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AUFS GUTE WORT FOLGT BÖSE TAT

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Vor gut zwei Jahrzehnten ist es einem Naturwissenschaftler und Hobbytheologen scheinbar gelungen, die Höchsttemperatur des Höllenfeuers zu berechnen. Dabei berief er sich auf die Geheime Offenbarung, wo es heißt, dass die Verdammten in einen See mit brennendem Schwefel geworfen würden (21,8). Die Temperatur eines solchen Sees aber darf 444,6 Grad nicht übersteigen; sonst würde der Schwefel verdampfen. Dass man mittels einer fundamentalistischen Bibellektüre vieles beweisen kann, im Bedarfsfall sogar das Gegenteil dessen, was man kurz zuvor gerade bewiesen hat, zeigt der Dichter und Theologe Johann Peter Hebel in einer seiner berühmten Kalendergeschichten. Und die geht so:

In Hertingen, als das Dorf noch rottbergisch war, trifft ein Bauer den Herrn Schulmeister im Felde an. »Ist’s noch Euer Ernst, Schulmeister, was Ihr gestern den Kindern zergliedert habt: So dich jemand schlägt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar?« Der Herr Schulmeister sagt: »Ich kann nichts davon und nichts dazu tun. Es steht im Evangelium.« Also gab ihm der Bauer eine Ohrfeige und die andere auch, denn er hatte schon lang einen Verdruss auf ihn. Indem reitet in einer Entfernung der Edelmann vorbei und sein Jäger. »Schau doch nach, Joseph, was die zwei dort miteinander haben.« Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der ein starker Mann war, dem Bauer auch zwei Ohrfeigen und sagt: »Es steht auch geschrieben: Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. Ein voll gerüttelt und überflüssig Maß wird man in euern Schoß geben.« Und zu dem letzten Sprüchlein gibt er ihm noch ein halbes Dutzend drein. Da kommt der Joseph zu seinem Herrn zurück und sagt: »Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr; sie legen einander nur die Heilige Schrift aus.«

Mittels der Bibel wurde schon vieles ›bewiesen‹. Zum Beispiel, dass die Erde die Form einer Scheibe habe; dass die Anwendung der Todesstrafe gottgewollt sei; dass es gotteslästerlich sei, Leichen anatomisch zu untersuchen ... Gegen diese Art von Schriftinterpretation war selbst der heilige Augustinus nicht immer gefeit. Als es ihm nicht gelang, die nordafrikanische Sektenbewegung der Donatisten mittels Argumenten zur Kirche zurückzuführen, fand er in Jesu Gleichnis vom Gastmahl eine Stelle, welche seiner Ansicht nach ein gewaltsames Vorgehen rechtfertigte. Als die Erstgeladenen mit fadenscheinigen Entschuldigungen fernbleiben, schickt der Hausherr einen Diener auf die Landstraßen, mit dem Auftrag: »Nötige die Leute zu kommen!« (Lukas 14,23). Was Jahrhunderte später zu dem Irrglauben führte, dass man Ketzer und Häretikerinnen für ihre Weigerung, sich der kirchlichen Nötigung, dem compelle intrare, zu fügen, mit dem Tod bestrafen dürfe. Oder gar müsse.

Für seine Geschichte hat Hebel einen durchaus treffenden Titel gewählt: Gutes Wort, böse Tat. Diese Episode zeigt, was sich auch in der Geschichte der Kirche oft zugetragen hat, nämlich dass die Bibel dazu herhalten musste, bestehende Ansichten zu bestätigen. Dabei ginge es doch gerade darum, die gängigen Anschauungen im Licht der biblischen Aussagen zu hinterfragen und zu überprüfen. Bevor wir unsere Standpunkte mit biblischen Sätzen untermauern (was zuweilen angebracht sein mag), sollten wir in der Bibel nach Antworten auf unsere Fragen und Hilfe in unseren Krisensituationen suchen. Dann würden wir früher oder später wohl ganz von selbst erfahren, was das Wort Gottes in uns auslösen will, nämlich nicht Rechthaberei, sondern Betroffenheit.

Seine Geschichte beschließt Johann Peter Hebel mit einer Lehre: »Man muss die Heilige Schrift nicht auslegen, wenn man’s nicht versteht. Denn der Edelmann ließ den Bauern noch selbige Nacht in den Turm sperren auf sechs Tage, und dem Herrn Schulmeister, der mehr Verstand und Respekt vor der Bibel hätte haben sollen, gab er, als die Winterschule ein Ende hatte, den Abschied.«

Was wirklich in der Bibel steht

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