das letzte Wort erstaunt an und rieb sich mit der linken Hand das Kinn. Mit der rechten Hand hielt er immer noch seinen Zauberstab und beleuchtete mit ihm die Seiten des Buches. Die Gedanken rasten durch seinen Kopf und er versuchte, sie zu ordnen. Irgendetwas oder irgendjemand hatte den Kaufmann am Weiterschreiben gehindert. Auf dem unteren Teil der letzten Seite war ein Fleck. Die vielen Jahre hatten ihn dunkel werden lassen, doch der Schattenalp konnte sich denken, dass es Blut war. Jemand musste Anzel mit Gewalt gehindert haben. Doch was für einen Trick hatte er mit der Tinte angestellt?

Vagho sah sich das Buch genauer an und prüfte mit seinem Zauberstab die leeren Seiten des Tagebuchs. Auf der letzten Seite zeichnete sich tatsächlich im Schein des Zauberstabs eine Karte des Bergwerks ab. Am Rand dieser Karte standen einige Worte. Der Schattenalp flüsterte sie sich mit einem hässlichen Grinsen zu. »Die Sklaven erbauten den Altar im Bergwerk. Verneige dich vor dem Schöpfer und du findest den Schlüssel.«

Ein Geräusch ließ Vagho in die Höhe fahren. Hastig riss er die letzte Seite aus dem Buch und das Licht seines Zauberstabs verschwand. Ihm war sofort klar, dass er nicht mehr allein war. Ein leises Rauschen zog an der Tür des Arbeitszimmers vorbei und der Schattenalp konnte deutlich den Geruch einer Janus-Elfe wahrnehmen. Langsam entfernte sie sich wieder und Vagho atmete erleichtert auf. Er wusste nicht, ob er einen Kampf gegen eine einzige dieser Kreaturen überhaupt gewinnen konnte und er wollte es auch nicht herausfinden. Doch er würde sich mit allen Kräften wehren, wenn er angegriffen würde.

Die Ruhe kehrte zurück und Vagho öffnete leise die Tür. Auf dem Flur war es so finster, dass er kaum etwas erkennen konnte. Der Geruch der Janus-Elfe lag immer noch in der Luft und der Schattenalp tastete sich zur Treppe hin. Als er auf dem Dachboden ankam, holte er seine Flugschale heraus und sah zu dem Loch im Dach, durch das er in das Haus gekommen war. Ihm fiel der Fluch ein, der die Mauern von Saphira umgab und ihn hindern würde, die Stadt mit der Flugschale zu verlassen. Er musste wieder durch das Tor kommen, oder einen anderen Weg finden. Doch vorher musste er seine Aufgabe erledigen.

Der Tag neigte sich dem Ende entgegen und die langen Schatten der Berge fielen auf die ersten Häuser von Saphira. Vorsichtig flog Vagho durch das Loch im Dach. Er landete hinter dem Haus, zwischen einem Haufen alter Fässer. Die Luft war auch hier mit dem Geruch der Janus-Elfen erfüllt. Doch es war keine von ihnen zu sehen oder zu hören. Leise schlich der Schattenalp von den Fässern weg. Er musste einen Weg in das Bergwerk finden.

Jede Deckung nutzend, schlich Vagho vorsichtig zur Burg. Überall lagen alte Möbel herum, die jemand vor langer Zeit auf die Straße geworfen hatte. Ab und zu bot ein Fass oder eine Kiste dem Schattenalp Schutz vor Entdeckung, denn die Janus-Elfen schwebten immer wieder an ihm vorbei. Wie lange Schleier zogen sie dabei ihre Kleider über den Erdboden. Zu seinem Glück entdeckte ihn keine dieser Kreaturen.

Vagho kam unbehelligt zu den Häusern, die dem Felsen am nächsten waren, auf dem die Burg stand. Am Fuße dieses Felsens hatten die Zwerge einst ein tiefes Loch hineingetrieben. Wenn die Karte aus dem Tagebuch des Kaufmanns Anzel stimmte, so musste dieses Loch der Eingang zum Bergwerk sein. In der Burg, die von den Wüstenzwergen auf dem Felsen gebaut worden war, musste die Truhe stehen. In ihr waren die Gorgoden, die Dämonicon so dringend brauchte.

