Читать книгу Aphrodite Schatzsucherin - Jose DeChamp - Страница 9

Kapitel 4

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Drei Mädchen zelten am Strand zwischen knorrigen, windgeduckten Bäumen und Zsófia kommt mit ihnen ins Gespräch. Zsófia hat in diesem Jahr ihren siebenundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Nun, mit den drei Achtzehnjährigen, die so frei und unbeschwert wirken, fühlt sie sich alt.

Die drei sind zusammen aufgewachsen, haben gerade ihre Schule beendet und sind hungrig auf das Erwachsensein. Nach diesem Urlaub würden sich ihre Leben verändern. Eine würde Musik studieren, die andere eine klassische Ausbildung als Sängerin beginnen, die dritte eine Banklehre anfangen.

"Ich bin Musikerin", Zsófia sagt es, doch tief in ihr schreit alles ‘Lüge! Lüge!’ Sie ist keine Musikerin mehr. Ihr Beruf verschlingt ihre Zeit, verschlingt Zsófia. Wenn sie auf Musik-Konzerte geht, fühlt sie ein hässlich, nagendes Gefühl des Neides, weil sie die Hoffnung mehr aus ihrem Können zu machen, aufgegeben hat. 'Brotlose Kunst' hatte ihre verstorbene Mutter es genannt, “Wer hoch hinaus will, fällt tief hinunter.” Seltsam, wenn immer sie an ihre Mutter denkt, fallen ihr alte Sprichwörter ein. “Zeige mir deine Freunde und ich sage dir wer du bist. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.”

Die Mädchen erzählen ihr ihre Geschichten. Drei Freundinnen, die zusammenhalten, zusammen lachen und weinen. Sie fühlt sich in der Runde fehl am Platze. Aber werden nicht auch die drei einander verlieren? Dies ist vielleicht ihr letzter gemeinsamer Urlaub, bevor es jede von ihnen in verschiedene Richtungen verschlagen wird. Der Gedanke stimmt Zsófia traurig.

Das alles im Fluss der Veränderung ist - im grossen Leben-Sterben-Leben-Zyklus, eben damit Menschen sich erinnern und wachsen können - hat Zsófia vergessen.

Aphrodite könnte es ihr erklären, aber noch schweigt sie dazu.

Das Lachen wird schwer, wenn man es tief innen nicht fühlt. Als die drei Mädchen die Insel verlassen, um mehr zu entdecken, geht mit ihnen die Unbeschwertheit. Es ist besser, wieder allein zu sein und nicht mehr lachen zu müssen, sagt sich Zsófia. Und doch hat die Fröhlichkeit der Mädchen etwas in ihr geweckt. Zsófia schnürt leichtes Handgepäck, gibt ihren Bus in die Obhut von Alexis Zorbas und steigt erneut auf die weisse 'Theés Várka'. Sie ist neugierig geworden, will die gleichförmigen Tage durchbrechen, irgendwo absteigen. Auf Deck schaut sie auf die erste sich nähernde Insel. Wollten hier nicht die drei Mädchen landen? Sie weiss nicht recht warum, diese Insel gefällt ihr nicht und so wartet sie auf die nächste. Schlendert schliesslich die schmale Strasse des Hafens entlang.

Wie auf allen kleinen Inseln des Mittelmeeres, die den Reisezirkus verschlafen haben, spielt sich auf dieser Strasse das ganze Leben ab. Hier reihen sich Tavernas mit wackligen Holztischen im Freien an kleine Bäckereien mit frischen Brotlaiben, an Krambuden und armselige Lebensmittelläden mit grossen Kühltruhen für Wasser in Plastikflaschen. Darin eingereiht eine kleine orthodoxe Kirche - von aussen ein weiss verputztes Haus wie alle anderen, nur die bunten Fenster und die immer brennende Kerze dahinter verraten seine Bedeutung.

Zsófia findet ein Zimmer und geht gleich darauf an den Strand. Es ist ungewöhnlich windig und sie hängt fröstelnd ihren Gedanken nach. Der Wind trägt Mädchenstimmen herüber. Unverkennbar, das sind die drei. Zwischen den Felsen am Stand. Soll sie zu ihnen gehen? Wird sie stören? Zaghaft geht sie auf die Stelle zu und ist überrascht über die Freude, die sie auslöst.

