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STRASSENNAMEN, ORTSNAMEN,
IN GOTTES NAMEN

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Straßennamen haben es manchmal in sich. Der Kapellenweg beispielsweise lässt darauf schließen, dass dort in der Nähe ein kleines Heiligtum steht. Oder stand. Der Klosterplatz, an dem sich heute die Hauptpost befindet, verdankt diese Benennung mit Sicherheit einem Konvent, in welchem sich ehemals Klarissinnen oder Karmeliten oder andere Ordensleute mehrmals täglich zum Gotteslob versammelten. Die Kapuzinergasse wiederum führte todsicher einmal zu einem Kloster, wo die bärtigen Franziskussöhne früher am Markttag stundenlang in ihren Beichtstühlen saßen, um den Bußfertigen Absolution zu erteilen. Was die Ortsnamen betrifft, gehen manche von ihnen auf Heilige zurück, zu deren Ehren man einst ein Gotteshaus errichtet hatte – so etwa das jurassische St-Ursanne oder St. Peter im Schwarzwald. Inzwischen hat sich da manches geändert. An der Stelle, wo sich vor Jahrhunderten eine Kirche befand, protzt jetzt vielleicht eine Kreditanstalt. Befindet sich das Christentum auf dem Rückzug? Ab und zu bekommt man ja zu hören, dass den Menschen nicht einmal mehr das Glockengeläute heilig sei.

In Wirklichkeit war das Glockengeläute natürlich nie ›heilig‹. Wohl aber gab es schon öfters Anlass zu dörflichen Querelen. Irgendwann waren ein paar Zugewanderte es leid, allsonntäglich um sechs Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen zu werden. Die seit Generationen Ansässigen wiederum empfanden es als Affront, dass die Neuzugezogenen sich erkühnten, an der althergebrachten Ordnung zu rütteln. Denen musste man zeigen, wo es im Christentum langgeht! In Wirklichkeit ging es dabei gar nicht um eine Glaubens-, sondern um eine Machtdemonstration. Aber niemand hätte das offen ausgesprochen. Verteidigt wurde das Geläute dann etwa mit dem Argument, es gelte, der Entchristlichung der Gesellschaft endlich Einhalt zu gebieten.

Die diesbezüglichen Klagen und Einwände sind bekannt: Müssen wir uns eigentlich von Zugewanderten die Regeln unseres Zusammenlebens diktieren lassen? Die Muslime wollen jetzt überall Minarette bauen, sie verlangen von ihren Frauen, dass sie Kopftücher tragen – und wir Christen und Christinnen sollen dazu einfach Ja und Amen sagen und vielleicht gar noch tolerieren, dass die Kreuze aus öffentlichen Gebäuden entfernt werden, nur weil Anders- oder Nichtgläubige sich daran stoßen?

Machen wir uns nichts vor! Längst gilt es nicht mehr als Bildungslücke, wenn jemand den Unterschied zwischen einer Straßenkreuzung und einer Kreuzwegstation nicht zu benennen weiß. Auch die Kenntnis der alten biblischen Geschichten und des Ablaufs des Kirchenjahres gehört nicht mehr zum allgemeinen Bildungsgut. Was gestern noch ein Kruzifix war, ist heute ein kulturelles Symbol und morgen oder übermorgen vielleicht noch ein Stück Holz. Fast schon muss man sich fragen, ob sich nicht auch die Ökumene in absehbarer Zeit von selbst totlaufe, weil die wesentlichen Differenzen zwischen katholisch und protestantisch allenfalls für eine Minderheit noch von einigem Interesse sind. Wer angesichts dieser Tatsache auf die Präsenz der Massen an Kirchentagen oder bei Papstmessen verweist, aber gleichzeitig die Kirchenaustritte (und die Gründe dafür) mit Schweigen übergeht, spielt mit gezinkten Karten.

Meiner Ansicht nach bilden Freidenkende oder Angehörige nichtchristlicher Religionsgemeinschaften lediglich in dem Maß eine Gefahr für die Kirchen, als das Christentum selber ausgedünnt und spirituell verarmt ist. Präsenz markieren wir in unserer säkularisierten Welt nicht, indem wir Andersdenkenden in Gottes oder in Christi Namen möglichst viele Stolpersteine in den Weg legen. Sondern indem wir nicht bloß auf unsere christlichen Wurzeln verweisen, sondern uns auf sie besinnen – und die praktischen Folgerungen daraus ziehen.

Göttliches Feuer, menschlicher Rauch

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