Bei all seinen Gedanken vergaß der Schattenalp nicht, den Eingang zu beobachten. Ihm fiel auf, dass die Janus-Elfen sich plötzlich zurückzogen. Was hatte das zu bedeuten? Warum wollten diese Wesen plötzlich das Bergwerk nicht mehr bewachen? Vagho sah zwischen zwei Kisten immer wieder zu dem Eingang und wartete geduldig ab.

Die Nacht brach schnell herein und in der Dunkelheit war für einen Moment nichts zu sehen. Doch dann geschah etwas, was den Plänen des Schattenalps schaden konnte. Zuerst sah er nur ein schwaches Leuchten. Doch dann flogen langsam zwei Kreaturen auf und ab, die Vagho als Geister bezeichnen konnte. Ihre Statur ähnelte den großen und kräftigen Bergtrollen.

Vagho wusste aus den Erzählungen der Tieflandzwerge, dass auch sie diese Bergtrolle früher als Sklaven gehalten hatten. Die Wüstenzwerge hatten sie also in dem Bergwerk von Saphira zur Arbeit gezwungen. Es erschien ihm logisch, dass der Magier Saltar sie dann irgendwie umgebracht hatte, damit sie ihm als Geister dienten und das Bergwerk bewachten. Sicherlich war die Magie von Saltar sehr schwer zu brechen. Aber was wäre Vagho für ein Schattenalp, wenn er es nicht probieren würde? Und er musste es probieren, denn er hatte schon längst keine Wahl mehr.

Langsam zog er seinen Zauberstab aus seinem Gürtel und seine Augen verfolgten jede Bewegung der beiden Geister, die vor dem Bergwerk Wache hielten. Er wollte sie gerade mit einem Trick ablenken, um unbemerkt den Eingang zu erreichen, da zuckte ein Blitz durch den nächtlichen Himmel. Für einen kurzen Augenblick war die Umgebung vor dem Eingang taghell erleuchtet. Doch außer den beiden Geistern war niemand zu sehen. Wieder zuckte ein Blitz zum Himmel und Vagho duckte sich hinter den Kisten. Als er wieder zum Eingang sah, zogen sich die beiden Geister gerade in das Bergwerk zurück und das schaurige Lachen der Janus-Elfen war zu hören.

Der Schattenalp zögerte nicht länger und sprang hinter den beiden Kisten hervor. Er rannte zum Eingang des Bergwerks und sah hinein. Ein dritter Blitz folgte und Vagho stand plötzlich mitten im Licht. Er huschte schnell in die Dunkelheit des Bergwerkes und drückte sich an die nächste Wand. Da er nun im Schatten stand, konnten ihn die Geister nicht sofort sehen. Ein gutes Dutzend zog an dem Schattenalp vorbei, ohne den Eindringling zu bemerken. Ihre Aufmerksamkeit galt nur den Blitzen, die weiter durch die Nacht zuckten.

Vagho verstand nicht, was sich die Geister zuraunten. Doch sie versammelten sich alle kurz vor dem Eingang und ihre Stimmen klangen wie das Brummen eines wild gewordenen Bienenschwarms. Das nutze der Schattenalp aus, denn er konnte sich nun ungestört ein wenig umsehen.

Der lange Stollen, den die Zwerge einst als Eingang schräg nach unten in den Felsen getrieben hatten, endete in einer größeren Höhle. Hier hatten sie offenbar früher ihre Gerätschaften gelagert. Ein Dutzend zerbrochene Kisten und einige rostige Werkzeuge lagen noch herum.

Vagho holte die Karte hervor und betrachtete sie. Er brauchte seinen Zauberstab nicht, um sie zu beleuchten. Die Wüstenzwerge, die vor langer Zeit dieses Bergwerk angelegt hatten, kannten sich in magischen Dingen gut aus. Sie wussten, wie man an dunklen Orten dauerhaft Licht machte. Überall glänzten Kristalle an den Wänden und gaben der Höhle ein seltsam trübes Licht. Das reichte dem Schattenalp zur Orientierung.

Auf der Karte war deutlich ein weiterer Stollen zu sehen. Der führte in das Innere des Bergwerkes. Das Versteck des Schlüssels war jedoch nicht eingetragen worden. Vagho musste über alte Holzbalken, Kisten und rostiges Werkzeug klettern, um zu dem nächsten Stollen zu gelangen. Er war recht lang und führte schräg nach unten zu einer weiteren Höhle. Von hier aus führten drei Stollen ab.