"Unsere letzte Reisestation war eine Katastrophe. Kein Platz zum Zelten. Wir hatten riesig viel Wind und Clara wurde krank. Aber hier ist es gut. Wir haben einen Job in der Bar und alle Getränke frei." Die schöne Elisabet schlingt anmutig ein wehendes blaues Tuch um ihr Haar. Goldenes Engelshaar, das ein ebenmässiges Mädchengesicht umrahmt. Ihre Augen sind türkis, wie das Meer der Hellenen. Gebannt sieht Zsófia sie an. Neben der hellen Süsse der jungen Frau kommt sie sich schwer und reizlos vor. Fahrig streicht sie ihr widerspenstiges Haar aus dem schweissnassen Gesicht.

"Wir haben hier tolle Leute kennengelernt. Künstler aus Athen. Georgos wird dir gefallen. Spielt in der Rockband Socrates und seine Familie hat ein Haus hier auf der Insel.”

Zsófia schüttelt den Kopf, “sagt mir nichts.”

“Socrates ist eine bekannte Rockband in Griechenland." Clara’s Augen leuchten vor Begeisterung. "Georgos ist der Frontmann. Er ist wunderbar. Wenn du ihn siehst, weisst du, was wir meinen."

Zsófia hebt abwehrend die Hände. Die Schwärmerei für den Sänger befremdet sie. Zögernd erzählt sie von ihrem Leben zuhause, von ihrem Partner und von seinen Geschichten mit anderen Frauen. Aber da ist mehr. Mehr als sie sagen will. Mehr, als sie sich selbst eingestehen will.

"Ich würde ihm nicht glauben. Der geht bestimmt fremd, jetzt, wo du fort bist.", kommentiert Katharina. Schlanke Gestalt, weisse Haut, Mädchengesicht; all das passt nicht zu ihrer abgeklärten Rede. Die jungen Mädchen scheinen soviel vom Leben zu wissen. Zsófia weiss, dass ihr etwas fehlt, aber sie weiss nicht, was es ist.

Die Sonne ist untergegangen, als sie zur Bar hinüber wandern. Der einzigen, die es an diesem Hafen gibt. Der Bar auf der Insel, auf der sich die Menschen zumeist wenig zu sagen haben.

Es ist Abend, die Inselbesucher essen und feiern in den Freiluft-Restaurants am Hafen ihre Ferien. Kleine bunte Lichterketten werfen ihren Schein auf die nun ungewöhnlich stille See.

Zsófia sitzt auf der Veranda der windschiefen Hafenbar, nippt an einem Getränk und grübelt darüber nach, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Ihr Blick gleitet auf das in der Dunkelheit glänzende Meer, zurück zu dem im Mondlicht gräulich schimmernden Sandstrand. Ihr Blick verhält an der schwarzen Silhouette einer einsam stehenden Gestalt. Als sich ihre Augen auf das Dunkel eingestellt haben, vermag sie Einzelheiten auszumachen. Ein grosser, schlanker Mann mit blossem Oberkörper und schulterlangem Haar. Mit dem Rücken zu ihr. Bewegungslos steht er da und Zsófia kann nicht aufhören, auf seine Silhouette zu schauen. Sie starrt in die Dunkelheit auf den Mann und eine seltsame Empfindung steigt in ihr auf.

Ein ungeheurer Schmerz in der Brust, aber gleichzeitig fühlt sie sich davon erhellt, so wach, als würde jede Zelle ihres Körpers gleichgeschaltet in diesem einzigen, instinktiven Gefühl.

Sie hört die Stimmen der drei Mädchen, antwortet mechanisch, wo sie gefragt wird und ist doch wie hypnotisiert von dem allein stehenden Mann. Als er fortgeht, ist sie unsagbar enttäuscht.

Sie betrachtet die Gäste an den Nachbartischen. Lachende Frauen und Männer, gelangweilte Frauen und Männer. Eine durch die Tischreihen tanzende Kellnerin mit Plateau Absätzen, wehender Hose und bauchfreiem Oberteil. Sie lächelt ein geheimnisvolles Lächeln, findet Zsófia.

"Voll mit Drogen", kommentiert Katharina.

Da kommt der Mann zurück. Er hat sich umgezogen. Zsófia bemerkt seinen leichten Gang, sieht, dass er seine Schultern etwas einzieht und seinen Kopf gesenkt hält, so als wolle er nicht seine ganze Grösse zeigen. Die Lässigkeit mit der er die gewellten Haare zurückstreicht, wirkt, als wisse er, dass er auffällig ist und als sei es ihm nicht wichtig. Die Selbstverständlichkeit schöner Menschen, denkt Zsófia und streicht über ihre geschwungene Nase. Eine herbe Schöne, so wird sie beschrieben. Herb hat sie sich stets gefühlt. Herb und hölzern. Schön dagegen nie.

