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Drittes Kapitel

Es war schon Nachmittag, als er dem Chefredakteur gegenübersaß. Eddie hatte Mühe, die Augen offenzuhalten, während ihm Pohlig die ausgeklügelten Speisenfolgen des toskanischen Landhotels erläuterte, in dem der Mann bald seinen Sommerurlaub verbringen wollte.

Ein schüchternes Klopfen und ein fast unhörbares Räuspern unterbrachen Pohlig. Unwirsch bat er den Störer herein. Rehnagels Kugelbauch schob sich als erstes durch die Tür. Eine Eiterbeule, die an dem sonst spindeldürren Körper zu kleben schien.

»Tschuldigung, daß ich unterbreche«, nuschelte der Fotograf, »aber da war ein dringender Anruf.«

Erst jetzt nahm er Eddie wahr, der tief in die Polster des Sessels gesunken war, der sonst nur offiziellem Besuch angeboten wurde. Ein Umstand, den Jablonski stets ignorierte, wenn er zu seinem Chef gerufen wurde. Rehnagel grinste über beide Wangen, als Eddie ihm freundlich zunickte und den Arm ein wenig hob, um ihm zuzuwinken.

»Was gibt's denn?« fauchte Pohlig mürrisch.

»Ein schwerer Autounfall auf der A 44. Der Wagen hat Feuer gefangen. Man hat einen Metallbehälter im Kofferraum gefunden. Jedenfalls alles sehr merkwürdig«, erklärte Rehnagel hastig, immer auf dem Sprung, um das Büro seines Chefs so schnell wie möglich zu verlassen.

»Na, Jablonski, wäre das nichts für Sie? Als Wiedereinstieg sozusagen?« grinste Pohlig mit süffisantem Unterton.

Jablonski nickte. Ihm war es im Moment egal, womit er seine Brötchen verdiente.

»Ach, ehe ich es vergesse, Kampmann übernimmt die Stallwache, wenn ich im Urlaub bin«, rief er Eddie hinterher, den diese Nachricht für eine Sekunde aufatmen ließ, da sein Verhältnis zu Kollege Kampmann mehr als entspannt war.

Zwei Etagen tiefer, am Ende eines langen Ganges, entwickelte sich währenddessen eine kleine, aber ausgelassene Stehparty, deren Mittelpunkt Fräulein Müller, eine füllige Dame mittleren Alters, war. Ihre Aufgabe in der Redaktion bestand darin, die Fahrtkosten der Redakteure auf Heller und Pfennig nachzurechnen und die Zeilenhonorare der freien Mitarbeiter möglichst niedrig zu halten.

Sie begrüßte Eddie mit einem Glas Sekt in der einen und einer Kognakbohne in der anderen Hand, wobei sie etwas von einem verlorenen Sohn faselte, der extra zu ihrem Geburtstag erschienen sei. Eddie nickte freundlich nach allen Seiten, holte seinen Notizblock und den handtellergroßen Kassettenrecorder aus der Schublade seines Schreibtisches und konnte gerade noch mit einem eleganten Bogen die ihm angebotene Sektpulle umschiffen, indem er etwas von einem wichtigen Auftrag nuschelte, bevor er eilig hinter Rehnagel die Treppe hinunterstolperte.

»Erzähl doch mal, Eddie! Wie war's denn auf Mallorca? Bist ja gar nicht braungebrannt! Schlechtes Wetter gehabt?« Rehnagel startete seinen Käfer und würgte den ersten Gang rein.

»Tja, also …« Während Jablonski noch nach Worten suchte, um seine Kur in der Trinkerheilanstalt mit einem Badetrip am Mittelmeer zu kaschieren, hatte Rehnagel bereits das Thema gewechselt.

Nichts schien den Fotografen mehr zu interessieren als die leidvolle Krankengeschichte seiner Mutter, bei der er, als Mittdreißiger, immer noch zur Untermiete wohnte.

Kurz vor der Ausfahrt Witten war die rechte Spur der A 44 schon etliche hundert Meter vor der Stelle gesperrt, an der der Unfall passiert sein mußte. Eddie hielt seinen Presseausweis hoch, und Rehnagel hupte wie wild, während sie auf dem Seitenstreifen im Schrittempo an den wartenden Autos vorbeirollten.