Ein Schlüssel war nirgendwo zu entdecken, dafür lagen hier überall die Knochen der Bergtrolle herum. Der Schattenalp stolperte über einen ihrer Schädel. Ärgerlich stieß er ihn mit dem Fuß zur Seite, ohne zu bedenken, dass er damit die Geister rief. Er wusste nicht, was sie alles anstellen konnten. Doch als er ihr wütendes Geheule hörte, da war ihm klar, dass er soeben eine Dummheit begangen hatte. Ohne weiter zu überlegen rannte er in den ersten Stollen hinein und versuchte ein Versteck zu finden.

Das Heulen der Geister blieb ihm jedoch in den Ohren. Der Stollen endete in einer unerwartet großen Höhle. Sie war beinah so groß, wie die Grotte, die Dämonicon als Behausung nutzte. An der gegenüberliegenden Wand stürzte ein Wasserfall in ein senkrecht nach unten führendes Loch. Wie ein feiner Nebelschleier hingen die Wassertröpfchen in der Luft. Sie legten sich langsam auf alles, was sich in der näheren Umgebung des Wasserfalles befand.

Vagho sah sich um, doch er konnte kein Versteck entdecken. Mit dem Zauberstab in seiner rechten Hand blieb er in der Mitte der Höhle stehen und erwartete die Geister. Die ließen nicht lange auf sich warten. Mit ohrenbetäubendem Geheule kamen sie alle aus dem Stollen heraus und umkreisten den Schattenalp. Doch sie griffen ihn nicht an, denn der Zauberstab ihres unerwarteten Besuchers hatte eine starke magische Kraft. Sie konnten diese Kraft spüren und sie sahen in Vaghos Gesicht die Entschlossenheit zum Kampf.

Immer langsamer wurde der Flug der Geister. Einer nach dem anderen blieb schließlich vor Vagho stehen. Der Letzte von ihnen, der mit den Umkreisen des Schattenalps nicht aufhören wollte, wurde etwas unsanft von einem besonders großen Geist mit einer Handbewegung aus seiner Flugbahn katapultiert. Er landete mit einem fürchterlichen Geschrei im Wasserfall. Das schien ihn nicht weiter zu stören, denn er wuchs sogleich neben dem großen Geist aus dem Boden.

Vagho erkannte sogleich die neue Situation und er zog mit seinem Zauberstab einen Schutzbann um sich. Wie ein glühender Kreis aus feuriger Lava umgab ihn dieser Bann. Er konnte den ersten Angriff der Geister abhalten, bevor er zusammenbrach. Doch die Geister griffen nicht an. Ihr Anführer kam bis zu dem Schutzbann heran und betrachtete den Schattenalp.

Mit verschränkten Armen stand Vagho da und ein spöttisches Lächeln lag auf seinen Lippen. Offenbar hatte er die Geister beeindruckt. Der Anführer sah ihn an und schüttelte den Kopf. Dann sprach er mit einer unerwartet tiefen Stimme, die durch das ganze Bergwerk widerhallte. »Du bist der erste Schatzjäger, der bis zu uns durchgekommen ist. Jeder andere Narr, der vor dir in die Stadt gekommen ist, wurde von den Janus-Elfen vernichtet. Sie haben ihre Feinde zum Fressen gern, doch wie ich sehe, ist an dir nicht viel dran. Nur dein Zauberstab ist für uns eine Gefahr, du selbst bist nur ein schmächtiger dunkler Elf. Ein Krieger bist du nicht, das sehe ich dir an.«

Vagho drehte seinen Zauberstab in seiner Hand hin und her. Dabei sah er den Geist mit seinem spöttischem Lächeln von unten nach oben an. »Größe und Kraft sind nicht die stärksten Waffen eines Kriegers«, sprach er zu dem Geist. »Oft sind List und Strategie wichtiger als starke Muskeln. Mein Zauberstab ist stärker als die meisten Schwerter der Menschen und Elfen. Hätte ich nur ein einfaches Schwert in der Hand, so wäre ich schon längst tot. Doch ich will noch nicht sterben, denn ich lebe gern in dieser Welt. Was muss ich also tun, damit ich nicht gegen euch kämpfen muss und trotzdem an mein Ziel komme?«