Nun sieht sie zum ersten Mal sein Gesicht. Das er so einnehmend aussieht, ist ein Schock für sie. Der Mann geht durch die Tischreihen direkt auf sie zu. Ihr Herz schlägt heftig und sie sieht nach unten, damit er nicht die Bewunderung in ihren Augen lesen kann.

"Sein Name ist Georgos", sagt Elisabet halblaut. "Ein aussergewöhnlicher Mann, nicht wahr?"

Zsófia kann nicht antworten und nickt nur ohne Elisabet anzusehen. Als Georgos zu sprechen beginnt, verliebt sie sich in seine Stimme. Ein wenig träge, wohltönend und etwas rau. Sie wagt einen scheuen Blick in seine dunklen Augen und entdeckt eine Andeutung von Melancholie darin. Als er sie flüchtig anlächelt, errötet sie.

Dann wendet sich Georgos zu Elisabet und Katharina und so kann sie ihn ansehen. Fühlt er es auch? Er muss es fühlen.

Um sich abzulenken - um irgend etwas zu tun, was den inneren Aufruhr beruhigen könnte, nimmt sie Claras Hand und beginnt, die Linien darin zu deuten - etwas, was ihr ein rumänischer Freund gezeigt hatte. Doch nun sind die anderen um sie.

Georgos sieht ihr in die Augen - ihr Herz beginnt in der Brust zu springen - und sagt mit einem spöttischen Lächeln, das er Handlesen für Humbug halte. Mit Anstrengung erwidert Zsófia seinen Blick und sagt, dass es eine Wissenschaft sei.

"Bist du eine Wahrsagerin?", Georgos lächelt sie freundlich an.

Sie schaut in wohlwollende, dunkle Augen in einem Freibeuter-Gesicht. Erstes Grau in langen Haaren. Sie verspürt den Drang, über die knochigen Wangen des Mannes zu streichen, die ungebändigte Haarmähne zu berühren. Verlegen senkt sie den Blick und bleibt an seinen langfingrigen, gebräunten Händen hängen. Schöne Hände.

"Und du? Bist du ein Schatzsucher?"

Georgos lacht milde, schaut sie zum ersten Mal wirklich an. Tastet mit seinen Augen über Zsófias olivfarbenes Gesicht, ihre traurig schauenden, grauen Augen. Dichte schwarze, geschwungene Brauen, die beinahe zusammen wachsen. Eine kräftige, romanische Nase. Volle Rosenblätter Lippen. Krauses schwarzes Haar von einer Hornklammer zusammen gehalten. Er bemerkt, dass sie ihren Körper unter Kleiderschichten zu verbergen sucht. Eine kleine Frau. Weibliche Hüften, schlanke Fesseln und gute Hände klagend gen Himmel gerichtet. Wie eine der Frauen italienischer Schwarz-Weiss-Filme. Eine Anna Magnani, die nicht weiss, wer sie ist und darauf wartet von einem Filmhelden wachgeküsst zu werden.

Georgos widersteht dem Drang ihre Hand zu streicheln. Er kann fühlen, dass sie Schmerzen in sich trägt, und das ist wie ein Widerhall von etwas in ihm selbst. Er fühlt sich zu ihr hingezogen und so stösst er sich innerlich von ihr ab. Er kann und will für niemanden da sein. Er ist nicht gut damit und er will es auch nicht sein.

Langsam nickt er ihr zu: “Schatzsucher erkennen einander, aber sie müssen alleine bleiben.”

Zsófia senkt ihren Blick. Sie will nicht hören, was er sagt.

