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»Es ist besser, Genossenes zu bereuen, als zu bereuen, daß man nichts genossen hat.«

Giovanni Boccaccio

5.

Die niedrigen Reihenhäuser duckten sich hinter den Kühltürmen der stillgelegten Kokerei. In den Vorgärten, in denen gerade eine Mülltonne Platz fand, rankte im Sommer spärliches Grün, das nun kahlem Gestrüpp gewichen war. Der fahlgelbe Novembermond fing sich in den Pfützen, die der Regen auf dem Asphalt hinterlassen hatte.

Jablonski öffnete die Haustüre so leise er konnte, trat auf Zehenspitzen in den Flur und hängte den feuchten Trenchcoat an die Garderobe. Vorsichtig stieg er eine Stufe nach der anderen die schmale Treppe hinauf, schlich über die Holzdielen und lauschte den Geräuschen, die aus dem Schlafzimmer drangen.

Als er in den Raum trat, hockte Uschi im Bett. Die zierliche, kleine Frau mit der knabenhaften Figur und dem blonden Pagenschnitt hatte die Beine unter ihr Kinn gezogen, starrte in den Fernseher und rauchte mit hastigen Zügen.

»Ich halte es nicht mehr aus, Eddie«, sagte sie leise, nahm einen Schluck Rotwein aus dem Glas, das sie in der anderen Hand hielt und stand auf.

Sie kam langsam auf ihn zu, blickte ihn prüfend an, schnüffelte, rümpfte die Nase und verzog dann angewidert ihr Gesicht.

»Du hast gesoffen und du riechst nach Parfüm. Warst du wieder bei einer anderen Frau?« fragte sie, setzte sich auf die Bettkante, steckte sich eine neue Zigarette an dem halbgerauchten Stummel an und drückte die Kippe in einen überquellenden Aschenbecher, der auf dem Boden stand.

Jablonski schwieg.

»Sieht sie besser aus als ich? Ist sie gut im Bett? Wie heißt sie? Los, sag schon!« schluchzte Uschi und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.

»Du quälst dich, Uschi«, sagte Jablonski ruhig, »es hat nichts mit dir zu tun, es ist nur, weil …«

»Spar dir deine Entschuldigungen, du bist grausam und tust mir weh, ich will dich nicht mehr sehen!« fauchte sie und schneuzte sich mit einem Taschentuch, das zerknüllt auf dem Kopfkissen lag.

»Uschi, hör‘ mal, wir können doch darüber reden, ich will euch nicht verlassen …«

»Nein, da gibt es nichts mehr zu bereden, ich habe einen Entschluß gefaßt«, antwortete sie, schluckte heftig und versuchte, sich zu sammeln.

»Ich habe heute abend deine Koffer gepackt, sie stehen im Wohnzimmer neben der Liege. Dort kannst du auch, wenn du willst, noch eine Nacht schlafen. Tim weiß Bescheid. Dein Sohn hat mit dreizehn Jahren mehr Verstand als du mit deinen fast vierzig, Jablonski«, sagte sie, wobei ihre Stimme zitterte.

»Du solltest dir ein Zimmer nehmen und am Wochenende kannst du Tim sehen. Ich werde nicht da sein. Später sehen wir weiter. Und jetzt geh’ bitte«, fuhr sie fort, wobei ihr die Tränen über das Gesicht liefen.

Jablonski starrte Uschi an, sein Mund war trocken und er fühlte, wie ihm heiße und kalte Schauer über den Rücken liefen. Sein Magen revoltierte. Er forderte Alkohol, am besten eine ganze Wagenladung voll.

»Uschi, ich brauch’ dich, verdammt noch mal«, stöhnte Jablonski, ging auf sie zu und versuchte, sie in den Arm zu nehmen.

»Geh’ jetzt bitte, laß mich in Ruhe, ich kann nicht mehr«, wimmerte sie leise und hob beide Hände, um ihn abzuwehren.

»Wie du willst …!« schrie Jablonski, drehte sich auf dem Absatz um und schlug die Schlafzimmertür hinter sich zu.

Als er die Treppe hinunterstolperte, hörte er, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Hastig und mit zitternden Fingern suchte er den Lichtschalter im Wohnzimmer. Nach zwei Fehlversuchen tastete er sich im Dunkeln zu einer Vitrine, die neben dem Sofa stand. Mit einem Ruck öffnete er die Glastüre und griff wahllos in die Flaschensammlung mit hochprozentigem Alkohol, entfernte den Schraubverschluß und trank in gierigen Schlucken. Noch ehe der Whisky seinen Magen erreicht hatte, merkte Jablonski, wie ihm übel wurde. Er preßte eine Hand auf seinen Mund und hielt sich mit der anderen den Magen fest, hastete durch das Wohnzimmer, stieß im Dunkeln gegen den Sofatisch und einen Sessel, wäre im Flur fast ausgerutscht und schaffte es im letzten Moment zum Waschbecken, in das er die dunkelbraune Flüssigkeit spuckte, die mit grünlichgelber Galle vermischt war. Seine Stirn und seine Hände waren eiskalt, er zitterte am ganzen Körper. Eddie stützte sich auf das Waschbecken, schloß die Augen und holte tief Luft. Als er sich etwas besser fühlte, spülte er das Erbrochene durch den Ausguß, schleppte sich ins Wohnzimmer, rollte sich wie ein kleines Kind auf der Liege zusammen und zog eine Wolldecke über seinen Kopf.

68er Spätlese

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