Der Anführer der Geister sah ihn verwundert an. Obwohl seine Gestalt nur aus der magischen Energie seiner Seele mit Licht gespeist wurde, konnte der Schattenalp genau seine Gesichtszüge erkennen. »Ich bin Turlog, der Anführer von all den Geistern, die du hier in diesem verfluchten Bergwerk siehst. Wir waren einst stolze Bergtrolle, die in diesem Gebirge allein lebten. Als die Zwerge kamen, da vertrieben sie uns von unseren heiligen Plätzen. Wir führten zuletzt einen erbarmungslosen Krieg, den wir verloren. Die Wüstenzwerge hatten mächtige Zauberer und ihre Heerführer hatten viel mehr Erfahrung als wir. Ich war der letzte Häuptling, der sich gewehrt hatte. Zur Strafe wurden wir versklavt und in dieses Bergwerk gesperrt. Wir sollten die edlen Steine und Kristalle finden.«

Vagho trat näher an Turlog heran. »Und warum seid ihr hier als Geister an diesem Ort gebunden? Ihr Trolle habt doch ein Seelenreich, wo ihr nach eurem Tod hinübergeht. Was hindert euch daran?«

Der Häuptling wirkte auf einmal recht niedergeschlagen. Er ließ seinen Kopf hängen und zeigte zu einer Ecke, in der ein alter Kupferkessel stand. »Jeden Morgen und jeden Abend bekamen wir in diesem Gefäß unser Essen. Meistens war es nur eine dünne Suppe. Sie gaben uns hartes Brot dazu und trieben uns mit ihren Peitschen zur Arbeit an. Doch eines Tages war alles anders. Einer ihrer Magier kam zu uns und brachte uns Fleisch und Wein mit. In unserem Kessel war plötzlich Schweinefleisch mit dicker Suppe und das Brot war frisch und zart. Der Wein schmeckte köstlich und wir dachten schon, dass die Wüstenzwerge sich besonnen hätten und es nun gut mit uns meinten. Doch es war nur eine neue List. Das Fleisch war vergiftet worden und der Wein hatte eine unerwartet magische Wirkung bei uns Bergtrollen. Wir versuchten zu entkommen und schlugen die Aufseher tot. Doch wir konnten dem Gift nichts entgegensetzen und wir starben nach drei Stunden Kampf. Unsere Seelen konnten diesen verfluchten Ort nicht verlassen und der Magier kam wieder zu uns. Er brachte uns einen Schlüssel und erklärte uns, dass wir als Geister an diesen Ort gebunden wären und nun für alle Zeiten eine andere Aufgabe hätten. Wir sollten den Schlüssel bewachen und jeden töten, der lebend in dieses Bergwerk kommt. Wir können uns nicht lange gegen den Befehl dieses Magiers wehren, doch solange du in deinem feurigen Schutzbann bleibst, werden wir dich nicht angreifen. Erst wenn die zwölfte Stunde kommt, müssen wir über dich herfallen und dir das Leben nehmen. Dein Zauberstab wird uns nicht lange aufhalten, denn die Magie des Zwergenmagiers Saltar ist einfach zu groß.«

Vagho nickte, denn er konnte sich denken, dass die Geister lieber in ihr Seelenreich gezogen wären, als mit ihm zu kämpfen. »Was kann ich für euch tun?«, fragte er den Häuptling Turlog. »Wenn ich euch helfen kann, dann sagt es mir. Eure Freunde und eure Familien erwarten euch doch schon längst im Seelenreich der Trolle. Und ich bin mir sicher, dass ihr alle dort hin wollt.«

Turlog nickte und zeigte wieder zu dem Kupferkessel. »Wenn die zwölfte Stunde kommt, so wird sich dieser Kessel mit kochender Suppe füllen und das gibt uns die Kraft, die wir zum Kampf brauchen. Sobald wir die magische Suppe gegessen haben, werden wir dich vernichten. Ist der Kessel leer, so liegt nur noch der Schlüssel in ihm. Wer ihn nimmt und weiß, wo er nach den wirklichen Schätzen von Saphira suchen muss, der kann sehr mächtig werden. Doch alle Macht hat ihren Preis und auch du, mein kleiner dunkler Elf, wirst diesen Preis zahlen müssen. Sprich noch ein letztes Gebet und verneige dich vor dem Wasserfall, den die Wüstenzwerge einst vor langer Zeit den Altar des Schöpfers nannten. Er war ihnen heilig.«

Soldatis und der König der Schattenalp: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 5)

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