Später geht Zsófia mit den Mädchen und Georgos den Strand entlang. Die Schuhe versinken im feuchten Sand und die Musik einer Tanzbar kommt in Wellen herüber. Als sie sie erreichen, erscheint der Platz Zsófia wie aus einem Film. Von Vollmond erhellt, von Wellen des Meeres umarmt. Tische in den Sand gestellt. Eine Hütte mit einem Strohdach, im schummrig, dunklen Inneren eine schmale Tanzfläche, eine roh zusammengezimmerte Bar und ein direkter Zugang zum Meer. Auf einer Holzbank an der Hauswand sitzen Liebespaare und lassen ihre Füsse ins Wasser baumeln. Georgos steht mit seinen Freunden an der Theke, beachtet sie nicht mehr. Doch für Zsófia ist der Moment überirdisch, über allem liegt ein Zauber, weil er da ist. Sie lehnt sich in eine Nische in der Mauerwand, hört die Musik, beobachtet die Tanzenden. Immer wieder wandert ihr Blick zurück zu Georgos. Bewundert, wie er das Haar aus dem Gesicht wirft, die Lachfalten in seinen Augenwinkeln, wenn er spricht.

Da schlendert Elisabet zu Georgos herüber. Sie ist schön mit ihrem honig-goldenen Haar, den grossen Augen im ebenmässigen Mädchengesicht. Elisabet unterhält sich unbefangen und frei mit Georgos. Sie macht anmutige Gesten mit schlanken Armen, um ihre Worte zu unterstreichen. Wiegt ihre schmale Taille, beugt sich spielerisch vor, wie um Georgos zu necken. Dann wirft sie lachend ihren goldenen Haarteppich zur Seite. Wie sehr würde sich Zsófia wünschen, statt ihrer dort zu stehen. Gleichzeitig wird sie von Mutlosigkeit befallen. Georgos sieht sie doch gar nicht. Er hat nicht gefühlt, was sie gefühlt hatte. Die Welt hatte nicht den Atem angehalten in dem Moment am Strand, als sie ihn gesehen hatte.

Gerade beugt sich Elisabet vor, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Georgos lacht und streichelt ihr zärtlich über die Wange. Ein so inniger Moment, dass Zsófia den Atem anhält. Schon ist er vergangen. Einträchtig schlendern die beiden zur Tanzfläche.

Zsófia stöhnt auf. Abrupt steht sie auf, läuft den dunklen Strand entlang, zurück in ihr Zimmer. Dunkelheit. Einsamkeit. Zsófia wirft sich auf ihrem Bett von einer Seite zur anderen und weint. Erstickt fast an ihrem Schluchzen. Schmerzen. Ihr Herz zerspringt. Jede Faser ihres Körpers und jeder Gedanke mit Blei beschwert. Das Atmen tut weh. Es quält sie und sie will diesen schmerzenden Körper nicht mehr. Will nicht mehr denken, will keine Sehnsucht mehr, kein Wünschen, kein Hoffen.

Die Wellen. Der Wasserlauf mengt sich nun in ihr Schluchzen. Ihr wird leichter. Sie ist müde. Etwas zieht an ihr. Ist dies noch Wachsein, ist dies Traum? Sie gibt sich hin, gleitet, leicht, ziellos, bis sie Klänge vernimmt. Fremdartige Töne schweben mit dem Rauschen der ozeanischen Wellen zu ihr herüber. Sie bewegt sich darauf zu, als könne sie auf den Klangwellen gleiten. Fühlt sich schwerelos, wie eine Feder. Treibt dahin. Sie will die Augen nicht öffnen. Einfach nur gleiten. Doch etwas scheint an ihr zu ziehen, scheint zu wollen, dass sie die Augen öffnet und als sie dem nachgibt, macht sie flimmernde Farben aus. Blautöne, Grüntöne. Allmählich sieht sie mehr. Sie befindet sich in einer gigantischen Röhre.

'Ein Wassertunnel', kommt es ihr in den Sinn. 'Ich schwebe durch einen blauen Tunnel aus Wellen und Licht.'

Zsófia bewegt langsam die Arme und bemerkt, dass sie ihre Bewegungen steuern kann. Ein Gleiten in einer Art Flüssigkeit. Sie geniesst es. Langsam nähert sie sich einer Öffnung und wird schliesslich von einer Woge getragen. An Land gespült. Sie liegt auf der Erde und schaut verwundert in das Halbdunkel. Um sie erstreckt sich eine wundersame Mondlandschaft und in der Ferne erhebt sich eine majestätische Anhöhe. Das Land ist in ein bläulich-gelb schimmerndes Licht gehüllt, aber sie kann die Quelle des Scheins nicht ausmachen. Wie eine Schlafwandlerin steht sie auf und macht unbeholfen ihre ersten Schritte. Sie geht durch eine fremde Landschaft. Niemals zuvor hat sie derartiges gesehen. Es ist eine unwirkliche Welt der Felsen. Menschengrosse Brocken, einige sanft gerundet, andere spitz zackig und bedrohlich. Sie geht weiter und weiter, viele Stunden lang.

