Читать книгу Die Stadt unter dem Meere - Joseph Delmont - Страница 15
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ОглавлениеMader stand nackt in seiner Badekoje und ließ die kalte Dusche über seinen Kopf brausen.
In feinen Strahlen strömte das erfrischende Naß über den Körper.
In der Nebenkoje plätscherte Ulitz, stöhnte und prustete.
Mader rieb seinen Körper rot und machte Gelenkübungen.
Ulitz pfiff jetzt ein Liedchen und rief Mader an:
»Das erfrischt! Aber Donnerwetter, ein bißchen Sonne wäre jetzt ganz angenehm! Möchte gerne einmal wissen, wie die liebe Sonne aussieht. Sechs Monate und kein Tageslicht! Wir werden noch eine Haut über die Pupille bekommen, – wie die Molche.«
Mader mußte über den ewigen Brummhumor des kleinen Ulitz lachen. Er wurde aber gleich wieder nachdenklich.
Was ist in den letzten Monaten alles hier unter der Erde geschaffen worden! Draußen ging das blutige Ringen weiter. Die Menschen zerfleischten sich, und ein Ende war nicht abzusehen.
Wie schwierig war es doch gewesen, hier tief unter der Erde all dies erstehen zu lassen. Die Kunst der Marineingenieure hatte hier ein Wunderwerk vollendet.
Die Wasserkraft des reißenden Falles trieb alle Turbinen. Noch ein zwanzigmal größeres Werk könnte mit der überschüssigen Kraft bewältigt werden.
Aber die Menschen? Werden sie es noch lange aushalten? Wird ein Verräter einmal das Geheimnis preisgeben?
Wie schwer war das Finden der richtigen Leute gewesen. Immer und immer wieder war es nötig, Umschau nach einwandfreien Leuten zu halten. Jeder Einzelne mußte ein Vollkommener in seinem Fache sein.
Die Leute hatten sich für die Zeit des Krieges zu verpflichten. Es wurde keinem gesagt, wohin es ging. Jeder Einzelne erfuhr nur, daß er nach einer Werkstätte käme, die versteckt im Lande des Feindes läge, daß ein Umgang mit der Außenwelt ausgeschlossen wäre, und daß es keinen Urlaub gäbe.
Jedem Manne wurden zwei Tage Bedenkzeit gelassen. Erklärte er sich dann einverstanden, so wurden ihm ein bis zwei Wochen Urlaub bewilligt und strengste Verschwiegenheit aufgetragen, auch den allernächsten Anverwandten gegenüber.
Da nur ganz einwandfreies, ausgesuchtes Menschenmaterial in Frage kam, so war ein Verrat kaum zu erwarten.
Er hätte dem Feinde auch wenig geholfen. Die Leute wurden auf Umwegen zu ihrem Transport-U-Boot gebracht. Die Einschiffung geschah jedesmal an einem anderen Platz. Es wurde in einem Einschiffungshafen immer nur ein Transport an Bord gebracht. Die Leute trafen sich zuerst im Boot, das sie in See oder in die Bucht hinaus brachte. Dort wurden sie in die Mannschaftsquartiere verteilt und kamen erst zusammen, wenn das U-Boot in See stach. Die Begleitoffiziere achteten genau darauf, daß keine Botschaft ungesehen und ungesichtet in die Heimat zurückging. Die »letzten« Briefe gelangten in einem Postbeutel nach der Heimat, und niemand erfuhr, wo sie aufgegeben waren. Den Angehörigen ward eine Adresse im Marineministerium aufgegeben. Dorthin mußte alle Post gesendet werden, und von dieser Stelle ging sie erst wieder auf Umwegen zur »Stadt unter dem Meere«.
Mader erhielt mit jeder Post einen langen Brief von Hertha. Sie konnte nicht verstehen, warum er nicht auf Urlaub kam. Stets wurde in ihren Briefen die Klage über den Krieg laut. Sie teilte ihm mit, daß sie mit ihrem Vater, ja, mit der ganzen Verwandtschaft, ihrer Abneigung gegen den Krieg halber, in Streit geraten wäre.
»Tante Hermine«, schrieb sie einmal voll Empörung, »denke Dir, Tante Hermine ist stolz darauf, daß Richard gefallen ist! – Bedenke, eine Mutter ist stolz, daß ihr Kind ermordet wurde.«
Dann sagte sie in einem anderen Brief, daß sie sich nicht im Betriebe ihres Vaters blicken ließe, da er jetzt »Munition«, ja sogar »Granaten« fabriziere. Sie fände es entsetzlich und hätte Papa aufmerksam gemacht, daß fünf von den Vettern in der englischen Armee dienten! Alle fünf, Söhne der Tante Bessie, die doch eine Schwester der verstorbenen Mama sei. – Wie gut, daß Mama dies nicht mehr zu erleben brauchte!
»Bedenke, Papa, wenn eine Granate, wenn eine Kugel, die du fabrizierst, Schuld an dem Tode eines unserer Vettern trüge!«
»Papa war sehr ungehalten über diese Einwendungen meinerseits«, schrieb sie weiter, »das erste Mal in meinem Leben fuhr er mich hart an und gebot mir, zu schweigen. Ich verstände das alles nicht. Ich solle endlich mit dem Gefasel, daß alle Menschen Brüder seien, aufhören.«
Mader seufzte still, als ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen. Wie wird das mit Hertha noch werden? Wer hat ihr diese krausen Gedanken in den Kopf gesetzt? Sie hatte doch niemals Umgang mit Politikern gehabt und hatte auch niemals in Kreisen verkehrt, wo derartige Gedanken ausgetauscht wurden.
Sie schrieb: »Die ganze Welt ist unser Vaterland; nur der Scholle, auf der wir geboren, hängen wir mit mehr Zärtlichkeit an, als anderen Gegenden. Gibt es doch Menschen, die sich nicht mehr heimisch im nächsten Dorfe fühlen. Ja, Jungens einer Stadt, aus zwei verschiedenen Straßen bekriegen sich. Man müßte den Gedanken an die engere Heimat aus den Lehrplänen und den Schulbüchern ausmerzen. Man sollte die Menschen von Kindheit an lehren, daß es keine engere Heimat gibt, daß die ganze Welt der Menschen Heimat ist und daß alle Brüder und Schwestern seien!«
Im Gedanken an diese Sätze schüttelte Mader den Kopf. Er seufzte schwer.
»Nun, hoher Vorgesetzter«, rief Ulitz von seinem Abteil herüber, »wohl den Moralischen heute!? Die Gedanken weilen wohl auch bei den Osterhasen zu Hause?«
Mader mußte über den ewig lustigen Ulitz lachen. Er warf die trüben Gedanken über Bord.
»Apropos, Osterhasen, lieber Ulitz; wir wollen noch vor unserer Tennispartie den Marstall besichtigen. Möller berichtete mir, daß zwei Karnickelstuten 17 Kinderchen das Leben geschenkt haben.«