Rehnagel stoppte den Wagen hinter einem Löschzug der Feuerwehr und einem Streifenwagen, dessen Besatzung, zwei blasse, blonde Jungen, damit beschäftigt war, einerseits den Verkehr zu regeln und andererseits mit wichtiger Miene Protokoll zu führen.

»Hey, macht mal Platz für die Presse!« brüllte Schröder, ein stämmiger, untersetzter Mann in Gummistiefeln, auf dessen Kopf ein schwarzer Helm mit Nackenschutz thronte.

»Tach, Jablonski, da biste ja endlich!« begrüßte er Eddie mit Handschlag.

»Mensch, Schröder, alter Pyromane, den hat et aber ganz schön erwischt, wa?« entgegnete Eddie, der automatisch in die Rolle des engagierten Reporters fiel, als er das ausgebrannte Wrack des Autos sah, das mit offener Heckklappe im Straßengraben lag.

»Dat kannse wohl laut sagen! War mal nen Lada. Hat nen ausländisches Kennzeichen. Muß vonne Bahn abgekommen sein! Is dann anne Leitplanke vorbeigerasselt und hier innen Graben geplumpst. Hat wohl sofort Feuer gefangen! Der Fahrer hat jedenfalls ne Biege gemacht«, tönte Schröder, während er den Helm abnahm und sich mit dem Ärmel der Uniformjacke den Schweiß von der Stirn wischte.

»Wieso tragen die Kollegen da vorn so schmucke Ganzkörperkondome, und dat knatternde Ding in deren Hand, wat soll dat?« wollte Eddie wissen, wobei er auf die beiden Männer deutete, die sich vorsichtig an einem aktenkoffergroßen Metallzylinder zu schaffen machten.

»Mach dich nur lustig! Dat is todernst, wat hier passiert. Die Schutzanzüge sind direkt aus Tschernobyl importiert, oder waren et die Restbestände ausse NVA? Is ja auch egal! Dat Ding, wat son Krach macht, is nen Geigerzähler. Dat sacht uns, dat hier mehr Radioaktivität inne Luft is wie innem Schornstein von nem Kernkraftwerk!«

»Wieso Radioaktivität?« Jablonski stutzte. »Rehnagel, nimm mal besser das Tele, und geh nicht so nah ran!« ergänzte er das Resultat seiner Überlegungen.

»Der Tank is explodiert. Dabei is der Kofferraumdeckel aufgegangen. Da ham wir dat Ding entdeckt.«

»Sieht aus wie ne Waschmitteltrommel mit nem Blindenabzeichen drauf«, grinste Jablonski.

»Wat hamse dir eigentlich inne Schule beigebracht, oder hasse immer nur inne Nase gepopelt? Mensch Eddie, dat heißt: Achtung! Gefährliche Strahlung!«

»Und woher weißt du sowat?«

»Letztes Jahr haben wir son ähnliches Ding gefunden. Ich mußte danach auf Fortbildung, Wochenendseminar. Du weißt schon!«

»Schon klar: Saufen ohne Ende«, nickte Eddie, wobei er nach einer Zigarette fahndete.

»Laß die Fluppen bloß stecken, Jablonski, wir sind froh, daß wir den Brand gelöscht haben. Aber Eddie, mal im Ernst, ich weiß beim besten Willen nich, wat ich von der Sache halten soll. Eins steht jedenfalls fest: Ich hab verdammte Angst, dat da wat austritt, von dem wir keine Ahnung haben!«

»Na, da wird schon irgendeiner ne plausible Erklärung für haben. Stell dich mal für ein Foto mit Geigerzähler vor dem Kofferraum in Positur. Lächeln, Schröder! So is gut!«

Rehnagel drückte auf den Auslöser und begann dann sofort, den belichteten Film zurückzukurbeln. Für ihn war die Sache abgehakt. Er würde die Bilder entwickeln und sie auf Eddies Schreibtisch legen, bevor er sich auf den Heimweg in Mutters gute Stube machte.

Während Rehnagel fotografierte, hatte sich Jablonski wieder auf den Beifahrersitz des Käfers zurückgezogen und die Scheibe heruntergelassen.

»Mach dat ja publik, wat hier so allet auf den Straßen herumfährt. Dat geht nich nur die Feuerwehr wat an, dat sach ich dir!« hörte Jablonski mit halbem Ohr, als Rehnagel den VW beschleunigte und in den zweiten Gang schaltete.

Sohle Sieben

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