Es geht steil hinauf. Sie fühlt, sie muss auf den Gipfel. Es scheint unerreichbar, aber immer, wenn sie glaubt, es ginge nicht weiter, findet sie eine Wölbung, an der sie sich festhalten kann, einen Vorsprung, in dem ihre Füsse Halt finden, wenn sie nur ihren ganzen Mut zusammen nimmt.

Sie klettert immer höher.

Und ihre Kraft lässt nicht nach, sie nimmt zu.

Mit jedem Sprung, mit jedem sich hochziehen an einem neuen Hindernis des gewaltigen Berges. Verwundert spürt sie eine Energie in sich heranwachsen, wie sie es nie zuvor erlebt hat. Sie fühlt, wie sie wächst, zusammen mit den mächtigen Felsen die braun wie die Erde und doch gleichzeitig metallisch schimmern, als seien sie nicht von dieser Welt.

Dann ist sie auf dem Gipfel des Berges. Sie ist am Ziel. An einen riesenhaften Stein gelehnt, blickt sie auf eine lichtüberflutete Ebene, auf der die Pracht der Pflanzen sie blendet. Mohnblumen, tausendfach vibrierendes Orange, Apfelsinenbäume, daneben Zitronenhaine, leuchtendes Grün, strahlendes Gelb. Schliesslich gigantische Rosensträucher, ein unermessliches Meer voller Rosen, ein Ozean des sich verschwendenden Blühens in reinstem Purpur-Rot.

Ihr wird schwindelig von diesem tanzenden, schwingenden, pulsierenden Rot und der betörende Duft der Blumen lässt sie niedersinken. Jasmin, Lavendel, Rose - vor Glück schiessen ihr heisse Tränen in die Augen. Sie weint, eingehüllt in die unermessliche Farbenpracht der schweren Blütensüsse. Aus weiter Ferne klingt eine seltsame und so herzbewegende Musik - ein unbestimmter, klagender Flötenklang, so als stimme ein tausendköpfiges Orchester seine holzgeschnitzten Instrumente. Tief nimmt sie die ausserirdische Welt in sich auf und schliesst die Augen.

"Was hat diese Menschenfrau hier verloren?" Zsófia kann es hören. Ein Echo wiederholt es in ihrem Kopf und sie vernimmt ein donnerndes ‘verloren, verloren, verloren, verloren’. Jemand ist böse mit ihr, aber sie kann sich nicht rühren, kann die Augen nicht öffnen. Etwas oder jemand scheint sich über sie zu beugen. Flirrendes Lila-Violett, so strahlend, dass sie es trotz der geschlossenen Lider sehen kann. Eine Wärme beginnt sich in ihrem Körper auszubreiten und sie mit freudiger Ruhe zu erfüllen. Dann neue Farben, Grün und Indigo-Blau, eine neue Präsenz. Wieder die Stimme, die sie zuvor vernommen hatte. “Wir wandeln nicht mehr mit den Menschen. Warum also ist die Menschenfrau hier?”

Zsófia blinzelt und erkennt zwei gigantische Farbenbälle, einen dritten flammend roten Ball etwas abseits. Als sie länger aus den Augenschlitzen hervor blinzelt, macht sie drei Gestalten in den Farbbällen aus.

Die rot orange Flammen-Gestalt beginnt zu sprechen. "Ich weiss um diese Menschenfrau. Ich habe sie gesehen. Sie hat sich unsagbar in einen Mann verliebt. Aber die Angst vor Zurückweisung war so gross, dass sie die Flucht ergriffen hat.”

"Eine romantische Leidenschaft, die in einer kopflosen Flucht gipfelt – einer der Stoffe aus dem olympische Geschichten gesponnen werden." kommt es wieder von der indigoblauen Gestalt. Keine der Wesenheiten scheint zu bemerken, dass Zsófia sie aus Augenschlitzen beobachtet und ihre Worte vernimmt.

“Sei es drum - was sollen wir nun mit ihr tun?"

"Vielleicht können wir ihr behilflich sein?" Es kommt von der lila-violetten Gestalt und klingt wie ein Chor von weiblichen Stimmen.

"Wir sind Göttinnen und ein Einmischen in irdische Angelegenheiten wäre gegen den Grossen Plan", wieder die rot-orange Flammengestalt. "Ein kurzes Menschendasein erfüllt vom Ringen mit der Materie und beherrscht von Angst. Abgespalten von der Grossen Mutter, alles vergessend. So schnell vergangen.”

Die indigoblaue Strahlen-Gestalt berührt die Feuergestalt, was diese zu besänftigen scheint. “Die Menschen wollen unsere Hilfe doch gar nicht”, murmelt sie dennoch leise.

“Aber vielleicht ist es Der Grosse Plan, dass wir uns für sie bereit halten?” Die lila-violette Gestalt klingt freundlich. Ihre Stimme gurrt und das Echo klingt wie tausendfaches Lachen. “Ist nicht auch der Grosse Einschnitt nur ein Moment – ein Atemhauch in der Unendlichkeit?” Auch die indigoblaue Gestalt scheint zu lächeln. “Nur ein tausende Jahre langer Atemhauch.”

Zsófia ist versucht, sich bemerkbar zu machen. Da fühlt sie eine Berührung von der lila-violette Gestalt, die ihr am nächsten gewesen war. Zsófia erbebt. Meine Hand. Die Gestalt hält meine Hand. Die Sensation der Berührung schockiert sie. Dann hört sie in sich eine Stimme, die zu ihr spricht. “Bleibe ganz stille. Es ist besser so. Besser, wenn nur ich weiss, das du uns hören kannst. Ich bin die, die du Aphrodite nennst. Meine Gefährtinnen, die dir mit den Namen Hera und Athene aus deinen Sagen bekannt sind, fragen sich, was von deinem Hiersein zu halten sein mag. Auch ich weiss es nicht. Du suchst. So wenige deiner Art wollen suchen. Es ist einfacher, nicht zu suchen.

Du irrst und so leicht könntest du dich auf immer verirren. Du brauchst Hilfe. So viele können dies sehen und wo manche barmherzig sind, sind andere wie hungrige Biester. Zsófia, die Last, die du trägst, hat Macht dich zu erdrücken. Darum musst du erwachen. Dich erinnern. Deine eigene Macht wiederfinden.”

Zsófia hört gebannt in sich hinein doch nun scheint die Stimme sie verlassen zu haben. In einem mächtigen Chorgesang wendet sich Aphrodite den anderen Gestalten zu.“Die Erden-Frau hat die Grenze übersprungen. Sie muss wahrhaftig auf der Suche sein, denn nur die Ur-Sehnsucht nach Wahrheit verleiht eine solche Kraft. Sollte dies nicht berücksichtigt werden?" Aphrodites Strahlenmantel verfärbt sich zu tiefem Lila, das sich auszudehnen beginnt und versöhnlich die blauen Strahlen der Hera zu streicheln beginnt. Die Lichtschichten der Hera beginnen sich mit den Farben der Aphrodite zu verbinden und die Göttinnen scheinen in einen innigen Tanz versunken.

"Ich bin dagegen, Aphrodite", Athenas Stimme klingt wie hundertfaches Donner Grollen. Ihr funkelnder Strahlenmantel zuckt in Feuerblitzen.

Hera schüttelt traurig den Kopf und ihr schimmernder Strahlenmantel verkleinert sich ein wenig. “Die Erden-Frau ist verwundet, siehst du das nicht? Sie ist zu schwach. Bei uns zu sein mag sie zerstören.”

Zsófia blinzelt wieder und sieht wie sich ein dunkelroter Fleck auf ihrem Schoss auszubreiten beginnt. Sie hat keine Schmerzen und nimmt nur verwundert war, wie der rote Fleck immer grösser wird. Er fliesst aus ihr heraus, bis zu ihren Füssen hinunter. Hera streicht leicht über Zsófia hinweg und wieder ist ihr als würde sie belebt und umhüllt. Die Blutung verebbt.

“Geleiten wir die Erden-Frau zurück auf ihre Ebene, ohne das sie es merkt. Es wird betrüblich genug für sie sein. Es mag sie traurig stimmen, so wie die wage Erinnerung an ein verlorenes Paradis. Je schneller sie zurückkehrt umso besser für sie."

Athene nickt langsam. Sie macht eine Handbewegung in Richtung der Schlafenden, deren Gestalt daraufhin allmählich verschwindet.

Zsófia erwacht mit dem Sonnenaufgang. Sie weiss nicht, wo sie ist. Was für ungewöhnliche Bilder und Gefühle? Sphärentöne, Düfte und Licht verwoben zu einem Teppich der Sinne, der sie einhüllt in Liebe und Wonne. Eine Klangwelt, die alles übersteigt, was sie je gehört hat. Die Begegnung! An die drei Farbenwesen zu denken, lässt sie auffahren. Heftig presst sie die Hände an ihren Kopf, wie um ihn am Zerspringen zu hindern. Drei Göttinnen? Aphrodite, die mit ihr spricht?

“Ich verliere den Verstand!”, sie schreit. Wenn sie nicht den Verstand verloren hat; wo sind die Farbenwesen und warum ist sie nun hier? Halb wahnsinnig blickt Zsófia um sich und versucht ihren Atem zu beruhigen. Es ist ein Traum gewesen, sagt sie sich immer wieder wie. Nur ein Traum. Ein irrsinniger Traum. Sie sinkt zurück auf das Bett. Und doch - sie hatte sich so geborgen gefühlt. Selig und leicht. Sie ist erschüttert, nicht dort zu sein, wo sie doch hingehört. Mit den verstreichenden Minuten werden die Eindrücke undeutlicher. Nur die überwältigende Sehnsucht danach bleibt; an Frieden, an Freude, Heimat und Einheit. Etwas, was sie immer gesucht hat. Ein Leben lang. An diesem anderen Ort war es da gewesen. War alles gut gewesen.

So ist ihr Erwachen wie eine mühevolle Rückkehr von einer Zeitreise. Als sei sie unendlich lange an einen fernen, überirdischen Ort gepilgert und als sei ihre Seele noch nicht zurückgekehrt. Ihre Beine schmerzen, als sei sie immerzu bergauf gewandert und dieser neue Morgen auf der Insel erscheint ihr falsch, flach und unwirklich. Hier will sie nicht sein, es ist ein fremder Ort. Die falschen Farben, Klänge und Gerüche, ein falsches Leben. Hier gehört sie nicht hin.

Mechanisch packt sie ihren Rucksack, verabschiedet sich von der schläfrigen Pensionswirtin, geht mit schleppenden Schritten die holprige Strasse Richtung Hafen entlang. Auf ihrem Weg liegt die Bar und sie hält inne. Geht auf die eingezäunte Terrasse der Bar, biegt um die Ecke, wo eine Holzbank mit grossen Kissen an der weissgekalkten Hauswand steht. Dort hatte sie gesessen, als sie eine andere gewesen war. Dort hatte sie aufs Meer geschaut.

Zsófia nimmt vorsichtig ihren Rucksack ab und setzt sich dort nieder. Sie ist ganz alleine. Die Bar noch verriegelt und die Stühle vom Vorabend an die Tische gelehnt. Das Strohdach der Terrasse bäumt sich auf und raschelt im Wind. Die Farben des Wassers, den Seegeruch, den Sand zwischen ihren Zehen. Wie ist es möglich, das sich eine Wahrnehmung von einem Tag auf den anderen fundamental verändern kann? Der Traum in der Nacht erinnert sie wage an ein Gefühl aus der Kindheit. Etwas, was sie damals besessen hatte. Einen Schatz, den sie verloren hat. Sich daran zu erinnern, überwältigt sie. Der Schmerz auf der Brust wird unerträglich und so denkt sie stattdessen an Georgos. Schreibt ihre verwirrten Gedanken in ein ledergebundenes Tagebuch. Von ihrer Sehnsucht nach Liebe. Von ihrer Hoffnung in Georgos einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Jemanden, der sie versteht. Der sie berührt und beschützt. Zsófia schreibt von ihrem Wunsch, bei ihm zu bleiben. Angekommen zu sein. Endlich angekommen zu sein in einem Gefühl der Zugehörigkeit. Dann brennt sich das Bild von Elisabet in ihre Gedanken. Georgos hatte Elisabet’s Wange gestreichelt. Er hatte Zsófia nicht bemerkt. Was immer in sie gefahren war, als sie ihn am Wasser hatte stehen sehen – es hatte ihn nicht erreicht. Es war nur ihre Einbildung gewesen. Ein Hirngespinst entstanden aus ihrer Einsamkeit. Warum warten und den Schmerz vergrössern?

Mit dem Morgenschiff verlässt sie die Insel und erst, als viele Seemeilen zwischen ihr, der Insel und Georgos liegen, wird sie ruhiger.

Aphrodite Schatzsucherin

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